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Versuchter Mord?

„Ich sah, wie meine Füße brannten.“

Vergangenen Juni wurde ein SEK-Beamter bei einem Einsatz in Regensburg schwer verletzt. Seit Dienstag muss sich deshalb ein 42-Jähriger vor dem Landgericht unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten.

Dass jemand zu Schaden kommt, habe er nie vorgehabt, beteuert der Angeklagte Markus S. vor Gericht. Foto: bm

Es sind zwei Fragen, die das Landgericht Regensburg seit diesem Dienstag im Prozess gegen einen 42-Jährigen beschäftigt. Was veranlasste den Mann dazu, vergangenen Sommer Molotowcocktails zu bauen und diese nachts aus dem Fenster zu werfen? Wie kam es in der Folge zu einem Brand im Wohnungseingang und dadurch zu den schweren Verletzungen eines SEK-Beamten? An den ersten beiden Verhandlungstagen ergeben sich aus den Einlassungen des geständigen und reuigen Angeklagten sowie mehrerer Polizeibeamter mehr Fragen als Antworten.

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Bislang bekannt ist, dass der Angeklagte Markus S. am 14. Juni um 3 Uhr morgens mindestens einen selbstgebauten Molotowcocktail aus seinem Fenster im zweiten Stock geworfen hat. Ein Busch im Innenhof des Anwesens nahe des Donaueinkaufszentrums geriet dadurch in Brand. Die Polizei rückt an, das Feuer wird gelöscht und der Beamte Christoph F. nimmt Kontakt zu Markus S. auf, der gerade am Fenster steht.

„Wollte mit hochrangigen Politikern von Berlin sprechen.“

„Ich war das“, ruft der Angeklagte laut dem Beamten und gibt auch von sich aus seinen Namen und Geburtsdatum an. Darüber, dass mittlerweile mehrere Einsatzkräfte vor dem Haus auftauchen, scheint er jedoch nicht erfreut zu sein. „Er wollte mit hochrangigen Politikern von Berlin sprechen“, erinnert sich Polizist Christoph F. am Dienstag im Zeugenstand. Er habe versucht, ihn zu beruhigen und gebeten, seine Maske abzusetzen. Vor ihm am Fenster nimmt der Beamte dann auch zwei Flaschen mit einer Zündschnur wahr.

Durch gutes Zureden gelingt es Christoph F. seinen Angaben nach, ein „freundschaftliches Gespräch aufzubauen“. Danach gefragt, was denn das konkrete Problem sei, habe ihm der Beschuldigte geantwortet, er sei mit der politischen Situation nicht einverstanden und er sei polizeibekannt. „Ich war damals erst seit kurzem in Regensburg und mir war er überhaupt nicht bekannt. Das habe ich ihm dann auch erklärt“, so der Beamte. Das Angebot, zumindest mit der Regensburger Oberbürgermeisterin zu sprechen, habe S. abgelehnt.

Langjährige Suchtproblematik

Markus S. ist laut seiner früheren Lebensgefährtin seit vielen Jahren drogenabhängig, schwerer Alkoholiker und spielsüchtig. Dass die heute 38-Jährige am Mittwoch überhaupt als Zeugin geladen ist, erklärt Richter Michael Hammer damit, dass „Sie ihn von uns allen wohl am besten kennen“. Denn von dem Vorfall selbst hat sie erst hinterher erfahren.

Bereits im Teenager-Alter sind beide ein Paar geworden. „Er war sympathisch, lustig, freundlich und ist für sein Alter sehr fest im Leben gestanden“, so die Zeugin. „Sonst hätte ich niemals vier Kinder mit ihm bekommen.“ Doch einige Jahre später habe dann das mit den Drogen begonnen, vor allem Crystal. Da sei er dann „wie verwandelt“ gewesen. Ähnlich beschreibt sie seinen Zustand unter Alkohol. „Das löst bei ihm irgendetwas aus.“ Nach 13 Jahren habe sie deshalb einfach Schluss machen müssen, auch ihrer selbst wegen. Doch man sei immer freundschaftlich verbunden geblieben.

