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Archiv für 7. August 2014

Eine Familie wird beim Jugendamt angeschwärzt, ihre Kinder misshandelt zu haben. Zu Unrecht, wie sich sehr rasch herausstellt. Wer die Falschbehauptung in die Welt gesetzt hat, dürfen die Eltern nicht erfahren. Das Jugendamt gibt den Namen nicht heraus und das Regensburger Verwaltungsgericht entschied: Auch üble Denunzianten genießen Datenschutz.

Jugendschutz im Dilemma: Nimmt man ein Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg haben Familien keine Möglichkeit, um sich gegen Denunzianten und Lügner zu wehren.

Jugendschutz im Dilemma: Nimmt man ein Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg haben Familien keine Möglichkeit, um sich gegen Denunzianten und Lügner zu wehren.

„Manchmal ermahnen sich unsere Töchter gegenseitig, ruhig zu sein. Sie haben Angst, dass sonst wieder jemand vor der Tür steht und behauptet, wir hätten sie geschlagen“, erzählt Annette Beier (alle Namen der Familie geändert). Auch sie selbst und ihr Ehemann Michael fühlen sich manchmal unwohl in der gemeinsamen Wohnung. „Ich habe keine Ruhe mehr und fühle mich wie unter Beobachtung. Und die Person, die uns denunziert hat, wird vom Jugendamt noch geschützt.“

Die Beiers sind wohl das, was man eine intakte Familie nennt. Die beiden ältere Töchter sind gerade aufs Gymnasium gekommen, die jüngste wurde vor kurzem eingeschult. Annette Beier ist Hausfrau und Mutter. Ihre Familie sei für sie das Wichtigste, sagt sie. Daneben hilft sie ihrem Mann noch im gemeinsamen Betrieb. Die Beiers leben in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen.

Eine Informantin, die anonym bleiben will

Am 4. November letztes Jahr fand Annette Beier beim Nachhausekommen im Briefkasten ein Schreiben des Jugendamts, Betreff: „Gefährdungsabklärung“. Kurz zuvor waren demnach Mitarbeiter des Jugendamts vor der Haustür, um einem entsprechenden Hinweis nachzugehen. „Ich hab sofort dort angerufen und bin noch am selben Tag vorbei gekommen.“ Mit dabei war auch der Mann ihrer Kinderärztin. Dort erfuhr Frau Beier von dem zuständigen Mitarbeiter: Eine Person aus der Nachbarschaft, die anonym bleiben wollte, hatte behauptet, dass sie einige Tage zuvor durch ein Fenster der Wohnung „fünfmaliges Klopfen wie auf Haut und ein Kind, das einmal ‘Aua“ schreit“ gehört habe. Erst später, nachdem die Beiers über einen Rechtsanwalt Akteneinsicht gefordert hatten, kam heraus: Die anonyme Informantin hatte die Beiers als „seit Jahren bekannte“ Problemfamilie dargestellt. Die Kinder würden „mit großer Härte“ erzogen. Annette Beier sei psychisch labil und schreie viel herum.

Michael und Annette Beier haben durchaus einen Verdacht, woher diese Behauptungen kommen. In dem Mehrfamilienhaus, in dem sie wohnen tobt seit gut zwei Jahren ein Nachbarschaftskrieg. Die Beiers wurden bezichtigt, Gärten beschlagnahmt zu haben, das Zelten der Kinder im Garten wurde beim Vermieter gemeldet, ebenso, dass der Hasenstall der Töchter zwei Meter weit in die Gemeinschaftsfläche ragen würde. Herausgekommen ist bei all diesen Beschwerden nie etwas. Und seit geraumer Zeit versuchen die Beiers der streitbaren Nachbarin aus dem Weg zu gehen. Umso erstaunlicher war es, dass besagte Frau wenige Tage vor der Meldung ans Jugendamt mit den Kindern gesprochen und sich nach deren Schulen erkundigt habe.

Schon vor dem Gespräch die Schulen angerufen

Nachdem Annette Beier im Jugendamt diese Situation geschildert hatte und zusätzlich ein Leumundsschreiben der Vorsitzenden des Kinderschutzbundes vorlegte, war der zuständige Mitarbeiter sehr schnell davon überzeugt: Es liegt keine Gefährdung der Kinder vor. Schon am nächsten Tag wurde die Akte wieder geschlossen. Den Namen der Informantin indes wollte er nicht herausgeben. Deren Schilderungen seien nichtsdestotrotz glaubwürdig gewesen. „Das ist ein glatter Witz“, ärgert sich Annette Beier. „Wenn diese Person wirklich um das Wohl unserer Töchter besorgt gewesen wäre, hätte sie bei uns geklingelt und gefragt. Auf jeden Fall hätte sie nicht fünf Tage gewartet, bis sie uns bei der Behörde denunziert.“

Im Verlauf des Gesprächs erfuhr Annette Beier dann noch: Der Jugendamts-Mitarbeiter hatte bereits vorher bei den Schulen der Kinder angerufen. Bei einer Tochter führte dies dazu, dass eine Lehrerin sie vor versammelter Klasse beiseite nahm und fragte, ob denn zuhause alles in Ordnung sei. Später rief die besorgte Mutter einer Schulfreundin bei Annette Beier an. „An den Schulen waren wir das Tagesgespräch“, sagt Michael Beier. Kein Wunder: Der Rektor des Gymnasiums habe ihnen bestätigt, dass so ein Anruf vom Jugendamt „schon sehr ungewöhnlich“ sei. „Auch wenn sich geklärt hat, dass an den Vorwürfen nichts dran ist: Irgendwas bleibt immer hängen“, ist Michael Beier überzeugt. „Diese Reaktion des Jugendamts war völlig überzogen. Zumindest hätte der Herr das Gespräch mit uns abwarten können, bevor er bei den Schulen anruft.“

