Regensburgs Ehrenbürger Walter Boll: Die „Leiche im Keller des Kulturreferats“ stinkt
Die Stadt Regensburg wird trotz erdrückender Faktenlage das Ehrengrab des NS-Profiteurs Walter Boll vorerst weiter pflegen. Man will eine Dissertation zur Regensburger Kulturverwaltung abwarten. Das ist peinlich, beschämend und politisch feige.
Bereicherte sich auch privat an jüdischem Eigentum: Regensburgs Ehrenbürger Walter Boll. Foto: Pressestelle Stadt Regensburg
Am 23. November ist es wieder einmal so weit. Dann verlängert die Stadt Regensburg den Vertrag für das Ehrengrab von Walter Boll auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof. Sie gibt weiter zwischen 400 und 500 Euro jährlich für Grabgebühr, Grabpflege und Grabschmuck „zu entsprechenden Anlässen“ aus für einen NS-Karrieristen, der sich nachweislich an jüdischem Eigentum bereichert hat. Seit 1985 ist das so. Auch in der Liste der Ehrenbürger wird er weiter geführt.
Dafür gesorgt hatte zunächst Boll selbst, der nach dem Krieg als Leiter des Stadtarchivs, Museumsdirektor und einer der meist dekorierten Regensburger alles dafür tat, Archive und Registraturen von belastenden Unterlagen zu säubern. Anschließend hielt die städtische Kulturverwaltung das Andenken Bolls weiter hoch. Die Verantwortlichen dort legten über bereits bekannte Verfehlungen den Mantel des Schweigens, verschleppten die notwendige Aufarbeitung und pflegten die Boll-Büste im Historischen Museum, die er sich selbst noch zu Lebzeiten schenken ließ.
Kulturverwaltung hielt ihre schützende Hand über Boll
Erst unter Kulturreferent Wolfgang Dersch änderte sich diese Haltung. Er ist der erste in diesem Amt, der sich an die NS-Aufarbeitung herangewagt hat und die „Leiche im Keller der Kulturverwaltung“ (Grünen-Fraktionschef Daniel Gaittet) ausgraben will.
Anlass dafür waren insbesondere die Forschungen von Waltraud Bierwirth und Robert Werner. Werners Arbeiten waren zuletzt komprimiert und mit Quellen unterlegt in dem Band „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ erschienen und sind in weiten Teilen auch bei den Verhandlungen des Historischen Vereins und bei regensburg-digital nachzulesen. Ein von Dersch einberufener Expertenrat widersprach den Erkenntnissen dieser Arbeiten ausdrücklich nicht.
Beweislage erdrückend – eigentlich sind sich alle einig
Doch aktuell ist insbesondere auch Dersch dafür verantwortlich, dass Bolls Ehrengrab für mindestens weitere zwei Jahre von der Stadt Regensburg gepflegt wird und sein Name in der Liste der Ehrenbürger bleibt. Was der Kulturreferent und Teile von Stadtrat und Verwaltung sich bei der Stadtratssitzung am 30. April geleistet haben, ist nicht nur peinlich und beschämend. Es zeugt auch von einer ordentlichen Portion politischer Feigheit.
Walter Boll gestaltete künstlerisch das Bruckner-Fest zu Ehren Adolf Hitlers. Foto: C. Lang, Bilddokumentation
Die Grünen hatten, 80 Jahre nach Kriegsende, beantragt, Boll die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen und sein Ehrengrab aufzugeben. Stadtrat Daniel Gaittet bezog sich dabei maßgeblich auf Werners Veröffentlichung. Er las sie vor.
Dass die Beweislast erdrückend ist, darin waren sich nahezu alle Stadträte und auch die Oberbürgermeisterin einig. Es gebe „hinreichend viele Gründe“ für eine Streichung von Bolls Ehrenrechten, sagt beispielsweise Kerstin Radler (Freie Wähler). Christian Janele (CSB) hält den aktuellen Kenntnisstand für eine Streichung „ausreichend“, Irmgard Freihoffer nennt die Beleglage „erdrückend“. „Die NS-Belastung von Walter Boll ist unstrittig“, sagt die OB.
