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Sozialversicherungsbetrug

Pflege-Unternehmer mit Reichsbürger-Faible vor Gericht

Über eine Million an Sozialversicherungsbeiträgen soll der Betreiber eines Pflegedienstes allein 2015 und 2016 unterschlagen haben. Der 63-Jährige mit einem Hang zum Reichsbürgertum beschäftigte dabei ausschließlich Osteuropäerinnen.

„Über mir steht nur der Schöpfer.“ Johann R. stand bereits mehrfach vor Gericht. Foto: as

Der Hüne mit dem weißen Vollbart und den langen grauen Haaren muss noch ein wenig warten, ehe ein Justizbeamter ihm die Handschellen abnimmt. Weil Fluchtgefahr besteht, sitzt Johann R. seit Januar in Untersuchungshaft. Eine Gefängnisstrafe von sieben Monaten – wegen versuchter Nötigung, Erpressung und Beleidigung – ist noch nicht rechtskräftig. Eine Vorstrafe wegen Nötigung hat er bereits.

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Die Polizei stuft ihn als Reichsbürger und potentiell gefährlich ein. Mehrfach ist er in der Vergangenheit am Rande von AfD-Veranstaltungen durch Übergriffe aufgefallen – er hat verwandtschaftliche Beziehungen zu einem Mitglied der Landtagsfraktion. Vor der siebten Strafkammer des Landgerichts Regensburg steht der 63-Jährige wegen etwas völlig anderem.

Anklage: Bereitschaftszeiten bei 24-Stunden-Pflege nicht bezahlt

Als Betreiber eines Pflegedienstes soll Johann R. die Sozialversicherungen um einen Millionenbetrag geprellt haben – strafbar als Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Ausschließlich Mitarbeiterinnen aus Osteuropa soll der Angeklagte aus dem Landkreis Neustadt a.d. Waldnaab demnach beschäftigt haben.

Diese lebten in (jeweils zwei pro Betreutem einem wechselnden Zwei- bis Sechs-Wochen-Turnus) rund um die Uhr bei den Pfleglingen, wurden aber laut Anklage nur für 1,5 (Pflegestufe eins) bis maximal fünf Stunden (Pflegestufe drei) angemeldet und bezahlt. Insgesamt 112 Fälle listet die Anklage auf 82 Seiten für die Jahre 2015 und 2016. Den Rest der Zeit hätten die Beschäftigten in Bereitschaft verbracht – seien dafür aber nicht vergütet worden.

Das Konzept: „Durchaus attraktiv und vorteilhaft“ 

R.s Strafverteidiger Dr. Georg Karl spricht davon, dass sein Mandant davon ausgegangen sei, dass er in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben gehandelt habe. Das Konzept sei sowohl für die Beschäftigten wie auch für die zu Pflegenden „durchaus attraktiv und vorteilhaft“ gewesen.

Die Arbeitskräfte hätten für die Dauer ihres Aufenthalts eine Unterbringung gebraucht. Da sei es, schon allein aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse sinnvoll, direkt bei den Pflegebedürftigen zu wohnen – das spare Geld und Zeit. Den Patienten habe es umgekehrt ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, wenn die Mitarbeiterinnen direkt vor Ort gewesen seien.

Man habe zu keinem Zeitpunkt erwartet, dass mehr gearbeitet werde, als laut den MDK-Pflegestufen vorgesehen gewesen sei, so Karl. Das Konzept von R.s Pflegedienst habe sich allein dadurch von einem ambulanten Pflegedienst unterschieden, als dass die Beschäftigten vor Ort wohnten. Dieses Konzept habe er gegenüber den Behörden „stets mit offenem Visier kommuniziert“.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

Weil Johann R. der Reichsbürger-Szene zugerechnet wird, wurde der Prozessauftakt von erhöhten Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Zuschauer mussten unter anderem ihren Handys vor dem Sitzungssaal abgeben. Ein kleiner Fanclub aus Verwandten und Unterstützern ist gekommen – Zwischenfälle gibt es nicht.

Insgesamt sind sieben Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird voraussichtlich erst Ende April fallen.

Auch abseits davon dürfte noch einiges auf Johann R. Zukommen. Zuletzt wurden seine Wohn- und Geschäftsräume im Januar durchsucht – erneut ging es um Sozialversicherungsbetrug, die nicht bezahlten Bereitschaftszeiten in den Jahren nach 2015 und 2016. Den Staat erkenne er nicht an, ließ Johann R. laut einem Bericht des Oberpfalz-Echo Anfang Februar bei einem Prozess vor dem Amtsgericht Weiden verlauten. „Über mir steht nur der Schöpfer.“

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Kommentare (23)

  • auch_ein_regensburger

    |

    Ein echter rechter Ehrenmann eben.

  • Daniela

    |

    Er ist doch nicht der einzige Pflegedienstleister bzw. – Vermittler der vorwiegend osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten vermittelt. Ganze Herrscharren arbeiten in Privathaushalten in Deutschland in der 24StdPflege. Sie sind in der Regel 4-6 Wochen da, wechseln dann ab und so weiter. Kost und Logie gratis. Ob sie nun rund um die Uhr pflegen und aufpassen, wer wollte es prüfen können. Sie erledigen alle hauswirtschaftlichen Tätigkeiten nebenbei, bekommen dann frei, wenn die Angehörigen vor Ort sind….

    Das ist nun einmal (leider und zum Nachteil der Pflegekräfte, der Versicherungs – und Sozialleistungsträger,…) Bestandteil der deutschen Pflege. Viele Senioren wollen zu Hause versorgt werden, wollen nicht in die stationäre Versorgung, obwohl sie rund um die Uhr der Versorgung und Aufsicht bedürfen.
    Es ist doch scheinheilig, behaupten zu wollen, dass die Pflegekräfte in dieser Situation regelmäßig Ruhe – und Pausenzeiten haben, gar regelmäßig freie Tage, wie sollte es gehen?
    Aber was wäre das deutsche Pflegesystem ohne diese fragwürdigen Angebote?