Nach einer zweijährigen Haftstrafe habe sie ihn 2019 mit den Kindern vom Knast abgeholt. Doch die Enttäuschung sei bei ihnen groß gewesen, „als wir merkten, dass er die Strafe nur abgesessen hat“. An seinem Verhalten geändert habe er nichts. Von der Mutter sei er mit fünf, sechs Jahren „ins Heim gesteckt“ worden, ohne Erklärung. „Das hat ihm, glaub ich, in der Seele eine riesige Wunde reingerissen.“ Und die versuche er durch den Konsum zu füllen. Die Erzählungen seiner Ex-Freundin lassen bei Markus S. Tränen in die Augen steigen. Sichtlich aufgewühlt rutscht er auf seinem Stuhl unruhig hin und her, vergräbt sein Gesicht in den Händen oder blickt traurig an die Decke.

R.A.F. = Regensburgs attraktiver Fußball?

Unter Drogen habe er auch „gelegentlich von Feinden und sowas“ geredet, antwortet die Frau auf Nachfrage des Richters. „Wir alle würden Bescheid wissen.“ Später habe er dann immer mit einem „Ja, da war ich deppert“ versucht, zu beschwichtigen. Politisch interessiert sei er aber eigentlich nie gewesen und habe auch nicht so recht Ahnung gehabt.

Dass Hammer konkret nach der politischen Gesinnung und entsprechenden, auffälligen Äußerungen des Beschuldigten fragt, hat einen konkreten Grund. So soll er gegenüber den Beamten nicht nur mehrfach von „dem System“ gerdet haben, das ihm nicht mehr passe, und sich gegen den Lockdown ausgesprochen haben. An seiner Wohnungstüre hängt damals zudem ein Schild mit einem Kot-Haufen, in dem die Buchstaben „COP“ sowie darüber „R.A.F.” zu lesen sind.

Das Türschild lässt den Richter genauer zur politischen Einstellung nachfragen.

Er habe „überhaupt nichts gegen die Polizei“ und er stelle sich auch nicht gegen den Staat, erklärt Markus S. am Dienstag. Die drei Buchstaben stünden auch nicht für die Rote Armee Fraktion. „Das heißt ‚Regensburgs attraktiver Fußball‘.“

Beschuldigter öffnet sich nur langsam

Die Befragung gestaltet sich insgesamt schwierig, da der Angeklagte gerade zu Beginn immer wieder darauf verweist, er könne sich nicht mehr erinnern und wiederholt von Vermutungen spricht. Als der Richter dann mehrfach nachfragt, was denn seine letzte konkrete Erinnerung sei, wirft S. der Kammer vor, ihn unter Druck zu setzen. Ein Vorwurf den Hammer vehement von sich weist. „Ich setze Sie hier sicherlich nicht unter Druck. Aber ich tue mich schwer, nachzuvollziehen, dass Ihre Erinnerung erst einsetzt, als sie nachts am Fenster stehen und ein Polizist zu Ihnen etwas sagt.“ Viel wahrscheinlicher sei es, „dass Sie einfach nicht berichten wollen, was in der Zeit davor passiert ist“.

Sein Mandant versperre sich etwas, „da er Angst vor dem Prozess hat”, erklärt Verteidiger Dr. Jan Bockemühl.

Nach kurzem Zureden seines Verteidigers zeigt sich der Angeklagte dann etwas offener. Er habe die zehn Tage zuvor Crystal „durchkonsumiert“ und überhaupt nicht geschlafen, wiederholt er zunächst. Das sei nichts Ungewöhnliches gewesen. Nach seiner Haftentlassung 2019 habe der gelernte Maurer zwar dann wieder eine Anstellung gefunden. Mit dem Umzug in die neue Wohnung habe er endlich einen Neustart schaffen wollen. „Doch dann kam der Lockdown, ich habe meinen Job verloren und bin wieder komplett abgerutscht.“

Welche Rolle spielt die Isolation durch den Lockdown?

Die kommenden Wochen seien von Einsamkeit und der Isolation geprägt gewesen. Er habe sich viel im Internet über das Geschehen informiert und „alle möglichen Medien konsumiert“. Die tagelangen Wachphasen seien von kurzen Schlaf- und Ruhephasen abgelöst worden.

Auch zur Tatnacht äußert sich Markus S. schließlich etwas konkreter. Wieso er überhaupt Benzin an einer Tankstelle besorgt – „Ich hab ja gar kein Auto, Herr Richter“ – und damit offensichtlich mehrere Molotowcocktails angerührt hatte, das wisse er nicht. Am Nachmittag habe er zunächst noch 1,5 Gramm Crystal besorgt und das auch zum Großteil den Abend über verschnupft. Doch auch zu der Frage, wie er überhaupt an die Drogen gekommen sei, äußert er sich widersprüchlich.

