Regensburgs Ehrenbürger Walter Boll: Die „Leiche im Keller des Kulturreferats“ stinkt
Die Stadt Regensburg wird trotz erdrückender Faktenlage das Ehrengrab des NS-Profiteurs Walter Boll vorerst weiter pflegen. Man will eine Dissertation zur Regensburger Kulturverwaltung abwarten. Das ist peinlich, beschämend und politisch feige.

Bereicherte sich auch privat an jüdischem Eigentum: Regensburgs Ehrenbürger Walter Boll. Foto: Pressestelle Stadt Regensburg
Am 23. November ist es wieder einmal so weit. Dann verlängert die Stadt Regensburg den Vertrag für das Ehrengrab von Walter Boll auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof. Sie gibt weiter zwischen 400 und 500 Euro jährlich für Grabgebühr, Grabpflege und Grabschmuck „zu entsprechenden Anlässen“ aus für einen NS-Karrieristen, der sich nachweislich an jüdischem Eigentum bereichert hat. Seit 1985 ist das so. Auch in der Liste der Ehrenbürger wird er weiter geführt.
Dafür gesorgt hatte zunächst Boll selbst, der nach dem Krieg als Leiter des Stadtarchivs, Museumsdirektor und einer der meist dekorierten Regensburger alles dafür tat, Archive und Registraturen von belastenden Unterlagen zu säubern. Anschließend hielt die städtische Kulturverwaltung das Andenken Bolls weiter hoch. Die Verantwortlichen dort legten über bereits bekannte Verfehlungen den Mantel des Schweigens, verschleppten die notwendige Aufarbeitung und pflegten die Boll-Büste im Historischen Museum, die er sich selbst noch zu Lebzeiten schenken ließ.
Kulturverwaltung hielt ihre schützende Hand über Boll
Erst unter Kulturreferent Wolfgang Dersch änderte sich diese Haltung. Er ist der erste in diesem Amt, der sich an die NS-Aufarbeitung herangewagt hat und die „Leiche im Keller der Kulturverwaltung“ (Grünen-Fraktionschef Daniel Gaittet) ausgraben will.
Anlass dafür waren insbesondere die Forschungen von Waltraud Bierwirth und Robert Werner. Werners Arbeiten waren zuletzt komprimiert und mit Quellen unterlegt in dem Band „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ erschienen und sind in weiten Teilen auch bei den Verhandlungen des Historischen Vereins und bei regensburg-digital nachzulesen. Ein von Dersch einberufener Expertenrat widersprach den Erkenntnissen dieser Arbeiten ausdrücklich nicht.
Beweislage erdrückend – eigentlich sind sich alle einig
Doch aktuell ist insbesondere auch Dersch dafür verantwortlich, dass Bolls Ehrengrab für mindestens weitere zwei Jahre von der Stadt Regensburg gepflegt wird und sein Name in der Liste der Ehrenbürger bleibt. Was der Kulturreferent und Teile von Stadtrat und Verwaltung sich bei der Stadtratssitzung am 30. April geleistet haben, ist nicht nur peinlich und beschämend. Es zeugt auch von einer ordentlichen Portion politischer Feigheit.
Walter Boll gestaltete künstlerisch das Bruckner-Fest zu Ehren Adolf Hitlers. Foto: C. Lang, Bilddokumentation
Die Grünen hatten, 80 Jahre nach Kriegsende, beantragt, Boll die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen und sein Ehrengrab aufzugeben. Stadtrat Daniel Gaittet bezog sich dabei maßgeblich auf Werners Veröffentlichung. Er las sie vor.
Dass die Beweislast erdrückend ist, darin waren sich nahezu alle Stadträte und auch die Oberbürgermeisterin einig. Es gebe „hinreichend viele Gründe“ für eine Streichung von Bolls Ehrenrechten, sagt beispielsweise Kerstin Radler (Freie Wähler). Christian Janele (CSB) hält den aktuellen Kenntnisstand für eine Streichung „ausreichend“, Irmgard Freihoffer nennt die Beleglage „erdrückend“. „Die NS-Belastung von Walter Boll ist unstrittig“, sagt die OB.
Rumeiern mit falschen und verkürzten Informationen
Doch am Ende wären nur die Grünen, Jakob Friedl (Ribisl), Janele, Benedikt Suttner (ÖDP), Irmgard Freihoffer (BSW) und Ingo Frank (Die Partei) bereit gewesen, Boll seine Würden zu entziehen. Die übrigen Fraktionen – CSU, SPD, Brücke, FW, FDP – plädierten fürs Abwarten (der Rechtsextremist Erhard Brucker verließ, wie schon häufiger bei solchen Themen, den Saal). Sie folgten damit der Argumentation von Wolfgang Dersch und der OB. Doch die ist in Teilen schlicht falsch. Zudem wurden dem Stadtrat auch nicht alle Informationen zugänglich gemacht, die zu diesem Zeitpunkt in der Kulturverwaltung bereits bekannt gewesen sein müssen.
