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Archiv für 10. Juli 2013

Lesung: Der Fall Gustl Mollath

„Ein multiples Versagen des Rechtsstaats“

Sachlich, ohne Eifer und ohne Verschwörungstheorien zu schüren stellten die SZ-Journalisten Uwe Ritzer und Olaf Przybilla ihr Buch zum Fall Gustl Mollath in Regensburg vor. „Wir stellen nicht die Unabhängigkeit der Justiz infrage, aber auch dort muss man in der Lage sein, objektive Fakten zur Kenntnis zu nehmen.“
Gehörten zu den ersten Journalisten, die den Fall Mollath aufgegriffen haben: Olaf Przybilla und Uwe Ritzer. Foto: as

Gehörten zu den ersten Journalisten, die den Fall Mollath aufgegriffen haben: Olaf Przybilla (re.) und Uwe Ritzer. Foto: as

„Seit Februar, März hat das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahmeanträge. Dass man bis jetzt nicht in der Lage war, darüber zu entscheiden, regt mich richtig auf.“ Am Ende wird er doch noch etwas lauter. Und es ist nicht der SZ-Journalist, der da aus Uwe Ritzer spricht, sondern der empörte Staatsbürger. Über zwei Stunden haben er und sein Kollege Olaf Przybilla am Dienstag ihr Buch zum „Fall“ Gustl Mollath vorgestellt und mit den Anwesenden diskutiert. Trotz Biergartenwetter und schweißtreibender Temperaturen ist der Bibliothekssaal des Thon-Dittmer-Palais fast bis auf den letzten Platz besetzt. Das Thema bewegt, sorgt für viel Diskussion. Warum? „Es ist die Angst, dass es jeden treffen könnte“, meint Przybilla.

Höchst unterschiedliche Ergebnisse im Untersuchungsausschuss

Er kommt gerade aus dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags. Dort war Mollath, der mittlerweile seit sieben Jahren in der geschlossenen Psychiatrie sitzt, erst vor kurzem eingeladen und stand den Abgeordneten über zwei Stunden Rede und Antwort. „Es war das erste Mal, dass eine staatliche Institution ihn wirklich angehört hat“, konstatiert Przybilla. Und die Ergebnisse, zu denen die Fraktionen kommen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Während CSU und FDP der Ansicht sind, dass es in dem Fall kein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten von Behörden und Justiz gegeben habe, zieht die Opposition auf 136 Seiten ein vernichtendes Fazit: Vertuschung durch das Justizministerium, einseitige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und haarsträubende Fehler des Landgerichts Nürnberg-Fürth, das Mollaths Unterbringung angeordnet hatte, sind nur einige Punkte. „Der Bericht strotzt vor Substanz“, so Przybilla. Der Fall Mollath solle, so lautet ein Fazit, künftig in die Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten einfließen, „damit man weiß wie man es nicht macht“.

Lange Zweifel an Mollaths Geschichte

Dabei hatten er und Ritzer selbst lange Zweifel, ob sie sich für die Süddeutsche Zeitung ernsthaft mit dem Fall beschäftigen sollten, als sie zum ersten Mal von dem heute 56jährigen hörten. „Vermutlich glaubt jeder zweite, der in der Forensik einsitzt, dass er dort zu Unrecht sei.“ Und gerade bei Mollath gab es zunächst nichts, was für ihn sprach: Ein rechtskräftiges Urteil gegen einen Mann, der seine Frau geschlagen und Autoreifen zerstochen haben soll. Der als gemeingefährlich und wahnhaft eingestuft wurde. Eine Bestätigung dieses Urteils durch den Bundesgerichtshof. Schwarzgeld-Vorwürfe gegen die Ex-Frau, die abgesehen von Mollaths Aussagen durch nichts zu belegen waren.

Wirtschaftsanwalt bestätigt: Es ging um ein bekanntes Schwarzgeld-System

Erst als ein interner Revisionsbericht der Hypovereinsbank auf Ritzers und Przybillas Schreibtisch landete, wurden sie hellhörig und begannen zu recherchieren. Alle nachprüfbaren Behauptungen Mollaths hätten sich als zutreffend erwiesen, heißt es darin unter anderem. Er habe Insider-Wissen. Ein Liechtensteiner Wirtschaftsanwalt, dem Ritzer Dokumente von Mollath vorgelegt hat, bestätigte ihm, dass hier das Muster eines Schwarzgeld-Systems erkennbar sei, wie man es mittlerweile aus den 90ern kenne. Der Revisionsbericht verschwand zunächst. Stillschweigend trennte man sich von den betroffenen Mitarbeitern – darunter Mollaths Ex-Frau. Er fuhr in die Psychiatrie ein – unter anderem wegen seines vermeintlichen Schwarzgeld-Wahns. Mittlerweile sind die Berichte (nicht nur) in der Süddeutschen Zeitung zahllos. In ihrem Buch fassen Ritzer und Przybilla die bisherigen Ergebnisse ihrer Recherchen zusammen. Sachlich. Ohne sich als Eiferer zu gebärden und ohne Verschwörungstheorien zu spinnen. Und – allein das spricht für sich – bislang gab es keinen Versuch, juristisch mit Gegendarstellungen oder Unterlassungen gegen Buch und Berichte vorzugehen. Przybilla spricht von einem „multiplen Versagen des Rechtsstaats“. Mollath sei „auf perfide Weise unter die Räder eines Apparats gekommen, der nicht einmal weiß, dass er ein Apparat ist“.

