Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino
Gedenkweg für die Opfer des Faschismus

Zwischen dem Erinnern an damals und der Mahnung für heute

Nach zwei Jahren Pause fand am Samstag wieder der Gedenkweg für die Opfer des Faschismus statt. Das Erinnern an die Vergangenheit und die richtigen Schlüsse für die Gegenwart prallen dabei vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs mehrfach aufeinander.

Rund 200 Menschen nahmen heuer am Gedenkweg für die Opfer des Faschismus teil. Foto: Bothner

Zwei Jahre ist es her, seit der Gedenkweg für die Opfer des Faschismus am 23. April zuletzt stattgefunden hat. Doch trotz dieser Unterbrechung ist es ein vertrautes Bild, das sich gegen 18 Uhr zunächst in Stadtamhof vor dem Colosseum, dem ehemaligen Außenlager des KZ Flossenbürg, bietet. Auf dem obligatorischen meterlangen weißen Banner entrollen die Mitglieder der Jugendorganisation Die Falken jene 65 Namen der Menschen, die im Colosseum den Tod fanden. Später wird das Transparent den Umzug durch die Stadt flankieren und wie schon die Jahre zuvor an jeder einzelnen der sechs Stationen die Kundgebung gewissermaßen umrahmen.

WERBUNG

„Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Von Stadtamhof geht es über die Steinerne Brücke Richtung Neupfarrplatz, wo den 49 Mitgliedern der als Neupfarrplatzgruppe bekanntgewordenen Widerstandsgruppe gedacht wird. Dem Zug voraus tragen Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer, Ilse Danziger (Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde), Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften sowie Luise Gutmann von der VVN und Hans Simon-Pelanda von der Arbeitsgemeinschaft KZ Flossenbürg das städtische Banner. „Im Gedenken an die Nazi-Opfer“, steht darauf. Und: „Bleibt wachsam.“ Es wirkt alles ein wenig wie eine altbekannte Choreografie.

Auch das Transparent mit dem Blumenmuster, darauf der „Schwur von Buchenwald“ ,trugen schon in der Vergangenheit Teilnehmer des Gedenkwegs mit sich. „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Heute gilt der Spruch, den KZ-Häftlinge anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald am 19. April 1945 verlesen haben, als mahnende Losung.

„Nichts kann uns garantieren, dass sich die Schrecken der Vergangenheit nicht wiederholen.“

Heute gelte es, das Erinnern an die schreckliche Vergangenheit weiter aufrechtzuerhalten, betont auch Ilse Danziger. Während auf dem Haidplatz der etwas größere Teil der Stadtgesellschaft den „Tag des Bieres“ feiert, spricht sie vor der Neuen Synagoge zu den rund 200 Anwesenden von der „Pflicht der Erinnerung an die Toten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Erinnern fordere aber auch stetes Handeln. Ein jeder müsse „hellhörig sein und rechtzeitig einschreiten“, damit sich die Geschichte nie wiederhole. Umso schrecklicher sei es zu sehen, „dass sich doch wieder aufs Neue Menschen zu derartig schrecklichen Gräueltaten hinreißen lassen.“ Ähnlich äußert sich zuvor Maltz-Schwarzfischer. „Die Schrecken der Vergangenheit mögen Geschichte sein“, sagt sie. „Aber nichts kann uns garantieren, dass sie sich nicht wiederholen.“ Der Krieg in der Ukraine sei selbst bereits Mahnmal, wie brüchig der Frieden in Europa und in der Welt sei.

Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer vor dem Colosseum in Stadtamhof. Foto: Bothner

Eine direkte Linie vom Gedenken an die NS-Zeit bis zu den aktuellen Ereignissen in Osteuropa zieht auch Generalvikar Roland Batz. Vor dem Dom stehend erinnert er zunächst an den 23. April 1945, als vor mittlerweile 77 Jahren „ein Licht der Hoffnung, des Anstandes und der Redlichkeit“ aufgeschienen sei. SS-Brigadeführer Ludwig Ruckdeschel proklamierte, trotz der vor den Toren der Stadt bereits aufmarschierten Alliierten-Truppen, damals noch „die Verteidigung Regensburgs bis zum Äußersten”. Auf dem Moltkeplatz, dem heutigen Dachauplatz, organisierten Teile der Stadtbevölkerung hingegen eine Kundgebung, forderten die Kapitulation.