  • Franz Josef Avestruz

    |

    “Pfleglinge”, mein lieber Schwan, da weiss man was die Stunde geschlagen hat. Solche Anbieter so schnell wie möglich weg vom Netz! Den im Organigramm unterm Schöpfer stehenden Herrn schnellstens und lang hinter schwedische Gardinen!

  • Hthik

    |

    @Franz Josef Avestruz 10. März 2023 um 18:01

    Mit “Pfleglinge” hab ich kein Problem, auch wenn es veraltet für das heute übliche Gepflegte ist. Ich ziehe es vor, wenn die Dinge beim Namen genannt werden, damit man weiß, woran man ist. Deswegen wäre ich zum Beispiel auch dafür den Betreuer wieder Vormund zu nennen, damit das aufhört, dass Menschen einer Betreuung zustimmen, weil sie glauben, das wäre eine bevormundungslose Hilfe.

    Was mich stört ist die öffnende Klammer vor dem jeweils. Die sollte vor dem in stehen.

  • Meier mit "ei"

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    Vermutlich ein “Pflegel”, vom Verhalten her! ;-)

  • Hthik

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    @Daniela 10. März 2023 um 12:46

    “Er ist doch nicht der einzige Pflegedienstleister bzw. – Vermittler der vorwiegend osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten vermittelt.”

    Das für sich ist auch nicht strafbar. Spätestens seit der Entscheidung 5 AZR 505/20 des BAG vom 24.06.2021 dürfte aber klar sein, dass auch Osteuropäer nach Recht und Gesetz zu bezahlen sind.

    “Das ist nun einmal (leider und zum Nachteil der Pflegekräfte, der Versicherungs – und Sozialleistungsträger,…) Bestandteil der deutschen Pflege.”

    Ich zitiere
    “Der Beschluss zeigt damit nebenbei, dass die im Kontext der Diskussion um die Live-in Betreuung (sog. „24-Stunden-Pflegekräfte”) oft formulierte Behauptung, das zweigleisige System aus Pflegeversicherung und Hilfe zur Pflege decke nicht alle Bedarfe und treibe Betroffene so dazu, ihren Pflege- und Betreuungsbedarf durch ausbeuterische und damit illegale Beschäftigungsverhältnisse (§ 1 Abs. 3 Nr. 5 SchwarzArbG) zu decken, falsch ist.”

    Soweit korrekt, nur, wie der Fall zeigt, muss man das rechtlich durchsetzen.

    “Viele Senioren wollen zu Hause versorgt werden, wollen nicht in die stationäre Versorgung, obwohl sie rund um die Uhr der Versorgung und Aufsicht bedürfen.”

    Klar, keiner will ins Heim. Ich auch nicht, wenn es einmal soweit sein sollte. Ich weiß ja, wie die Zustände dort wirklich sind. Die Armen müssen das aber. Gehen sie nicht “freiwillig”, bekommen sie einen Betreuer, der das für sie will. Was besonders perfide ist, weil man ihnen den Betreuer aufschwatzt indem man sich gerade das Missverständnis zunutze macht, dass ich oben erwähnt habe und die Leute in dem Glauben lässt, sie würden ja jetzt “zuhause betreut”. Was formell ja stimmt: die rechtlich Betreuung findet zuhause statt. Nur deswegen muss noch keiner ausziehen. Das dicke Ende kommt ein wenig später. Sie stimmen der Betreuung zu, weil sie glauben, dadurch in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu könne und handeln sich genau dadurch jemanden ein, der hinter ihrem Rücken über sie bestimmen kann. Alles rechtlich ganz einwandfrei. Mit Speck fängt man Mäuse.

    Nur diejenigen, die reich genug sind, können sich auch im Alter ein menschenwürdiges Leben leisten. Durch die Ausbeutung ausländischer Arbeitnehmer war es auch weiten Teilen des Mittelstands möglich, das heißt, sie waren gerade so reich genug dafür. Fällt das weg, wird deutlich, wie arm große Teile der Bevölkerung tatsächlich sind, nämlich so arm, dass sie sich nicht einmal mehr eine menschenwürdiges Leben im Alter leisten können. Wer es jetzt schon unerträglich findet, wenn er nicht mehr zweimal im Jahr in Urlaub fliegen kann, wird nicht erfreut sein, wenn er erfährt, dass er sich in Zukunft nicht mehr leisten kann, auf die Toilette zu gehen, sondern im Bett in seinem Exkrementen liegen wird. Es ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass das nicht gegen die Menschenwürde verstößt, EGMR, 4241/12 vom 20.05.2014.

    “Es ist doch scheinheilig, …”

    Da will ich nicht widersprechen.

    “Aber was wäre das deutsche Pflegesystem ohne diese fragwürdigen Angebote?”

    Weniger scheinheilig.

  • Mr. T.

    |

    Wie läuft das denn bei anderen Dienstleistern, die so eine Pflege anbieten?

  • Daniela

    |

    @Hthik 11. März 2023 um 11:34 | #

    Ich stimme mit Ihnen in jedem einzelnen Punkt überein.

    Keine deutsche Arbeitskraft würde diese Arbeit in dieser Form tolerieren.

    Theoretisch und praktisch müssten sich mindestens 2 Pflegekräfte die 24StdPflege teilen. Jeweils 12 Std. im Wechsel, aber selbst dann ist es fraglich, wie man eine maximale wöchentliche Arbeitszeit von 70 Std nicht überschritten werden, die erforderlichen freien Tage nach 70 Std. Können selbst mit 2 Vollzeit Kräften nicht regulär geleistet werden. Es wäre ein Springer zusätzlich erforderlich.

    Es müsste jedem klar sein, dass diese Modelle der Arbeitnehmer im eigenen Haushalt sehr teuer wären, wenn man Arbeitszeitgesetze befolgen wollte.