Der Kulturreferent verwies auf die Kooperation mit der Universität Regensburg zur Erforschung der Rolle der Stadtverwaltung während der NS-Zeit. Zur Kulturverwaltung wurde bereits eine Dissertation in Auftrag gegeben. Das solle man abwarten. Alles andere sei „kein gutes Signal“ an die Universität.
Kulturreferent zitiert „semi-professionell“
Robert Werner mache einen „hervorragenden Job“, man könne fast sagen „semi-professionell“, aber man müsse das Ganze erst wissenschaftlich aufarbeiten, so Dersch. Werner selbst habe ihm gegenüber gesagt, dass er an gewisse Quellen nicht rankomme. Doch das ist so nicht richtig.
Für seine Forschungen hat Robert Werner sämtliche zugänglichen und erschlossenen Quellen ausgewertet – unter anderem in Archiven in Regensburg, Amberg, München, Nürnberg und Österreich. Das hat Werner dem Kulturreferenten zwischenzeitlich auch schriftlich mitgeteilt – und:
„Wovon ich aber schon ausgehe, ist, dass durch die Neuaufnahme, erstmalige Erschließung und Verzeichnung von Akten im Stadtarchiv nach 2022 neues (belastendes) Material und Quellen zugänglich geworden sind oder anderorts noch auffindbar sind.“
Zentrale Neuigkeit verschämt präsentiert
Weitaus bemerkenswerter ist aber ein Aufsatz des Museumsmitarbeiters Dr. Roman Smolorz in dem Heimatblättchen „Die Oberpfalz“ (ehemals ein Nazi-Blatt, das seine Vergangenheit bis heute nicht aufgearbeitet hat), der bereits im April erschienen ist. Hier wird erstmals der gesicherte Nachweis dafür geliefert, dass Walter Boll sich auch privat an jüdischem Eigentum bereichert hat. Eine weitere schwerwiegende Belastung des Regensburger Ehrenbürgers.
1942 im Foyer Ostmarkmuseum anlässlich der Übergabe des Stadtmodells ans Museum: Walter Boll (ganz links in Luftwaffenuniform im Bild), NS-OB Schottenheim (in der Mitte ), rechts davon ein Offizier der 68-SS-Standarte. Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg
Da der Historiker Smolorz dies als Beauftragter für Provenienzforschung im Auftrag der Stadt Regensburg herausgefunden hat, ist davon auszugehen, dass diese Information zum Zeitpunkt der Stadtratssitzung am 30. April bereits im Kulturreferat vorlag. Erwähnt wurde es damals aber nicht.
Bei der Sitzung des Kulturausschusses diesen Mittwoch wurde diese zentrale Neuigkeit in einem Zwischenbericht von Smolorz eher nebenbei erwähnt, ohne sonderlich thematisiert zu werden oder dem Stadtrat die Dimension davon transparent zu machen.
Die Universität ist nicht zuständig für Fragen der Ehrenbürgerwürde
In der Stadtratssitzung am 30. April wäre das ein weiteres schlagendes Argument gewesen, um die Aberkennung aller städtischen Würden für Boll sofort zu vollziehen. Ohnehin ist diese Aberkennung nicht Gegenstand der Forschungen an der Universität Regensburg und es dürfte der Doktorandin auch gleichgültig sein, ob diese Aberkennung vor oder nach Veröffentlichung ihrer Arbeit erfolgt. Es ist eine Frage des politischen Willens, diese überfällige Entscheidung zu treffen.
Einen auf mittelalterlich getrimmten Teppich mit NS-Propaganda ließ Walter Boll 1941 im Herzogsaal aufhängen. Er wurde vergangenes Jahr nach mehreren Berichten von regensburg-digital entfernt.
Eine Frage des politischen Willens wäre es übrigens auch, Walter Boll die Ehrenbürgerschaft per Beschluss zu entziehen. In Regensburg hingegen zieht man sich auf die Sichtweise zurück, dass dies posthum nicht möglich sei und man sich nur davon distanzieren könne – so bereits geschehen bei den Ehrenbürgern Nazi-Bürgermeister Hans Herrmann und bei Adolf Hitler.
