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„The Walk“

Kurzfilm über das Regensburger KZ-Außenlager Colosseum sorgt in den USA für Furore

In einem Kurzfilm beschäftigt sich Filmemacher Adam Fried mit der Geschichte des KZ-Außenlagers Colosseum in Regensburg, aber auch mit seiner eigenen Entwicklung. Seine Weltpremiere feierte der Film kürzlich in New York.

Der Titel ist Programm: Bei „The Walk“ beginnt alles mit einem Spaziergang.

Der Titel ist Programm: Bei „The Walk“ beginnt alles mit einem Spaziergang.

Für seine jüdischen Wurzel hat sich Adam Fried, 53 Jahre alt, aufgewachsen in einem Vorort von Chicago, eigentlich nie interessiert. Seit der Filmemacher vor fünf Jahren nach Regensburg gezogen ist, hat sich das geändert – von Grund auf. Auslöser war die Geschichte des KZ-Außenlagers Colosseum in Stadtamhof. In einem Kurzfilm hat Fried das nun verarbeitet.

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Kürzlich feierte „The Walk“ beim SOHO International Filmfestival in New York seine Weltpremiere. Weitere Vorstellungen gab es unter anderem in Los Angeles und Chicago, wo der Zehnminüter mehrere Preise abräumte. Bei der Online-Premiere des Films nahmen vergangene Woche dann über 2.000 Zuschauerinnen und Zuschauer teil, vornehmlich aus den USA.

Der Titel „The Walk“ ist gewollt mehrdeutig. Da geht es um die Entwicklung, die Fried selbst durchlaufen hat und die auf sehr persönliche Weise nachgezeichnet wird. Es geht um den Weg, den die Insassen des KZ-Außenlagers Colosseum jeden Tag über die Steinerne Brücke zum Hauptbahnhof zurücklegen mussten.

In Regensburg wurde die Geschichte unmittelbar

Allem voran aber geht es um den Spaziergang, zu dem er sich jeden Morgen durch Regensburg aufgemacht und der alles andere überhaupt erst in Gang setzte. Vorbei an den Stolpersteinen, die an hunderten Stellen im Boden eingelassen sind, an den jüdischen Grabsteinen, die man in den mittelalterlichen Gebäuden entdecken kann und auch am Colosseum, dessen Geschichte Fried nicht kannte.

Dabei habe ihn der Zweite Weltkrieg und der Holocaust immer stark interessiert, erzählt er. Er habe viele Dokus darüber gesehen und geglaubt, dass er darüber sehr gut Bescheid wisse. Das änderte sich, nachdem er der Liebe zu seiner Tochter wegen seinen Lebensmittelpunkt nach Regensburg verlegte. Hier komme einem all das näher. Es werde unmittelbarer, sagt er.

Hier erst sei ihm bewusst geworden, wie wenig Ahnung er eigentlich habe. Die vielen Namen allein auf den Stolpersteinen und kurze Recherchen dazu. Gespräche mit Freunden, Bekannten und Nachbarn in Regensburg. „Hier ist jeder mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust irgendwie verbunden“, sagt Fried.

KZ-Außenlager sind meist völlig unbekannt

Nachdem er davon las, dass es sich beim Colosseum um ein Außenlager des KZ Flossenbürg handelt, begann er zu recherchieren. In den USA kenne man Namen wie Dachau oder Auschwitz, aber dass es Außenlager gegeben habe und wie viele davon, das sei zumindest ihm völlig neu gewesen.

Er fuhr nach Flossenbürg, von dem er zuvor nie gehört hatte. Besuchte das ehemalige Konzentrationslager, ließ es auf sich wirken. Bis heute findet er es irgendwie verstörend, dass sich in unmittelbarer Nähe eine Siedlung aus Einfamilienhäusern befindet. „Ich könnte dort nicht leben.“ Und Flossenbürg, das sei nur eines von hunderten von Außenlagern. „Wer kennt Obertraubling? Wer kennt Ebensee? Wer kennt Saal an der Donau?“

Warum waren die Gefangenen im Colosseum überhaupt hier in Regensburg, war die nächste Frage, die Fried sich stellte. Er stieß auf das Thema Messerschmitt und die Tatsache, dass Regensburg ein wichtiger Rüstungsstandort war. Willy Messerschmitt gelte in Regensburg offenbar als Held, wenn man schon eine Straße nach ihm benenne, heißt es in „The Walk“.

