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Hans Herrmann hat keine Ehren verdient

Vom Arisierer zum Planierer

Nach wie vor läuft er: der Diskussionsprozess darüber, ob ein Nazi-Bürgermeister Schulpate, Ehrenbürger und Namensstifter eines Parks in Regensburg sein soll. Man müsse Hans Herrmann differenziert sehen und auch seine Verdienste in der Nachkriegszeit beachten, sagen die Verteidiger des BVP-NSDAP-CSU-Politikers. Recherchen von Regensburg Digital belegen nun: Als CSU-Oberbürgermeister hat Herrmann auch im Nachkriegs-Regensburg mehr als genug Schaden angerichtet.

„Willst Du alte Nazis sehen, musst Du nur ins Hochamt gehen.“ Volksweisheit im Regensburg der 50er Jahre

BVP, NSDAP, CSU und immer auch Katholik: Bürgermeister Hans Herrmann (re., mit Domkapellmeister Theobald Schrems). Foto: privat

BVP, NSDAP, CSU und immer auch Katholik: Bürgermeister Hans Herrmann (re., mit Domkapellmeister Theobald Schrems). Foto: privat

Es war das Jahr 1953, als es für den Oberbürgermeister von Regensburg an der Zeit war, sich dankbar zu zeigen.

Hans Herrmann, 1889 in einfachen Verhältnissen geboren, war sehr früh Waise geworden. Seine Ausbildung, Abitur und Studium verdankte er der katholischen Kirche. Einen Teil seiner Gymnasialzeit absolvierte in der Benediktinerabtei in Metten. Als Mitglied der katholischen Verbindung Albertia studierte er zwei Jahre an der Philosophisch-Theologische Hochschule Regensburg. Dem Einsatz katholischer Würdenträger war es ebenfalls geschuldet, dass Hermann trotz seiner Rolle als NS-Bürgermeister, Arisierer jüdischen Eigentums und SS-Förderer (hier nachzulesen) auch im Nachkriegs-Regensburg Karriere machen konnte.

Kirche stellte Herrmann den Persilschein aus

Erzbischof Michael Buchberger und Weihbischof Johann Baptist Höcht legten Zeugnis darüber ab, dass Kirchenzöglin Herrmann „kein gesinnungsmäßiger Nationalsozialist“ gewesen sei. Und die „Holy Church“, deren wichtige Funktionäre während der Nazizeit auch in Regensburg ihren Mund gehalten hatten, die sich aber anschließend stolz mit „Blutzeugen“ wie Dr. Johann Maier schmückte, galt den Amerikanern als vertrauenswürdige Instanz.

Herrmanns Entnazifizierungsprozess ging denn auch glimpflich für ihn aus. Am Ende galt er nur noch als „Mitläufer“. Die Fürsprache Buchbergers für Herrmann war der erste „Persilschein“ Regensburgs. Nach kurzer politischer Pause, die er durch Mitarbeit bei kirchlichen Einrichtungen überbrückte, wurde Herrmann 1952 zum Oberbürgermeister von Regensburg gewählt.

Wichtiger Fürsprecher Herrmanns, später Profiteur seiner politischen Macht: Erzbischof Michael Buchberger (hier um 1928). Foto: Wikipedia

Wichtiger Fürsprecher Herrmanns, später Profiteur seiner politischen Macht: Erzbischof Michael Buchberger (hier um 1928). Foto: Wikipedia

Ein Jahr später nun wurde Hermann mit einer Entscheidung von „außergewöhnlich weittragende(r) Bedeutung“ konfrontiert, wie es in den Verwaltungsprotokollen heißt. Nicht nur in Regensburg galt seinerzeit das Ideal einer autogerechten, für den Verkehr zugänglichen Stadt, um die Wirtschaft anzukurbeln. Und es war an Hans Herrmann, zwischen zwei Varianten der Verkehrsführung zu entscheiden, die ihm seine Verwaltungsfachleute unterbreiteten.

Kleine Leute müssen für die Kirche bluten

Die eine, als „Lösung I“ bezeichnete Route sollte vom Dachauplatz über den Donaumarkt und den Grieser Spitz eine vierspurige Trasse über die Donau in den Stadtnorden Regensburgs schlagen. „Lösung II“ sollte über den Alten Kornmarkt, vorbei an der bischöflichen Residenz und von dort in direkter Linie über die Donau geführt werden.