Peinliche juristische Rabulistik
Dass es anders geht, zeigen unter anderem die Städte Aichach, Albersdorf, Aschersleben, Babenhausen, Bad Doberan, Bad Honnef, Berchtesgaden, Bergisch Gladbach, Berlin, Bochum, Borken, Braunschweig, Brühl, Coburg, Dinkelsbühl, Dortmund, Dresden, Feuchtwangen, Frankfurt am Main, Frankfurt (Oder), Hamburg, Helgoland und, und, und.
Sie alle haben (unter anderem) Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft per Beschluss aberkannt – ohne die in Regensburg praktizierte juristische Rabulistik. Die Stadt Penzberg ging noch einen Schritt weiter und verlieh 2009 den 16 Opfern der Penzberger Mordnacht am 28. April 1945 posthum die Ehrenbürgerwürde.
Eine städtisch beauftragte (und wohl erst dann als professionell und wissenschaftlich geltende) Forschungsarbeit wurde dafür im Vorfeld nicht in Auftrag gegeben.
Jürgen Mistol (Grüne) bezeichnete es bei der Debatte am 30. April als „beschämend“, dass man 80 Jahre nach Kriegsende und angesichts der erdrückenden Faktenlage überhaupt noch darüber diskutieren müsse, ob man Boll seine Ehrungen endlich entziehe. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Daniel Gaittet
| #
Schwer zu ertragen. Es bleibt eine Schande.
Paul
| #
Servus und guten Tag.
Es ist aktuell wie es ist. Nicht angemessen.
Allerdings soweit im Beschluss steht:
” I. Der Antragsteller stellt die Ziffer 1.1 zurück
II. Beschluss:
1. Der Stadtrat der Stadt Regensburg beschließt, den Unterhalt des folgenden Ehrengrabs zu beenden:
Hans Watzlik
2. Der Stadtrat der Stadt Regensburg beauftragt die Verwaltung, die jeweiligen Biografien aller weiteren durch Ehrengräber geehrten Personen in Hinblick auf mögliche NS-Belastung wissenschaftlich untersuchen zu lassen und dem Stadtrat über das Ergebnis der Untersuchungen zu berichten.”
Gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung was den Herrn Hans Watzlik betrifft, die sodann den Entschluss des Stadtrats den Unterhalt des Ehrengrabs zu beenden als Grundlage diente?
Abstimmungsergebnis:
Zustimmung: einstimmig
Eddy
| #
Unsere Großväter waren alle im Widerstand. Nur die Nachbarn nicht.
Anne F.
| #
In der besagten Ausschuss-Sitzung wurde R. Smolorz mehrfach für seine Arbeit und Transparenz überschwänglich gedankt.
Nachhören kann mensch das hier:
https://www.regensburg.de/rathaus/stadtpolitik/stadtrat/aufzeichnungen-der-stadtratssitzungen/oeffentliche-sitzung-des-kulturausschusses-vom-21-05-2025
Ich frage mich, woher StadträteInnen Kenntnis von eben dieser Transparenz haben (von Somolorz, der schon mal mit falschen Signaturen ins Gerede kam?), und warum anderen Mitarbeitern nicht für ihre reguläre Arbeit gedankt wird.
Der Nazifunktionär Boll war praktisch veranlagt, das muss man ihm lassen. Nachdem er für sich selber 1940 auf der Weinmüller-Aktion einen Vitrinenschrank ergaunert hatte, lies er diesem zusammen mit den Objekten, die er dort für sein Nazi-Museum abzockte, nach Regensburg transportieren.
Von solchen wesentlichen Details haben die StadträtInnen in der o.g. Sitzung nix gehört. Soviel belastende Details und Transparenz wollten man ihnen offenbar nicht zumuten. Auch nicht den weiteren Inhalt des Artikels, den Smolorz lange vor der Sitzung in DIE OBERPFALZ veröffentlichte.
Kia Boertecene
| #
Guten Tag.
Dieses Bild, dass der Stadtrat abgibt, reiht sich ein in die
vielen Misstritte und Fehlentscheidungen, die er sich in den vergangenen Jahrzehnten geleistet hat.
Hier wundert mich gar nichts mehr.
Gut, dass ich mittlerweile in Ingolstadt lebe!
Dort wird zumindest gewissenhaft die eigene Vergangenheit aufgearbeitet.
In Regensburg scheint diese Fähigkeit im Stadtrat nicht zu herrschen. Schade!
Franz Josef Avestruz
| #
Stramm die Fünfzigerjahre durchhalten….von Verantwortung oder Scham keine Spur. Ohne Worte!
Mr. T.
| #
Diese beschämende Beißhemmung bei Nazis ist nur noch peinlich. Egal, ob Straßennamen, Ehrenbürgerwürden, der Umgang mit ihren Nachfolgern, das alles ist nicht auszuhalten.
