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Transit Filmfest 2023

„Mal wieder staunen und das Leben feiern.“

Heftiges und Witziges, menschliche Höhen und Abgründe und die Frage, was menschliches Leben überhaupt ausmacht. Am Mittwoch startet das diesjährige Transit Filmfest in Regensburg. Ein Gespräch mit Festivalleiterin Chrissy Grundl.

Festivalleiterin Chrissy Grundl an ihrer Wirkungsstätte Filmgalerie. Foto: as

Euer Motto dieses Jahr lautet „(Nothing But) Life“. Dazu zitiert in eurem Programmheft aus „Nothing But Flowers“ von den „Talking Heads“. Da geht es darum, dass sich die Natur wieder die Welt zurückerobert. Widmet ihr euch heuer der Ökologie und Natur?

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Auch – aber „(Nothing But) Life“ ist kein reines Natur- oder Ökothema. Vor allem wollen wir auf keinen Fall die typischen Gegensätze reproduzieren zwischen Mensch und Natur, Tradition gegen Fortschritt oder Rationalität gegen Mythologie.

Da schwingt auch immer noch eine kolonialistische Dualität mit – auf der einen Seite die aufgeklärte westliche Wissenschaft, die den Fortschritt vorantreibt und auf der anderen Seite der naive Naturglauben, indigene Spiritualität und sowas. Solche Gegensätze wollen wir aufbrechen, zumindest wollen wir zum Nachdenken darüber anregen. Und da kommt der Name her

Ihr habt immer versucht, mit eurem Programm den Zeitgeist einzufangen und zu schauen, was die Welt gerade bewegt. 2020/21 habt ihr euch zum Beispiel Utopien/Dystopien ausgesucht – und dann kam Corona. Wieso genau das Thema „Leben“ zur jetzigen Zeit?

Unser Festivalthema ist immer eher so eine Art gedanklicher Überbau. Eine Blickrichtung und ein Gefühl, mit dem wir in den Sichtungsprozess gehen. Dann formiert sich das erst so richtig.

Tatsächlich war es fast ein bisschen unheimlich, wie gut unser Thema zuletzt auf die gesellschaftspolitischen und sozialen Ereignisse gepasst hat. So langsam dämmert uns aber jetzt, dass wir aus dieser andauernden Krise so schnell nicht rauskommen. Das wird jedes Jahr irgendwie Thema sein. Und auch wenn wir als politisches Festival kritisch sein wollen, möchten wir nicht immer wieder diesen Krisenmodus bedienen.

Deshalb versuchen wir mit „(Nothing But) Life“ herauszustellen, was uns Menschen verbindet, was irgendwie Zusammenleben ausmacht. Solidarität, Mitgefühl, gegenseitiges Empowerment. Außerdem wollen wir ein bisschen das Leben an sich feiern.

Also weniger verkopft als die letzten Jahre?

Da kommen wir nie ganz weg. Wir sind ja auch alle irgendwie so. Aber wir wollten bewusst wieder ein bisschen verspielter werden. Ein bisschen leichter. Ein bisschen mehr Magie, Rausch und Träume. Auch weil wir glauben, dass es uns aktuell nicht schaden würde, einfach mal wieder zu staunen und das Leben und die Welt wertzuschätzen.

Wie drückt sich das dann konkret in Filmen aus?

Heuer hatten wir auf unserer Shortlist mit der ersten Vorauswahl knapp 400 Filme. Von denen haben wir ungefähr 200 angeschaut und 35 davon haben es in die internationale Hauptsektion geschafft. Dank Goethe-Förderung haben wir heuer zum ersten Mal auch internationale Gäst*innen – aus Asien, Afrika und Australien. Und vor kurzem hat sich herausgestellt, dass wir sieben Filme ins Programm genommen haben, die für ihr Land ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film gehen.

Erwähn doch mal ein paar.

Der eine ist Mami Wata aus Nigeria. Westafrikanische Fantasy-Folklore haben wir das genannt. Inhaltlich geht es um den Kult um eine Wassergöttin, aber das wirklich Beeindruckende an dem Film ist seine wegweisende Bildgestaltung, für die es in Sundance den Sonderpreis der Jury für die beste Kameraführung gab. Es gibt nicht viele Schwarzweiß-Filme, in denen schwarze Menschen von der Ausleuchtung und Kameraarbeit her so gut in Szene gesetzt werden, wie in Mami Wata.

