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One Billion Rising

Antanzen gegen die Gewalt

Seit zehn Jahren tanzt Regensburg am Valentinstag gegen Gewalt an Frauen. Die Protestaktion „One Billion Rising“ macht weltweit auf das Thema aufmerksam und soll Betroffenen eine Stimme geben. Auf dem Neupfarrplatz kamen diesmal rund 100 Menschen zusammen.

Die Choreografie zu One Billion Rising wurde 2012 von der New Yorkerin Eve Ensler entwickelt. Foto: bm

„Dance to turn it upside down.“ Sie tanzen, um die Welt auf den Kopf zu stellen. „It is time to break the chain.“ Denn es sei endlich an der Zeit den Kreislauf zu durchbrechen. Es sind zwei zentrale Zeilen, die am Montag wieder einmal in hunderten Städten der Erde zu hören waren. Bereits zum zehnten Mal fand am Valentinstag die globale Protestaktion One Billion Rising statt. Auch in Regensburg hallt die Hymne gegen Gewalt an Mädchen und Frauen seit 2012 jedes Jahr über den Neupfarrplatz – samt passender Choreografie.

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Die US-Amerikanerin Eve Ensler startete mit ihrer Aktion vor exakt einem Jahrzehnt in New York eine weltweite Bewegung im Kampf für eine selbstbestimmte Zukunft von Frauen. Die „One Billion“, also eine Milliarde, bezieht sich dabei auf eine UN-Statistik, derzufolge jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben vergewaltigt wird oder von schwerer Körperverletzung betroffen ist.

Offizielle Fallzahlen steigen seit Jahren

Es sind Zahlen, die nicht nur Kerstin Radler, Landtagsabgeordnete der Freien Wähler aus Regensburg, am Montag auf dem Neupfarrplatz sprachlos werden lassen. Sie habe die aktuellen Statistiken kurz vor der Kundgebung um 16.30 Uhr „noch einmal nachschauen“ müssen, um sich sicher zu sein, dass sie stimmen. Auch in Deutschland steigen die offiziellen Fallzahlen seit Jahren an. 148.000 Frauen (2019: 142.000) wurden 2020 allein in Deutschland Opfer von Gewalt, 16.000 sollen es in Bayern gewesen sein. Hinzu kommt ein nicht unerhebliches Dunkelfeld.

Die Erfahrungen seien dabei ganz unterschiedlich, wie am Montag verschiedenen Rednerinnen deutlich machen. Claudia Alkofer (Pro Familia) etwa greift die momentane Debatte rund um eine mögliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf. Es gehe um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

Ein Aspekt den Julia Krebs, Sprecherin der Regensburger Grünen, auch bei der Bewertung des Erscheinungsbildes von Frauen ausmacht. Niemanden gehe es etwas an, wie Personen aussehen oder wie sich Frauen kleiden. Und dennoch: Habe man als Frau zu viel Stoff am Körper, dann könne es wie im Fall der norwegischen Beach-Handball-Nationalmannschaft zur Disqualifikation kommen. „Haben wir aber zu wenig an wird hintergepfiffen, wird man sexuell angemacht oder im schlimmsten Fall vergewaltigt“, so Krebs weiter. Zuletzt hatten auch in Regensburg mehrere Vergewaltigungsfälle für Aufsehen gesorgt.

In Deutschland fehlen 370 Frauenhäuser

Eine „ganz gruselige Zahl“, nennt Radler zuvor auch die 1.405 Frauen, die seit 2011 Opfer eines Femizids, also der Ermordung aufgrund ihres Geschlechts wurden. Alle drei Tage kommt es zu so einer Tat. In Neutraubling kam es erst vor wenigen Tagen zu einem „Beziehungsdrama“, so die noch oft verwendete Bezeichnung. Eine Verharmlosung der Taten, ist man sich auf dem Neupfarrplatz einig, mit ganz konkreten Auswirkungen, wie Claudia Neumeier (SPD) betont. Vor Gericht würde der Beziehungskontext einer Tat nämlich allzu oft noch strafmildernd bewertet.

Und ein weiteres Problem wird am Montag wieder einmal festgehalten. Anstatt erlebte Gewalt durch Männer offen anzusprechen, hätten Betroffene häufig mit Scham und fehlender Unterstützung in ihrem Umfeld zu kämpfen. „Wieso bleiben die Frauen bei ihren gewalttätigen Männern“, sei oft zu hören, so Neumeier.

Am 6. Februar tötete ein Mann in Neutraubling seine Freundin. Am Frauennotrufdenkmal in Regensburg wird an die Tote erinnert. Foto: bm

Der vermeintliche Schutz der Kinder und/oder finanzielle Abhängigkeit seien ein Grund. Fehlende Anlaufstellen, zu wenig Personal und fehlende Plätze in Frauenhäusern ein weiteres. Rund 370 Frauenhäuser fehlen laut aktuellen Studien in ganz Deutschland. Grundlage ist die sogenannte Istanbul-Konvention. „Bayern ist hierzulande leider mit auf dem letzten Platz“, so Elisabeth Geschka vom Lebenswerte Gesellschaft e. V.

OB: „Es trauen sich mehr Frauen aus dem Dunkelfeld heraus.“

Auch eine Hotline für Männer, wie es sie in Kolumbien seit einiger Zeit gibt, fehle in Deutschland bislang. Hier können sich Männer hinwenden, um Gewalttaten präventiv zu verhindern. Über 1.000 Personen würden sich dort mittlerweile jeden Monat melden, sagt Geschka. „Respekt für die Männer, die Verantwortung übernehmen.“ Schließlich gehe Gewalt in 80 Prozent der Fälle von Männern aus. Und in den meisten Fällen gehe es um Vorfälle im eigentlich sicheren privaten Umfeld und der eigenen Wohnung.

Dass seit nunmehr zehn Jahren am 14. Februar – „dem Tag, an dem sich Pärchen ihre Liebe gestehen“ (Radler) – getanzt wird und trotzdem den Zahlen nach scheinbar kein Fortschritt zu erkennen ist, muss laut der Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer differenziert betrachtet werden. Die Sozialdemokratin war früher beim Frauennotruf aktiv und, so erzählt sie am Montag, habe vor einigen Jahren noch selbst beim Flash Mob mitgetanzt.

Auch durch die gestiegene Öffentlichkeit für das Thema würden sich immer mehr Frauen „aus dem Dunkelfeld heraus trauen“ und Hilfe in Anspruch nehmen. Insofern müssten die gestiegenen Zahlen auch positiv bewertet werden. Gleichzeitig zeige sich aber auch, dass Gewalt gegen Mädchen und Frauen noch immer an der Tagesordnung sei. Und das in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus. „So lange die Zahlen nicht sinken werden wir tanzen“, lautet die Ansage am Montag.

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Kommentare (2)

  • Michael

    |

    BeachHANDBALL-Nationalmannschaft

Kommentare sind deaktiviert

drin