Rumeiern mit falschen und verkürzten Informationen
Doch am Ende wären nur die Grünen, Jakob Friedl (Ribisl), Janele, Benedikt Suttner (ÖDP), Irmgard Freihoffer (BSW) und Ingo Frank (Die Partei) bereit gewesen, Boll seine Würden zu entziehen. Die übrigen Fraktionen – CSU, SPD, Brücke, FW, FDP – plädierten fürs Abwarten (der Rechbtsextremist Erhard Brucker verließ, wie schon häufiger bei solchen Themen, den Saal). Sie folgten damit der Argumentation von Wolfgang Dersch und der OB. Doch die ist in Teilen schlicht falsch. Zudem wurden dem Stadtrat auch nicht alle Informationen zugänglich gemacht, die zu diesem Zeitpunkt in der Kulturverwaltung bereits bekannt gewesen sein müssen.
Der Kulturreferent verwies auf die Kooperation mit der Universität Regensburg zur Erforschung der Rolle der Stadtverwaltung während der NS-Zeit. Zur Kulturverwaltung wurde bereits eine Dissertation in Auftrag gegeben. Das solle man abwarten. Alles andere sei „kein gutes Signal“ an die Universität.
Kulturreferent zitiert „semi-professionell“
Robert Werner mache einen „hervorragenden Job“, man könne fast sagen „semi-professionell“, aber man müsse das Ganze erst wissenschaftlich aufarbeiten. Werner selbst habe ihm gegenüber gesagt, dass er an gewisse Quellen nicht rankomme. Doch das ist so nicht richtig.
Für seine Forschungen hat Robert Werner sämtliche zugänglichen und erschlossenen Quellen ausgewertet – unter anderem in Archiven in Regensburg, Amberg, München, Nürnberg und Österreich. Das hat Werner dem Kulturreferenten zwischenzeitlich auch schriftlich mitgeteilt – und:
„Wovon ich aber schon ausgehe, ist, dass durch die Neuaufnahme, erstmalige Erschließung und Verzeichnung von Akten im Stadtarchiv nach 2022 neues (belastendes) Material und Quellen zugänglich geworden sind oder anderorts noch auffindbar sind.“
Zentrale Neuigkeit verschämt präsentiert
Weitaus bemerkenswerter ist aber, ein Aufsatz des Museumsmitarbeiters Dr. Roman Smolorz in dem Heimatblättchen „Die Oberpfalz“ (ehemals ein Nazi-Blatt, das seine Vergangenheit bis heute nicht aufgearbeitet hat), der bereits im April erschienen ist. Hier wird erstmals der gesicherte Nachweis dafür geliefert, dass Walter Boll sich auch privat an jüdischem Eigentum bereichert hat. Eine weitere schwerwiegende Belastung des Regensburger Ehrenbürgers.
1942 im Foyer Ostmarkmuseum anlässlich der Übergabe des Stadtmodells ans Museum: Walter Boll (ganz links in Luftwaffenuniform im Bild), NS-OB Schottenheim (in der Mitte ), rechts davon ein Offizier der 68-SS-Standarte. Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg
Da der Historiker Smolorz dies als Beauftragter für Provenienzforschung im Auftrag der Stadt Regensburg herausgefunden hat, ist davon auszugehen, dass diese Information zum Zeitpunkt der Stadtratssitzung am 30. April bereits im Kulturreferat vorlag. Erwähnt wurde es damals aber nicht.
Bei der Sitzung des Kulturausschusses diesen Mittwoch wurde diese zentrale Neuigkeit in einem Zwischenbericht von Smolorz eher nebenbei erwähnt, ohne sonderlich thematisiert zu werden oder dem Stadtrat die Dimension davon transparent zu machen.
Die Universität ist nicht zuständig für Fragen der Ehrenbürgerwürde
In der Stadtratssitzung am 30. April wäre das ein weiteres schlagendes Argument gewesen, um die Aberkennung aller städtischen Würden für Boll sofort zu vollziehen. Ohnehin ist diese Aberkennung nicht Gegenstand der Forschungen an der Universität Regensburg und es dürfte der Doktorandin auch gleichgültig sein, ob diese Aberkennung vor oder nach Veröffentlichung ihrer Arbeit erfolgt. Es ist eine Frage des politischen Willens, diese überfällige Entscheidung zu treffen.
Einen auf mittelalterlich getrimmten Teppich mit NS-Propaganda ließ Walter Boll 1941 im Herzogsaal aufhängen. Er wurde vergangenes Jahr nach mehreren Berichten von regensburg-digital entfernt.