    Aber und da stimme ich Ihnen auch zu, wer wollte dies bezahlen? Selbst, wenn man kostenlos Kost und Logie als “geldwerten Vorteil” annehme. Dann würde sich das effektive Bruttoeinkommen verschieben, aber dieser “geldwerte Vorteil” hätte sicher steuerliche Auswirkungen.

    Ich möchte eigentlich alle Pflegebedürftigen und deren Angehörige, die diese Dienstleistung in Anspruch nehmen, sehr kritisch ggü den Anbietern zu sein und gezielt auch Fragen zum Arbeitsrecht der Arbeitszeit Ihrer Pflegekräfte zu stellen.

    Es ist, wie immer, Konsumenten müssen/ sollten kritisch werden. Wir müssen die Rechte der anderen respektieren, damit unsere Rechte Geltung haben.

  • Synboschi

    |

    Das Landratsamt hat für meine Mutter und mich einmal ein Angebot vom Dienst Wiese24 eingeholt. Daher gehe ich davon aus, dass es sich dabei um eine seriöse Firma handelt. Die Firma ist leicht im Internet zu finden und schreibt auf Ihrer Seite unter anderem

    “Unsere polnischen Bezugspflegekräfte haben einen regulären deutschen Arbeitsvertrag, zahlen alle Sozialabgaben und sind umfassend versichert. Die Auswahl der Bezugspflegekräfte erfolgt sehr sorgfältig und stets unter Berücksichtigung Ihrer Wünsche und individuellen Bedürfnisse. In der Regel wird eine Bezugspflegekraft nach ca. 6 bis 8 Wochen Einsatzdauer abgelöst. Im Idealfall wechseln sich in der Folge, in regelmäßigen Abständen, die gleichen zwei Bezugspflegekräfte ab.”

    Obwohl wir finanziell relativ gut gestellt waren, war das aber unbezahlbar.

  • Hthik

    |

    @Daniela 11. März 2023 um 19:02

    “Es ist, wie immer, Konsumenten müssen/ sollten kritisch werden. Wir müssen die Rechte der anderen respektieren, damit unsere Rechte Geltung haben.”

    Ja, ähhh Nein!
    Ja, man sollte als Erstes an die Vernunft und die Solidarität der Menschen appellieren. und Nein. Ich glaube nicht, dass das reicht. Man kann gleichzeitig dem anarchistischem Ideal anhängen, das die Menschen unreguliert von sich aus am Besten die Lösung finden und das doch gleichzeitig für ungenügend halten. Der Punkt ist hier, dass durch das jahrtausendlange Wirken des feudalistisch-kapitalistischen Systems, wir es nicht mehr mit einem Menschen im Urzustand, wie sich das Kant und Marx vorgestellt haben mögen, zu tun haben, sondern dass dieser bereits durch kulturelle und auch genetische Evolution verbogen ist. So verbogen, dass er schon das Offensichtliche kaum mehr erkenn kann, etwa, dass Geld keine Ressource, sondern eine Verrechnungssystem ist. Das ist bei allen Dauerbrennerthemen so, ob Klimaschutz, Flüchtlinge, Welternährung oder eben auch Pflege. Deswegen brauchen wir gesetzliche Regelungen, die sanften Druck in die richtige Richtung ausüben.

    Ein Beispiel aus der Pflege: Warum gibt es im Heim keinen Anspruch auf ein Einzelzimmer? Das ist praktisch immer mit selbst zu zahlenden Mehrkosten verbunden. Dass es ein Teil der Menschenwürde ist, ein Rückzugsgebiet zu haben, wo man für sich allein sein kann, ist aber gleichzeitig nahezu unbestritten. Selbst bei SGB II Beziehern ist es unstreitig, dass grundsätzlich Anspruch auf eine eigene Wohnung besteht. Eine Kasernierung ist nicht vorgesehen.

    “Dann würde sich das effektive Bruttoeinkommen verschieben, aber dieser “geldwerte Vorteil” hätte sicher steuerliche Auswirkungen.”

    Behörden orientieren sich gewöhnlich an § 2 SVEV. Aber auch dieser geldwerte Vorteil ist ersteinmal vom Pflegebedürftigen zu erbringen.

    Nehmen wir das oben genannte Beispiel. Der “günstigste” Fall ist dort 2.200 Euro Eigenanteil. Die Anführungszeichen deshalb, weil das Pflegegrad 5 voraussetzt und gerade bei so schwer Pflegebedürftigen oft weitere vom Sozialsystem ungedeckte oder nur teilweise gedeckte Bedarfe auftreten. Dann kommen die schon dort aufgeführten Kosten für Feiertagszuschläge und Fahrten hinzu. Kost und Logis zu gewähren verursacht weitere Mehrausgaben. Ausgehend von den derzeitigen Mieten und sonstigen Lebenshaltungskosten, den tatsächlichen, nicht was der Staat in der Regelbedarfsbestimmung für frei erfundene Zahlenwerke entwickelt, braucht man schon eine Rente von über 3000, besser 4000 Euro, um überhaupt die notwendigen Ausgaben sicher decken zu können. Durchschnittsrente 2022 West 1620,90.

  • Gscheidhaferl

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    @Hthik
    Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Ihre Einlassungen zeugen leider an vielen Stellen von vourteilsbeldadenem Halbwissen und sind insofern bedauerlicherweise auch scheinheilig weil sie ein Interesse und eine Sachkunde vortäuschen, die Ihnen in anderen Zusammenhängen nicht abzusprechen ist. Hier aber offenbar eben schon.

    Um in Ihrem Kommentar die Halbwahrheiten klar von den haltbaren Aussagen zu unterscheiden fehlt mir leider Zeit und Geduld und die Richtigstellungen wären auch zu umfassend für einen Kommentar. Darum verkürzt nur ein paar relativ kurze Erwiderungen.

