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Archiv für 30. Juli 2014

Mutmaßliches Opfer von Polizeigewalt zu Geldstrafe verurteilt

„Bestes bayerisches Provinztheater“

Wenn Zeugen, Verteidiger und Staatsanwältin ohne Ansehen der Person übers Maul gefahren wird, dann befindet man sich vielleicht gerade bei einer Verhandlung vor dem Amtsgericht Landshut. Am Mittwoch wurde ein mutmaßliches Opfer von Polizeigewalt zu einer Geldstrafe verurteilt.

Wo der bayerische Löwe wacht, ist die Welt noch in Ordnung: der Wartebereich im Landshuter Gerichtsgebäude. Fotos: as

Wo der bayerische Löwe wacht, ist die Welt noch in Ordnung: der Wartebereich im Landshuter Gerichtsgebäude. Fotos: as

Mit seiner Brille und dem langen, zerzausten weißen Haar, seinem Halbarmhemd mit geöffnetem Kragen, mit der ausgewaschenen Jeans und den Füßen, die in Tennissocken und Birkenstock-Pantoffeln stecken wirkt Bernhard Suttner fast wie ein etwas griesgrämiger Philosophie-Professor – wäre es nicht ein Richterstuhl, in den er sich mit offener Robe lümmelt.

 „Wir machen es so wie es immer gemacht wird.“

Gerade hat Suttner die Justizbeamten angewiesen, alle, die keinen Sitzplatz haben, aus dem Saal zu geleiten. Die knapp 30 Stühle sind für die fast 50 Zuhörerinnen und Zuhörer heute zu wenig, selbst wenn sie sich zusammenzwängen. Und wegen des großen Interesses in einen größeren Saal umzuziehen, kommt für Suttner nicht in Frage. „Der ist mir zugewiesen worden und hier bleibe ich. Wir machen es so wie es immer gemacht wird.“

Am frühen Mittwochmorgen wird heute der Fall von Beate H. vor dem Amtsgericht Landshut verhandelt. Wie mehrfach berichtet, muss sich die 34jährige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung von drei Polizisten verantworten. Nach einer Polizeikontrolle am 27. Mai 2013 wurde einer ihrer Beifahrer mit auf die Wache genommen. Es hätten sich „Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz“ ergeben, hieß es später im Polizeibericht.

Zusammen mit zwei Begleitern fuhr auch Beate H. zur Wache, um dort auf ihren Beifahrer zu warten. Doch dieser Besuch endete für sie bitter. Sie wurde unsanft vor die Tür gesetzt. Ein Attest vom selben Tag bescheinigt ihr Prellungen, Schürfwunden und eine Gehirnerschütterung. Beate H. erstattete Anzeige wegen Körperverletzung gegen zwei Polizisten. Einige Wochen später folgte prompt eine Gegenanzeige, in der ihr erstmals vorgeworfen wird, einem Platzverweis nicht Folge geleistet und sich gewaltsam gegen den Rausschmiss gewehrt zu haben. Außerdem soll sie die Beamten als „Drecksäcke“ und „Arschlöcher“ beschimpft haben. Und damit nicht genug: Während das Ermittlungsverfahren gegen die beschuldigten Beamten eingestellt wurde, erhielt Beate H. einen Strafbefehl über 3.600 Euro (90 Tagessätze á 40 Euro), über den nun am Mittwoch verhandelt wurde.

Teure Retourkutsche für die Strafanzeige?

Es ist mit Händen zu greifen, dass die Gegenanzeige der Polizisten eine reine Retourkutsche war. Sie erfolgte erst Wochen nach der Strafanzeige von Beate H.. Eine Pressemitteilung, die von der Polizei wenige Tage nach dem Vorfall herausgegeben wurde, erwähnt weder die angeblichen Beleidigungen noch den Widerstand, den Beate H. geleistet haben soll. Von den Internetseiten des Polizeipräsidiums Niederbayern wurde die Mitteilung einfach gelöscht. Fazit: Hätte sie nicht angezeigt, wäre ihr dieses Verfahren erspart geblieben.

Auf der Altstadwache der Landshuter Polizei kam es im Mai 2013 zur Eskalation.

Auf der Altstadwache der Landshuter Polizei kam es im Mai 2013 zur Eskalation.

Doch all das will Bernhard Suttner heute gar nicht hören. So wie überhaupt ein Großteil der Hintergründe, die zu der Eskalation auf der Wache geführt haben, für ihn nicht von Interesse sind. Daraus macht er auch kein Geheimnis. Der Angeklagten und ihrem Verteidiger, fast jedem der mehr als zehn geladenen Zeugen und selbst der Staatsanwältin fährt der Richter irgendwann über den Mund. „Das tut nichts zur Sache“, „Das war nicht meine Frage“, „Ich will nicht wissen, was sie meinen, sondern wissen, was sie wissen“ und besonders häufig „Das interessiert mich nicht“, sind die schroff und genervt vorgetragenen Einwände, mit denen Suttner – ohne Ansehen der Person – nahezu jeden Verfahrensbeteiligten unterbricht und wieder in die Spur bringt, auf der er diesen Prozess führen will.

