Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino

Beiträge mit Tag ‘Gedenken’

kartheuser
Elf Jahre. So lange hat der belgische Historiker Bruno Kartheuser (im Bild) recherchiert, um ein Kriegsverbrechen aufzuarbeiten, das in der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben ist: Am 9. Juni 1944 wurden unter der Federführung von SS, Wehrmacht und Sicherheitsdienst in der französischen Stadt Tulle 99 Menschen erhängt. 400 weitere wurden deportiert. Bis Kriegsende kommt ein Viertel von ihnen ums Leben. In vier Büchern hat Kartheuser die Ereignisse von Tulle minutiös nachgezeichnet. Vergangene Woche stellte er den Zyklus in Regensburg vor. Auf Einladung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Grünen kam Kartheuser nachmittags ins Werner-von-Siemens-Gymnasium, abends ins L.E.D.E.R.E.R. e.V.. Im Rahmen seines Vortrags zeichnet Kartheuser nicht nur die historischen Ereignisse nach, er analysiert auch die Strukturen des nationalsozialistischen Terrors in Frankreich, widerlegt revisionistische Thesen und er benennt die Täter, die im Nachkriegsdeutschland weitgehend unbehelligt geblieben sind.

Anlass für das Massaker der Deutschen war ein Angriff der Resistance auf die besetzte Stadt Tulle am 8. Juni 1944. Den Widerstandskämpfern gelang es, die 16.000 Einwohner zählende Stadt vorübergehend zu befreien und 60 Gefangene zu machen. „Es war kein Kampf bis aufs Blut“, so Kartheuser. Dafür spricht auch, dass rund 30 verwundete deutsche Soldaten im dortigen Krankenhaus behandelt wurden.

Am darauffolgenden Tag traf die SS-Division „Das Reich“ in Tulle ein. „Spezialkräfte aus dem Osten“, so Kartheuser, die bereits Erfahrungen bei „Säuberungsaktionen“ gesammelt hatten. So genannte Einsatzkommandos aus SS, Wehrmacht und Sicherheitsdienst töteten in Osteuropa über eine Millionen Menschen „ Das waren Mordaktionen in reiner Essenz“, so Kartheuser. Mit dem Eintreffen der SS-Division „Das Reich“ war diese barbarische Kriegsführung auch in Frankreich angekommen.

Die Resistance zog sich nach dem Eintreffen der SS mit ihren Gefangenen zurück. Kartheuser hat keinerlei Belege dafür gefunden, dass es Versuche gegeben hätte, die Widerstandskämpfer zu verfolgen geschweige denn die Gefangenen zu befreien. Stattdessen trieb die SS 4.000 Männer in Tulle zusammen. Angehörige von SS und Sicherheitsdienst (SD) sortierten willkürlich 120 Männer aus, die gehängt werden sollten. Kartheuser: „Es war ein Spiel mit der Angst einen Tag lang.“ Noch am selben Tag wurden schließlich 99 Zivilisten gehängt – nach Beschluss der Zuständigen: Wehrmacht, SS und SD. Die Leichen wurden in einem Massengrab auf einer Müllhalde verscharrt. Federführend bei den Hinrichtungen dabei: SS-Obersturmbannführer Albert Stückler.

tulleDie SS-Division stand unter dem Kommando des SS-Oberführers Heinz Bernhard Lammerding. Er hatte bereits im Vorfeld seines Einsatzes in Frankreich eine neue Strategie ausgegeben. Bis zum 15. Juni sollten 5.000 Menschen festgenommen werden. Ab sofort galt: Für jeden verwundeten Deutschen werden drei, für jeden toten Deutschen zehn Franzosen umgebracht. Als Hinrichtungsmethode führte Lammerding Erhängen anstelle des Erschießens ein. Das Ziel: Willkürlichen Terror unter der Zivilbevölkerung verbreiten und so die Unterstützung für den Widerstand zu schwächen. Einen Tag nach den Erhängungen von Tulle wurde mit ebendiesem Ziel auch der Ort Oradour von der SS-Division „Das Reich“ überfallen und dem Erdboden gleich gemacht. Fast alle Einwohner wurden ermordet: 642 Tote.