In einem ausführlichen Verwaltungspapier von 1953 sind die Vor- und Nachteile beider Varianten detailliert aufgeführt.

Daraus geht klar hervor: Die Fachleute in der Verwaltung plädierten für „Lösung II“. In der Aufstellung der Vor- und Nachteile schnitt diese Variante bei Weitem besser ab.

So heißt es in dem Verwaltungspapier unter anderem:

„Der Eingriff in den vorhandenen Baubestand ist bei Lösung II wesentlich geringer als bei Lösung I. Während bei der Lösung I im endgültigen Ausbau 60 Grundstücke in Anspruch genommen werden müssen, sind es bei der Lösung II nur 30 Grundstücke.“

Die Verwaltungsfachleute rechnen mit „über 1 Million Mehrkosten“ für Lösung I und verweisen zudem auf „sehr beachtliche städtebauliche Vorzüge“ von Lösung II.

Für Herrmann waren all dies keine Argumente. Er entschied sich für die großflächigen und teureren Abbrüche von Lösung I. Der Grund: Während sich die 30 Grundstücke von Lösung II fast ausschließlich in Kirchenbesitz befanden, waren bei den 60 Grundstücken in „Lösung I“ zum übergroßen Teil einfache Bürger, Geschäftsleute und Handwerker betroffen.

Ein Querbau für den Erzbischof

Die Zerstörungen hätten indes weitaus geringer ausfallen können, hätte Hans Herrmann nicht auch noch eine weitere Entscheidung im Sinne der katholischen Kirche und gegen seine Bürgerinnen und Bürger gefällt.

Er stimmte dem großen Saalbau des Kolpinghauses (damals Erhardihaus) zu, der quer in die Straße hineingebaut wurde. Vor den Folgen dieses Baus in Zusammenhang mit der städtischen Verkehrsplanung hatten im Vorfeld mehrere Verwaltungsbeamte ausdrücklich gewarnt. Verschiedene Dienststellen drangen darauf, den Querbau an anderer Stelle zu errichten. Nur wenn das geschehe, könne man gegebenenfalls auch „Lösung I“ umsetzen.

Das Kolpinghaus kurz nach seiner Eröffnung 1954. Zehn Jahre später mussten rund um den Bau zahlreiche Häuser für die geplante Verkehrstrasse abgebrochen werden. Foto: Edition Bunte Hunde

Das Kolpinghaus kurz nach seiner Eröffnung 1954. Zehn Jahre später mussten rund um den Bau zahlreiche Häuser für die geplante Verkehrstrasse abgebrochen werden. Foto: Edition Bunte Hunde

„Der Eingriff in die Kalmünzergasse mit seinen schwerwiegenden Eingriffen in den Baubestand könnte dann vermieden werden“, schrieb ein Baurat im Juli 1953 in einer Stellungnahme. „Mit Rücksicht auf die Größenordnung des Projektes müßte es doch möglich sein, für das Erhardihaus durch Tausch des Grundstückes und Entschädigung eine tragbare Lösung zu finden.“

War es nicht. Alle Bemühungen, das Kolpinghaus an anderer Stelle neu zu errichten, scheiterten am Widerstand der katholischen Kirche, der Herrmann willfährig die Stange hielt. Erzbischof Buchberger habe ausdrücklich erklärt, „(…) dass wir auf der Durchführung unseres Projektes bestehen“, heißt es in einem Schreiben an die Stadtverwaltung.

Und so wurde der Bau denn auch nach den Wünschen des Erzbischofs umgesetzt. Am 25. Juli 1954 wurde das neue Kolpinghaus feierlich eingeweiht. Nicht einmal ein Jahr hatten die Bauarbeiten für den Querbau, der heute die durch die Abbrüche neu entstandene Adolph-Kolping-Straße überspannt, gedauert. Davon, dass dieser Querbau, den kompletten Abbruch der Kalmünzergasse und mehrerer Gebäude in der Ostengasse notwendig machen würde, ahnten die Bewohner damals noch nichts. Doch noch unter Herrmanns Amtszeit wurde damit begonnen, den Betroffenen ihre Grundstücke regelrecht abzupressen.