Immer wieder verschleppen und das nächste Gutachten über längst bekannte Tatsachen abwarten, um nur nicht selber entscheiden zu müssen. Wo vor haben sie denn Angst? Vor einem OB Arnold, einem Ministerpräsidenten Protschka, einer Reichskanzlerin Weidel oder einem GESTAPO-Chef Höcke? Vor dem Verlust Gloriae Gunst? Vor rechtsextremen Anschlägen?
Dasselbe wie bei dem Rumgeeiere um ein AfD-Verbot, vor dem sich die Steigbügelhalter und Wegducker so scheuen wie der Teufel vor dem Weihwasser. So lange warten bis es zu spät ist und dann ja nicht unangenehm aufgefallen sein. Haben wir alles schon mal gehabt.
Wenn’s um Probleme oder Gefahren von Links geht wandelt sich die Beißhemmung komischerweise immer in einen Blutrausch. Woran’s nur liegt? Vielleicht trotzdem noch zu viel von Großvätern und Urgroßvätern im Blut?
Daniel Gaittet
| #
@Paul: Leider hat sich in der Sitzung abgezeichnet, dass es keine Mehrheit für ein konsequentes Handeln bzgl. Walter Boll gibt. Deshalb haben wir in der Sitzung den Teil der Anträge, die Walter Boll betreffen, zurückgestellt. Dieses Vorgehen hat zumindest einen einstimmigen Beschluss bzgl. des Ehrengrabs von Hans Watzlik sowie den Auftrag zur Untersuchung weiterer geehrter Personen, die bisher noch nicht oder wenig diskutiert wurden, ermöglicht. Zu Watzlik gibt es eine Untersuchung über das Bildungsreferat (vgl. Bildungsausschuss vom 23. Oktober 2024).
Markus P.
| #
Ich bezweifle, dass es gut ist, jemanden nur nach seiner Nazizeit zu bewerten. Vor allem, wenn dabei immer mit zweierlei Maß gemessen wird. Die Herbert-Quandt-Allee z.B. fehlt bei jeder Diskussion um Straßennamen ehemaliger Nazigrößen
Stefan Aigner
| #
Stimmt nicht: https://www.regensburg-digital.de/mindestens-40-strassennamen-mit-ns-belastung-in-regensburg/24102024/
Markus P.
| #
In besagtem Artikel ist Herbert Quandt aufgeführt. Der erste Kommentar befasst sich sogar damit. Eine Diskussion darüber ist jedoch nicht entstanden. Selbst ein Mr. T zeigte hier “Beisshemmung”. Ich vermute, er fährt einen BMW. Spass beiseite. Dass mit mehrerlei Maß gemessen wird, zeigte sich in dem damaligen Artikel, als auch hier. Find ich ned gut.
Stefan Aigner
| #
@Markus P.
Die Herbert-Quandt-Allee ist eine der Straßen, die wohl definitiv umbenannt werden wird. Die in dem Artikek erwähnte Untersuchung beschäftigt sich explizit mit allen Straßennamen, die in Frage kommen. Insofern sehe ich keine Ungleichbehandlung – überregional eher: da gibt es noch viele Quandt-Straßen.
Paul
| #
Kommentar gelöscht. Bitte hören Sie mit Ihrem ständigen Cooy&Paste auf. Alles, was Sie hier gerade reinkopiert haben, wurde von uns in epischer Breite berichtet.
Dominik Müller
| #
“Dasselbe wie bei dem Rumgeeiere um ein AfD-Verbot, vor dem sich die Steigbügelhalter und Wegducker so scheuen wie der Teufel vor dem Weihwasser.”
Wir leben nunmal in einem Rechtsstaat, wo durch die Verfassung Parteienverbote nicht willkürlich erlassen werden können, vielmehr nur durch das Verfassungsgericht auf Antrag. Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch nicht alles gerichtsfest belegt werden, was für ein AfD-Verbot erforderlich wäre, z.B. eben die im 6.Leitsatz des Urteils vom 17.01.2017 genannte qualifizierte Vorbereitungshandlung. Darüber haben wir uns vor kurzem schon “ausgetauscht” – es ist eben erst noch eine genauere Beobachtung durch den Verfassungsschutz notwendig; nach jetziger “Beweislage” würde das Verbot scheitern, die jetzigen Verbotsforderungen (z.B. durch Parteitagsbeschlüsse) sind Populismus oder Dummheit.
Mr. T.
| #
Kommentar gelöscht. Bitte sachlich.