    Der Umfang rechtlicher Betreuungen kann sehr differenziert vereinbart werden. Probleme ergeben sich hier eher mangels klarer Qualitätskriterien, unzulänglicher Vorgaben bei der Umsetzung sowie der unzureichenden Kontrolle der Betreuer durch überlastete Sozialgerichte.

    Ins Heim geht heute nur mehr, wer unbedingt muss, relativ unabhängig vom Vermögen. De facto gibt es deswegen eigentlich nur mehr Pflege- aber im strengen Wortsinn keine einfachen Alten-/Seniorenheime mehr. Die Personalschlüssel spiegeln diese Entwicklungen aber nicht unbedingt wieder. Das ist also auch einer der vielen problematischen Aspekte, die sich negativ auf Pflege und Pflegequalität auswirken.

    Es ist zudem nicht so, dass es grundsätzlich nicht anders ginge. Theoretisch lässt sich ambulant (von wenigen Ausnahmen abgesehen) fast jeder Pflegebedarf angemessen befriedigen. Nur legen wir da eben mehrheitlich keinen Wert darauf oder verunmöglichen es, durch vielfach nur sehr bedingt sinnvolle, aber meist ausnahmslos teure Auflagen.

    Warum – beispielsweise – entlassen Kliniken ihre Patienten so gern kurz vor dem Wochenende, obwohl das für die anschließende Versorgung/Nachbetreuung schon aus praktischen Gründen völliger Schwachsinn ist: U.a. wegen dem 25%igen Sonntagszuschlag für das Personal, der nicht gegenfinanziert ist. Und das in einem System, dass ohnehin auf Kante genäht ist, um die Beiträge niedrig zu halten, aber gleichzeitig traditionelle Pfründe absichern soll.

    Ein anderes (kaum ansprechbares) Problem ist das Pflegeld, mit dem der Staat dessen Bezieher (wohlwissend?) dahingehend korrumpiert, dass sich diese – vereinfacht gesagt – lieber 50 Cent selbst in die Tasche stecken, als für einen Euro benötigte Pflege einzukaufen. Doppelt negativer Effekt: Dem System entgehen dadurch Milliarden und der verdrängte Pflegebedarf führt (ähnlich wie bei verschleppten Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden) zu einem schließlich völligen ‘Aus-dem-Ruder-laufen’ von Kosten und Aufwand.

    Die Liste ließe sich noch um Einiges fortschreiben. In diesem Zusammenhang nur wichtig: Wenn wir diese und andere Unsinnigkeiten lassen würden, müssten wir vielleicht gar nicht auf die Ausbeutung von Arbeitskräften zurückgreifen, um allen unabhängig vom Einkommen eine hinreichende Versorgung im Alter bieten zu können.

    Wo wir wieder völlig übereinstimmen: Die einerseits praktizierte und zugleich beklagte Ausbeutung ist eine unerträgliche Scheinheiligkeit. Aber mein ein wenig ernüchtertes Fazit lautet in diesem Zusammenhang: Jede Gesellschaft hat die Pflege, die sie mehrheitlich verdient.

  • Luck

    |

    Wer das Problem hier bei den “Ausgebeuteten” vermutet, verkennt die Lebenssituation in Polen und anderen (ehemaligen) Ostblockkländern, wo es am unteren Rand für viele ums nackte Überleben geht.
    Kost und Logie bei 24-stündiger Arbeitszeit (inklusive Bereitschaft) werden da eher als Rettungsanker gesehen.
    Gar nicht so wenige absehbar Pflegebedürftige ziehen dabei einen schnellen Tod einem Heimaufenthalt vor.

    Mit den gegenwärtigen Gesetzen, Durchführungsverordnungen und anderem Deklinierungsgehabe wird diese Gesellschaft in absehbarer Zeit schwer scheitern, wenn sie keine anderen Sichtweisen und Interpretationen zulässt.

    Für mich ist eine geborgene Pflege wichtiger als eine, welcher lieber einer Rechtstradition hörig ist, dabei aber real die Menschenwürde tangiert, obwohl formal noch alles in bester Ordnung ist.
    Hthik hat vollkommen recht, dass der kapitalistisch-egozentrische Tunnelblick viele Lösungen erschwert bzw. unmöglich macht.
    Im Gegensatz zu früher werden aber künftig auch Mittelschichten betroffen sein. Und auch die besser Situierten sollten sich nicht absolut auf ihre Kaufkraft verlassen.

    Ohne neue Techniken und Interpretationen wird diese Gesellschaft ihre zunehmenden Probleme nicht bewältigen.
    Und zwar unabhängig davon, ob ein Tretzel, ein Zitzelsberger oder ein Reichsbürger Dienstleister ist.
    Das mag man zwar anders sehen. Aber geerdet dürfte eine solche Sicht nicht sein.

  • Daniela

    |

    @Hthik12. März 2023 um 13:55

    Ich denke, wir haben leicht an einander vorbei diskutiert in unseren letzten beiden Beiträgen.

    Ich stimme Ihnen zu, dass der Mensch an sich für das ihm zustehenden ‘Kapital’ das meiste an Wertschöpfung erreichen möchte.
    Dabei sei untergeordnet, ob er es selbst erarbeitet, oder es ihm seitens der Gesellschaft zugeordnet wird.

    Das, was Sie allerdings kritisch betrachten, Einzelzimmer nur mit Zuzahlung, sonst Doppelzimmer, ist aber Vorgabe der Gesellschaft. Egal in welchem Bereich, wird bei Nichtleistungsfähigen der Wohnraumbedarf vorgegeben.

    Auch Nichtleistungsfähige können mehr Wohnraum für sich mieten, jedoch müssen sie den Mehraufwand selbst aufbringen. Die Vorgabe, wie viel qm Wohnfläche im Bedarfsfall erforderlich ist, geben die Sozialleistungsträger vor, begründet im Gesetz. Aber auch hier gibt es die sogenannte Einzelfall – Entscheidung. Durchaus kann auch ein Sozialleistungsträger auch ein Einzelzimmer finanzieren, wenn der Mensch dies aus individuellem Grund bedarf.