Erinnerung setzt erst mit Auftauchen der Polizei ein

Genauer könne er sich tatsächlich erst erinnern, als die Polizei vor dem Haus aufgetaucht sei. Der Aufforderung des Beamten Christoph F., nichts mehr runterzuwerfen, sei er nachgekommen. Als er aber die Wohnung verlassen sollte, habe er dies abgelehnt. „Ich habe Angst gehabt, war panisch, aufgebracht und aufgedreht vom Crystal“, beschreibt der Angeklagte seinen eigenen Zustand. Er habe dann gesagt, er werde erst später rauskommen. Ein SEK-Beamter berichtet am Mittwoch, dem zweiten Prozesstag: „Er meinte er kommt um 8 Uhr aus der Wohnung und will uns dann etwas zeigen.”

Ob er die Wohnung wirklich verlassen hätte, kann niemand sagen. Bereits gegen 6.15 Uhr übernimmt am Tattag das SEK den Einsatz. Wie die Beamten in ihren Zeugenvernehmungen berichten, habe sich ein Trupp im Gang zur Türe positioniert. Der Angeklagte hat zu diesem Zeitpunkt die Rollladen an den Fenstern heruntergelassen und ein Kontakt ist zunächst nicht mehr vorhanden, als die Beamten einen intensiven Benzingeruch aus der Wohnung wahrnehmen. „Wir haben die Fenster des Hausflurs geöffnet“, so einer der SEK-Beamten, die aus persönlichem Schutz, vor Gericht keine konkreten Angaben zur Person machen.

Kammer genervt von SEK-Beamten

Hat Richter Michael Hammer dafür noch Verständnis, strapazieren weitere Lücken bei den Aussagen der SEK-Beamten die Geduld des Vorsitzenden. Immer wieder verweisen die Zeugen darauf, sie könnten sich zu dieser und jener Frage aus taktischen Gründen nicht äußern. „Anordnung der Dienststellenleitung“, heißt es auch nach telefonischer Nachfrage. „Ich werde das selbst noch einmal abklären“, gibt Hammer am Mittwoch vor der Mittagspause sichtlich entnervt zu Protokoll. Schließlich handele es sich um einen „erheblichen Vorwurf, den wir aufzuklären haben. Mit taktischen Erwägungen kann nicht jede Frage verweigert werden“.

Zumal viele der Fragen laut Rechtsanwalt Bockemühl – ähnlich sehen es Staatsanwalt Biermann und in Teilen auch Nebenklagevertreter Strassner – keine einsatztaktische Relevanz hätten und „ohnehin aus dem Vorabendprogramm den meisten bekannt sein dürften“. Konkret geht es vor allem Bockemühl um die Frage, wie die Beamten sich für ihre Einsätze kleiden. „Wenn es heißt, Molotowcocktail, dann rechnen Sie vermutlich mit Gefahr, Feuer“, unterstellt der Jurist.

Die Nachfrage, ob denn dann im Vorfeld auch auf feuerhemmende Kleidung geachtet werde, verweigern die SEK-Beamten dann. Erst der Geschädigte selbst gibt die lang ersehnte Antwort. „Das war ein Fehler, der mir unbewusst unterlaufen ist“, sagt der 30-Jährige. Er habe lediglich feuerhemmende Oberbekleidung getragen. Ein Umstand, der im Moment des Zugriffs eine nicht unerhebliche Rolle spielen soll.

Der Zugriff beginnt

Es ist kurz nach halb acht am 14. Juni 2020, als der Einsatzleiter das Signal gibt – auch die Information darüber, ob es einen Befehl zum Zugriff gab, musste sich das Gericht erkämpfen. Markus S. hat sich kurz zuvor wieder am Fenster gezeigt und mit einem Beamten im Hof ein Gespräch geführt. Wie schon der Polizist Christoph F., beschreibt auch der SEK-Beamte den Angeklagten als „sehr sprunghaft und aufgebracht“.