Robert Werner
| #
Da zuletzt weder Stadtrat noch Kulturausschuss Kenntnis vom Inhalt des o.g. Aufsatz von R. Smolorz hatte (Ein NS-belastetes Objekt in der Privatsammlung von Walter Boll), dieser aber für zukünftige politische Entscheidungen von hoher Relevanz ist, wird hier die zentrale Passage (ohne Fußnoten) dokumentiert. Welche NS-belasteten Objekte Boll 1940 „für das Museum“ ersteigerte, referiert Smolorz nicht.
„ … Am folgenden Beispiel aus der einstigen Privatsammlung von Walter Boll soll dieser Fall in der Praxis erläutert werden:
Am 21. Oktober 1940 schrieb Walter Boll, damals Direktor des entstehenden Museums der Stadt Regensburg – so der Name der Einrichtung auf der Rechnungsabschrift -, an Adolf Weinmüller, den Eigentümer des gleichnamigen Auktionshauses in München. Boll bittet darin, dem Transport von Objekten für das Museum den von ihm persönlich ersteigerten Vitrinenschrank Nr. 627 mitgeben zu wollen. Der Betrag sei überwiesen.
Die Versteigerung fand zwischen dem 17. und 18. Oktober 1940 statt, hierzu war ein Aktionskatalog Nr. 23 veröffentlicht worden. Das hier behandelte Objekt ist als “Großer Vitrinenschrank” angeboten worden (vgl. Abb. 1).
Als Einlieferer für das Lot 627 ist im Auktionskatalog “B 83*” angegeben (vgl. Abb. 2). In dem einschlägigen Werk über das Auktionshaus Weinmüller von Meike Hopp ist nachzulesen, dass sich bei der Auktion von 1940 sechs nichtarische Besitzer als Einlieferer befanden und deshalb mit einem Sternchen gekennzeichnet waren.
Daraus lässt sich folgern, dass das von Walter Boll privat erworbenen Objekt wohl belastet ist, weil es ursprünglich aus jüdischen Besitz stammt. Boll starb am 24. November 1985 in Regensburg. Sein Nachlass wurde vom Auktionshaus
Nagel in Stuttgart 2011 versteigert…“
Aus: DIE OBERPFALZ, April/Mai 2025, S. 90 -91.
Daniela
| #
Alles in allem wäre mir persönlich eine geradlinige und konsequente Aufarbeitung bzgl. der Person Boll wichtig.
Es ist zu Nazi Zeiten viel unbeschreibliche Ungerechtigkeit bis hin zu millionenfachen Mord geschehen.
Viele vergessen dabei, dass es bei Aufarbeitung auch immer um die eigene Identität geht. Die Geschichte der Deutschen ist eben auch Identität unseres Volkes.
Prinzipiell ist geraubte oder sonstig durch Druck und Repressalien erlangte Kunst an die ursprünglichen rechtmäßigen Eigentümer zurück zu geben. Aber das ist historisch betrachtet schwierig.
Um auf Boll zurück zu kommen, ist mir völlig schleierhaft, wie man jemanden mit dieser Vergangenheit die Ehrenbürgerschaft belassen sollte, oder gar noch Steuermittel aufwenden, um Grabpflege u.Ä. zu finanzieren.
Steuermittel sind Gelder aller BürgerInnen, unvorstellbar, warum wir alle die Erhaltung von Ehrenbürgerschaften derart umstrittener Bürger und daraus resultierenden ‘Privilegien ‘ finanzieren.
Straßennamen nehmen ebenfalls den Status der Würdigung ein. Aber das ist ein anders gelagertes Thema.
Wünschen würde ich mir Straßennamen, die die steten häufig ehrenamtlichen Helfer würdigen. Mir fielen da zum Beispiel die Freiwilligen Feuerwehren ein….
Sarasvati
| #
Wie viele Kulturinteressierte stinkt es mir schon lange gewaltig, dass sich Regensburg im Umgang mit der Geschichte hartnäckig so faktenresistent zeigt. Mit dem Zitat von der „Leiche im Keller der Kulturverwaltung“ hat mir Regensburg digital in der Überschrift einen neuen Denkansatz geschenkt: geht im Thon-Dittmer-Palais vielleicht immer noch ein Geist um, der ansteckenden Opportunismus, also Taktik ohne Ethik, verbreitet? Hat vielleicht jemand versucht den Geist auszutreiben, und dabei die falschen erwischt? Wenn man deshalb dort von allen guten Geistern verlassen wäre, was könnte da noch helfen? Wahrscheinlich nur Freigeister, die öffentlich den Geist der Aufklärung beschwören und von den einzelnen Stadtratsmitgliedern ein selbstbestimmtes, rationales Denken verlangen. Einen Versuch ist es wert. Also: Weiter so, Regensburg digital!
tom lehner
| #
80 Jahre nach Kriegsende bekommen wir es nicht hin mit unserer Vergangenheit, also dem “Fliegenschiss” aufzuräumen.
Das ist aber auch kein Wunder. Boll ist einer der vielen Gründe warum dies nie passiert ist. Zu viele der alten Schergen sind entweder sofort, oder nach Entnazifizierungsverfahren nach dem Gießkannen- oder dem drei Affen Prinzip wieder in Amt und Würden gekommen.