Die jüdischen Wurzel gewannen an Bedeutung

Je mehr Fried recherchierte, desto stärker veränderte sich sein Blick auf die Stadt, aber auch der Umgang mit seinen jüdischen Wurzeln. Früher sei es ihm egal gewesen, dass er Jude sei. Religiös sei er nie gewesen. Mittlerweile besucht er regelmäßig die Synagoge. Nicht weil er plötzlich gläubig geworden wäre, sondern „weil ich mich mich mittlerweile stärker mit meinem jüdischen Erbe verbunden fühle“.

Adam Fried lebt seit fünf Jahren in Regensburg.

Seitdem bewegt ihn auch das Thema Antisemitismus. „Meine Vorfahren stammen aus Minsk und wanderten 1926 aus. Hätten sie sich erst ein paar Jahre später dazu entschieden, würde es mich vielleicht überhaupt nicht geben.“

Antisemitismus nimmt zu

Dass sich vergangene Woche so viele Menschen für seinen Kurzfilm interessierten, das habe ihn zwar gefreut, sagt Adam Fried. Allerdings vermutet er auch, dass er unfreiwillig von der Aufmerksamkeit profitiert hat, die der Terrorangriff der Hamas auf Israel ausgelöst und auch auf das Thema Antisemitismus gelenkt hat. Das zeige, wie allgegenwärtig der Hass auf jüdische Menschen leider immer noch sei.

„Wir müssen alles dafür tun, um die Erinnerung am Leben zu erhalten, um dadurch zumindest einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“ Denn dass der Antisemitismus aktuell wieder zunehme, das merke man sowohl in Deutschland als auch in den USA. Auf offener Straße eine Kippa zu tragen, könne auch hier gefährlich werden.


Aktuell arbeitet Fried an einer längeren Dokumentation – dieses Mal über Ebensee, ein Außenlager des KZ Mauthausen. Eine längere Version seiner persönlichen Geschichte erscheint demnächst unter dem Titel „Everthing’s Kosher“. In den nächsten Wochen sind noch mehrere Vorstellungen von „The Walk“ in den USA geplant – unter anderem beim Jewish Film Festival in Santa Barbara. Seine Regensburg-Premiere feiert der Kurzfilm übrigens am 26. November, 16 Uhr, im Andreasstadel.


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Kommentare (3)

  • Andreas Hiermer

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    ein ebenso trauriger, mitreissender, wie professionell gemachter Film…die Kriegerdenkmale, Stolpersteine, Gedenktafeln, Inschriften und War Memorials, die es heute in Regensburg gibt, sind in diesem Film zu sehen, und erinnern uns und unsere Freunde, Besucher, Gäste, Urlauber und Mitmenschen an die Gräueltaten des zweiten Weltkriegs…und erinnern und ermahnen uns zum Frieden…Frieden der in Diktaturen damals wie heute kaum zu finden ist…ich würde mir einen Film wünschen, der untersucht wie es immer wieder dazu (zum Unfrieden) kommen kann und welche Rolle der Mitläufer und falsche Wahrheiten (fake news) auch immer wieder dabei spielen…die Schwachstellen der sehr jungen Weimarer Republik und ihrer genauso jungen Demokratie wurden von ihren Widersachern (Diktatoren) gezielt ausgenutzt und missbraucht…genau so wie es heute noch Bössmenschen auf der ganzen Welt tun.

  • Adlersberger Exilant

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    Ich hab mir den Film in meiner Mittagspause angeschaut und bin schwer beeindruckt. Sehr feinsinnig.
    Zu meiner Schulzeit (Abi 2013) haben wir relativ viel (es könnte immer mehr sein) mit Bezug Regensburg beim Thema Weimarer Zeit und 3. Reich dabei gehabt, von Stolpersteinen über Friedhöfe und Grabsteine bis hin zum alten jüdischen Viertel. Allerdings nur sehr wenig explizit zu Messerschmidt und Colosseum. Nur dass es letzteres gab und dass die Häftlinge immer durch die Stadt zum Bahnhof oder zu den Messerschmidt-Werken marschieren mussten. Das meiste was ich von Messerschmidt erfahren habe, weiß ich von einem alten Nachbarn.
    Dass das Thema Colosseum und Shoah in Regensburg (medial aufbereitet) durch den Film neu beleuchtet wird, finde ich großartig.
    Ein wenig bezeichnend allerdings, dass es dafür einen Impuls von außen braucht. Ich erinnere mich an die Posse um die Gedenktafel der Stadt. 2008? 2009?

    Da nochmal ein großes Lob an RD und alle Beteiligten, die sich mit diesem schweren Thema weiter kritisch beschäftigen.

  • Frank Stahlberg

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    Vielen Dank von einem ExilRegensburger, für den das Colosseum in den sechziger Jahren nur der “”Kobel” war.

Kommentare sind deaktiviert

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