Generalvikar plädiert für Hilfen für Geflüchtete

Domprediger Johann Maier sprach spontan mit „Ruhe und sittlichem Ernst“ von der kampflosen Übergabe der Stadt. Kurz darauf wurden er und weitere festgenommen. Bezirksinspektor Michael Lottner wurde erschossen. Maier und Josef Zirkl zum Tode verurteilt und im Morgengrauen des 24. April auf dem Moltkeplatz aufgehängt. Es sollten die letzten Regensburger Opfer des NS-Terrors werden. Drei Tage später war die Stadt in der Hand der Alliierten. Lottner, Zirkl und Maier gelten heute neben anderen als Symbol des Widerstands in Regensburg.

Womöglich hätten sie – wie etwa die 49 Inhaftierten der Neupfarrplatzgruppe – schon früher gegen die Nazis aufbegehren können, greift Luise Gutmann entsprechende Gedanken auf. Gutmann, seit mehreren Jahrzehnten eine der maßgeblichen Initiatorinnen des Gedenkweges, betont am Samstag aber: „Für uns war nichts an ihrem Einsatz für die Beendigung des Krieges sinnlos.“ Das Erinnern an diese Menschen sieht auch Batz als ewig fortbestehenden Auftrag:

„Es bleibt uns auch heute aufgetragen, Unrecht beim Namen zu nennen und aufzustehen gegen jegliche Tendenz, Menschen aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung, aufgrund ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung oder aufgrund ihrer körperlichen oder mentalen Hilflosigkeit das Lebensrecht abzusprechen.“

Flüchtenden, „vor allem aus der Ukraine“, müsse daher geholfen und eine angstfreie Zukunft ermöglicht werden. Jedenfalls dann, wenn das Erinnern nicht nur ein symbolischer Akt bleiben solle, so der Geistliche.

„Hauptfeind im eigenen Land“

Die Parallelen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, sie sind beim diesjährigen Gedenkweg für die Opfer des Nationalsozialismus nicht nur in den Reden allgegenwärtig. Da sind die zwei Männer, die an jeder Station zunächst demonstrativ mit einem Banner ein Ende des Krieges fordern und sich gegen eine weitere Aufrüstung aussprechen. Da ist das große Banner der FDJ, das zusammen mit einer aufgespießten Friedenstaube den „Hauptfeind im eigenen Land“ verortet. Oder der ältere Mann mit der Fahne der Vereinten Nationen.

Auch die FDJ nahm an dem Gedenkweg teil. Foto: Bothner

Aus dem Erinnern das eigene Handeln für heute ableiten, eine Aufgabe, die immer wieder bei solchen Gedenktagen vorgebracht wird. „Nie wieder Krieg!“, lautet ein zentraler Satz, der seit Wochen auch am Regensburger Stadttheater hängt. Doch wie dieser Forderung gerecht werden? Etwas kritischer stimmen hier die Falken in das gemeinsame Gedenken ein. „Wir werden uns nicht einspannen lassen für deutsche Großmachtsphantasien“, erklärt deren Redner am Ende des Weges. Gemeint ist der von Scholz und Lindner „unter dem tobenden Beifall fast des gesamten Bundestages“ verkündete Plan, Deutschland solle eine der „schlagkräftigsten Armeen in Europa“ (Lindner) haben.

„Wir wissen nicht was nötig ist, um diesen grausamen Angriffskrieg zu stoppen“, so der Falke weiter. „Was wir aber wissen ist, dass eine deutsche Armee noch nie Frieden gebracht hat. Sei es in Mali oder Afghanistan.“ Krieg kenne niemals Gewinner, immer nur Verlierer. Die derzeit diskutierte Aufrüstung sehen die Falken als den falschen Weg und bekommen dafür einigen Applaus. Es sind auch die Falken die – neben dem Krieg in der Ukraine – auf die aktuell laufende türkische Bombardierung der kurdischen Gebiete verweisen und damit eine gewisse Doppelmoral des Westens anprangern.

