Im bischöflichen Ordinariat in der Niedermünsterstraße ist am Freitag viel von „Vertrauen” die Rede. Bistumssprecher Clemens Neck und die Beauftragte für sexuellen Missbrauch im Bistum Regensburg, Dr. Birgit Böhm, wollen die versammelte Medienwelt über „Recherchen und Meldungen über Missbrauchsfälle im Bistum Regensburg” informieren. Man gibt sich als Aufklärer und verlässlicher Ansprechpartner für die Opfer.
Diese Opfer kommen insbesondere aus Einrichtungen der Regensburger Domspatzen. Allerdings, das betont Bistumssprecher Neck mehrfach, seien diese „Vorkommnisse” im Prinzip schon bekannt gewesen. Die „Fälle” reichten „weit in die 60er”, „ein halbes Jahrhundert” zurück und es habe – so der bisherige Stand der kirchlichen „Recherchen” – bereits gerichtliche Verurteilungen gegeben. Aktuelleres sei der Diözese nicht bekannt. Verfolgt man Necks Ausführungen scheint der sexuelle Missbrauch in Einrichtungen der Diözese Regensburg vor 50 Jahren ein urplötzliches Ende gefunden zu haben.
Zwei verurteilte Täter, die Neck (anonymisiert) nennt, sind bereits 1984 verstorben. Man habe sich aber nun an die Öffentlichkeit gewandt, weil sich in den letzten Wochen vermehrt Menschen gemeldet hätten, „die uns Vorkommnisse, Übergriffe und auch Missbrauch berichteten”.
Wenigstens einer der beiden Fälle – es geht um einen ehemaligen Internatsleiter bei den Domspatzen, der 1971 zu elf Monaten Haft verurteilt wurde – fällt in die Zeit, in der Papstbruder Georg Ratzinger Domkapellmeister und Leiter des Knabenchors war (1964 bis 1994). Der hat gegenüber dem Bayerischen Rundfunk bestritten, etwas über Missbrauchsfälle bei den Domspatzen zu wissen. Ein Dementi kommt am Freitag auch von Neck.
„Wir bitten alle Geschädigten, sich an unsere Diözesanbeauftragte für sexuellen Missbrauch zu wenden”, heißt es in der vorgefertigten Erklärung, die er verliest. „Wir möchten ermutigen, Leid beim Namen zu nennen, zu bearbeiten und auf diese Weise Schmerzen zu lindern und aufzulösen.”
Wie sieht diese Linderung aus?
Die Diözesanbeauftragte berichtet von einem Gespräch mit einem der Opfer. Er wurde in der Vorschule der Domspatzen geprügelt, gedemütigt und sexuell missbraucht. „Das war für ihn eine Zeit der Ohnmacht. Als junger Erwachsener hatte er Probleme mit dem Glauben”, so Birgit Böhm. Doch heute, das habe sie in den vielen Gesprächen festgestellt, habe er „wieder zur Kirche gefunden”. Lediglich mit „den vielen Presseberichten” habe er jetzt zu kämpfen.
Insgesamt fünf Fälle werden im Rahmen der Pressekonferenz angesprochen. Neck unterscheidet dabei streng zwischen „Missbrauch” und „pädagogischem Übergriff”. Letzteres wird am Freitag synonym für Prügel, Misshandlung und Demütigungen verwendet. Bislang sind nicht alle Täter identifiziert. „Bezüglich der anderen Beschuldigten stehen wir in der Recherche noch am Anfang”, heißt es zu Vorwürfen gegen Mitarbeiter im Studienseminar Weiden.
Drei Ziele gibt Bistumssprecher Neck am Freitag aus. „Gerechtigkeit und Hilfe für die Opfer. strafrechtliche und kirchenrechtliche Verfolgung der Täter. Verhindern zukünftiger Übergriffe.” Wie insbesondere das letzte Ziel erreicht werden soll, wissen am Freitag weder er noch die Diözesanbeauftragte zu sagen. Auch nicht auf mehrfache Nachfrage. „Wir sind hier seit Jahren tätig”, sagt Dr. Böhm ausweichend. Sie redet von „Fortbildungen” und „Supervisionen”. In 14 Tagen könne man mehr dazu sagen, meint sie schließlich. Offenbar muss auch zu dieser „jahrelangen Tätigkeit” erst recherchiert werden.
Als die Fragen der anwesenden Journalisten penetranter werden, wird das Pressegespräch freundlich, aber bestimmt beendet. Mehrfach wendet sich Böhm zum Gehen. Kaum zehn Minuten Fragezeit sind zu diesem Zeitpunkt verstrichen.
Neck betont abschließend erneut, dass es „keine aktuellen Fälle” gebe. Böhm wiederholt ihren Appell an die Opfer, sich bei ihr zu melden. „Haben Sie Vertrauen, sich an mich zu wenden”, sagte sie. Nur durch weitere Aufklärung könne man den Opfern helfen, die Täter straf- und kirchenrechtlich verfolgen und zukünftige Übergriffe verhindern.
Dass die Institution Kirche der richtige Ansprechpartner ist, um Missbrauch, Prügel und Demütigung aufzuklären, über die jahrelang der kirchliche Mantel des Schweigens gebreitet wurde, darf indessen bezweifelt werden. Und das gilt nicht nur für die Zeit vor über 50 Jahren. In ihrer heutigen Ausgabe berichtet die Süddeutsche Zeitung von einer Frau, die Vertrauen fasste, sich an das Bistum wandte und einen Verdacht von sexuellem Missbrauch durch einen Priester schilderte. Die Reaktion: Sie erhielt vom Rechtsanwalt des verdächtigen Pfarrers eine Unterlassungserklärung. Das war im Jahr 2003. „Der betreffende Pfarrer hat ja immer noch Kontakt mit Ministranten”, sagt die betroffene Frau im SZ-Interview.