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Archiv für 14. Juli 2014

Sieben Jahre wegen Einkaufswagen-Attacke

Sie sitzt länger in der Psychiatrie als Gustl Mollath

Am Dienstag entscheidet sich bei einer Anhörung vor dem Landgericht Landshut, ob die Regensburgerin Ilona Haslbauer weiter in der psychiatrischen Forensik bleiben muss. Dort sitzt sie seit sieben Jahren. Zu einer dort angemeldeten Kundgebung kommt auch Nina Hagen. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir einen etwas älteren Artikel über einen Besuch bei Frau Haslbauer.

Von Stefan Aigner

Wegen Einkauswagen-Attacke seit sieben Jahren in der Forensik: die Regensburgerin Ilona Haslbauer. Foto: as

Wegen Einkauswagen-Attacke seit sieben Jahren in der Forensik: die Regensburgerin Ilona Haslbauer. Das Foto stammt aus dem Jahr 2014. Foto: as

Vorbemerkung des Verfassers

Der unten stehende Artikel stammt aus dem Jahr 2010 und wird unverändert veröffentlicht. Er beschäftigt sich mit der Regensburgerin Ilona Haslbauer. Sie sitzt mittlerweile länger in der psychiatrischen Forensik als Gustl Mollath. Der Anlass: eine zweimalige Attacke gegen ihre Nachbarin mit einem Einkaufswagen. Ein Gutachter bescheinigte Haslbauer seinerzeit ein „paranoides Wahnsystem“. Als gemeingefährlich wurde sie in die Forensik Taufkirchen geschickt. Dort verweigert sie bislang jede Therapie und leugnet sämtliche ihr vorgeworfenen Taten. Ob sie diese begangen hat oder nicht, will ich nicht beurteilen. Der Anlass der Unterbringung, deren Dauer und die Aussichtslosigkeit von Haslbauers Situation aber halte ich für einen Skandal.

Heute wird Haslbauer nicht mehr von dem im Bericht erwähnten Rechtsanwalt Robert Hankowetz , sondern von Adam Ahmed vertreten. Der erwähnte Neubau der Forensik Taufkirchen (wo Haslbauer nach einem Intermezzo in Straubing wieder zurückgekehrt ist) wurde zwischenzeitlich abgeschlossen. Mittlerweile geriet Taufkirchen wegen seiner Fixierungspraxis in die Schlagzeilen. Es wurde bekannt, dass das Sozialministerium seinen Kontrollaufgaben nicht nachkommt und auch offensiv lügt, um dies zu verschleiern.

Ein Besuch bei Ilona Haslbauer

Jetzt bin ich hier drin. Nicht als Journalist, sondern als ganz normaler Besucher habe ich mich angemeldet. Und mehrere Türen werden auf- und wieder zugeschlossen, bis wir im Besuchsraum sind. Der Pfleger, der mich dorthin bringt, ist klein und drahtig. Das einzige, was bei diesem Mann auf Autorität hindeutet, ist sein enormer Schlüsselbund am Ledergürtel. Der Raum ist kahl, eng und mit einer Abhöranlage ausgestattet. Nach einem kurzen Vorgespräch mit der behandelnden Ärztin, in dessen Verlauf ich ein Formular unterschreiben muss, kommt Ilona Haslbauer.

Die 56jährige Regensburgerin ist seit erstaunlicher langer Zeit in der Forensik des Isar-Amper-Klinikums Taufkirchen untergebracht. Seit unserem letzten Treffen – damals noch in Regensburg, damals noch als Macherin der „Wilde Weiber Werkstatt“ und wegen eines anderen, völlig harmlosen Termins – ist sie deutlich gealtert. Die ehemals roten Haare sind jetzt grau.

 „Deckmantel der Verschwiegenheit” über den Problemen in der Forensik

Wegen Körperverletzung wurde Haslbauer Ende 2006 nach §63 zu Maßregelvollzug verurteilt. Seit bald drei Jahren ist sie jetzt in Taufkirchen und wann sie wieder entlassen wird, wissen weder sie noch ihr Rechtsanwalt Robert Hankowetz.

Auf dessen Schreibtisch stapeln sich die Akten. Es sind einige Baustellen, auf denen sich Hankowetz als Rechtsanwalt und Betreuer von Frau Haslbauer mit der Klinik auseinandersetzen muss. Um Einsicht in ihre Patientenakte zu bekommen, musste Hankowetz erst Klage erheben. Vorher wurde die Einsicht über Monate verweigert. Eindeutig rechtswidrig sei das, sagt Hankowetz. Wer glaubt, dass es sich dabei um einen Einzelfall handelt, täuscht sich. „Wegen keines anderen Klinikums in Bayern gibt es so viele Rechtsstreitigkeiten wie dem Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen”, erzählt der Rechtsanwalt und erwähnt mehrere Kollegen mit ähnlichen Fällen. Ist das nur die Spitze des Eisbergs? Hankowetz spricht von einem „Deckmantel der Verschwiegenheit”, der über die Probleme in der Forensik gebreitet werde.