Eine Frage des politischen Willens wäre es übrigens auch, Walter Boll die Ehrenbürgerschaft per Beschluss zu entziehen. In Regensburg hingegen zieht man sich auf die Sichtweise zurück, dass dies posthum nicht möglich sei und man sich nur davon distanzieren könne – so bereits geschehen bei den Ehrenbürgern Nazi-Bürgermeister Hans Herrmann und bei Adolf Hitler.
Peinliche juristische Rabulistik
Dass es anders geht, zeigen unter anderem die Städte Aichach, Albersdorf, Aschersleben, Babenhausen, Bad Doberan, Bad Honnef, Berchtesgaden, Bergisch Gladbach, Berlin, Bochum, Borken, Braunschweig, Brühl, Coburg, Dinkelsbühl, Dortmund, Dresden, Feuchtwangen, Frankfurt am Main, Frankfurt (Oder), Hamburg, Helgoland und, und, und.
Sie alle haben (unter anderem) Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft per Beschluss aberkannt – ohne die in Regensburg praktizierte juristische Rabulistik. Die Stadt Penzberg ging noch einen Schritt weiter und verlieh 2009 den 16 Opfern der Penzberger Mordnacht am 28. April 1945 posthum die Ehrenbürgerwürde.
Eine städtisch beauftragte (und wohl erst dann als professionell und wissenschaftlich geltende) Forschungsarbeit wurde dafür im Vorfeld nicht in Auftrag gegeben.
Jürgen Mistol (Grüne) bezeichnete es bei der Debatte am 30. April als „beschämend“, dass man 80 Jahre nach Kriegsende und angesichts der erdrückenden Faktenlage überhaupt noch darüber diskutieren müsse, ob man Boll seine Ehrungen endlich entziehe. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Trackback von deiner Website.
Daniel Gaittet
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Schwer zu ertragen. Es bleibt eine Schande.
Paul
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Servus und guten Tag.
Es ist aktuell wie es ist. Nicht angemessen.
Allerdings soweit im Beschluss steht:
” I. Der Antragsteller stellt die Ziffer 1.1 zurück
II. Beschluss:
1. Der Stadtrat der Stadt Regensburg beschließt, den Unterhalt des folgenden Ehrengrabs zu beenden:
Hans Watzlik
2. Der Stadtrat der Stadt Regensburg beauftragt die Verwaltung, die jeweiligen Biografien aller weiteren durch Ehrengräber geehrten Personen in Hinblick auf mögliche NS-Belastung wissenschaftlich untersuchen zu lassen und dem Stadtrat über das Ergebnis der Untersuchungen zu berichten.”
Gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung was den Herrn Hans Watzlik betrifft, die sodann den Entschluss des Stadtrats den Unterhalt des Ehrengrabs zu beenden als Grundlage diente?
Abstimmungsergebnis:
Zustimmung: einstimmig
Eddy
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Unsere Großväter waren alle im Widerstand. Nur die Nachbarn nicht.
Anne F.
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In der besagten Ausschuss-Sitzung wurde R. Smolorz mehrfach für seine Arbeit und Transparenz überschwänglich gedankt.
Nachhören kann mensch das hier:
https://www.regensburg.de/rathaus/stadtpolitik/stadtrat/aufzeichnungen-der-stadtratssitzungen/oeffentliche-sitzung-des-kulturausschusses-vom-21-05-2025
Ich frage mich, woher StadträteInnen Kenntnis von eben dieser Transparenz haben (von Somolorz, der schon mal mit falschen Signaturen ins Gerede kam?), und warum anderen Mitarbeitern nicht für ihre reguläre Arbeit gedankt wird.
Der Nazifunktionär Boll war praktisch veranlagt, das muss man ihm lassen. Nachdem er für sich selber 1940 auf der Weinmüller-Aktion einen Vitrinenschrank ergaunert hatte, lies er diesem zusammen mit den Objekten, die er dort für sein Nazi-Museum abzockte, nach Regensburg transportieren.
Von solchen wesentlichen Details haben die StadträtInnen in der o.g. Sitzung nix gehört. Soviel belastende Details und Transparenz wollten man ihnen offenbar nicht zumuten. Auch nicht den weiteren Inhalt des Artikels, den Smolorz lange vor der Sitzung in DIE OBERPFALZ veröffentlichte.