08 Apr2013
"Frau müller muss weg" am Theater am Haidplatz
Perfekter Ausnahmezustand

„So hat noch nie jemand über mein Kind gesprochen und so darf niemand über mein Kind sprechen. Das lasse ich nicht zu.“ Marina JeskowFürs bayerische Bürgertum gibt es nur zwei Wege fürs eigene Kind: das Gymnasium, oder die Orte, über die man lieber nicht spricht (Realschule oder – luftanhalt – Hauptschule). Die strengen Übertrittsregeln, gerade im bayerischen Schulsystem sorgen regelmäßig dafür, dass sich liebende Muttis und Vatis ab dem neunten Lebensjahr des Nachwuchses in Monster verwandeln: Das liebe Kleine ist nicht gut genug? Wird’s halt mit Ritalin ruhiggestellt und auf Gedeih und Verderb mit Förderunterricht eingedeckt. Weil Bildung ja der wichtigste Grundstein einer erfolgreichen Existenz ist, und ohne gymnasiale Bildung ist man ja nichts mehr in dieser Welt, nicht wahr? Glücklicherweise gibt es gerade jetzt den Anfang eines Umdenkens in der Gesellschaft: Gymnasien müssen um ihre Klassenauslastung kämpfen, der Bildungsweg Realschule – BOS – Fachoberschulreife und FH-Studium wird für viele Familien attraktiver, was auch am Druck liegt, den die Bayern sich und ihren Kindern machen und der nicht mehr unbedingt als Weisheit letzter Schluss verstanden wird. Es rumort in Bayerns Schulen. Aber auf der kleinen Haidplatzbühne des Theaters Regensburg ist die Welt noch so, wie sie die letzten Jahre konstant war: Der Übertritt als perfekter Ausnahmezustand.
Hinter die Fassaden entschlossener Elternschaft
Die Eltern, die sich zu einer Gesprächskonfrontation mit der Grundschullehrerin ihrer Kinder, Frau Müller, verabredet haben, sind natürlich nur hier, weil es um das Wohl ihrer Kinder geht. Frau Müller wird nicht jedem der ausnahmslos wohlgeratenen und liebreizenden Kinder eine Gymnasialempfehlung aussprechen, das ist ein Problem. Die Noten müssen besser werden, die Kinder können gar nicht schuld sein, also muss Frau Müller weg. Man munkelt ja auch, sie hätte eh Probleme, weine vor der Klasse und so. Au weia. Nur – ganz so simpel gestaltet sich der Gesprächsabend dann doch nicht. Die Fassaden der entschlossenen Elternschaft brechen auf, Verzweiflung blitzt hervor. Die Figuren, von Autor Lutz Hübner als liebevolle Klischees angelegt und von Regisseurin Sahar Amini in ihrer Inszenierung pointiert herausgearbeitet, stolpern in der mit Kastanienfiguren vollgestopften Fluchtpunkt-Minibühne umher (sonnengelbe Klaustrophobie-Momente von Anna Schurau): Da ist zum Einen Jessica (streng: Pina Kühr), die taffe Businessfrau, die mit ihrer Tochter heillos überfordert ist. Zum Anderen Marina Jeskow (mit riesengroßer Hipsterbrille: Janina Schauer), die nicht glauben will, dass ihr kleiner Engel andere Kinder verprügelt, mit ihrem Mann Patrick (abgründig: Sebastian Ganzert), der zuerst ganz Pantoffelheld und verständnisvoller Ehemann ist, um sich dann doch seine Machoseele mit Sprüchen wie „Wenn du das Geld verdienst, ziehen wir dahin wo du willst“ raushängen zu lassen.