Viele von ihnen waren Mitbegründer neuer Behörden, wie z.B. Reinhard Gelen, dem ersten Leiter des Bundesnachrichtendienstes. Es sei auch daran erinnert, dass die verfasste deutsche Ärzteschaft, die Bundesärztekammer, 14 Jahre von einem Vizepräsidenten und weitere fünf Jahre von einem Präsidenten geleitet wurde, der nicht nur Mitglied der NSDAP und der SS war, sondern z.B. vom Sommer 1942 an als Assistenzarzt in der Pflegeanstalt Schönbrunn bei Dachau, einem Behindertenheim, arbeitete.
Wer sich mit der Aktion T4, also der sog. „Euthanasie“ beschäftigt weiß was das heisst. Die Aktion wurde zwar nach Protesten durch den mutigen Bischof Clemens August Graf von Galen durch Hitler im August 41 offiziell eingestellt. Die Ermordung von Patienten ging aber bis Kriegsende weiter. Wen wundert es das sich einige dieser Ärzte nach dem Krieg an Universitäten als Dozenten wiederfanden. Auch die Ärzteschaft hat sich erst 1994 dazu durchringen können, ihre Verantwortung einzugestehen und sich öffentlich für die hunderttausenden von Opfer zu entschuldigen.
Das gilt für alle Institutionen und Bereiche in der 49 gegründeten Bundesrepublik. Egal ob Exekutive, Judikative aber auch der Legislative. Das gilt aber auch für die Großindustriellen und Industrieverbände. Hans Martin Schleyer ist wohl eines der prominentesten Beispiele dafür. Der SS Untersturmführer im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren und leitete unter Reinhard Heydrich das Studentenwerk in Prag. Als Arbeitgeberpräsident und Vorsitzender des BDI. Wie viele Unternehmen gibt es die mit ihrer Vergangenheit frühzeitig aufgeräumt haben? Wie soll da eine Aufarbeitung erfolgen können mit diesen handelnden Personen?
Auch in der Polizei gab es keinerlei Anpassungsprobleme an die Nachkriegszeit. Wie soll es auch? Erst die 68er wollten Antworten auf ihre Fragen. Wollten eine Veränderung. Sie bekamen sie, mit Prügel und Schlagstöcken. Das sich die Kirche mit ihrer Verantwortung schwer getan hat ist kein großes Geheimnis mehr.
Natürlich haben auch die Amerikaner ein großes Stück dazu beigetragen das viele ihr Tarnmäntelchen „Entnazifizierungsverfahren“ vors Gesicht halten konnten und ihre Schuld verharmlosten und kleinredeten. Lieber ein Nazi im Sack als den Kommunisten im Land. Das ist im Übrigen auch eine gute Erklärung für „Auf dem rechten Auge blind sein“. Wir erinnern uns an die vielen Berufsverbote in den 70ern.
Das wir heute, mit einer verfassungsfeindlichen Partei im Parlament, immer noch so handeln wie unsere Eltern und Großeltern ist mir völlig schleierhaft. Das Gedenken an die vielen Millionen Opfer reicht scheinbar nicht. Weiterhin wird relativiert, kleingeredet und verharmlost. Auch hier. Wir kennen die Geschichte. Keine Generation vor uns hatte soviel Möglichkeiten sich Informationen zu holen. Ich persönlich brauche dazu noch nicht mal Internet. Geht mit offenen Augen durch Regensburg. Fahrt durchs Land, nach Flossenbürg, nach Dachau, nach Hersbruck, Kaufering, Allach und viele viele andere Orte mit ihrer Nazivergangenheit.
Diese Epoche ist beileibe kein „Fliegenschiss“. Es ist die ewige Schuld mit der wir leben müssen und die Verantwortung alles dafür zu tun, das das niemals mehr passiert. Das ist unsere Verpflichtung und nicht die Pflege des Ansehens einer fragwürdigen Persönlichkeit.
Josef Huber
| #
Wenn ich die zwei Sitzungsdebatten nachhöre, kann ich schon verstehen, dass die Grünen den Antrag zurückgezogen haben.