„Wenn wir Hinweise auf Schläge bekommen, müssen wir dem sofort nachgehen.“

Der stellvertretende Leiter des Jugendamts, Dr. Volker Sgolik, verteidigt das Vorgehen seiner Behörde. Der zuständige Mitarbeiter habe mit dem sofortigen Hausbesuch und dem Anruf bei den Schulen auch nicht überängstlich oder gar falsch reagiert. „Wenn wir Hinweise auf Schläge bekommen, müssen wir dem sofort nachgehen. Das ist nichts Kleines.“ Im ersten Moment habe die Mitteilung auch bedrohlich geklungen. „Wenn bei einer Familie tatsächlich eine Belastungssituation vorliegt, kann das sehr schnell eskalieren.“ Auch der Anruf an den Schulen sei richtig gewesen. „Es geht doch nicht darum, die Familie anzuschwärzen. Der Kollege wollte eben die Meinung von Fachleuten einholen, die die Kinder kennen.“ Es habe sich dann ja auch schnell herausgestellt, dass an der Sache nichts dran ist.

„Wir sind auf Informanten angewiesen.“

Auch dass das Jugendamt die Daten der Informantin nicht herausgibt, hält Sgolik für völlig richtig. In den letzten beiden Jahren habe das Jugendamt Regensburg 600 bzw. 480 Mitteilungen zu misshandelten oder missbrauchten Kindern erhalten. Und bei etwa einem Drittel stelle sich am Ende heraus, dass an den Vorwürfen nichts dran sei. „Das heißt aber nicht, dass jeder Informant aus böser Absicht gehandelt hat.“

Zwar werde, vor allem bei Ehestreitigkeiten, auch immer mal versucht, dass Jugendamt durch falsche Vorwürfe zu instrumentalisieren, Sgolik spricht von einem „Missbrauch mit dem sexuellen Missbrauch“, aber: „Wenn wir Informanten nicht grundsätzlich schützen und sich das herumspricht, dann melden sich manche womöglich nicht beim Jugendamt, wenn tatsächlich etwas passiert. Darauf sind wir aber angewiesen.“

Früher habe das Jugendamt bei besonders gravierenden Fällen schon selbst Anzeige wegen Verleumdung erstattet. „In aller Regel kommt aber da bei Gericht nichts heraus. Wir müssen das als Behörde aushalten, heißt es dann.“ Freilich sei so etwas wie im Fall der Beiers für die Familie belastend. „Das ist für die Betroffenen ein riesiger Eingriff.“ Deren Verärgerung sei auch nachvollziehbar. „Das ändert aber nichts daran, dass wir so handeln müssen. Wir sind in erster Linie dem Kindeswohl verpflichtet.“

Verwaltungsgericht: Auch Denunzianten genießen Datenschutz

Für die Beiers ist diese Haltung des Jugendamts nicht nachvollziehbar. Sie reichten Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg ein. Hier habe es sich nicht um eine glaubwürdige Informantin gehandelt, sondern eine Person, die „niederträchtige, denunziantische und verleumderische unwahre Behauptungen“ in die Welt gesetzt habe, schreibt der Rechtsanwalt der Familie, Robert Hankowetz. Doch das Verwaltungsgericht wies diese Klage Ende Mai ab. Zur Begründung heißt es unter anderem:

„(…) die meldende Person (hat) gegenüber der Behörde ausdrücklich erklärt, anonym bleiben zu wollen. Einer weiteren Güterabwägung bedurfte es nicht. Insbesondere wäre nicht zu prüfen gewesen, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Meldung (…) wider besseren Wissens und in Schädigungsabsicht erfolgte. (…) Der Gesetzgeber hat den Datenschutz im Jugendhilferecht höher gewichtet als das nachvollziehbare Interesse von Betroffenen, sich über Behördeninformanten zu informieren, um sich ggf. wehren zu können.“

Im Klartext: Auch jemand, der eine Familie absichtlich mit Falschaussagen denunziert, geniest den Datenschutz durch die Behörde. Schließlich geht es um den Schutz der Kinder. Eine Berufung gegen diese Entscheidung ließ das Regensburger Gericht nicht zu.

 „Das führt den Rechtsstaat ad absurdum.“

Rechtsanwalt Hankowetz hat dagegen jetzt Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Er sieht in diesem Urteil eine Verkennung der Rechtslage. „Mit dieser Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Regensburg einen rechtsfreien Raum geschaffen, in dem Denunzianten tun und lassen können, was sie wollen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen“, sagt er. „Das führt den Rechtsstaat ad absurdum.“ Für die Beiers hat diese Klage neben der eigenen Betroffenheit mittlerweile ebenfalls grundsätzliche Bedeutung: „Nicht jeder kann sich gegen solche falschen Beschuldigungen mit einem Rechtsanwalt wehren oder hat eine Leumundszeugin vom Kinderschutzbund“, sagt Annette Beier. „Auch das Jugendamt sollte sich mal genau überlegen, wie weit es sich als Behörde von solchen Leuten instrumentalisieren lässt, ohne dass diese etwas zu befürchten haben.“

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