Die Hauptverantwortlichen der Verbrechen in Tulle und Oradour blieben nach dem Krieg weitgehend unbehelligt. Die Wehrmacht wurde freigesprochen. Die meisten Verfahren gegen Angehörige von SS oder SD endeten mit Freisprüchen oder niedrigen Haftstrafen. Drei Beispiele:

Angehörige des SD August Meier wurde in Bordeaux zu 20 Jahren verurteilt und nach dreieinhalb Jahren entlassen. Als seine Vergangenheit als Kommandoführer einer Einsatzgruppe mit einer Mordbilanz von über 38.000 Opfern ins Visier der Ermittler geriet, beging er 1960 Selbstmord im Gefängnis.

Der SS-Brigadeführer Heinz Bernhard Lammerding wurde zwar 1951 in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt, von Deutschland aber nicht ausgeliefert. Er starb 1971 im Alter von 66 Jahren in Bad Tölz.

SS-Obersturmbannführer Albert Stückler starb 1996 im Alter von 83 Jahren in Freising. Dort saß er ab 1960 im Stadtrat, war Vorsitzender des FDP-Kreisverbandes Oberbayern und kandidierte 1962 auf dem 2. Listenplatz für den Landtag. Zeitgleich ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen der Verbrechen von Tulle gegen Stückler, stellte die Ermittlungen aber ein, nachdem dieser einen von ihm verfassten Bericht vorgelegt hatte.

Kartheusers Fazit: „Die Verbrechen von Tulle wurden nicht gesühnt.“ Dafür verantwortlich macht er vor allem die deutsche Justiz, „ein Berufsstand, der sich nach dem Krieg selbst amnestiert hat“. Bei der Aufklärung deutscher Kriegsverbrechen habe sie sich „als biegsames Rohr im Wind erwiesen“.

titel_tulleDem Historiker geht es aber nicht darum, Vorwürfe zu erheben. Sühne für Tulle sei ohnehin nicht mehr möglich. Es geht ihm darum, über die Fakten aufzuklären, um so Revisionisten entgegenzuwirken. Das ist ihm im Rahmen seiner elfjährigen Recherchen gelungen. „Auf Basis strikter Methodik“ hat er vier Bücher vorgelegt, welche die Ereignisse von Tulle minutiös rekonstruieren und dazu umfangreiches Quellenmaterial liefern. Andererseits beschränkt er sich bei seinen Ausführungen aber nicht nur auf dieses eine Ereignis: Er legt auch die Strukturen offen, auf denen die nationalsozialistische Herrschaft in Frankreich beruhte und räumt mit der „Legendenbildung des militärischen Anstands“ bei der Wehrmacht auf.

Kartheusers Motivation für seine Arbeit ist nicht zuletzt der Wunsch nach einem würdigen Gedenken für die Opfer. „Das ist die einzige Gerechtigkeit, die ihnen jetzt noch widerfahren kann.“

Zum Nachlesen:

Bruno Kartheuser: Walter, SD in Tulle. Band 3: Die Erhängungen von Tulle. Der 9. Juni 1944. Neundorf 2004.
Bruno Kartheuser: Walter, SD in Tulle. Band 4: Die Erhängungen von Tulle. Ein ungesühntes Verbrechen. Neundorf 2008.

Bischof Müller: Holocaustleugner raus aus dem Klerikerstand

Erneut hat der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller eindeutig Stellung bezogen und den Ausschluss von Holocaustleugner Richard Williamson aus dem Klerikerstand gefordert – „freiwillig oder zwangsweise“. In einem Brief, der auf Bitte von Müller bei allen Sonntagsmessen im Bistum verlesen werden soll, nimmt der Regensburger Bischof aber auch erneut den Papst in Schutz und spricht […]

Colosseum: Wann tut sich was?