    Ich wollte mit meinem Beitrag eigentlich ausdrücken, dass sich Konsumenten durchaus verdeutlichen sollten, wie es möglich ist, dass eine Leistung, eine Ware, so preiswert ist und kritisch bleiben sollten. Wenn beispielsweise ein T-Shirt 2,99€ kostet, sollte man sich doch auch fragen, wie dies möglich ist? Möglicherweise arbeiten in einem fernen Land Kinder für für wenige Cent am Tag, weit unterhalb unseres Existenzminimum, damit wir günstig konsumieren können.

    Wir können uns als Verbraucher nicht dahinter verstecken eine Ware, eine Dienstleistung günstig konsumieren zu wollen, ohne uns zu fragen, wie es zu dem deutlich niedrigeren Preis kommt.

    Und bei allem Respekt, wenn ich lese, dass eine polnische 24Std.Bertreuungspflegekraft für gerade einmal 1700€ im Monat rund um die Uhr bei Ihnen im Haushalt auf Abruf steht, um Ihren pflegerischen Bedarf rund um die Uhr zu decken, dann kommen mir Zweifel, ob das mit unseren Arbeitszeitgesetzen in Einklang zu bringen ist.
    Da komme ich schon von alleine auf die Idee, dass ich möglicherweise einen anderen Menschen mit seiner Arbeitskraft ausnutze.

  • Hthik

    |

    @Gscheidhaferl 12. März 2023 um 15:22

    “Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, …”

    Kein Problem. Das hier ist ein Diskussionsforum, kein Safespace.

    “… von vourteilsbeldadenem Halbwissen …”

    Jedem steht sein Meinung zu, auch …

    “… fehlt mir leider Zeit und Geduld …”

    … wenn er sie nicht begründen kann oder mag. In der Wahlkabine fragt auch keiner nach einer Begründung.

    Allgemein möchte ich anmerken, dass, wenn man zu einem Thema 1. auch was schreibt und 2. das Geschriebene auch sachlich richtig ist, und 3. es etwas ist, was ein anderer nicht schon geschrieben hat, daraus noch nicht folgt, dass der andere nur über Halbwissen verfügt. Es kann beispielsweise auch sein, dass der dazu nichts geschrieben hat, weil ihm seinerseits die Zeit ausgeht zu allem und jedem in allen Details Stellung zu nehmen, wozu er das gern tun würde. Persönlich kann ich mit dem Vorwurf von Halbwissen im Übrigen schon deswegen gut leben, weil es sicherlich immer Leute gibt, die noch tiefer in der Materie stecken und noch mehr Erfahrung haben. Mit meiner Patchworkbiographie kann ich schwer mit Experten mithalten, die lebenslang diese eine Materie bearbeitet haben. Ich versuche von diesen zu lernen. Andererseits habe ich bei Experten auch schon so etwas wie eine berufsbedingte Verengung der Sichtweise bemerkt. Ich kann also keinem raten, sich sicher vor mir zu fühlen.

    Schlimmer noch: es hilft zwar, Experte für das Erkennen von Scheuklappen bei Experten zu sein, aber auf der sicheren Seite ist man damit auch nicht, denn damit ist man dann ja schon wieder Experte und hat also Scheuklappen eines Experten. Siehe Gödelscher Unvollständigkeitssatz. Wenn es überhaupt so etwas wie eine sichere Seite gibt, wissen wir mit Sicherheit nie, wann wir dort sind.

    “Der Umfang rechtlicher Betreuungen kann sehr differenziert vereinbart werden.”

    Ja sicher kann er das, aber wird der Hilfebedürftige, der nicht einmal erkennt, dass die sogenannte Betreuung etwas ganz anderes ist, als er sich wünscht, darauf drängen, dass bitte ausgeschlossen werden soll, dass der Betreuer für ihn einen Vertrag mit einem Heim schließt, den Mietvertrag kündigt und so weiter? Wenn er gar nicht damit rechnet, dass ihm das passieren könnte, nutzt ihm das nichts.

    “Probleme ergeben sich hier eher mangels klarer Qualitätskriterien, unzulänglicher Vorgaben bei der Umsetzung sowie der unzureichenden Kontrolle der Betreuer durch überlastete Sozialgerichte.”

    Richtig, richtig. Außer den systematischen Fehlern sind wir in puncto Betreuung auch noch von Idioten umgeben, die oft gar nicht schwindeln, oder nicht nur, sondern es selber nicht oder kaum besser wissen. Deppen wo man hinsieht, bei den Betreuern, den Betreuungsbehörden, den Betreuungsgerichten, den Verfahrenspflegern, den Psychiatern. Nein, nicht nur Deppen, aber viele Deppen. Zuviele Deppen, soviele Deppen, dass auch bei der Betreuung gilt caveat emptor. Die Betreuung ist aber gerade ein Bereich wo es nicht gelten sollte, dass jeder darauf verwiesen wird, auf sich selbst zu achten, weil das gerade ein Bereich der Fürsorge – auch so ein altes Wort, dass meinetwegen gerne hätte bleiben können – ist. “Selber schuld, hättest halt besser aufpassen müssen” ist aber gerade keine Fürsorge.

    Soll ich zum Rest zusätzlich zum Allgemeinen oben auch noch was schreiben?

  • Peter

    |

    In diesem Forum scheinen mir sehr viele Betreuungs-Experten zu sein.

  • Daniela

    |

    @Luck
    12. März 2023 um 17:16 | #

    Sie schrieben: ‘Wer das Problem hier bei den “Ausgebeuteten” vermutet, verkennt die Lebenssituation in Polen und anderen (ehemaligen) Ostblockkländern, wo es am unteren Rand für viele ums nackte Überleben geht.
    Kost und Logie bei 24-stündiger Arbeitszeit (inklusive Bereitschaft) werden da eher als Rettungsanker gesehen.’

    Und dies berechtigt uns wozu?

