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Schriftsteller im Exil

„No Roses from my Mouth“

Schriftsteller im Exil: Stella Nyanzi aus Uganda und Umar Abdul Nasser aus dem Irak lasen, moderiert von Barbara Krohn, im Orphée.

Stella Nyanzi, Umar Abdul Nasser, Barbara Krohn und Carsten Lenk vom EBW (von links) bei der Lesung im Orphée. Foto: Marcinkus

„Sie sagen, dass ich wahnsinnig bin, weil ich die Wahrheit sage. Weil ich ausspreche, was Engel nicht zu flüstern wagen. Die Leute sehen mich an und schütteln den Kopf, weil ich öffentlich die Wahrheit ausspreche.“

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Wenn Stella Nyanzi liest, geht es nicht um irgendwelche Befindlichkeiten. Die Schriftstellerin aus Uganda saß dort 475 Tage im Gefängnis. Im Februar 2020 ließ man sie frei. Im Januar 2022 ging sie ins Exil, nach Deutschland. Stella Nyanzi wurde vom PEN (Poets, Essayists, Novelists) in das Programm „Writers in Exile“ aufgenommen. Das heißt, der deutsche Verband der internationalen Schriftstellervereinigung kümmert sich um die verfolgte Kollegin, stellt ihr eine Wohnung, schaut, dass sie in der Fremde zurechtkommt.

Bereits zum dritten Mal seit 2020 präsentierte Barbara Krohn zwei Schriftsteller aus dem Writers-in-Exile-Programm des PEN-Zentrums Deutschland in einer öffentlichen Lesung. (Zur ersten Lesung siehe hier.)

Ist der Mensch ein Vogel oder ein Baum?

Neben Stella Nyanzi saß der irakische Schriftsteller Umar Abdul Nasser auf dem Podium; beide rezitierten Gedichte, Nyanzi auf Englisch, Nasser auf Arabisch, Krohn las die deutsche Übersetzung. Diesmal stellte das Orphée einen Saal zur Verfügung; das Evangelische Bildungswerk, das von Anfang an dabei war, trägt die Sache weiter mit, und neuerdings ist auch die Stadt Regensburg in Gestalt des Kulturamts mit von der Partie.

Ist der Mensch ein Vogel oder ein Baum? Na, was wohl: ein Baum natürlich, sagt der Deutsche wie aus der Pistole geschossen. Selbst so ein undeutscher Deutscher wie Erich Kästner hat es bekanntlich gesagt:

„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der, in Deutschland gewachsen,
wenn’s sein muß, in Deutschland verdorrt.“

Nichts gegen Kästner, um Gotteswillen. Irgendeinen Grund wird er schon gehabt haben, 1933 hier zu bleiben, der Verbrennung seiner eigenen Bücher zuzusehen und anschließend unter Pseudonym der NS-Unterhaltungsindustrie zuzuarbeiten.

Zwei Jahre vor dem IS versteckt

Nur: Der Mensch ist trotzdem kein Baum. Damals nicht. Und heutzutage schon gleich gar nicht. Er kann nämlich fliegen. Er muss nur ein Flugticket buchen. Auch wenn er seine Wurzeln natürlich mitnimmt. Denn ein Vogel ist er leider auch nicht.

Es klingt wie Musik, wenn er seine Gedichte rezitiert: Umar Abdul Nasser. Foto: Marcinkus

Der irakische Schriftsteller Umar Abdul Nasser hat der Frage jetzt einen ganzen Gedichtband gewidmet und die Antwort schon im Titel gegeben: „Halb Vogel bin ich, halb Baum“. Im Orphée las Umar Abdul Nasser daraus, auf Arabisch, gefolgt von der deutschen Übersetzung, gelesen von Barbara Krohn. Umar Abdul Nasser, 1985 in Mossul geboren, musste sich im Irak zwei Jahre lang vor dem IS verstecken. Dann ging er ins Exil. Zuerst, 2016, ins polnische Wroclaw, schließlich, 2019, nach Deutschland. Der Großteil des Auditoriums im Orphée verstand kein Wort Arabisch – und hörte dennoch gebannt zu. Irgendjemand erklärte auch spontan, warum: „It’s like music!“

„Halb Vogel bin ich, / halb Baum // Eine Hälfte will Wurzeln schlagen / die andere fliegen“.

Tja. Der Vogel, der man ist, müsste auf dem Baum, der man auch ist, sitzen können. Nach anfänglich unschlüssigem Für und Wider wendet sich das Gedicht eher ins Negative:

„Halb Vogel, halb Baum, / die Zweige in der Schwebe zwischen / Flügeln und Wurzeln. // Ein Teil schlägt Wurzeln aus Angst / der andere jagt Illusionen nach“.

