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Archiv für 9. Mai 2010

Zum „Muttertag“: Oskar Maria Grafs beispiellose Sozial-Chronik Das Leben meiner Mutter – ein Denkmal den Müttern, seiner Heimat, dem Internationalismus Wer kennt schon Oskar Maria Graf. Zwar wurde dieser selbsternannte „Provinzschriftsteller“ gerühmt von Leuten wie Gorki, Thomas und Heinrich Mann, Brecht und Einstein. Bekannt ist er aber nur wenigen. Um einem Autor und seiner Bedeutung auf die Spur zu kommen, liest man seine Autobiographie. Von Graf gibt es diese in den beiden Teilen Gelächter von außen und Wir sind Gefangene. Ein gewissermaßen vorbereitender dritter (oder nullter) Teil ist Das Leben meiner Mutter. Diese Geschichte seiner Mutter und seiner selbst ist in jeder Hinsicht überwältigend. Ein Werk von gut 550 Seiten, das Thomas Mann das „ungefügte Buch“ nannte, weil es sich gegen alle Gattungen und Regeln sperrt. Graf widmet sich, wo er es für richtig hält, sehr eingehend den Personen, Begebenheiten, der Zeitgeschichte, der Landschaft. An anderer Stelle faßt er dagegen nur kurz zusammen. Knapp und trocken beispielsweise, wie er eine der Schilderungen seiner Münchner Bohéme-Zeit abschließt: „Es stellte sich heraus, daß ich ungemein robust und trinkfest war, und so wurde ich rasch zum Säufer“. Immer wieder schwelgt der Poet Graf in Ansichten seiner geliebten Heimat rund um das Dörfchen Berg am Starnberger See. Dabei ist das Buch Ende der 1930er Jahre entstanden, während Grafs Exil von Wien über Brünn bis New York, wo es 1940 erschien. Die Bilder seiner heimatlichen Landschaft sind also rein aus der Erinnerung geschrieben. Die Sehnsucht bedingte den Stil. Sonst schreibt Graf in seiner meisterlichen Art unverstellt und kräftig. Dialoge und Schilderungen scheinen mitstenografiert, das einfache (Land-) Volk zwischen etwa 1850 und 1935 wird unmittelbar gegenwärtig – in ihrer aus der täglichen Not geborenen Schlechtigkeit, ihrer zwischen Feld und Kirche erworbenen Einfalt, ihrem hilflosen Lamentieren gegenüber den Heimsuchungen der Regenten und Kriege. Wie in einer Parallelwelt spukt König Ludwig II. durch die Gegend, Bismarck führt Krieg gegen Frankreich und bekämpft die Sozialisten. Der I. Weltkrieg „bricht aus“, in der Weimarer Republik toben blutige Kämpfe, die Nazis werden belächelt, dann gefürchtet. Und zwischen alldem Grafs Mutter, in der das Buch gewissermaßen ruht. Eine einfache, fromme Bäuerin und Ikone des Mütterlichen. Abgehärtet ist sie, gut und arglos gegen jeden, aber auch gesellig, lebenslustig, derb. Das Buch ist voller „Liebe und Pietät“ (Thomas Mann), eine unaufdringliche Hymne an diese Frau mit „ihrer unfaßbaren, schmerzgewohnten Mitleidlosigkeit gegen sich selbst“. Der Vater dagegen ist eigensinniger, aber auch geschäftstüchtiger. Er ist ein umtriebiger Zweifler mit Interesse auch an Politik und Philosophischem. Dieses väterliche Erbe auf der einen, das Authentische, Gute der Mutter auf der anderen Seite – diese Spannbreite findet sich auch in der Person Oskar Maria Graf wieder. Er hat seine Herkunft immer eher herausgekehrt, als sie zu verstecken. Es gehörte zu seinem Selbstverständnis, wenn er etwa durch die Sowjetunion in Lederhosen reiste. Denn, wie er auch am Ende von Das Leben meiner Mutter räsoniert, er traf in der ganzen übrigen Welt im Grunde immer auf das Gleiche. Auf Szenen aus seiner Heimat, auf Menschen mit den selben Nöten, Freuden und Hoffnungen. Heimat und Internationalismus sind bei Graf Worte mit Sinn und Herz. Er starb 1967 im New Yorker Exil, er vermißte seine Heimat und hatte sie doch immer bei sich: „’Hm, merkwürdig … Vaterland?’ Wie abstrakt, wie leblos war das immer für mich gewesen! Ich lebte stets nur da, wo ich meine Mutter fühlte und wußte. Diese Heimat blieb unverlierbar. -“. Oskar Maria Graf: „Das Leben meiner Mutter“ Erstausgabe November 1940 bei Howell & Solkin, New York, in englischer Sprache: „The Life of My Mother. A biographical novel“ Deutsche Erstausgabe 1946 im Kurt Desch-Verlag 23. Auflage, November 2008 im dtv-Verlag, 672 Seiten, 12,90 Euro Oskar Maria Graf Gesellschaft e.V., Müchen: www.oskarmariagraf.de
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