    Die Arbeitszeitgesetze und somit Gesetze zur Sicherheit unserer Arbeitskraft, für Arbeitnehmer, die aus Osteuropa kommen, aus zu setzen?

    Haben Osteuropäer, die zu uns zum Arbeiten kommen, nicht die selben Rechte wie wir? Wenn wir diesen Arbeitskräften nicht die selben Rechte wie uns selbst zu billigen, wie wollen wir dann auf unsere Rechte bestehen, diese durchsetzen? Machen wir damit nicht wieder eine Mehrklassengesellschaft auf? Der Schwächere, der Abhängige, wie auch immer…, soll gefälligst für billig Geld bei uns arbeiten, weil das wenige Geld bei ihm/ ihr in der Heimat umso mehr Wert hat? Seine/ Ihre Arbeitskraft ist was? Weniger Wert als unsere?

  • Hthik

    |

    @Peter 12. März 2023 um 18:51

    Eigentlich geht es hier um Pflege. Und um Reichsbürger und andere Rechte. Der Schnittpunkt diese Sphären ist besonders übel ausbeuterisch. Wer hätte das gedacht.

  • Hthik

    |

    @Luck 12. März 2023 um 17:16

    “Gar nicht so wenige absehbar Pflegebedürftige ziehen dabei einen schnellen Tod einem Heimaufenthalt vor.”

    Seitdem Jens Spahn weg ist, ist das grundsätzlich möglich, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass man sich dazu einen Arzt suchen muss, der dazu bereit ist.

    “Nicht zuletzt an dem Umstand, dass das Verfahren, das zur Aufhebung dieser Strafnorm führte, auch von mehreren Ärzten betrieben wurde, zeigt sich, dass ein Kreis medizinisch kundiger Personen existiert, der zu entsprechenden Verschreibungen und anderen Unterstützungshandlungen bereit und dazu – in strafrechtlicher und betäubungsmittelrechtlicher Hinsicht – nunmehr auch befugt wäre. Damit ist vorliegend nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer alle ihnen zumutbar zu Gebot stehenden Möglichkeiten, ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende zu verwirklichen, ausgeschöpft haben. ”

    Womit wir wieder beim Geld sind. 1 BvR 1837/19 vom 10.12.2020.

  • Luck

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    @ Daniela:

    Grundsätzlich resultieren Marktlogik und Gesellschaftsarchitektur immer zu “Ungerechtigkeiten”.
    Ich habe nicht gesagt, dass man Osteuropäer ausbeuten sollte. Real geschieht dies aber. Und zwar über den Markt. Und das geschieht nicht unbedingt in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
    Subunternehmerketten, bei denen nicht (mehr) so stark auf die Finger geschaut wird, erledigen das oft kostengünstiger, risikoärmer und kalkulierbarer.
    In Bezug auf die Pflege ist die jeweilige Behandlung geldwerter Vorteile ein ganz entscheidender Punkt.
    Hier könnte man administrative Subventionskriterien einführen, indem man den Arbeitsplatzbegriff dementsprechend interpretiert. Und personennahe Dienstleistungen ohne Produktivitätspotentiale könnte man auch dementsprechend einordnen und damit subventionieren.
    Wenn eine Person eine andere potentiell 24 Stunden pflegt, was die Bereitschaft dazu beinhaltet, verdient eine solche Person einen Teil des Geldes im Schlaf. Denn ich gehe davon aus, dass nicht die ganze Bereitschaftszeit im Wachzustand absolviert wird.

    Eine Pflegeleistung kann über den Markt nur zu Konditionen adressiert werden, welche mit einer hinreichenden kaufkräftigen Nachfrage verbunden ist.
    Diese ist für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung nicht gegeben.

    Einen Bürokraten interessiert dies nicht. Seine Aufgabe ist es ja nicht, eine gesellschaftliche Funktion zu gewährleisten, sondern Vorschriften zu befolgen und um deren Einhaltung zu sorgen.

    Aufgrund der Definierung von Bereitschaftszeit in Verbindung mit anderen juristischen Zwängen wird man dem Dilemma nicht ausweichen können, Abstriche bei bestimmten Definitionskriterien hinzunehmen oder eine angemessene Pflege vorzuhalten.
    Vor 3 Jahren sind die Sozialkassen ja angeblich noch im Geld geschwommen.
    Das hat sich mittlerweile geändert, weil man volkswirtschaftliche Spielräume nicht zu nutzen weiß und sich dennoch eine massive Warenkorb-Inflation eingehandelt hat.

    Wenn man bestimmte Dinge nicht entsprechend anpasst, dann wird dies zur Folge haben, dass weniger (kostengünstige) Arbeitskraft nachgefragt wird und andererseits so manche Pflegedienstleistung mangels Kaufkraft oder deren Ersatz nicht nachgefragt wird.
    Schon heute sind viele einfache Wohnwünsche einkommensschwacher Schichten über den Markt unter den jetzigen Regulierungsbedingungen nicht mehr zu addressieren.
    Und diese Tendenz wird zunehmen. Und nicht nur im Bereich des Wohnens.
    Und dafür ist auch kein tendenzieller Fall der Profitrate aufgrund einer Arbeitswerttheorie verantwortlich. Standard-links zieht also nicht.
    Aber es sind zweifellos innere Schranken einer entsprechenden Form von Marktwirtschaft und deren Folgen nicht zu leugnen. Es würde schon eine Formveränderung reichen, um kapitalistische Freiräume zu eröffnen.
    Deswegen ist Kapitalismus zwar immer noch nicht das Ende der Geschichte. Aber das Nutzen des Gestaltungsrahmens eröffnet die Möglichkeit, zumindest bestimmte Schranken zu überwinden und damit gesellschafts-archetonisch “flügge” zu werden.
    Es reicht eben nicht, einem Rollstuhlfahrer wie Schäuble das Finanzressort zu übertragen und dessen noch stärkere Aktionsunfähigkeit auf diesem Gebiet nicht zu erkennen.
    Es gibt erheblich weitergehende Horizonte als den der schwäbischen Hausfrau.
    Und diese gilt es zu entwickeln und auszubauen.

