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Dreigroschenoper im Antoniushaus

Gefälliger Haifisch ohne Zähne

Ein neuer Anziehungspunkt für Kulturbegeisterte soll es sein und dem Stadtosten etwas mehr Leben einhauchen. Das jedenfalls erhofft sich die Stadt Regensburg vom wieder eröffneten Antoniushaus. Nach mehrjähriger Sanierung ist das Stadttheater auf unbestimmte Zeit eingezogen – Ersatz für das renovierungsbedürftige Velodrom am Arnulfsplatz. Vergangenen Freitag feierte man nun offiziell Premiere – mit einer Neuauflage des Brecht-Klassikers „Die Dreigroschenoper“.

Katharina Solzbacher spielt Mackie Messer als kühlen und gelangweilten Gangsterboss. Foto: Martin Sigmund/ Theater Regensburg

Schon 1933, fünf Jahre nach der Uraufführung, sagte Brecht, sich selbst interviewend, auf die Frage, was den großen Erfolg der Dreigroschenoper ausmache: „Ich fürchte, all das, worauf es mir nicht ankam: die romantische Handlung, die Liebesgeschichte, das Musikalische.“ Und zu dem zuvor verwirklichten und von ihm abgelehnten Dreigroschenfilm sagte er: „Man nahm für den Film all das, was ich in diesem Stück verspottet habe, die Romantik, die Sentimentalität usw., und ließ den Spott weg. Da war der Erfolg noch größer.“ Das Theaterstück hatte ein dem Künstler höchst suspektes Eigenleben entwickelt.

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Brecht gilt als Urheber des epischen Theaters. Anstatt der Darstellung einer Scheinrealität sah der gebürtige Augsburger das Theater in der Pflicht, große gesellschaftliche Konflikte wie Krieg oder soziale Ungleichheit offenzulegen. Indem diese Konflikte durchschaubar gemacht werden, hoffte Brecht, würden die Zuschauer dazu bewegt, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern. Im Antoniushaus orientiert sich Regisseur Klaus Kusenberg allerdings nur bedingt an diesen Vorstellungen Brechts.

Viele Stolpersteine bis zur Premiere

Dennoch spiegelt die Premiere auch ein wenig den momentanen Ist-Stand wieder, in dem vor allem die Ungewissheit vorherrscht – zumindest, was den Weg zur Premiere betrifft. Bis „Die Moritat von Mackie Messer“ im neugestalteten Saal des Antoniushaus erklingen durfte, hatte man es bis zum Schluss spannend gemacht. Die Umbaumaßnahmen im Antoniushaus verzögerten sich aufgrund von Lieferproblemen und Krankheitsfällen. Der Umzug des „Dreigroschen“-Ensembles auf die neue Bühne am Mühlweg und die letzten Proben waren, begleitet von Baulärm und Handwerksverkehr, daher alles andere als leicht.

Auch die aktuelle Situation des Stadttheaters dürfte die Vorbereitung nicht einfacher gemacht haben. Kusenberg fungiert derzeit als Interims-Intendant, ehe zur kommenden Spielzeit Sebastian Ritschel übernehmen wird. Der hatte im Herbst wegen seiner Personalentscheidungen für reichlich Unruhe gesorgt. Die komplette Leitung wird ausgetauscht. Kurz vor der Premiere musste der Termin Ende Februar dann wegen Coronafällen verschoben werden. Und auch der 4. März geriet noch einmal in Gefahr. Man habe „einen Schnelltest zu viel gemacht“, sagt Kusenberg Freitagabend. Schauspielerin Marlene Hoffmann hat es im Endspurt noch erwischt.

Da ihre Rolle lediglich einen kleineren Auftritt des fast dreistündigen Abends einnimmt, konnte aber kurzerhand Esther Baar einspringen. Den Text stellenweise von Karteikarten und ihrem Handrücken ablesend, liefert sie sich als Lucy im „Eifersuchtsduell“ mit Polly Peachum (gespielt von Zelal Kapçık), eine der energiegeladensten Darbietungen des Abends.

Reduzierte Inszenierung

Unter solchen Voraussetzungen mag es kaum verwundern, dass sich die Aufführung erst einmal warm laufen und in der neuen Umgebung erst einmal akklimatisieren musste. Gerade zu Beginn fehlt den Liedern noch der Pepp und auf der Bühne eine gewisse Dynamik. Das merkt man auch den Reaktionen des Publikums an. Rund 400 Menschen, darunter zahlreiche Stadträte, sind da. Nach und nach springt der Funke zwar zumindest etwas über.