Was ich jedoch weder verstehe, noch irgendwie akzeptabel finde ist, dass dem Stadtrat in der Sitzung über Boll nicht mitgeteilt wurde, dass dieser als der Leiter des NS-Museums NS-verfolgungsbedingtes Raubgut sowohl fürs Museum als auch für sich privat erworben hatte. Das hat doch eine Brisanz.
Dass der zuständige Sachbearbeiter Smolorz diese Information für die Leserschaft der Zeitschrift Oberpfalz “publik” machte und nicht dem Stadtrat, ist hoffentlich nur eine Panne.
Wenn Smolorz in der Kultur-Ausschusssitzung aber wörtlich sagt, “der Text über Boll geht nicht über Boll” , entstehen aber massive Zweifel ob dieser schwurbeligen Ausdrucks- und irreführenden Vorgehensweise.
Hat der Restitutionsforscher Smolorz sich eigentlich je positioniert in der Causa Boll, was soll diese intransparente Informationspraxis bewirken? viele Fragen tun sich auf?
H
| #
Unverständlich warum hier so lange gezögert wird – dabei wäre es so einfach: Keine Ehrenbürgerschaft + Grabpflege für Nazis/NS-Profiteure.
Wovor hat man hier Angst bzw. Bedenken – den einzigen, denen der Enzug der Ehrenbürgerschaft sauer aufstoßen würde, wären Rechtsextreme und Neonazis….
Jakob Friedl
| #
Smolorz schreibt in der “Oberpfalz”: “[…] Boll bittet darin, dem Transport von Objekten für das Museum den von ihm persönlich ersteigerten Vitrinenschrank Nr. 627 mitgeben zu wollen. […] Boll starb am 24. November 1985 in Regensburg. Sein Nachlass wurde vom Auktionshaus Nagel in Stuttgart 2011 versteigert… […]” Smolorz hat also bei seiner Provinienzforschungsarbeit für die Stadt Regensburg (versehentlich) einen Schrank gefunden, den der spätere Ehrenbürger (uvm. etc.) Boll beim Nazigaleristen Weinmüller zusammen mit Gegenständen für das Ostmarkmuseum privat erworben hat – und wusste jetzt nicht, wie er mit diesem eindeutigen Beweis umgehen soll – also wo er das melden kann – worüber er in der stockkonservativen Zeitschrift die “Oberpfalz”, einem ehemaligen Hardcore-Naziblatt, das seine Vergangenheit nie aufgearbeitet hat, publiziert – anstatt seine Erkenntnisse dem Stadtrat mitzuteilen.
Vielleicht hätte Smolorz ja auch gleich mal dazuschreiben können, wie dick der Boll-Nachlass-Versteigerungs-Katalog ist. Für so viele Schränke, Schmuck, Tassen, Kunstkram braucht man eine Lagerhalle!
Ein jährlich wiederkehrendes Ritual: Der Kulturausschuss bedankt sich ganz besonders stark bei Smolorz für seine wichtige Arbeit in der Stadtverwaltung – niemand weiß, was Smolorz dabei wieder alles unter den Teppich kehrt.
Gut jedenfalls, dass die verschlossenen Aktenbestände aus dem Museum nun endlich ins Stadtarchiv überführt wurden und damit öffentlich zugänglich sind. Das bedeutet mehr Möglichkeiten für die unentgeltliche Recherche engagierter und unabhängig arbeitender Leute wie Robert Werner, die Auslöser, Vermittler und notwendiges Korrektiv für Auftragsgutachten sind.
Hier ein Link zu den von Max Erl gestalteten Ausstellungstafeln der “Broken Boll Ausstellung” in Märchenerzählerschrift, Text: Robert Werner. https://ribisl.org/re-represent-walter-boll/#Ausstellungstafeln_Wirkungsst%C3%A4tten
Bücherboll mit dem Aufsatz von Robert Werner im Band 14 der Buchreihe: “Täter Helfer Trittbrettfahrer” im Doku-Zentrum: https://ribisl.org/re-represent-walter-boll/#B%C3%BCcher-Boll-Dokuzentrum
@Paul und @Daniel:
Mein Antrag u.a. zum Ehrengrab von Walter Boll vom Oktober 2022 mit einer Nachfrage zum Thema Märchenstunde: https://ribisl.org/wp-content/uploads/2022/11/Antraege_Provenienzforschung_BollGrab_Kunstforum_Steinsarg_Stadtmodell_WalterBoll_Museum_18_10_2022_Ribisl.pdf …..hier im Blog:
https://ribisl.org/provenienzforschung-dr-walter-boll/
Manfred Martin
| #
Mich wundert es schon, dass einige Städte, wie au Regensburg, große Probleme haben, ihre Vergangenheit in der Zeit des 3. Reichs, aufzuarbeiten, und daraus auch Konsequenzen zu tragen.