    Oder man riskiert eine Revolution der alten Schule, indem man relevante Bevölkerungsteile dazu zwingt.,weil man sich evolutionären Ansätzen verweigert und erhebliche Probleme privatisiert, welche nur gesellschaftlich lösbar sind.

  • Native

    |

    Der Schöpfer (oder das Gericht) wird´s schon richten.
    Manche Menschen merken erst, wie sie mit anderen Menschen umgehen, wenn sie selbst so behandelt werden – und plötzlich ist das Leben unfair!
    Der Bumerang kehrt zu der Person zurück, die ihn wirft!

  • Daniela

    |

    @Luck
    13. März 2023 um 00:03 | #

    Sie schrieben: …’Oder man riskiert eine Revolution der alten Schule, indem man relevante Bevölkerungsteile dazu zwingt.,weil man sich evolutionären Ansätzen verweigert und erhebliche Probleme privatisiert, welche nur gesellschaftlich lösbar sind.’

    Sich evolutionären Ansätzen verweigert, evolutionstheoretisch würden Schwächere, Kranke, genetisch Beeintrachtigte …. einer Art dem Tode geweiht sein. Diese Lebewesen würden sterben. Moderne Medizin schließt dies nicht aus, aber es verlängert den ‘natürlichen’ Lebenszeitraum. Wenn dieser medizinisch verlängerte Lebenszeitraum eben auch in Folge mit körperlichen Gebrechen und Schmerzen einher geht, die unablässig der Pflege und medizinischen Betreuung bedürfen, dann hat man im Ergebnis, eine gesellschaftliche Herausforderung.

    Richtig ist, dass sicherlich zu überdenken wäre, diese gesellschaftliche Herausforderung zurück aus privater Hand in öffentliche, staatliche Hand zu geben. Nur in staatlicher Hand könnten Auswüchse, egal ob arbeitsrechtliche, steuerliche oder andere reguliert, überwacht und ggf. unterbunden werden. Allerdings wäre dies ggf. dann mit einer gewissen Uniformität verbunden, ob dies dann dem Anspruch des Einzelnen gerecht wird, wage ich zu bezweifeln.

    Welche Horizonte wollte man gesellschaftlich eröffnen, um Andere nicht zu überfordern oder gar aus zu beuten?

    Selbstbestimmtes Sterben, Einsatz jeglichen Einkommen und Rücklagen des Individuums für dessen Versorgung.
    Das ist doch schon auf den Weg gebracht.

    Eine Seniorin, pflegebedürftig im Rollstuhl, brachte es einmal treffend auf einen Nenner: ‘ Würden wir uns alle in unseren Ansprüchen und Forderungen zurück nehmen, würden wir alle noch gut versorgt sein.’

    Ich möchte als Beispiel eine Senioren WG für mich favorisieren. Eine großräumige Wohnung/Haus, wo jedem sein eigener Raum neben Gemeinschaftsräumen zur Verfügung steht. Die WG stellt sich regulär, nach erforderlichen Bedarf, Pflege- oder betreuungskräfte an. Die Kosten, werden zum Einem aus den zur Verfügung gestellten Pflegegeldern und vertraglich vereinbarten Leistungen der WG Mitglieder bestritten.

    Aber das bedeutet halt auch, dass ich nicht mehr in meinem Haus alleine leben und es alleine nutzen könnte. Diesen Anspruch müsste ich fallen lassen, aber ich müsste auch nicht in ein Pflegeheim.

    Es gäbe so viele Ansätze, Pflege gerecht und bezahlbar individuell um zu setzen.

  • Hthik

    |

    @Luck 13. März 2023 um 00:03

    “Hier könnte man administrative Subventionskriterien einführen, indem man den Arbeitsplatzbegriff dementsprechend interpretiert. Und personennahe Dienstleistungen ohne Produktivitätspotentiale könnte man auch dementsprechend einordnen und damit subventionieren.”

    Produktivität hin oder her, der Staat ist dazu da, dafür zu sorgen, dass die Arbeit erledigt wird, die erledigt werden muss, deren Erledigung man aber nicht sinnvoll den Einzelnen oder die Wirtschaft organisieren und machen lassen kann. Pflege und Gesundheitsfürsorge eben. Oder Infrastruktur. Da bin ich auch mit der FDP einer Meinung. Nur dann nicht, wenn das Autobahnbau heißen soll.

    Übrigens war die FDP durchaus mal bereit für eine ordentliche Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung mit sozialem Faktor zu sorgen:

    “Konkret hätte dies bedeutet, dass die Einkünfte bis 3400 Euro entweder entlastet oder im schlimmsten Fall die Belastung gleich geblieben wäre. Dafür wären die Einkünfte von 3400 Euro bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 3750 Euro stärker belastet worden.”

    Nicht viel, aber was. Ein notwendiger Anfang. Wer war hier der Schutzpatron der Großverdiener?

    “Röslers Reformvorhaben scheiterte jedoch am Widerstand von Horst Seehofer und der CSU.”

    Die regionale Kleinpartei mit dem “sozial” im Namen. Wer sonst? Mit ihrem damaligen Gesundheitsversorgungsverhinderer und späteren Stromversorgungsverhinderer. Desen soziale großtat war unter Anderem die Lonfortzahlung bei Krankheit zu beseitigen oder Krankheitstage vom Urlaub abzuziehen. Nur zur Erinnerung, dass keiner vergisst, warum wir jetzt sind, wo wir sind.

    “Wenn eine Person eine andere potentiell 24 Stunden pflegt, was die Bereitschaft dazu beinhaltet, verdient eine solche Person einen Teil des Geldes im Schlaf. Denn ich gehe davon aus, dass nicht die ganze Bereitschaftszeit im Wachzustand absolviert wird.”

