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Fahrlässige Tötung

Drei Jahre Haft für Kindstötung

Die 25-Jährige, die an Weihnachten 2020 ihr Baby tötete und in einer Mülltonne im Stadtosten entsorgte, wurde heute vom Landgericht Regensburg zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Gericht sprach sie der fahrlässigen Tötung schuldig, weil ein Vorsatz – nötig für Totschlag oder Mord – nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte.

Die Angeklagte im Gerichtssaal. Foto: Bothner

„Die Angeklagte lügt, wann immer es ihr nützlich erscheint.“ Der Vorsitzende Richter Dr. Michael Hammer macht keinen Hehl daraus, dass das Gericht der 25-jährigen Jasmin H. eigentlich nichts glaubt. Dazu gehört auch die Behauptung, dass ihr am 25. Dezember 2020 in der Toilette eines befreundeten Paares geborenes Kind eine Totgeburt gewesen sei. Auch dass sie versucht haben soll, das leblos erscheinende Baby zu reanimieren.

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„Wir wissen wenig.“

Die Zweite Strafkammer des Landgerichts Regensburg glaubt das und vieles andere nicht. Und doch wird die Mutter am fünften Verhandlungstag am Freitagnachmittag nicht wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen (wie es die Anklage ursprünglich gefordert hatte) oder wegen Totschlags (späteres Plädoyer der Staatsanwaltschaft), sondern lediglich wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren Haft verurteilt.

Ein Urteil könne sich nur darauf stützen, „was wir wissen“, so Hammer. Im vorliegenden Fall sei es aber so: „Wir wissen wenig“. Für das Gericht stehe fest, dass das Mädchen heute noch leben würde, hätte sich Jasmin H. ein Kind gewünscht. Sie wollte das Kind aber nicht. Das allerdings sei nicht strafbar und es gehe auch nicht darum, ein moralisches Urteil treffen, sondern um eine strafrechtliche Bewertung. Und diese ist hier kompliziert. Vieles sei „im Dunkeln“, sagt Hammer.

Vorsatz wahrscheinlich, aber nicht beweisbar

„Sie hatte die Gelegenheit und sie hatte ein Motiv“ das Neugeborene zu töten, heißt es in der Urteilsbegründung. Und obwohl für die Kammer ein Vorsatz wahrscheinlicher ist, könne man ihn nicht abschließend beweisen. Wahrscheinlichkeit sei kein Maßstab für ein Strafgericht, so Hammer.

Jemand, der sich das Baby wünscht, hätte alles unternommen, um es zu retten und Hilfe zu holen. H. packte die neugeborene Tochter jedoch in eine Mülltüte und entsorgte sie in einer Mülltonne. Nach Überzeugung des Gerichts lebte das Kind zu diesem Zeitpunkt noch. Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die Mutter das Kind jedoch für tot hielt und sich mit dem vermeintlichen Tod zu früh abgefunden habe.

Gutachten lassen an Totschlag zweifeln

Entscheidend für die Auffassung der Kammer sind nicht etwa die (über Sachverständigengutachten in den Prozess eingeführten) unglaubwürdigen Aussagen der Mutter, die als einzige die Geburt unmittelbar erlebte, in der Verhandlung selbst aber schwieg. Es sind drei weitere Gutachten. Rechtsmediziner Professor Peter Betz befand aufgrund von Obduktionsergebnissen, dass das gesunde Kind nach der Geburt noch mindestens eine Stunde gelebt haben muss. Die Todesursache konnte er jedoch nicht genau eingrenzen. Ersticken oder Unterkühlung oder eine Kombination aus beidem komme infrage. Eine erkennbare Gewalteinwirkung habe es nicht gegeben.

Auch wesentlich für das Urteil: Zwei Gynäkologinnen der Regensburger Klinik St. Hedwig, die kurzerhand als Sachverständige aussagten. Sie berichteten im Prozess aus ihrer Berufserfahrung, dass es durchaus sein könne, dass Kinder nach der Geburt leblos erscheinen. Es sei nicht der Normalfall, könne in Ausnahmen aber vorkommen. Wenn ein Kind in einer Klinik „nicht starte“, werden sofort entsprechende Maßnahmen ergriffen. Es ist daher nicht ganz klar, wie lange etwa ein deprimierter und in die Toilette geborener Säugling auf Laien tot wirken könne.

Schon die zweite Geburt auf der Toilette

Der fahrlässigen Tötung mache sich H. allerdings schuldig, so das Gericht. Gegenüber ihrem Umfeld verheimlichte und verleugnete sie die Schwangerschaft bis zum Schluss. Den wachsenden Bauch kaschierte sie mit weiten Klamotten, Nachfragen wies sie ab oder log. Beim Frauenarzt war sie nicht und traf auch sonst keine geburtsvorbereitenden Vorkehrungen. Spätestens als sie kurz vor der Geburt stand, habe sich ihre moralische Verpflichtung zu einer rechtlichen verdichtet, so Hammer. H. wusste, was auf sie zukommt und dass, wenn sie nichts unternimmt, ihrem Kind und auch ihr selbst Gefahr drohe.

