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Das letzte Einhorn – der Untere Wöhrd verliert seine Seele

2006 wehrten sich die Wöhrdler noch gegen das fragwürdige 7-Häuser-Projekt. Einige sind mittlerweile resigniert und weg gezogen. Statt den sieben Häusern geht nach und nach ein gewachsenes Viertel baden.

Traditionswirtshaus muss Luxusbuden weichen/ Langjährige Mieter im Haus nicht informiert.

Auch wenn es nicht jedem gefällt: Das Bauen in der Welterbestadt boomt. Auch am Unteren Wöhrd, der großartige Marktchancen für Immobilienspekulanten bietet. Kurz, knapp und sachlich ist der Zettel, der im „Einhorn” – DEM Traditionswirtshaus am Unteren Wöhrd hängt: „Lieber Gast! Leider, wir schließen zum 30. Juni. Das Einhorn ist verkauft und muss einer Luxuswohnung weichen.”

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Sachlich und gleichfalls knapp bleiben auch die Wirtsleute, Bärbel Wagner und Michael Fischer: „Wir suchen ein neues Lokal, wo wir unsere Gäste wieder nach Einhorn-Art bewirten können”, sagen beide unisono. Vier Jahre haben sie die Wirtschaft betrieben, die seit 1912 ein fester Bestandteil des Wohnviertels am Unteren Wöhrd gewesen ist und auch ausdrücklich deshalb mit eingeplant worden war. Die Sozialstruktur am Wöhrd wird mit dem Abschied des Einhorn nur noch ein weiteres Stück mehr zerschlagen.
Erfolgreich wehrte man sich dort noch Ende der 90er gegen das Solar Quarter. Gegen das Sieben-Häuser-Projekt half aller Protest nichts. Fest im Fluss, Unterschriftenaktionen, mit Transparenten an den Gartenzäunen der Gründerzeithäuser – umsonst: An der Donau stehen heute uniforme, monolithische Blöcke, die entgegen aller Versprechungen der Politik gebaut werden durften. Wie ein Racheakt fürs gescheiterte Solar-Quarter-Projekt.

Jetzt gerät auch die einst noch renitente Gründerhaus-Zeile, die zwischen 1905 und 1908 entstanden ist, ins Visier von Immobilienhändlern. Einige Häuser sind bereits verkauft. Wo meist schräge Vögel, Künstler, Musiker und Studenten für günstige Mieten wohnten – jahrzentealte Sozialstruktur am Unteren Wöhrd – entstehen Schritt für Schritt hochpreisige Eigentumswohnungen.

„Das Ding ist gelaufen. Hier will jemand Geld verdienen. Dagegen hast Du keine Chance”, hört man nicht nur von Bewohnern im „Einhorn-Haus”. Die erfuhren von den Umbauplänen eines Regensburger Architekturbüros, an die der bisherige Eigentümer sein Anwesen verkauft hat, erst durch den Aushang im Einhorn. Offiziell informiert hat sie bislang noch niemand, was genau geschehen soll. Auch nicht über die bevorstehenden Umbauarbeiten in der scheidenden Stadtteilkneipe – dort soll mit dem Bau der ersten Luxusbude auch mit den Arbeiten für einen Aufzugschacht begonnen werden. Das könnte unangenehm werden für die Hausbewohner, die bislang noch nicht einmal ein Kündigungsschreiben erhielten. Das braucht es wohl auch nicht.

Mancher vermutet: „Hier wohnen einige seit Jahrzehnten. Da wird’s schwierig, sie raus zu bekommen.” Kündigungsschutz. Der würde Frau Baumgartner helfen. Sie ist jenseits der 70, am Unteren Wöhrd aufgewachsen. Heute wohnt sie im Einhorn-Haus, früher – ab den 50ern – war sie 20 Jahre lang die Wirtin im Einhorn, das damalsdie erste Wirtschaft mit Live-Musik war. Gebratene Hendl hat’s gegeben.

Reden will Frau Baumgartner nicht mit uns, als wir an ihrer Türe klingeln. „Es ist so schon schwer genug”, sagt sie freundlich, als wir vor ihrer Türe stehen. Dann geht sie zurück in ihre Wohnung, weil sie wahrscheinlich gleich zu weinen anfängt. Zwei ihrer Kinder wohnen in demselben Haus. Sie kennt hier jeden Nachbarn. Gekündigt werden kann sie nicht so leicht – doch Lärm und Schmutz bei den Bauarbeiten für Luxuswohnung und Aufzugschacht werden das ihre tun, um sie mürbe zu machen. Ebenso die anderen Bewohner. Nach außen behält das Einhorn-Haus weiter seinen Charakter, auch wenn der Biergarten zur Privat-Terrasse wird. Die Fassade steht unter Denkmalschutz, ebenso das Ensemble der Gründerhaus-Zeile.

Die bunte Struktur an Bewohnern am Wöhrd, die sich meist alle kennen, sich zu Gartenfesten, zum Grillen an der Donau oder ins Einhorn einladen, zerfällt mit dem neuen Bauprojekt stetig weiter und wird im Lauf der Zeit so uniformistisch, gleichförmig und langweilig sein, wie die sieben Häuser in der Donauau. Mit denen hat das Ganze angefangen. Und weil der für den Wöhrd versprochene Bebauungsplan bis heute fehlt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch das Donauufer zur Privat-Terrasse wird. Bauen im Welterbe boomt. Hier lässt es sich gemeinsam verdienen…

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