„Wir arbeiten weiter daran“, sagt Klemens Unger nur. Der Kulturreferent ist von der öffentlichen Diskussion um eine Gedenktafel am ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum etwas genervt. Das Ganze zieht sich ja schon eine Weile hin. Genauer gesagt: rund 25 Jahre. Der aktuelle Anlass: Vom Juli 2008 datiert ein Antrag der Grünen im Kulturausschuss, der (erneut) eine Gedenktafel […]

Bischof: Hausverbot für Holocaustleugner

In der Basilika zur Lieben Frau sind am Dienstag noch Plätze frei, als die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus beginnt. Allerdings hat sich prominenter Besuch angekündigt. Kurzfristig hat der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller seine Teilnahme an der Veranstaltung zugesagt, die mit einem Schweigemarsch zur Synagoge beschlossen wird. Auch als „Zeichen des Protests“ aber […]

„KZ-Außenlager ist keine Wohn-Oase“

Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden das KZ Auschwitz-Birkenau von den Truppen der Roten Armee befreit. 1996 wurde dieser Tag von Bundespräsident Roman Herzog zum offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Seit 2005 ist der 27. Januar auch internationaler Holocaustgedenktag. Alljährlich findet aus diesem Anlass in Regensburg eine Gedenkveranstaltung statt (siehe Termin-Leiste […]

Gedenktafel am Colosseum: Eigentümer
fürchtet „randalierende Gruppen“

Eine Gedenktafel am ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum wird es auch künftig nicht geben. Das teilte Kulturreferent Klemens Unger in der Sitzung des Kulturausschusses am Donnerstag mit. „Der Hauseigentümer hat uns mitgeteilt, dass er eine würdige Form des Gedenkens unterstützt.“ Allerdings nicht an seinem Gebäude. Der Eigentümer des Colosseum ist der Unterhachinger CSU-Stadtrat und Develey-Geschäftsführer Michael Durach. […]

Grüne: „Gedenktafel ans Colosseum“

400 Gefangene wurden im ehemaligen KZ-Außenlager Colosseum in Stadtamhof zur Zwangsarbeit bei der Reichsbahn Regensburg gezwungen. 65 von ihnen überlebten das Colosseum nicht. Die Überlebenden wurden in der Nacht vom 22. auf den 23. April zum Todesmarsch abgeholt. Der Todesmarsch endete am 2. Mai. Weniger als 50 der 400 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt noch […]

Gedanken zum Gedenken

Bis an die hinterste Wand voller Menschen ist die Neupfarrkirche bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus zu der die Jüdische Gemeinde, Stadt und Kirchen eingeladen haben. Vorne sitzen die Honoratioren und Stadträte, Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Hans Rosengold und Ilse Danzinger von der Jüdischen Gemeinde. Sie wird später ihre Besorgnis über den […]

Gedenken: „Aus der Tiefe …”

„Ein schönes Hoffnungszeichen bildet vor allem unser beider Freundschaft, lieber Hans.” Dass der Regensburger Stadtdekan Alois Möstl ein Freund der Jüdischen Gemeinde im Allgemeinen und von Hans Rosengold im Speziellen ist, weiß man in der Domstadt. Der Pfarrer der Gemeinde St. Wolfgang in Kumpfmühl gilt als einfühlsamer Geistlicher, als einer, der sein Herz auf der […]

Heute: Gedenken an die Opfer der Nazis

Die Jüdische Gemeinde, die Katholische und die Evangelische Kirche, die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen und die Stadt Regensburg laden heute gemeinsam zu einer Stunde des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus ein. Pfarrer Dr. Wolfgang Körner eröffnet die Veranstaltung um 18 Uhr in der Neupfarrkirche und trägt danach einen Psalm vor. Im Anschluss daran […]

Morgen, Regensburg

Morgen wird in Regensburg der Holocaust-Gedenktag begangen. In der Debatte um den zeitgleich geplanten Faschingsumzug (dazu morgen mehr) hat Regensburg gerade noch die Kurve gekriegt – die Gaudi wurde um eine Woche verschoben, während München sich als Hauptstadt der Bewegung profiliert. Narren! Die Forderungen der Regensburger Parteien, den Gedenktag gesetzlich als „Stillen Tag” zu verankern, […]

Regensburg lustig! München damisch oder uneinsichtig?

Die Regensburger haben’s – trotz langwieriger Diskussion – hinbekommen: Der Gaudiwurm am Holocaust-Gedenktag wurde verlegt. Das sorgte, wie man hört, auch aus anderen Gründen für Aufatmen in der Stadtverwaltung. So haben die Lusticanier und Narragonen eine Woche länger Zeit, um die Sicherheitsauflagen zu erfüllen. In der bayerischen Landeshauptstadt wird dagegen am 27. Januar um die […]

drin