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Projekttage zur israelischen Kultur

In Amerika ist sogar der Hammerverkäufer ein Philosoph – in Deutschland sogar der Philosoph ein Soldat

Mit einer außergewöhnlichen Reihe startete das Theater Regensburg ins Jahr 2018: Le Chaim – Auf das Leben. Die letzten Januartage standen ganz im Zeichen israelischer Kultur. Filme, Konzerte, Diskussionen, eine Ausstellung und Lesung gruppierten sich dabei um das Hauptereignis am vergangenen Samstag – die Uraufführung der Oper „Banalität der Liebe“ der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff, inszeniert von Itay Tiran. Das vom Theater Regensburg beauftragte Stück widmet sich dem Leben Hannah Arendts und nimmt dabei insbesondere ihr verhängnisvolles Verhältnis zu Martin Heidegger in den Fokus.

Martin Heidegger (Angelo Pollak) doziert und wird von Rafael Mendelson (Matthias Störmer) auf der Mandoline begleitet. Foto: Jochen Quast / Theater Regensburg.

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Die deutsche Sprache ist mit ihren umständlichen Betonungen wahrlich eine seltsame Opernsprache. Gesungenes Deutsch klingt stets komisch und brutal. Viel komischer und brutaler als beispielsweise Englisch in der Popmusik oder eben Italienisch in der Oper. Dennoch und umso passender: Die Banalität der Liebe ist fast durchgehend auf Deutsch gesungen. Allerdings ahnt man auch vorher schon: schlimmer als Hannah Arendts Englisch kann es überhaupt nicht klingen.

Komisch und brutal

Die Oper Ella Milch-Sheriffs ist komisch und brutal. Und brutal komisch und komisch brutal. Die Sprache ist dafür nur ein – wenngleich besonderes – Beispiel. Die Wortwahl ist, abgesehen von Heideggers philosophischen Einlassungen, geradezu schlicht und bereitet dem Handlungsverlauf keine stilisierten Verständnishürden. Es ist fast grotesk mit welcher Inbrunst gewöhnliche Sätze und Alltagsgespräche artikuliert werden (können). Für das Libretto zeichnet übrigens Savyon Liebrecht verantwortlich, die 2007 ein gleichnamiges, auf Hannah Arendts Biografie basierendes Theaterstück verfasste, das seinerzeit in Bonn uraufgeführt wurde.

Es ist diese Hannah Arendt, die auch im Zentrum der Oper steht, die zwischen biografischen Schlüsselergebnissen hin- und herspringt und dabei fortwährend um die Figur Martin Heidegger kreist. Die junge Hannah (Sara-Maria Saalmann) kommt im Jahr 1924 in Marburg verspätet in eine Vorlesung Heideggers (Angelo Pollak). Der Meister doziert donnerndes Kauderwelsch, die Studenten hängen an seinen Lippen und liegen ihm zu Füßen.

Nur einer scheint ihn distanziert, Mandoline spielend zu verspotten: Rafael Mendelson (Matthias Störmer), der (fiktive) Freund der jungen Hannah und tragische Held des Stücks. Er warnt Hannah vor Heidegger, kämpft um sie. Arendt jedoch begeistert Heidegger und dieser wiederum zieht sie zunehmend in seinen Bann. Die beiden schreiben schmachtende Briefe, eine verhängnisvolle Liebschaft entsteht.

Hannah Arendt (Sara-Maria Saalmann) in Heideggers (Angelo Pollak) Bann. Der Arendt-Chor sieht ganz genau hin. Foto: Jochen Quast / Theater Regensburg

Hannah Arendt in der Rechtfertigungsfalle

Arendts Zuneigung zu Heidegger wird ihr im Verlauf des in der Oper skizzierten Lebens immer wieder zum Verhängnis. Ob in New York oder in Jerusalem. Verschiedene Situationen verdeutlichen dies: Da ist der Journalist (Matthias Laferi), der Hannah mit Heideggers NSDAP-Mitgliedschaft, seiner begeisterten Fürsprache für den Nationalsozialismus und der Mitwirkung an der Entfernung jüdischer Studierender und Gelehrter aus dem akademischen Betrieb, konfrontiert. Sie verstrickt sich in Widersprüche, gerät in Dilemmata und weiß ihm nichts Überzeugendes zu entgegnen. 

Oder als sie an Adolf Eichmanns statt vor den Augen der ganzen Welt dem Staate Israel vor Gericht Rechenschaft ablegen soll. Sie, die Verräterin, die Israel einen „Schweinestall“ nannte, den Holocaust-Organisator Eichmann banalisierte und liebestrunken mit einem Nazi paktierte, sitzt in Eichmanns Glaskasten und muss sich verantworten. Wer ist Hannah Arendt? Wie konnte sie in diese Rechtfertigungsfalle geraten, aus der es keinen Ausweg ohne Tragik und Verletzungen zu geben scheint? 

Wie bei Günter Gaus: Arendt (Vera Semieniuk) muss Stellung nehmen. Foto: Jochen Quast / Theater Regensburg

Alles dreht sich umeinander

Hannah Arendt selbst versucht diesen Fragen auf den Grund zu gehen. In freudianischer Persönlichkeitsanordnung beobachtet sie sich fortwährend selbst. Die alte Hannah (Vera Semieniuk) zeichnet die Lebensstationen der jungen Hannah nach und versucht ihre Entscheidungen zu verstehen. Ein Dutzend weiterer Arendts in grauen Kostümen folgt aus dem Halbdunkel meist teilnahmslos, manchmal kommentierend, immer aber etwas zynisch dem Geschehen.

Stets hat Hannah viele eigene Augen auf sich selbst gerichtet, denkt über sich und ihr Leben nach und raucht. Es wird immerfort geraucht. 

Das Bühnenbild wirkt bei der Figurenanordnung und der zeitlichen Verschachtelungen hervorragend mit. Schwarze Wände, die auch als Projektionsfläche dienen, drehen sich in- und umeinander, ermöglichen mal mehr, mal weniger Einblick in das Geschehen, verkanten hie und da. Die Räume, die Zeiten, die Psyche Hannahs – alles dreht sich umeinander, alles verkantet.

Der Philosoph als Soldat

Die facettenreiche Instrumentierung treibt zitierfreudig die Handlung voran, macht sich gelegentlich sogar über die Protagonisten lustig (z. B. Heidegger im Hörsaal), kann aber, wenn es geboten ist, zum Ernst der Lage die ganze Brachialität eines Orchesters auffahren. Besonders eindrucksvoll ist dies bei der Wandlung Heideggers vom ontologischen Schwärmer zum metaphysisch-mephistophelischen Parteisoldaten. Deutscher Geist und deutsche Kultur werden in der Person Heideggers zur Lebensquelle des Bösen. Große Musik, große Bilder.

Das Böse ist in Banalität der Liebe allerdings nicht banal, wie in Hannah Arendts Erforschung des Wesens Adolf Eichmanns. Das Böse hier ist hier vielmehr diabolisch, mystisch, fatalistisch, total(itär), apokalyptisch und faschistisch. Passend heißt es auch in einer Sentenz: In Amerika ist sogar der Hammerverkäufer ein Philosoph – in Deutschland sogar der Philosoph ein Soldat. Hannah Arendt weiß das.

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