Woran liegt das?

Vor dem Farbfilm gab es im Filmkanon kaum schwarze Schauspieler*innen in tragenden Rollen. Das fehlt in der Filmgeschichte. Kamerafrau Lílis Soares hat da jetzt Maßstäbe gesetzt. Regisseur C. J. Fiery Obasi ist einer unserer internationalen Gäste und wird uns im Q&A bestimmt etwas darüber erzählen können.

Und der zweite Oscar-Bewerber…e

Der kommt aus Belgien. In Omen verarbeitet der belgisch-kongolesische Rapper und Filmemacher Baloji auch seine eigene bikulturelle Herkunft. Die Hauptfigur kehrt in seinen Heimatort im Kongo zurück, um dort seine schwangere weiße belgische Frau der Familie vorzustellen.

Diese Familie hängt einem Bessessenheitsglauben an und nach und nach prallen die Welten aufeinander. Viel mehr will ich gar nicht verraten – außer, dass es auch viel Musik und fesselnde Bilder im Film gibt und dass wir uns freuen, dass mit der französisch-ruandischen Schauspielerin und Komikerin Eliane Umuhire eine der Hauptdarsteller*innen persönlich nach Regensburg kommen wird.

Und als letztes Beispiel aus der Hauptsektion möchte ich noch Tiger Stripes von Amanda Nell erwähnen. Das ist ein malaysischer Coming of Age-Body-Horrorfilm.

Hört sich bedrohlich an…

Es geht um ein zwölfjähriges Mädchen, das in die Pubertät kommt und merkwürdige Veränderungen an ihrem Körper feststellt. Sie fängt dann an, gegen die religiösen Wertvorstellungen im ländlichen Malaysia zu rebellieren. Das ist eine islamisch geprägte Gegend. Dementsprechend ungewöhnlich ist dieser Film auch.

Die malaysische Produzentin Fei Ling Foo wird persönlich beim Screening anwesend sein und nach dem Film Publikumsfragen beantworten.

In eurer Sondersektion widmet ihr euch dem kulturellen Jahresthema der Stadt. Höhenflüge. Wo fliegt ihr hin?

Es geht um Held*innen und Anti-Held*innen. Um Aufstieg und freien Fall. Wir wollen uns aber auch den Auswüchsen des menschlichen Wunsches nach Höherem widmen. Da ist eine extrem unterhaltsame Sondersektion herausgekommen, die eher genrelastig ist – teils wirklich sehr, sehr witzig, aber auch richtig heftig. Wir haben eine späte Mitternachtsschiene mit viel Horror und Sex.

Ein paar Empfehlungen?

Da haben wir zum Beispiel Shin Ultraman – ein japanischer Superheldenfilm. Den zeigen wir sogar zwei Mal in der Hoffnung, dass die Leute checken, wie abgefahren der ist.

Da gibt es Hello Dankness, ein Cut-Up-Film, der aus zig anderen Hollywood-Produktionen besteht, die anders zusammengeschnitten wurden zu einer neuen Geschichte. Im weitesten Sinne geht es um die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und darum, dass die Gesellschaft so langsam zombiefiziert wird.

Gemacht haben den Soda Jerk, Dan und Dominique Angeloro aus Australien. 2016 haben sie für die Band The Avalanches einen Kurzfilm geschnitten, der nach demselben Prinzip funktioniert und aus dem ein viraler Internethit geworden ist.

Die beiden Australierinnen werden ebenfalls persönlich zum Screening nach Regensburg kommen, worüber wir uns natürlich riesig freuen.

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Und was aus der der dunklen Schublade?

Da empfehle ich den österreichischen Film mit dem etwas sperrigen Titel 25510.02 The Orgy of the Damned. Regisseur ist Norbert Pfaffenbichler, ein Filmemacher, aber auch ein sehr experimenteller Künstler. Wir sind gespannt, wie der drauf ist beim Publikumsgespräch.

Orgy of the Damned ist eine Odyssee durch das Reich des Obszönen, aber gleichzeitig extrem kreativ. Da wurde mit sehr wenig Budget eine abgefahrene Fantasiewelt gebaut. Viel Bühnenbild, viel Basteln und viel Materialität ist es, was diesen Film ausmacht. Es ist komisch, was mit einem passiert, wenn man da mal eine Zeit lang zuschaut und lauter krasse Sachen sieht, die aber alle so artifiziell und künstlich sind, dass man sich irgendwann an dieses Grauen und an diesen Schrecken gewöhnt.