Und daran, dass er in diesem Saal der Chef ist, lässt Suttner nie einen Zweifel. „Selbst, wenn Sie sagen, dass Sie kurz vorm Ersticken sind, lass ich hier kein Fenster öffnen“, sagt er zu einer Zeugin im Rahmen eines weitgehend fiktiven Beispiels (Es ist stickig, doch niemand jammert.). Und als die erwidert: „Dann müssten Sie vielleicht den Krankenwagen rufen“, meint Suttner nur trocken: „Das ist dann Ihr Problem.“

 „Spricht der jetzt dasselbe Persisch wie Sie?“

Manchmal scheint es Suttner, trotz etwas missmutiger Grundstimmung, auch ein wenig Spaß zu machen, kleine Scharmützel mit den Zeugen auszutragen. Ein Auszug aus der Vernehmung eines Polizeibeamten:

Richter: „Mit wem kam denn die Angeklagte auf die Wache?“

Polizist: „Mit einer anderen Frau und einem Farbigen.“

Richter: „Ein Farbiger? War das nicht ein Iraner?“

Polizist: „Ich will ja jetzt nichts falsches sagen. Auf jeden Fall ein Nicht-Deutscher.“

Richter: „Es gibt ja viele Iraner, die letztlich Deutsche sind.“

Polizist: „Ach so. Ja.“

Richter: „Sie meinen also eine Person, bei der Sie eine nicht-deutsche Abstammung vermutet haben?“

Polizist: „Ja. Genau.“

Andererseits bemüht Richter Suttner sich aber auch darum, dass besagter Iraner, der später als Zeuge vernommen wird, sich mit dem hinzugezogenen Dolmetscher auch versteht.

Richter: „Welche Sprache spricht der Zeuge? Iranisch?“

Dolmetscher: „Er kommt aus dem Iran. Da spricht man Persisch.“

Richter: „Spricht der jetzt dasselbe Persisch wie Sie?“

Dolmetscher: „Äh…ja.“

Richter: „Das muss man schon fragen. Wissen’s, wir hatten, da mal so einen Äthopier und da wurde eine halbe Stunde ein Zeuge vernommen und erst dann haben wir gemerkt, dass der nix verstanden hat…“

 

Bei all dem Geplänkel verliert Suttner aber sein Ziel nicht aus den Augen, das er – allerdings erst gegen Ende – recht klar formuliert:

„Es interessiert mich nicht, wer sich wie in der Wache aufgeführt hat”, lässt Suttner die Polizeibeamten wissen. „Es interessiert mich nicht, ob Sie den Ton der Beamten unangemessen fanden”, meint er in Richtung Beate H.. „Und was Ihnen passiert ist, als sie hinaus gebracht wurde, interessiert mich auch nicht.“ Das sei ein anderes Verfahren und das wurde eben eingestellt und das Attest, das sie vorgelegt habe, sage ja nichts darüber aus, was damals wirklich passiert sei.

Er wolle einzig und allein wissen: Gab es einen Platzverweis? Hat Beate H. diesen befolgt oder nicht? Hat sie Widerstand geleistet und die Beamten beschimpft?

Ein Stuhlurteil

Am Ende der Beweisaufnahme – Bernhard Suttner schafft es, die Vernehmung der Angeklagten und von 14 Zeugen, die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in etwas mehr als drei Stunden durchzuziehen – muss Suttner nicht einmal den Sitzungssaal verlassen, um sein Urteil zu fällen.

Wurde zu knapp 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt: Beate H. mit ihrem Rechtsanwalt Marcel Keienborg. Foto: as

Wurde zu knapp 2.000 Euro Geldstrafe verurteilt: Beate H. mit ihrem Rechtsanwalt Marcel Keienborg. Foto: as

Die Vorwürfe gegen Beate H. seien weitgehend erwiesen, so sein Fazit. Die Zeugen hätten glaubwürdig bestätigt, dass es einen Platzverweis gab, dass die Angeklagte dem nicht gefolgt sei und sich bei dem Rauswurf gewehrt habe. Bei den Beleidigungen habe es zwar Unstimmigkeiten zum Wortlaut gegeben – so ist ungeklärt, ob das Wort „Dreckschweine“ oder „Drecksäcke“ gefallen sei und anstelle von „Arschlöcher“ habe sie wohl „Nazis“ gebrüllt – aber auch hier gibt es für den Amtsrichter keinen Zweifel, dass sie stattgefunden haben.

 „Das können Sie dem Weihnachtsmann erzählen.“

Suttner schafft es noch, drei Zuhörer, die sich weigern, zur Urteilsverkündung aufzustehen, des Saales zu verweisen und von einer Zwischenruferin die Personalien aufnehmen zu lassen, ehe er Beate H. erklärt: „Der Strafbefehl war zu hoch. Ihre Gewalt bei der Gegenwehr war nämlich minimal und es war geradezu idiotisch von Ihnen, sich auf ein Duell mit zwei Polizeibeamten einzulassen.“ Auch weil die Beleidigungen sich nur gegen zwei anstatt wie angeklagt gegen drei Beamte gerichtet hätten, wird es etwas billiger für Beate H.: 60 anstelle von 90 Tagessätzen. Deren Höhe liegt bei kaum reduzierten 33 anstatt 40 Euro. Zwar hatte Beate H. angegeben, dass sie mit 15 Stunden Putzen pro Woche nur 800 Euro brutto verdient, aber so Suttner: „Das können Sie dem Weihnachtsmann erzählen, dass Sie davon leben können. Dann rechne ich Ihnen eben an, was Sie verdienen könnten.“

Dann ist die Sitzung geschlossen. Und als aus den Zuschauerreihen noch jemand brüllt: „Das war das beste bayerische Provinztheater, was ich jemals gesehen habe“, verzieht Suttner keine Miene. Er weist auch keinen der Justizbeamten mehr an, einzuschreiten. Er hat die Robe schon abgelegt, sieht wieder aus wie der griesgrämige Philosoph und schlappt mit wehendem Haar auf seinen Birkenstock-Latschen von dannen.

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