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Archiv für 5. Mai 2010

Samstag, Donaumarkt: Der Bäcker, der Metzger, der Gemüsestand sind da. Und wenn’s Wetter passt, lässt man sich auch mal gern ausgiebiger Zeit für einen Ratsch am Stand seines Vertrauens. Für Eilige auf der Suche nach dem ultimativen Schnäppchen in Drive-In-Kauflaune übt dieser Platz am Vormittag aber kaum seinen Reiz aus. Und so gibt’s Presssack, Birnen, Krautköpfe, Erdäpfel und Rhabarber, Schwammerl, Knoblauch, Wurst und Käse, Brot und Wein, Fleisch vom Schwein und andern Vieh. Südfrucht, Schnaps und Sellerie, hier ist man Mensch, hier darf man’s sein. Und jenseits von daheim?

Die Lust auf Land

Konzerne befriedigen ihre Bedürfnisse mit Land für Viehzucht, Ackerbau und Biokraftstoff im Ausland. Die hohe Nachfrage lässt Preise steigen, und wo Bewegung den Preis beherrscht, sind die Spekulanten nicht allzu weit. Das ganz normal ausufernde marktwirtschaftliche Gehabe? Ein zweiter Blick lässt mehr erkennen: Staaten versichern sich immer häufiger, natürlich von vertraglich vereinbarten Rahmenbedingungen begleitet, gegenseitiger Lieferungen von Agrarprodukten, Rohstoffen. Land wird aufgekauft, um durch Anbaurechte jenseits der eigenen politischen Einflusssphäre die heimischen Mägen zu füllen. Die schwedische Firma Alpcot Agro baut in Russland Getreide und Ölpflanzen an. Dabei werden insgesamt 161.000 Hektar durch die Firma „kontrolliert”, von weiteren 91.000 Hektar ist sie direkter oder indirekter Besitzer. Die japanische Mitsui-Gruppe kaufte im November 2007 100.000 Hektar Land in Brasilien für Sojaanbau auf. 2008 verpflichtete sich Libyen, Erdgas und Erdöl an die Ukraine zu liefern. Der Preis: die Überlassung von 250.000 Hektar Land in der Ukraine. China erwarb hunderttausende Hektar Land in Kamerun, Australien, Laos und auf den Philippinen.

Länder konkurrieren mit Konzernen

Hintergrund dieser Kauflust ist der seit 2007 steigende Getreidepreis. Die großen Anbieter von Agrarprodukten drosseln den Export, um heimische Bedürfnisse zu decken. Importländer hingegen spüren bei steigenden Lebensmittelpreisen, dass sie in bedrohliche Schieflage geraten können. Hungerrevolten entwickeln sich zum unberechenbaren Desaster einer jeden betroffenen Region, unabhängig von politischen Systemen und Landesgrenzen. In den Jahren 2007 und 2008 war dies z. B. in den Ländern Südafrika, Somalia, Argentinien, Bolivien, Namibia, Mosambik, Simbabwe, Sambia, Kamerun, Burkina Faso, Mexiko, Indien, Jemen, Indonesien und der Mongolei der Fall. Und so rechtfertigen immer mehr Länder ihr Bedürfnis, Ackerland im Ausland zu kaufen oder zu pachten, um die Ernährungssicherheit des eigenen Landes zu gewährleisten. Länder werden zu Mitbewerbern der Nahrungsmittelkonzerne, die ebenfalls in Agrarland investieren. Die Preise steigen weiter. Zwei Beispiele: In einem hauptsächlich aus Wüste bestehenden Land wird Weizen angebaut. Weite Regionen müssen dafür mit fossilem Grundwasser bewässert werden. Das Ölgeschäft hat die Finanzierung gesichert, aber bis 2016 soll die Produktion eingestellt werden. Ab dann muss Getreide – zu immer weiter steigenden Preisen – importiert werden. Da aber etwa ein Drittel der Einwohner schlecht bezahlte Migranten sind, ist der Zugang zu preiswerten Produkten für sie existenziell. So positioniert man sich, um künftig den heimischen Bedarf aus dem Sudan, Kasachstan, Pakistan, Thailand und der Ukraine zu sichern. Auch 500.000 Hektar Reisfelder in Indonesien sollen bewirtschaftet werden. Das Land: Saudi-Arabien. Seit seiner Teilung im Jahre 1953 vom nördlichen Nachbarn hat ein anderes Land kaum eigene Rohstoffvorkommen. Es fördert Bildung und Industrialisierung. Zwar ist der eigene Bedarf an Reis gedeckt, doch der Anteil an Agarfläche liegt bei geringen 19 Prozent. 60 Prozent der Nahrungsmittel müssen importiert werden. So will man Agrarprojekte in Kambodscha, Indonesien, der Mongolei und dem Sudan realisieren. Ein auf 99 Jahre angelegtes Projekt mit Madagaskar musste aber – auch aufgrund politischer Verstrickungen des mittlerweile gestürzten madagassischen Präsidenten – wieder auf Eis gelegt werden. Das Land: Süd-Korea.