Frau Haslbauer geht auf einen Stock gestützt. Sie muss sich Decken und Kissen unterlegen, um sitzen zu können. Bevor sie nach Taufkirchen gekommen ist, wurde sie seit längerem wegen eines schmerzhaften Bandscheibenvorfalls behandelt. In Taufkirchen dagegen wurde Frau Haslbauer eine Behandlung trotz ärztlichen Attests verweigert. „Teilweise ist meine Mandantin nur in der Lage, auf allen Vieren zur Türe zu kriechen”, erzählt Hankowetz. Nach monatelangem Schriftwechsel, der zu nichts führte, zum Teil einfach ignoriert wurde, stellte der Rechtsanwalt Strafanzeige wegen Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. In der Klinik wurde die Behandlung weiter verzögert. Bis heute ist sie unzureichend. Das Fachpersonal dafür gibt es übrigens. Aber freilich kostet eine vernünftige orthopädische Behandlung Geld.

Forensik: Immer mehr Bedarf

Die Isar-Amper-Kliniken sind eine Erfolgsstory für den Bezirk Oberbayern. Rund 100.000 Euro pro Jahr und Patientin kostet die Unterbringung. Und seit der Umwandlung von einer kommunalen Klinik in ein halbprivates Unternehmen, eine gemeinnützige GmbH, erwirtschaften die Isar-Amper-Kliniken offenbar Gewinn. Bezahlt wird das aus Steuergeldern. In den letzten Jahren war die Frauenforensik in Taufkirchen chronisch überbelegt. Drei, manchmal vier Frauen mussten sich ein 15 Quadratmeter großes Zimmer teilen.

Das wird von der Klinikleitung weder bestätigt noch dementiert. In jedem Fall scheint das Geschäft mit der Forensik zu blühen. 2009 wurde der Grundstein für einen Erweiterungsbau in Taufkirchen gelegt. Kosten: 24 Millionen Euro. Zeitpunkt der Fertigstellung: ungewiss.

Wen interessiert schon eine vorbestrafte Hartz IV-Empfängerin?

Frau Haslbauer weint viel, als wir miteinander reden. Sie besteht nach wie vor darauf, die ihr vorgeworfenen Taten nicht begangen zu haben. Sie soll eine andere Frau, mit der sie ein jahrelanger Nachbarschaftstreit verband, an zwei verschiedenen Tagen im Supermarkt mit einem Einkaufswagen „gerammt” haben. Die Frau erlitt eine Prellung. Frau Haslbauer, die zu diesem Zeitpunkt bereits vorbestraft war, landete als schuldunfähig und gemeingefährlich im Maßregelvollzug. Das Ziel: Therapie und Resozialisierung.

Frau Haslbauer verweigert die Therapie. Sie hat Angst vor Zwangsmedikation. Ihrem Betreuer, Rechtsanwalt Hankowetz, verweigert das Klinikum Informationen darüber, wie eine Therapie überhaupt aussehen sollte. Sämtliche Anfragen blieben unbeantwortet. Die Zeit vergeht, täglich sprudelt Geld in die Kassen der Isar-Amper-Kliniken. Und Ilona Haslbauer hat, weil sie die Therapie verweigert, keine Chance auf Entlassung. Aber wen interessiert das schon bei einer vorbestraften Hartz IV-Empfängerin?

„Die Zustände sind bizarr.”

„Frau Haslbauer hat die Wahl zwischen Seidentücher bemalen, Sporttherapie und Zwangsmedikation”, sagt Beate Jenkner. Sie ist Abgeordnete für die Linke im Bezirkstag Oberbayern und macht sich mit ihrem Engagement für die Patientinnen in Taufkirchen nicht gerade beliebt. Als sie das Thema im Bezirkstag aufs Tapet brachte, entzog ihr Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) kurzerhand das Wort. Jenkner besucht die Patientinnen in Taufkirchen regelmäßig und bezeichnet die dortigen Zustände als „bizarr”. „Frauen, die sich über die Behandlung beklagen, müssen mit Sanktionen rechnen.” Wie das aussieht: Die Frauen werden in kameraüberwachte „Wachräume” gesperrt. Auch männlichem Pflegepersonal ist es somit möglich, die Frauen selbst beim Umziehen zu beobachten.

Pfleger drohen mit Leibesvisitation

Als ich Frau Haslbauer verlasse, will sie mein Hand nicht loslassen. Sie hat Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. Angst davor, dass deshalb ihre Telefonzeiten wieder eingeschränkt werden, sie ihre Zeitungen nicht mehr bekommt oder davor, dass sie wieder in den Wachraum muss. Hinaus begleiteten mich zwei Pfleger. Der Schmächtige mit dem Schlüsselbund und ein wesentlich kräftigerer Mann. Kurz vor der Ausgangstür wird dieser plötzlich laut. „Sie hat Ihnen etwas gegeben”, fährt er mich an. Der Schmächtige stimmt ihm flink zu. Ich verneine und bitte sie, nachdem mir mit Durchsuchung gedroht wird, die Polizei zu rufen. Daraufhin lassen sie mich gehen. Im Gegensatz zu Frau Haslbauer, die diese Woche in die Forensik nach Straubing verlegt wird.

Aktueller Nachtrag

Am Dienstag, 15. Juli, findet anlässlich der Anhörung von Ilona Haslbauer vor dem Landgericht Landshut von 12 bis 20 Uhr eine Kundgebung mit Nina Hagen statt.

UPDATE: Ilona Haslbauer wird entlassen. Mehr dazu gibt es hier.

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