Gedichte haben eine Wirkung

Es ist schon erstaunlich: zwei Exilschriftsteller aus zwei verschiedenen Kulturen, von zwei verschiedenen Kontinenten – und doch geht das Gedicht des einen nahtlos in das der anderen über. Stella Nyanzi, die 1974 in Uganda geborene und in London promovierte medizinische Anthropologin, ist, so erzählt sie, über Twitter zur Lyrik gekommen. Ihr Vater, ein Arzt, starb, weil keine Medikamente verfügbar waren, ihre Mutter starb, weil der Krankenwagen nicht kam. Stella Nyanzi machte ihrer Wut auf Facebook Luft – und entdeckte, dass das seine Wirkung zeitigte.

Schließlich stellte sie fest, dass selbst Yoweri Museveni, der Uganda durch Gottes Ratschluss seit 1986 so gnadenreich regiert, ihre Facebook-Anfälle las. Und sich ärgerte. Das war die Geburtsstunde der Lyrikerin Stella Nyanzi: Gedichte haben eine Wirkung!

475 Tage Gefängnis für „unflätige Äußerung“

Die nachhaltigste Wirkung hatte ihr Facebook-Eintrag, der den Präsidenten und seine Gattin als „Arschbacken“ bezeichnete. Wobei sie Aussehen und Verhalten von Arschbacken detailliert, fast schon poetisch beschrieb. Die „unflätige Äußerung“ über das Präsidentenpaar war freilich nicht aus Lust und Laune heraus gefallen, sondern hatte einen konkreten Grund: Yoweri Museveni hatte im Wahlkampf großspurig versprochen, kostenlose Monatsbinden an Schulmädchen zu verteilen.

No roses from her mouth: Stella Nyanzi, die sich mit dem Diktator von Uganda anlegte und dafür eingesperrt wurde. Foto: Marcinkus

Die Menstruation ist in Uganda, einem allerchristlichst zu Tode missionierten Land, immer noch ein absolutes Tabuthema. Nach erfolgreicher Wiederwahl war aber dann – Überraschung! – für die versprochenen Gratisbinden kein Geld da. Und Stella Nyanzi griff zum Smartphone. Wie heißt Stella Nyanzis neuer Gedichtband? So heißt er: „No Roses from my Mouth“.

Die Beleidigung des Präsidenten und seiner Gattin brachte Stella Nyanzi die lange Haft ein. Gleichzeitig wurde ihr bewusst: People noticed poetry, das Wort kann eine Waffe sein. Im Gefängnis nahm man ihr das Schreibzeug weg. Stella Nyanzi erzählt von dieser Schikane wie von einer Auszeichnung.

Stella Nyanzi hat überlebt, ihr Baby nicht

In der Diskussion meldet sich ein Zuhörer aus Uganda zu Wort, der in einem Deutsch, um das ihn Millionen deutsche Eingeborene nur beneiden können, erklärt: „Unglaublich, wie sie das geschafft hat!“ Und mit „das“ meint er: das Überleben. „Normalerweise wird man in Uganda für sowas umgebracht.“

Doch Stella Nyanzi hat überlebt. Nicht überlebt hat ihr Baby; sie wurde so geschlagen und malträtiert, dass sie es verlor. Was hat sie die nächsten zwei Jahre vor? Sie will über die 475 Tage, die sie im Gefängnis war, 475 Gedichte schreiben. Auf Englisch. In der Hoffnung, dass diese Gedichte anschließend ins Deutsche und in ihre Muttersprache Luganda übersetzt und gedruckt werden.

Der richtige Kommentar zur Situation im Iran

Von Umar Abdul Nasser sind soeben 24 Gedichte erschienen, in dem bereits erwähnten, zweisprachigen Band „Halb Vogel bin ich, halb Baum“ (Übersetzung aus dem Arabischen: Kerstin Wilsch und Leila Chammaa, Verlag Schiler & Mücke). Umar Abdul Nasser rezitierte teils aus dem druckfrischen Buch, teils auswendig.

Eins der schönsten Gedichte trägt den Titel „In Wroclaw (Ein Abend mit Freunden an der Oder)“, in dem ein lauschiger Sommerabend im polnischen Exil unvermutet Erinnerungen an die Jugend in Mossul auslöst – zuerst angenehme Erinnerungen an den Morgen des Eid, des Opferfestes. Auch der religiöse Aspekt ist Teil der positiven Erinnerungen:

„das Echo der Rufe aus den Moscheen / die Sure Joseph mit diesem irakischen Klang / ergreifend, erfrischend, großartig / das Frühstück nach dem Gebet / bereitet von unserer Mutter“

Doch dann fällt dem lyrischen Ich „der Prediger aus unserer Moschee“ ein, der ihnen damals

„beim Gebet die Stimmung trübte / mit seiner langweiligen Predigt / die endlos war und voller Warnungen: / ‘Gebt Frauen nicht die Hand! / Blickt nicht auf ihre Reize! / Achtet auf die Trennung der Geschlechter, / damit die Welt nicht in Unsittlichkeit endet!’ / Tut dieses nicht, tut jenes nicht, um nicht den Gott im Himmel zu erzürnen“

– Pater Leppich auf Arabisch.