Weihbischof Höcht (sitzend): Erst stellte er Herrmann einen Persilschein aus, 1954 durcfte er den verhängnisvollen Querbau des Koolpinghauses eröffnen. Foto: privat

Weihbischof Höcht (sitzend): Erst stellte er Herrmann einen Persilschein aus, 1954 durfte er den verhängnisvollen Querbau des Koolpinghauses eröffnen. Foto: privat

Mit der Drohkulisse einer möglichen Enteignung im Hintergrund und Betroffenen, die gerade erst eine Diktatur hinter sich hatten und nicht über juristische Kenntnisse oder die finanziellen Mittel verfügten, um sich rechtlich beraten oder vertreten zu lassen, verleibte sich die Stadt zu Spottpreisen Grundstücke und Gebäude ein.

1.500 Regensburger aus ihrem Viertel vertrieben

Der Behördenmacht waren die Opfer dieser Planungen aufgrund der damaligen Rechtslage hilflos ausgeliefert. Ihre Erfahrungen aus der Kaiser- und NS-Zeit mit der Staatsautorität wirkten auch bei dem Umgang mit den Behörden nach. So hatten die Beamten des Liegenschaftsamtes bei den Verkaufsverhandlungen leichtes Spiel, zumal sie den Eigentümern mit der Einleitung eines Enteignungsverfahrens drohen konnten. Verstärkt ab 1964 begannen schließlich die endgültigen Abbrucharbeiten, für die Herrmann den Grundstein gelegt hatte. Über 40 Häuser, deren Entstehung zum Teil mehr als 700 Jahre zurückreichte, fielen der Spitzhacke zum Opfer.

Abbrüche im Osten der Regensburger Altstadt.

Abbrüche im Osten der Regensburger Altstadt. Die Zerstörungen in blau und rot hat Hans Herrmann zu verantworten.

Komplett abgeräumt wurden der frühere Schwanenplatz und die Bogelgasse. Die historische Kalmünzergasse gibt es nicht mehr, der Hunnenplatz existiert nur noch mit der Hausnummer 5. Der östliche Georgenplatz, das Heldengässchen und die Eschergasse, ebenso Häuser der Thundorfer Straße und am Unteren Wöhrd sind ausradiert. Dabei verloren Hunderte von Familien ihr Zuhause, viele ihre Existenz. Unterschiedliche Schätzungen sprechen von bis zu 1.500 Regensburgerinnen und Regensburgern, die aus ihrem Viertel zwangsweise ausquartiert wurden. Kleine Läden, Handwerksbetriebe und Wirtshäuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.

Abgerissen, um die Umfahrung des Kolpinghauses zu ermöglichen: Eckhaus an der Ostengasse. Foto: Edition Bunte Hunde

Abgerissen, um die Umfahrung des Kolpinghauses zu ermöglichen: Eckhaus an der Ostengasse. Foto: Edition Bunte Hunde

Mit der Entscheidung, die Herrmann 1953 fällte, bewies er Kontinuität. Zwischen 1933 und 1945 waren es die jüdischen Regensburgerinnen und Regensburger, die er im Sinne des NS-Regimes und seiner eigenen Karriere um ihre Existenz brachte. Im Nachkriegs-Regensburg mussten die kleinen Leute, die ihre Häuser gerade so über den Krieg gebracht hatten, über die Klinge springen, um die Interessen der katholischen Kirche, der Herrmann so viel zu verdanken hatte, nicht zu gefährden. Und auch wenn Herrmann seine Hände nun faltete, anstatt sie zum Hitlergruß in die Höhe zu recken – an seiner antidemokratischen und vor allem dem eigenen Fortkommen verpflichteten Haltung hatte sich nichts geändert. Herrmann war oben, wollte dort bleiben und wer unten war, interessierte ihn nicht.

Ein Bürgermeister für jedes System: Hans Herrmann um 1949. Foto: Staatliche Bibliotheken/ Stadt Regensburg

Ein Bürgermeister für jedes System: Hans Herrmann um 1949. Foto: Staatliche Bibliotheken/ Stadt Regensburg

Interview mit OB-Kandidat Richard Spieß

„Ich hatte auch Angst davor, dass der Russe kommt“

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