Mit einem hydraulischen Werkzeug schafft es das Einsatzteam die Wohnungstüre aufzubrechen, die sich halb öffnet. Warum die Türe dann wieder zugeht – das Werkzeug blockiert ein Schließen – ist bisher nicht geklärt. Zwei der Beamten wollen Markus S. gesehen haben, wie er gegen die Türe drückte. Er selbst bestreitet das und spricht von einem Luftstoß. Auch der Geschädigte, der als erster an der Türe stand und diese schließlich aufdrückte, bestätigt die Aussagen seiner Kollegen nicht. „Was der Widerstand war, weiß ich nicht. Aber als ich den Druck mit dem Unterarm erhöht habe, ging die Tür auch sofort auf.“

Plötzlich fehlt einer…

Insgesamt gestalten sich die einzelnen Aussagen zu den dann folgenden Sekunden gerade auch der Schnelligkeit der Situation wegen als schwierig. So wollen die Beamten zwar etwa 20 Zentimeter hohe Flammen im Wohnungsgang gesehen haben. Ob diese bereits beim Aufbrechen der Türe oder erst als ihr Kollege in die Wohnung stürmte ausgebrochen sind, das könne nicht mehr genau gesagt werden.

Der Geschädigte selbst gibt an, er sei mit einer Schutzdecke vor sich in die Wohnung, habe noch gesehen „wie die Zielperson um eine Ecke geflohen ist“ und wollte hinterher. „In der Mitte des Flurs war plötzlich eine Feuerwand um mich herum und ich sah, wie meine Füße brannten“, erinnert er sich. Durch die Feuerwand und die starke Rauchbildung mussten die anderen SEK-Beamten sich von der Türe entfernen. „Wir stellten dann aber schnell fest, dass einer von uns fehlt“, so einer der Männer am Mittwochvormittag. Der Geschädigte beschreibt dann, wie er sich zum Fenster raus hangelte und von dort in den Innenhof fallen ließ.

Neben Verbrennungen an den Fingern und im Gesicht sind vor allem seine Beine stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach einer erfolgreichen Hauttransplantation musste der SEK-Beamte zunächst drei Wochen in einer Spezialklinik bleiben und durchlief dann ein fünfwöchiges Reha-Programm. Seitdem habe er fast täglich Behandlungstermine, müsse die Narben gut pflegen und habe Schmerzen beim Stehen. Er hoffe aber, dass er bald wieder arbeitsfähig sei, zumindest für den Innendienst. Eine Rückkehr zur Spezialeinheit schließt er nicht aus, sofern es seine körperliche Gesundheit irgendwann wieder gestatte. Die von Markus S. bereits kurz nach der Tat per Brief geäußerte Entschuldigung bringe ihm nichts.

Warum kam es überhaupt zu dem Brand?

Der Prozess vor dem Landgericht Regensburg muss allerdings auch nach den ersten beiden Prozesstagen klären, warum es zu dem Brand im Flur der Ein-Zimmer-Wohnung gekommen ist. Der Beschuldiget selbst gibt an, er habe auf Anweisung eines Polizisten irgendwann im Laufe des Einsatzes ein Teelicht vom Fensterbereich weggestellt. Ohne konkret darüber nachzudenken, habe er die brennende Kerze dabei in den Gang neben ein mit Benzin gefülltes Gefäß gestellt.

Dieses habe er vermutlich – konkret daran erinnern könne er sich nicht – am Abend zuvor im Bad mit dem Kanister von der Tankstelle befüllt und ebenfalls ohne konkreten Beweggrund vor die Badezimmertür gestellt, die unmittelbar bei der Wohnungstüre sei. „Er wurde aufgefordert, eine Gefahr zu beseitigen, hat dadurch aber erst die konkrete Gefahr geschaffen“, erklärt bereits zu Prozessbeginn sein Verteidiger.

Laut den Beamten soll es aber zu keinem Zeitpunkt eine konkrete Aufforderung gegeben haben, eine Kerze beiseite zu stellen. Am Fenster habe man auch gar kein Teelicht wahrgenommen. Die Ursache des Brandes ist die wesentliche Fragestellung des Prozesses. Nur so lässt sich klären, ob der Vorwurf der Staatsanwaltschaft zutreffend ist und Markus S. wegen versuchten Mordes verurteilt wird. Staatsanwalt Biermann stellt in der Anklageschrift zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 in Aussicht. Der Prozess wird am 13. April fortgesetzt.

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