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Antikriegstag: Der unbemerkte Notstand

Stell Dir vor, es ist Antikriegstag und keiner geht hin … Links: DGB Regionsvorsitzender Willi Dürr, Mitte: Wolfgang Velten, verdi-Fachbereichsvorsitzender (Frankfurt/Main) Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wird der Antikriegstag am 1. September in Regensburg begangen. Während es in der Vergangenheit noch Kundgebungen auf dem Neupfarrplatz, anlässlich des Jahrestags des deutschen Überfalls auf Polen gegeben hatte, traf man sich dieses Mal – am Montag – von Anfang an „nur“ zu einem Vortrag in der Arberhütte. Der Saal dort ist wenigstens voll. Rund 30, überwiegend jugendliche Zuhörer, sind der Einladung des DGB-Vorsitzenden Willi Dürr zum Vortrag von Wolfgang Velten gefolgt. Der verdi-Fachbereichsvorsitzende aus Frankfurt am Main nimmt während seines 40minütigen Vortrags kein Blatt vor den Mund. „Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik unter Einbeziehung anderer Mittel “, zitiert er den preußischen General Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz. Diese Doktrin sieht Velten in der Bundesrepublik auf dem Vormarsch. „Deutsche Soldaten posieren nicht mehr mit Totenschädeln in der Hand. Sie erschießen Zivilisten“, sagt er mit Blick auf den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Das Verhalten Deutschlands im Kaukasus-Konflikt zwischen Russland und Georgien lässt Velten zu dem Schluss kommen: „Es geht um die Neuaufteilung der Welt und die Bundeswehr muss dabei sein.“ Ende Juli sprangen deutsche Fallschirmspringer im Rahmen einer Übung über der Krim ab. Das deutsche Kriegsschiff „Lübeck“ kreuzt vor der Krim im Schwarzen Meer. Keine Strategie zur Deeskalation. „Zu viele sind mit dem Streichholz unterwegs und zu wenige mit dem Feuerlöscher“, so Velten. Und das geschehe durchaus bewusst. „Die Kapitalisten wollen keinen Krieg, sie müssen ihn wollen“, zitiert Velten nun Bert Brecht. Es gehe um Rohstoffe, um Energie und um Absatzmärkte. Deutschland wolle aus dem Schatten der USA treten, Frankreich und England den Rang ablaufen. Während bei der EU-Osterweiterung der deutsche „Kapitalexport“ reibungslos und erfolgreich vonstatten gegangen sei („Polen wurde friedlich übernommen.“), sei mittlerweile Konkurrenz auf den Plan getreten. „Die Möglichkeiten, friedlich zu expandieren, sind beendet. Die deutsche Außenpolitik muss aggressiver werden.“ Im Sinne des Kapitalexports – „ein Kennzeichen des Imperialismus”. Als Beleg dafür zieht Velten unter anderem das Papier für eine neue Sicherheitsstrategie heran, das CDU und CSU Anfang Mai vorgelegt hatten (Der komplette Text). „Der Kern ist ungeheuerlich. Es gibt darin keinen Unterschied mehr zwischen Krieg und Frieden.“ Ein Nationaler Sicherheitsrat (Velten: „Ein Kriegskabinett ohne parlamentarische Kontrolle.“) sei notwendig, heißt es in dem Papier, „um ein kohärentes Zusammenwirken aller Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit zu gewährleisten“. Zur Sicherung von Rohstoffen und Energie dürften „militärische Einsätze (…) nicht ausgeschlossen werden“. Velten: „Damit wäre man weiter, als es die Faschisten 1938 waren.“ Die Idee für einen Nationalen Sicherheitsrat ist nicht neu. Sie entstammt Papieren der 1999 gegründeten Bundessicherheitsakademie. Die zunehmende Aggression nach Außen richte sich zwangsläufig auch nach innen, so Velten weiter. Vor 40 Jahren, 1968, habe es mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze einen „massiven Angriff auf die Demokratie“ gegeben. „Heute wendet die Regierung Notstandsgesetze an, ohne den Notstand auszurufen.“ Der Staat werde nach innen verfassungswidrig aus- und umgebaut. Einige Beispiele: Der Umbau des ehemaligen Bundesgrenzschutzes zur Bundespolizei. Dies dient in den Augen von Velten nur einem Ziel: „Die Fabrikanten zu schützen und die Arbeiter am Boden zu halten.“ Der Aufbau von Bundeswehr-Verbindungskommandos unter der Überschrift „Heimatschutz“ in allen Landkreisen, kreisfreien Städten, Bezirken und Bundesländern. „Eine verbotene millitärische Heimatschutztruppe, die angetreten ist, um die Kriegsvorbereitungen und Raubzüge der großen Konzerne durch die Friedhofsruhe an der Heimatfront abzusichern.“ (mehr dazu) Das gemeinsame Terrorabwehrzentrum von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz – ein „klarer Verfassungsbruch“. „Die Zusammenlegung von Polizei und Geheimdienst ist das Prinzip der Gestapo.“ Das alles werde aus den Steuern der Werktätigen bezahlt. Ebenso wie die permanente Aufstockung des Rüstungshaushalts. Der liege, mit 31 Milliarden im Jahr 2009, am höchsten in ganz Europa; eine Steigerung um sechs Milliarden seit 2005. Der Etat des Bundesinnenministeriums stieg innerhalb des gleichen Zeitraums von vier auf 5,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Für das Bundesministerium für Umwelt wird 2009 einen Etat von 1,3 Milliarden veranschlagt, das Familienministerium erhält 6,1, das Bildungsministerium zehn Milliarden Euro (Der komplette Haushaltsentwurf). Ergebnis all dieser Maßnahmen: Ein zunehmende Militarisierung nach innen. Noch wenige Tage vor dem Antikriegstag hatte die Deutsche Post eine PR-Kampagne für die Bundeswehr angekündigt. 8.000 großformatige Post-Plakate werden ab September mit dem Abbild eines uniformierten Afghanistan-Kämpfers werben. Ein PR-Dienst der Post für einen ihrer größten Auftraggeber, ein Beispiel für die militärische Durchdringung ziviler Gesellschaftsbereiche (mehr dazu unter www.german-foreign-policy.com). Was tun? Diese Frage stellt Velten am Ende seines Vortrags und es klingt fast, als stelle er sie auch ein wenig an sich selbst. Information ist für ihn der Schlüssel, „um einen heraufziehenden Weltkrieg“ zu verhindern. Auch und vor allem über Landesgrenzen hinweg. Ob diese Information tatsächlich ankommt, stellt er allerdings im Verlauf der späteren Diskussion selbst in Frage. „Die Leute glauben es nicht.“ Vieles bleibt von der breiten Öffentlichkeit eben unbemerkt, anderes ist kaum zu glauben.
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