Hedgefonds in Sachen Agrarland

Was aber treibt die „Anbieter“ von Agrarland? Selbst Thailand und Äthiopien buhlen um die Gunst der „Landverwerter“ aus dem Ausland. Oft gering bevölkert, dafür mit großen, kaum genutzten Anbauflächen, mangelt es ihnen vor allem an Infrastruktur: Es fehlen Lagermöglichkeiten, Straßen, Silos und Häfen. Das zieht sie an, die großzügigen Interessenten und Investoren, die diese Mängel billig abstellen werden. Die Folgen dieser Landveräußerungen sind weitreichend. Es entstehen Märkte, die – ihre eigenen Regeln verletzend – keinen Wettbewerb hervorbringen. Investmentfonds (Hedgefonds), die an diesen Ländern freilich nur Profitinteresse zeigen, tun dies im Wissen über das Dilemma ihrer Vertragspartner. Viele der betroffenen Länder, die sich auf dem Markt anbieten, erzielen Einkünfte aus Hilfen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), da sie die eigene Bevölkerung nicht ausreichend ernähren können. Gleichzeitig aber veräußern sie ihre eigenen Agrarflächen an andere Länder oder Konzerne und Investoren.

Anbieter von Ackerflächen: Länder mit hoher Unterernährung

Betrachten wir nur jene Länder, in denen laut WFP mehr als 20 Prozent der Bevölkerung unterernährt sind, so finden sich genau darunter viele, die Agrarland an ausländische Investoren oder Länder veräußern und verpachten: In Asien können trotz Verkaufs und Überlassungen von Landflächen z. B. in Pakistan, der Mongolei und Thailand mehr als 20 Prozent der jeweiligen Landesbevölkerung nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgt werden. In Afrika sind es die Länder Sudan, Äthiopien, Kamerun, Tansania, Mosambik, Madagaskar und Angola, die trotz finanzieller Unterstützung durch WFP zur Bekämpfung des Hungers im eigenen Land mit mehr als 20 Prozent Unterernährungsquote kämpfen. Wozu führt diese Form des modernen Kolonialismus in nicht unbewohnten Regionen? Natur- und Waldvernichtung sind die Folge. Den Bewohnern bleibt selbst bei bester Absicht kein Land zur Selbstversorgung. Immer mehr Bauern bestellen Land, das ihnen nicht gehört. Die Lebensmittelqualität sinkt und mehr und mehr Saatgut, dass nicht aus heimischer Natur stammt, wird verarbeitet. Im Sudan, der eben unter jenen Ländern aufgeführt ist, die Land verkaufen oder verpachten, kam es 2008 zum bislang größte Hilfsprojekt des WFP. Es gab Todesopfer. Fragen zum „land grabbing“ können da nicht ausbleiben.

Kultur des Wachstums

Was passiert bei Lebensmittelengpässen in diesen Ländern? Wird die Bevölkerung tatenlos zuschauen, wenn Nahrungsmittel aus den betroffenen Gebieten exportiert werden? Wird die „Kundschaft“ dieser Güter auf Einhaltung der Verträge pochen? Wie weit wird man gehen, um die Erfüllung der Ansprüche durchzusetzen? Darf ein Land, das seine Bevölkerung nicht ernähren kann, Agrarflächen verkaufen? Und wir daheim, den Inhalt der Taschen aus dem Einkauf vom Donaumarkt in den Kühlschrank leerend? Wollen wir anerkennen, dass auch dieser Prozess fester Bestandteil unserer Kultur des Wachstums ist?
drin