Das liegt nach meinen Recherchen natürlich an der äußerst oberflächlichen Entnazifizierung. In meinen Augen und meinen Gedanken sind oder waren alle 8,5 Millionen Mitglieder der kriminellen Organisation und Bande von Massenmörder „NSDAP“, Schwerverbrecher.
Das nur einer dieser Verbrecher Ehrenbürger oder andere Würden von Städten & Gemeinden, Land und Bund bekommen konnte oder noch bekommt, ist für mich nicht verständlich!
Also auch die Ehrenbürgerschaft und Ehrengrab von Herrn Walter Boll in Regensburg.
Übrigens hat auch Landshut solche Probleme.
Einer davon wurde erst vor nicht all zu langer Zeit aufgearbeitet. Dem ehemaligen Beamten und NSDAP Mitglied wurde die Ehrenbürgerschaft aberkannt und ein Weg der nach ihm benannt war, erhielt einen neuen Namen!
https://www.idowa.de/regionen/landshut/landshut/franz-lippert-landshut-stellt-sich-ns-geschichte-ihres-ehrenbuergers-art-286858
Helene Sigloch
| #
Herzlichen Dank für diesen klaren Artikel! Und danke für auch den Zusammenhang zur Provenienzforschung!
Als ich die Anträge zu Boll und Watzlik initiiert habe, war ich erst verwundert, dass die Ehrenbürgerschaft und die Ehrengräber noch existieren. Ich hielt das zunächst für ein Versehen, die Abschaffung für eine Formalität. Es zeichnete sich dann ab, dass es Vorbehalte bezüglich des Beschlusses zu Boll gibt. Dass jedoch so viele Kolleg*innen im Stadtrat dann fanden, dass zu Boll zu wenig Erkenntnisse vorliegen, bestürzt mich.
Als Stadt sind wir in der Verantwortung, unsere Vergangenheit aufzuarbeiten. Gerade in der heutigen Zeit, wo Demokratie nicht mehr selbstverständlich zu sein scheint.
Paul
| #
Servus @ Jakob Friedl
26. Mai 2025 um 10:49 | #
Super Danke für ihre Engagement.
Sie haben den Antrag am 9.11.2022 zurückgenommen.
Und bisher viel Rauch…aber keine Entscheidung .
Wenn ich mir ihre Arbeit dahingehend betrachte, wäre eigentlich alles gesagt.
Sepp
| #
Kommentar gelöscht. Was Sie schreiben, ist keine feststehende Tatsache, sondern Gegenstand von Auslegung und Diskussion. Steht im Text.
Jakob Friedl
| #
@Paul
Es freut mich, dass Sie sich für kommunalpolitische Themen interessieren.
Wie Sie der Niederschrift der Kulturausschusssitzung vom 15.11.2022 (verlinkt gemeinsam mit dem Antrag im Blog, siehe oben) entnehmen können, habe ich den Antrag zurückgezogen, weil die Verwaltung angekündigt hatte eine “Bollkommission” zusammenzurufen und ein Symposium zum Thema Walter Boll durchzuführen. Zum damaligen Zeitpunkt die einzig richtige Entscheidung.
Die daran anknüpfenden Anträge und Nachfragen der Ribisl-Partie e.V. im Kulturausschuss und das Ausstellungsprojekt “Broken-Boll” gemeinsam mit dem Künstler Max Erl, Robert Werner und Daniel Rimsl haben dazu beigetragen, dass der regensburger Stadtrat im Juni 2023 beschlossen hat mit Unterstützung der Uni und nach dem Vorbild Münchens nun die “Wissenschaftliche Aufarbeitung zur Geschichte der Regensburger Stadtverwaltung im Nationalsozialismus” zu beginnen. Vgl: https://ribisl.org/wp-content/uploads/2024/03/VO2320183RV_Wissenschaftliche_Aufarbeitung_NS_Stadtverwaltung.pdf
Paul
| #
Servus @ Jakob Friedl 26. Mai 2025 um 21:55 | #
Dankeschön. Was ist dahingehend Sachstand?
schönen Tag und weiter so in ihren Engagement.
Dominik Müller
| #
Unter dem Gesichtspunkt, dass die ÖDP – Fraktion 2008 und 2010 eine Straße nach Boll benennen wollte, ist es sehr erfreulich, dass Herr Suttner anders als der Rest der Fraktion nun für den Entzug der Ehrenrechte Bolls gestimmt hat. Dass die SPD ausgerechnet bei diesem Thema Geschlossenheit zeigt, wundert mich.