Bei dem jugendlichen Zuhörer der Predigt lösen die Maßregelungen indes nur „Trotz und Neugier“ aus. Für ihn stellen sich Fragen über Fragen:

„Kann eine Berührung Gott im Ernst erzürnen? / Ein Blick des Himmels Sicherheit gefährden? / War es tatsächlich so? / Oder wiederholten wir von Generation zu Generation Traditionen wie Papageien?“

Und dann geht’s erst richtig los. Die nächste Strophe ist ein Gedicht im Gedicht:

„Mein alter Nachbar fiel mir ein, wie er
in der Moschee des Viertels eines Tages zornig rief:
‘Ihr geht uns auf die Nerven … genug mit dem Geschwätz!
Die Moral der Jugend ist im Niedergang, sagt ihr,
und seht nur, wie verdorben sich die Frauen kleiden!
Was habt ihr denn! Lebt ihr nicht mitten unter uns?
Seht ihr nicht, wer die Straßen des Landes mit Blut bedeckte?
Seht ihr nicht, wie die Korrupten im Staat
den Menschen ihre Rechte nehmen?
Seht ihr den Dreck nicht, die Arbeitslosigkeit, die Betrügereien und unverschämten Preise?
Ist das nicht unmoralisch, verdorben und korrupt?
Solltet ihr eure grandiose Predigt nicht an sie richten?
Oder muss Verdorbenheit, um diesen Namen zu verdienen,
erst durch die Körper der Frauen gehen?
Erbarmt euch der Jugend und lasst sie in Ruhe
und befreit euch endlich von euerem Frauen-Komplex!’“

Man muss die Gedichte eines Irakers lesen, um den richtigen Kommentar zur gegenwärtigen Situation im Iran zu lesen.

Ein Überraschungsgast im Schwandorfer Exil

Seit 22 Jahren schreibt Umar Abdul Nasser. 22 Jahre – so alt war der Überraschungsgast, den Barbara Krohn präsentierte: Redwan Abdulrahman aus dem irakischen Erbil, der in der Abschlussklasse des Berufsbildungszentrums Schwandorf einen Schreibwettbewerb gewonnen hat.

Überraschungsgast aus Schwandorf und vielversprechendes Talent: Redwan Abdulrahman. Foto: Marcinkus

In dem von ihm vorgetragenen Gedicht stehen so einfache wie subversive Verse wie der:

„Jeder Mann ist der Sohn einer Tochter.“

Ein vielversprechendes Talent:

„Was ich von einem Spiegel gelernt habe: / Schau genau hin, und du wirst einen Fremden finden“

Effektiver kann man PEN-Stipendiaten nicht präsentieren

Als im Mai diesen Jahres Deniz Yücel als PEN-Präsident hinschmiss, begründete er das gegenüber der SZ nicht zuletzt mit dem angeblich „kolonialherrenhaften Umgang“ des PEN mit Stipendiaten des Writers-in-Exile-Programms, das der PEN, finanziert von der Bundesregierung, seit zwanzig Jahren betreibt.

Als eines von mehreren Beispiel nannte er – Stella Nyanzi. Der sei, als sie im Gefängnis saß, das Angebot gemacht worden, sie komme frei, wenn sie bereue und zu Kreuze krieche. Stella Nyanzi habe das abgelehnt – seitens des PEN sei ihr indes geraten worden, sie solle endlich einlenken. In Yücels Worten: „Nicht twittern, Klappe halten.“ Yücels Kommentar dazu: „Das ist kolonialherrenhaft, das ist mangelnde Empathie und eine politische Bankrotterklärung.“

Bei dieser Lesung ging’s ans Eingemachte: Stella Nyanzi, Umar Abdul Nasser und Barbara Krohn (von links) im Orphée. Foto: Marcinkus

Die Vorwürfe gipfelten darin, dass Deniz Yücel im Gespräch mit der SZ der Bundesregierung riet, „dieses tolle Programm“ – nämlich „Writers in Exile“ – dem PEN wegzunehmen und es „einem Träger zu übergeben, der es effektiver, professioneller und mit mehr Empathie macht“.

Was an Deniz Yücels alten Vorwürfen dran ist, sei dahingestellt. Eins kann man anhand der „Writers-in-Exile“-Lesung im Orphée sagen: Mit Barbara Krohn, die hier immerhin als offizielle PEN-Vertreterin auf dem Podium saß, haben diese Vorwürfe nicht nur nichts zu tun. Im Gegenteil: effektiver, professioneller und mit mehr Empathie als Barbara Krohn kann man PEN-Stipendiaten nicht präsentieren. Anders gesagt: Wären die PEN-Funktionäre alle so wie Barbara Krohn, hätte Deniz Yücel an dem Verband, dessen Vorsitzender er ein halbes Jahr lang war, nichts auszusetzen gehabt.

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