Ein Ärztin urteilt, ohne Mollath überhaupt zu kennen

Am Anfang stand die Stellungnahme einer Erlanger Ärztin, die Mollath – ohne ihn je gesehen zu haben – auf Basis der Schilderungen seiner Ex-Frau für psychisch krank erklärte. Ein eklatanter Verstoß gegen die Richtlinien am Klinikum. Die Frau ist mittlerweile Oberärztin in Erlangen. Es folgte ein Prozess vor dem Nürnberger Landgericht unter dem Vorsitz von Richter Otto Brixner, der nach einhelliger Schilderung mehrerer Zeugen wenig Rechtsstaatliches an sich hatte. Ein brüllender Richter, der die Verteidigungsschrift nicht gelesen hatte. Der der Handball-Trainer des Liebhabers und mittlerweile neuen Mannes von Mollaths Ex-Frau ist, den er beim Prozess sogar mit Handschlag begrüßt haben soll.

Ein Urteil mit bizarren Geschichten

Mollath Buch-CoverIm Buch finden sich Auszüge aus dem Urteil, die mit den Tatsachen nichts zu tun haben – unter anderem ein falsches Datum und die detaillierte Beschreibung einer bizarr anmutenden Festnahme Mollaths, die nie stattgefunden hat. Im Gegenteil: Er hatte sich selbst der Polizei gestellt. Doch all dies schien gleichgültig zu sein. Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof nicht beanstandet. Seitdem sitzt Mollath in der Forensik in Bayreuth. Mittlerweile ist klar: Für das angeblich perfide Reifenstechen Mollaths gibt es keinen forensischen Beweis. Die Aussagen der Ex-Frau, die Mollath vorwarf, sie geschlagen und gewürgt zu haben, werden im Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft als extrem unglaubwürdig beurteilt. Stellenweise für verhaltenes Gelächter sorgen die Auszüge, die Przybilla aus den Visiteberichten der Forensik in Bayreuth, wo Mollath einsitzt, vorliest. Mal ist Mollath „merkwürdig wohlgelaunt“, mal ist er auffällig „sarkastisch“, mal ist seine „Stimmung grenzwertig gehoben“. Dass er sich aufs Grundgesetz berufe sei „paralogisch“ und dass er gegenüber Mitinsassen recht offen sei, verdächtig. „Es liest sich tatsächlich witzig, wenn es nicht so ernst wäre“, kommentiert Ritzer.

Richter Brixners „terroristische Potenz“

Als er zum ersten Mal mit Richter Brixner telefoniert habe, sei er kaum zu Wort gekommen, erzählt Przybilla. Eine geradezu „terroristische Potenz“ sei ihm da entgegengeschlagen. „Mittlerweile ist er etwas ruhiger geworden.“ Doch immerhin: Brixner hatte sich überhaupt bereit erklärt mit den beiden zu sprechen. Von der Staatsanwaltschaft, die sich geweigert hatte Mollaths Schwarzgeld-Vorwürfe weiterzuverfolgen, tat dies niemand. „Kindisch-patzige Briefe“ habe man stattdessen erhalten. Der mit Richter Brixner bekannte neue Mann von Mollaths Ex-Frau habe gar versucht, sich per Unterlassungserklärung weitere Fragen zu verbitten.

Ex-Frau verweigerte jedes Gespräch

Und auch Mollaths Ex-Frau selbst verweigerte jedes Gespräch – trotz weit über 15 Anfragen. Von ihr gibt es lediglich ein durchweg unkritisches und unkommentiertes Interview im Nordbayerischen Kurier (Bayreuth), dessen Chefredakteur Joachim Braun sich in seinem Blog zuletzt mit recht harten Vorwürfen gegen die SZ hervortat, die man nach diesem Abend nur als hanebüchen bezeichnen kann. Wirklich aufregen können sich Ritzer und Przybilla darüber nicht. „Wir stützen uns bei unseren Recherchen nie auf Hörensagen“, sagt Ritzer. Sie haben Dokumente und Gutachten gewälzt. Mit allen Beteiligten – sofern sie dazu bereit waren – immer wieder gesprochen und sie mit Fragen konfrontiert. Und sie stellen auch klar: „Hier gab es keine große Verschwörung, bei der jemand die Fäden zog, um Herrn Mollath wegsperren zulassen.“ Allerdings sei er vielen Leuten im Weg gewesen.

„Webfehler“ im Justizsystem

Darüber hinaus dränge sich der Verdacht auf, dass es „Webfehler“ im Justizsystem gebe. Darüber müsse man weiter diskutieren, auch wenn der Fall Mollath irgendwann abgeschlossen sei. „Wir stellen nicht die Unabhängigkeit der Justiz infrage, aber auch dort muss man in der Lage sein, objektive Fakten zur Kenntnis zu nehmen“, so Ritzer. Es gehe nicht darum, Mollath sofort auf freien Fuß zu setzen, sondern ihm endlich ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewähren. Und vielleicht gebe es sogar einen positiven Grund, dass das Landgericht Regensburg, so lange brauche, um über die Wiederaufnahme zu entscheiden. Przybilla: „Es ist möglich, dass die Richterin ihre Entscheidung absolut wasserdicht machen will.“ Nicht dass irgendwann ein wirklich gefährlicher Straftäter sich aufgrund eines Formfehlers – wie sie bei Mollath zuhauf vorgekommen sind – aus der Forensik entlassen werden müsse. „Das kann nämlich auch niemand wollen.“ Sollte Mollath irgendwann entlassen werden, steht er zunächst vor dem Nichts. Seine Habe ist nicht mehr auffindbar und wurde vermutlich bereits vernichtet.
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