Und dann gibt es noch die Retro-Sektion. All the Good Girls go to Hell. Was hat es damit auf sich?

Kurz gesagt geht es um fünf Jahrzehnte feministische Punk-Filmgeschichte. Hauptsächlich weibliche Filmemacherinnen, aber auch Männer. Es geht uns tatsächlich eher um die Haltung.

Lesbische und queere Undergroundfilme sind da dabei. Es geht um Provokation. Um Sex-Positivität. Um Punk und einfach Bad Girls. Frauen, die sich der Gesellschaft entziehen, die irgendwie nicht mitspielen wollen.

Da gibt es auch so richtige Bad Girls, bei denen man nicht unbedingt immer mitfühlen kann und muss. Vieles stammt aus einer Zeit, wo man das so nicht erwartet hätte. Der älteste Film, den wir zeigen, The Wayward Girl, stammt von 1959.

In einer Podiumsdiskussion wollen wir das Ganze dann noch vertiefen. Da freue ich mich vor allem auf Künstler*in Ashley Hans Scheirl aus Österreich, die den österreichischen Pavillon bei der Biennale 2022 in Venedig gemacht hat. Von Ashley zeigen wir Rote Ohren fetzen durch Asche, ein österreichischer Undergroundfilm von 1991, der erst vor wenigen Jahren restauriert worden ist.

Karola Gramann, die das Restaurieren und Archivieren in die Wege geleitet hat, kommt auch. Es wird bestimmt interessant, was die beiden Damen über die Grenzen zwischen Underground und “Hochkultur” zu erzählen haben.

Es gibt ja auch noch einiges außen rum. Eine Ausstellung über das Künstlerkollektiv Die tödliche Doris, eine Kinokonzert mit Vortex, bei dem der Stummfilm Häkan vertont wird, ein Extra-Programm für Schulklassen, eine Festivalparty mit fünf Live Acts. Das ist extrem umfangreich. Wie könnt ihr das schultern?

Wir werden von Jahr zu Jahr professioneller, die Qualität unseres Programms und unseres Bookings wird auch immer stärker von der Branche wahrgenommen. Wir wollen und können da nicht mehr zurück. Allerdings wird es jedes Jahr schwieriger, all das ausschließlich im Ehrenamt zu stemmen. Ich will kein böses Wort über die Stadt oder das Kulturamt verlieren. Die sind uns wohlgesonnen und wir erhalten jedes Jahr eine großzügige Projektförderung. Wir haben dieses Jahr den Kulturförderpreis bekommen. Das hat uns total gefreut. Aber was wir eigentlich brauchen, ist eine institutionelle Förderung. Damit wir uns auf irgendetwas verlassen können.

Wir können das in der Form, in der Qualität und in der Dimension ansonsten nicht mehr lange machen. Wir sind das größte Festival für Langfilme in Regensburg. Aber wir haben kein Festivalbüro, wir haben keine Lagermöglichkeiten und wir arbeiten mit einer komplett ehrenamtlichen Struktur – einem Kernteam von acht Leuten. Es wird zunehmend schwieriger, diese Festivalorganisation mit unseren richtigen Jobs zu vereinbaren.

Uns ist klar, dass wir jetzt hier nicht alle acht Leute in Lohn und Brot bringen können. Aber wenn ich mir andere Festivals in der Größenordnung anschaue, sind sie Voraussetzungen schon ganz andere. Das wollen und müssen wir ändern und hoffen, dass die Stadt das genauso sieht.


Hier geht es zur Homepage vom Transit Filmfest.

Hier geht es zum Youtube-Kanal.



Offenlegung: regensburg-digital ist Medienpartner des Transit Filmfests.


 

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Kommentare (1)

  • Native

    |

    Warum nicht mal ins Kino gehen?
    Der Charme von Lichtspieltheatern erlaubt eine andere, erweiternde, bereichernde Sicht auf das „Leben“, „Umwelt“ und andere „Lebensstyle“ als Kontrast zum allgemeinen „Konsum-Trash“.

Kommentare sind deaktiviert

drin