Kusenberg inszeniert die Dreigrosschenoper in mehrerlei Hinsicht eher reduziert. Das Bühnenbild besteht aus zwei drehbaren Stahlgerüsten mit zwei Ebenen. Daran klettern die Schauspielerinnen und Schauspieler ein ums andere mal hinauf und wieder herunter. Hierarchien werden deutlich. Etwa wenn Polly und Katharina Solzbacher als platinblonder, kurzhaariger Londoner Gangsterboss Mackie Messer leicht gelangweilt, etwas entnervt dabei zusehen, wie Mackies Handlanger die Hochzeitsvorbereitungen vermasseln.

Mangels Orchestergraben spielt die Musik vom Gerüst. Foto: Martin Sigmund/Theater Regensburg

Ansonsten dienen die Gerüste vor allem den sechs Musikern um die musikalische Leitung Bettina Ostermeier. Indem Kusenberg sie inmitten der Szenerie platziert, räumt er schon visuell der Musik viel Platz ein. Das Brechtsche tritt dabei in den Hintergrund. Den Schauspielern verpasst Tamás Mester zusätzlich eine sehr reduzierte Choreografie. In dieser Dreigroschenoper wird vor allem die Musik inszeniert. Den Texten kommt dabei leider allzu oft der Brechtsche Spott und der kritische Blick abhanden. Bezüge zur heutigen Zeit finden sich allenfalls am Rande. So wird mittels eines Vorhangelements beim Kanonen-Song, ohne direkt erkennbarem Bezug zur tatsächlichen Handlung, auf das rassistische Attentat von Hanau 2019 verwiesen.

Ganz ordentlicher Applaus

Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Herausforderungen und weltweiter Krisen hätte die Dreigroschenoper sicherlich mehr Potential. Manche Themen aus der Entstehungszeit sind heute nicht weniger aktuell. Doch das Thema gesellschaftlicher Ungleichheit findet nicht statt. Schade. Angesichts des Umzugs des Theaters in den Stadtosten hätte sich das aufgedrängt. Vielleicht ist das Stück aber genau dafür doch zu alt, zu oft interpretiert und analysiert. Vielleicht ist es eben ein Stück, das der Musik von Kurt Weill wegen ein heute noch gern gespielter und gesehener Klassiker für gesetzte Theaterfreunde ist – ohne das Aufrüttelnde und die Provokation Bertold Brechts. Dem Wunsch nach gefälligem Musiktheater kommt die Inszenierung Kusenbergs nach, mehr aber auch nicht. Am Freitagabend gibt es dafür mehr als nur höflichen Applaus. Die Standing Ovations-Versuche einiger weniger verfangen allerdings nicht.

Über 400 Leute kamen zur Premiere ins Antoniushaus. Foto: Bothner

Doch ist es das geeignete Stück, um im Antoniushaus einen Neuanfang zu machen? Der Saal wurde mit einer neuen Bühne und Veranstaltungstechnik versehen. Anders als früher sitzen die Gäste zudem nicht mehr alle auf einer Ebene. Ähnlich wie im Velodrom ist die Sitzreihenkonstruktion nach hinten ansteigend. In Verbindung mit der Loge, entsteht so eine einheitliche Ebene, die direkt vor der Bühne endet. Das kommt dem Theatererlebnis durchaus entgegen.

Der Saal sei die perfekte Lösung, merkt Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer zu Beginn der Premiere an. Auch ein Zelt oder eine Container-Lösung waren als Velodrom-Ersatz einmal im Gespräch. Glücklicherweise sei dann das Antoniushaus als Möglichkeit vorgeschlagen worden, so die OB. Doch 2018 trauerten viele dem ehemaligen Pfarrsaal der St. Anton Gemeinde hinterher.

Theater für den Osten oder Ostausflug fürs Theater?

Viele Jahre lang galt der 1953 fertiggestellte Hallenbau als Regensburgs preisgünstigste Kulturstätte. Kabarettisten wie Josef Hader und Hagen Rether traten hier auf oder Bands wie Element of Crime. Auch Gewerkschaften, die CSU und die IHK nutzten die etwas in die Jahre gekommene Räumlichkeit früher, ebenso Vereine mit kleinem Budget.

Ende 2018 verlängerte die Gemeinde den Pachtvertrag aufgrund der anstehenden Sanierungsarbeiten mit dem Wirt nicht mehr. Nach 26 Jahren musste Franz Treml weichen. Sein Angebot, die Sanierung in Eigenregie durchzuführen, wurde zuvor ausgeschlagen. Die für Regensburg günstigen Konditionen, zu denen am Mühlweg 13 Jugendschachturniere, Aquarienfreundetreffen und Musikabende früher stattgefunden haben, sind damit passé.