In all der mittlerweile altbekannten Abläufe und wohl vertrauten Worte des Gedenkweges erfährt das Erinnern in diesen Tagen eine reale Konfrontation. Welche Lehren genau sind aus der Geschichte zu ziehen? Wie vergleichbar ist Putins Vorgehen gegen die Ukraine mit der oft beschworenen Singularität des Nationalsozialismus? Was bedeutet „Nie Wieder“?

Neue Gedenkstele am Georgenplatz

Eine andere Linie zwischen damals und heute klingt beim Redebeitrag der Zeugen Jehovas an. Dieses Jahr findet diese Station erstmals am Georgenplatz statt. Einem von drei Orten in der Stadt, an dem Mitglieder der damaligen Gemeinde den Widerstand gegen den Nationalsozialismus formierten. Gegenüber des Bayernmuseums steht mittlerweile eine Gedenkstele. „Sie wurden verfolgt weil sie an Gott glaubten“, sagt ein Mitglied der Gemeinde. „Sie hatten jederzeit die Möglichkeit ihrem Glauben abzuschwören und wären frei gekommen.“ Sie haben es nicht getan und wurden dafür inhaftiert und ermordet.

Traditioneller Abschluss des Gedenkwegs: das Lied der Moorsoldaten. Foto: Bothner

Es hat viele Jahre gedauert, ehe die Zeugen Jehovas als verfolgte Opfergruppe anerkannt wurden. Selbst heute falle das Erinnern daran noch schwer, sagt der Gemeindevertreter und betont: Auch heute noch würden in Ländern wie Russland, auf der Krim, in Eritrea und Südkorea Zeugen Jehovas unrechtmäßig inhaftiert werden. „Nur weil sie ihren Glauben ausleben“ seien aktuell 148 Zeugen Jehovas weltweit in Haft. „Es war möglich, dass dies geschah und es bleibt jederzeit möglich“, zitiert der Redner den Philosophen Carl Jaspers.

Die Geschichte als Mahnung für die Gegenwart. Vielleicht dient sie manchmal auch allzu schnell als Negativfolie für alles.

Print Friendly, PDF & Email

SUPPORT

Ist dir unabhängiger Journalismus etwas wert?

Dann unterstütze unsere Arbeit!
Einmalig oder mit einer regelmäßigen Spende!

Per PayPal:
Per Überweisung oder Dauerauftrag:

 

Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.
IBAN: DE14 7509 0000 0000 0633 63
BIC: GENODEF1R01

Kommentare (4)

  • joey

    |

    Putin kämpft ja auch “gegen Nazis”. Jeder instrumentalisiert die historischen Opfer nach Belieben, Querdenker hängen sich gelbe Sterne an. Selbst wenn die historischen Opfer noch sprechen könnten, hätten sie wohl ganz unterschiedliche Folgerungen. Da hatten Stalinisten sicher andere Meinungen wie Zeugen Jehovas.

    Gedenkt den historischen Opfern, aber löst die Probleme von heute mit heutigen Argumenten. Das Gedenken kann uns zeigen, daß unsere Freiheit und Wohlstand nicht selbstverständlich sind. Ausnahmsweise finde ich aber den Spruch zulässig, daß die KZs nicht durch Ostermarschierer befreit wurden.

  • Günter Annen

    |

    Kommentar gelöscht. Mit Verlaub, Herr Annen. Verziehen Sie sich von dieser Seite. Ein mehrfach verurteilter Holocaustrelativierer mit Faible für Rechtsextreme ist hier unerwünscht.

  • xy

    |

    Dass der bay. Gesetzgeber sein Ermessen falsch ausgeübt hat und jetzt vom Bundesverfassungsgericht zur Ordnung gerufen wurde, ist mit dem Holcoust in keinster Weise vergleichbar. Wer das vergleicht, vergleicht auch Kirschkernspucken mit Maschinengewehrfeuer.

Kommentare sind deaktiviert

drin