Die heute 25-Jährige hatte bereits 2017 eine erste Tochter auf der Toilette entbunden. Damals in der Wohnung ihrer Mutter, die ihr und dem Baby zuhilfe kam. Die erste Schwangerschaft war nicht heimlich, allerdings traf H. auch da kaum Vorkehrungen. Von der verfrühten Geburt war sie überrascht und wäre ohne nachträgliche medizinische Versorgung womöglich selbst gestorben. Die erste Tochter lebt in einer Pflegefamilie. Das liegt vor allem daran, das Jasmin H. nicht in der Lage war und ist, adäquat für ihr Kind zu sorgen.

Hammer: H. schuf Risiko, das sich stündlich erhöhte

Ohne feste Wohnung zog sie in den vergangenen Jahren lediglich mit einer Einkaufstüte mit Klamotten von Übernachtungsmöglichkeit zu Übernachtungsmöglichkeit. Mal kam sie bei der (alkoholkranken) Mutter, mal bei wechselnden Männerbekanntschaften, mal beim Stiefvater ihres (Ex-)Freundes unter. Arbeitslosigkeit und Gelegenheitsjobs wechselten sich ab.

Ab Mitte November 2020 wohnte sie vorübergehend auf der Couch eines befreundeten Paares. Markus und Mandy N. halfen ihr erfolgreich bei der Arbeitssuche und versuchten mit ihr sogar einen Sparplan aufzulegen, damit sie künftig ein selbstständigeres Leben führen kann. Zuletzt arbeitete Jasmin H. als Reinigungskraft in einem Altersheim.

Doch da war sie bereits hochschwanger. Davon wusste die Abendgesellschaft, die sich an Heiligabend in der Wohnung traf aber nichts. Spätestens als ihre Fruchtblase platzte, entweder schon am 24. oder erst am 25., – H. bietet in ihrem Aussageverhalten beide Varianten an –, hätte sie Hilfe organisieren müssen, so die Kammer. Doch durch das Verheimlichen „schuf sie über Tage hinweg ein Risiko, das sich stündlich erhöhte“.

Lüge reiht sich an Lüge

Nach der Entbindung auf der Toilette, die sie notdürftig zu säubern versuchte, log sie das von einem Weihnachtsbesuch zurückgekehrte Ehepaar N. wieder an. Sie hätte ihre Periode stark bekommen. Als bei so viel Blut Zweifel aufkamen, gab sie auf Markus N.s Nachfrage an, eine Totgeburt gehabt zu haben. Man schickte H. mit einer Bekannten ins Krankenhaus und suchte das Kind. Denn dem Ehepaar war irgendwann klar, dass ein Säugling in der 38. Schwangerschaftswoche nicht durch die Toilette passe. So hatte sie es angegeben. Wieder eine Lüge.

Für das Gericht sei es eine eine schwierige rechtliche Abgrenzung gewesen, ob man bei H.s Tötung des Kindes von „bewusster Fahrlässigkeit“ oder „bedingtem Vorsatz“ und damit Totschlag ausgehen müsse. Letzteres hatte Staatsanwalt Denis Biermann in seinem Plädoyer gefordert. Er sah dafür sechs Jahre Haft als tat- und schuldangemessen. Verteidiger Andreas Kaiser und Michael Haizmann beantragten eine zweijährige Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Warum die Strafkammer von Fahrlässigkeit ausgeht, begründet Hammer vor allem mit der Persönlichkeitsstruktur der 25-Jährigen.

Beim nächsten Mal ein weiteres Opfer: H. selbst.

Jasmin H. wurde mehrfach psychologisch und psychiatrisch untersucht. Dabei stellte man eine Minderbegabung sowie Reifeverzögerungen fest. Auch weil sie zunächst in einem schwierigen Elternhaus und später in einem Heim aufgewachsen sei, habe sie Vernachlässigung statt kindgerechter Erziehung erfahren, so Gutachterin Dr. Susanne Lausch. Es fehle H. zuweilen an „konstruktiven Problemlösungsstrategien“, so Psychologe Dr. Jürgen Thomas. Sie negiere Probleme entweder oder hoffe auf bessere Umstände.

So sieht es auch das Gericht. Die Angeklagte habe „beschlossen, es einfach laufen zu lassen“. Sie sei „eine Meisterin darin, einfach nicht zu sehen, was sie nicht sehen will“. Doch das Letzte, was H. nicht sehen wollte, war ein lebendes Kind.

Am Schluss der knapp dreiviertelstündigen Urteilsbegründung versucht Hammer der Angeklagten ohne besonders viel Hoffnung noch in direkter Ansprache ins Gewissen zu reden. Der Staatsanwalt glaube, dass H. so eine Tat noch einmal begehen könnte. „Das glauben wir auch“, so der Richter, „aber wir glauben auch, dass da eine längere Haftstrafe nichts bringen würde“. Wenn sich H. nicht ändere, dann werde es sicher ein weiteres Opfer geben: Sie selbst. „Sie haben Ihre Stärken und die Menschen mögen Sie, wenn Sie sie nicht anlügen. Sie haben Chance auf ein besseres Leben, es liegt an Ihnen, sie zu nutzen.“

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