Auch deshalb wird sich erst noch zeigen müssen, ob das Antoniushaus in den kommenden Jahren ein kultureller Booster für das Ostenviertel sein kann. Das Stadttheater, dessen Logo seit kurzem auf dem Vordach des Haupteingangs prangt, muss beweisen, dass es dem Viertel ein passendes Angebot machen kann und nicht nur die bestehende Theatergemeinde für ein paar Abende im Monat aus der Altstadt herausholt.

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Kommentare (11)

  • Oberlehrer

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    Bertolt (!) Brecht. Sonst alles richtig.

  • joey

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    “Manche Themen aus der Entstehungszeit sind heute nicht weniger aktuell. ”
    Theoretisch ist auch die Entführung aus dem Serail noch aktuell für ein Bildungsbürgertum. Die Serie 4Blocks mit dem Thema Clankriminalität und deutsche Korruption, garniert mit “russischen Schlampen” und deutschen Immobilienhaien trifft das Thema aktueller und wurde offenbar gut von allen TV Zuschauern verstanden.

  • Gscheidhaferl

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    Ich kann die Kritik schon nachvollziehen. Aber wie gut / glaubwürdig käme denn überhaupt der mutmaßlich gewünschte ‘sozialrevolutionäre’ Gestus, letztlich vorgetragen von Angestellten des öffentlichen Diensts? Wäre das nicht auch irgendwie albern? Das Stadttheater ist eben keine ‘proletarische’ Institution. Ja, ich weiß, kann trotzdem funktionieren. Aber staatlich finanzierte Spielstädten und Brecht sind tendenziell eigentlich schon ein Widerspruch, oder? Ist Brecht nicht ohnehin längst zum Hofnarren degradiert worden, der nur noch gelegentlich aufgeführt wird, um sich selbst (unverbindlich und wenig fordernd) zu vergewissern, dass wir doch noch irgendwie ein kritisches Restpotenzial haben? Etwas provokant zugespitzt: Bekommt am Ende jedes Publikum vielleicht die Drei-Groschen-Oper, die es verdient?

  • da wohn i aa

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    Die Vereine mit kleinem Budget und die günstigen Gasthauspreise sind jedenfalls futsch .
    Ob es von amtlicher Seite gelingt dem ‚Stadtosten etwas mehr Leben einhauchen‘ bleibt dahingestellt, mehr Verkehr und Parkplatzsuchende gibt es auf jeden Fall.
    Da braucht es sicherlich mehr als Mut zu ‚beweisen, dass (man) dem Viertel ein (!) passendes Angebot machen kann‘

  • Werner Hinreiner

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    Einer der wichtigen und richtigen Sätze aus der Dreigroschenoper hat nach wie vor Gültigkeit: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

  • Jonas Wiehr

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    “Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank!” Dieser Satz ist noch wichtiger und richtiger.

  • joey

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    @Jonas Wiehr
    die roten Khmer haben Banken im Land erfolgreich abgeschafft. Auf welchen Banken die SED ihr Vermögen versteckt hat, ist indes noch nicht wirklich geklärt. Ich glaube, daß auch Brecht irgendwo ein Konto hatte, wie auch der Titel lügt: der Eintritt kostete nie 3 Groschen.

  • Mr. T.

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    Brecht hat viel Gutes formuliert. Er wäre wohl überracht, wie viel davon heute noch gilt – vielleicht sogar noch mehr als zu seinen Schaffenszeiten. Den für mich wichtigsten Satz lässt er im Epilog von “Arturo Ui” fallen.

  • peter sturm

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    das beste am antoniushaus ist, dass das wirtshaus mit nebenzimmer(n) wieder offen hat. u n d(!) dass vielleicht unsere big-band wieder proben kann. so etwas läßt einen die reiselustigen bildungsbürger beinahe ertragen.

  • Jonas Wiehr

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    ach joey: Brecht war kapitalistischer als so mach West-Autor. Beim Aushandeln der Tantiemen hat er Kurt Weill ganz gewaltig über den Tisch gezogen. Der Eintritt zur barocken Vorlage von Gay/Pepusch in London kostete übrigens eine zeitlang tatsächlich three pennies.

  • joey

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    der für mich beste Text(teil) von Brecht ist

    Und sie marschiern mit der Kapell
    Im Gleichschritt, langsam oder schnell
    Und blasen ihren kleinen Ton:
    Jetzt kommt er schon. (tööt)

    aus “Die große Kapitulation”.

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