    Bleibt sich gleich. Das ist, als würde man die Feuerwehr nur bezahlen, wenn’s brennt. Kann man machen, dann muss man dafür aber sehr viel mehr rausrücken, sonst können die sich nichtmal ‘nen Löschzug leisten.

    “Einen Bürokraten interessiert dies nicht. Seine Aufgabe ist es ja nicht, eine gesellschaftliche Funktion zu gewährleisten, sondern Vorschriften zu befolgen und um deren Einhaltung zu sorgen.”

    Wäre schön, wenn’s wenigstens so wäre. Der Satz von Denzler (Erwin, Gewerkschaftssekretär) sagt: Den Beamten kümmert das Gesetz nicht. Den Beamten kümmert nur, was sein Vorgesetzter meint. Was will man von den Leuten der unteren Ebenen auch erwarten. Die haben nicht die Ausbildung. Schon Tucholsky hat über die Ortskrankenkasse geschrieben

    Und es gibt zweierlei Sorten von Büros:
    Solche, in denen die Buchhaltungsfritzen,
    die gewöhnlichen Schreiber sitzen;
    die bebrüten Akten und führen Listen.
    Das sind die gemeinen Papier-Infanteristen.
    Kino, Kollegenklatsch, etwas Sport …
    wie schnell das Klassenbewußtsein verdorrt!
    Für eine Handlungsvollmacht, für einen Posten
    tun sie alles, wobei sie die Chefs nichts kosten.
    Und es haben die Mädels in den Buchhalterein einen Wunsch:
    Hier raus und geheiratet sein!
    Und alle schreiben und schreiben und schreiben
    und müssen ewig hinter den Pulten bleiben.
    Die schuften ihr ganzes Dasein vergebens.

    Doch in den andern Büros
    hockt dick und groß
    das Ideal des Wirtschaftslebens:

    “Es reicht eben nicht, einem Rollstuhlfahrer wie Schäuble das Finanzressort zu übertragen …”

    Ich bin durchaus für das, was “Leute in Arbeit bringen, statt Wohlfahrt auskehren” heißt. Nur nicht so, wie jenseits des Teichs als Reagonomics und Abkömmlinge. Nur eben ordentlich gemacht. Sozialversicherte Beschäftigung statt 1Euro-Zwangsmaßnahmen. Hätte übrigens auch den Vorteil, dass Flüchtlinge, die schon lange hier sind eine Chance haben, die fehlbesetzten Flüchtlingssunterkünfte hinter sich zu lassen. Das ausgegebene Geld kommt nicht nur über die Sozialabgaben wieder rein, sondern über alle Ausgaben. Miete, Lebenshaltung etc.. Man darf nur nicht die Geldströme zum Großteil in die Taschen des Kapitals lenken.

    Wer Englisch kann: TANF: Last Week Tonight with John Oliver zeigt, wie die USA ihr Sozialsystem an die Wand gefahren haben. Da sind wir glücklicherweise noch nicht, aber es ist der Weg, auf dem wir uns befinden. Dabei hätte sogar die FDP eingelenkt, aber ein Haufen durchgeknallter “Christsozialer” … ich reg mich nicht auf. Schlecht für’s Herz. Und den Gefallen, tot umzufallen, tue ich denen jetzt noch nicht. So hat jeder was, wofür er lebt.

  • Gscheidhaferl

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    Mein Beileid und meine Bewunderung an die Redaktion, die sich diese Kommentare zumutet und nicht einfach unter den Tisch fallen lässt.

    Ich versuche mich auf meinen wichtigsten Punkt zu konzentrieren, um nicht selber auch jedes erträgliche Maß zu sprengen.

    Es ist ein häufig bemühtes, nichts destotrotz falsches Vorurteil, dass die Probleme im Gesundheits-/Pflegebereich etwas mit Privatisierung oder überzogenen Gewinnerwartungen zu tun hätten. Das kommt höchstens vereinzelt erschwerend hinzu. Das Hauptproblem ist aber ein anderes: Während andere Bereiche von den Milliarden, die über Kranken- und Pflegekassen ins System gepumpt werden, überproportional profitieren, fällt für die Pflege kaum etwas ab. Viele Leistungen sind nicht mal kostendeckend kalkuliert. Ich hab das Beispiel schon bei den Krankenhäusern gebracht. Es gilt aber auch in allen anderen Pflegebereichen: Sonntags kostet das Personal ca. 25% mehr, die Träger erhalten aber sonntags keine anderen Erstattungen wie unter der Woche. Unter der Woche müssen sie aber auch schon froh sein, wenn kostendeckend gearbeitet werden kann. In der Pflege sind schlicht keine großen Margen realisierbar. Wegen der politischen Vorgaben, die sich in den (mitunter zu) knapp kalkulierten Erstattungen wiederspiegeln. Nenneswertes Plus lässt sicht oft nur durch Masse statt Klasse erwirtschaften. Das hat kaum etwas mit Privatisierung, sondern mit Kostendrückerei seitens der Politik (unabhängig vom Parteibuch) zu tun. Herr Lauterbach brüstet sich ja auch gerade, jetzt endlich mal an Lösungen für Probleme zu arbeiten, die nicht zuletzt ererst verursacht hat. Und die Wähler*innen interessieren sich schlicht zu wenig dafür, dass es zu substanziellen Verbesserungen kommt. Und haben außerdem ein schlechtes Gedächtnis, kombiniert mit einer Vorliebe für undifferenziertes Schwarz-Weiß-Denken.

    Insofern ist es z.B. auch schlicht falsch zu behaupten, Arme würden in von Raubtierkapitaliszen betriebene Heime gezwungen (um hier mal einige Einlassungen frei zusammenzufassen). Dem steht das alles dominierende Bestreben der Kosten-/Ausgabenvermeidung in der Pflege entgegen. Und die fehlenden Skrupel, das Geld andernorts mit Schaufeln beim Fenster hinauszuwerfen.

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