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Aussiger Straße

Rückendeckung für Freudenstein

Kippt der Beschluss für den Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße? Wenn es nach Bürgermeisterin Dr. Astrid Freudenstein (CSU) und dem Vorsitzenden der Sozialen Initiativen Reinhard Kellner geht, ja. Beide fordern eine dezentrale Unterbringung von Wohnungslosen. Stadt und Koalitionspartner SPD sind bisher skeptisch.

Eines der vier Gebäude, das bald abgerissen werden soll. Foto: om

„Nach unserer Meinung hat damals ja niemand gefragt“, sagt Reinhard Kellner. In einer aktuellen Stellungnahme wendet sich der Vorsitzende der Sozialen Initiativen gegen den 2020 vom Stadtrat beschlossenen Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße und plädiert für eine dezentrale Unterbringung der aktuell 131 Bewohnerinnen und Bewohner.

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Kellner wirbt für Dezentralisierung

Vor allem „im Interesse der 51 dort lebenden Kinder“ erscheine ihm ein solches Konzept besser geeignet, „um diese aus dem Teufelskreis von Armut und Vernachlässigung herauszubringen“ als ein 23 Millionen Euro teurer Neubau, so Kellner. „Aktuell können sie nur Alkoholismus und Streitereien erleben, wenn sie aus dem Fenster schauen.“ Mit dieser Positionierung stärkt der Chef der Sozialen Initiativen Astrid Freudenstein den Rücken, die sich kürzlich gegenüber unserer Redaktion für ein dezentrales Konzept und gegen einen Neubau der Notwohnanlage ausgesprochen hat. Die Sozialbürgermeisterin stellt sich damit gegen einen entsprechenden Stadtratsbeschluss und die daraus folgende Vereinbarung im aktuellen Koalitionsvertrag.

Im Februar 2020 hatte der Stadtrat den Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße beschlossen. Einstimmig. Eine Sanierung der vier Bestandsgebäude rentiere sich aufgrund der schlechten Bausubstanz nicht, hieß es damals in der Beschlussvorlage. Die 1952/53 gebauten Häuser sollen abgerissen werden. Bisher gibt es teilweise keine Toiletten in den Wohnungen, vier Wohneinheiten teilen sich Duschen im Keller, es gibt große Probleme mit Schimmelbefall.

Möchte eine dezentrale Unterbringung von Menschen ohne Wohnung erreichen: Reinhard Kellner. Foto: Bothner

Einstimmiger Beschluss

An der gleichen Stelle sollen von der Stadtbau GmbH vier neue Wohnblöcke realisiert werden. Ziel sei es laut städtischem Konzept, „mit einem zukunftsfähigen Neubau die Ausstattung des Gebäudes baulich zu verändern und einen angemessenen Wohnstandard zu erreichen, ohne den vorübergehenden Charakter einer Notwohnanlage außer Acht zu lassen.“

Einen Änderungsantrag gab es damals. Ex-Stadtrat Tobias Hammerl konnte in den Beschluss hinein verhandeln, dass die Küchenausstattung für Familien aus vier statt aus zwei Kochplatten bestehen. Für das Zubereiten einer vollständigen Mahlzeit mit Sättigungsbeilage, Fleisch oder Fisch und Gemüse würden seiner Ansicht nach mindestens drei Kochplatten benötigt. Deshalb plädiere er für vier. Sonst gab es gegen den Maßnahmenbeschluss keine Einwände. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag steht ausdrücklich zu dem Vorhaben.

Freudenstein stimmte für Neubau

Für den teuren Neubau gestimmt hat in der vergangenen Stadtratsperiode auch Freudenstein. Mittlerweile sieht die Bürgermeisterin die Sache anders. Sie spricht sich dezidiert gegen das Bauvorhaben aus und möchte stattdessen die Bewohnerinnen und Bewohner der Notwohnanlage in kleineren, dezentralen Einheiten unterbringen. Freudenstein verweist dabei auch auf andere Städte wie etwa Nürnberg.

Einem solchen Vorschlag stand ihre Vorgängerin im Amt, die heutige Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer im Februar 2020 noch skeptisch gegenüber. In einer Sozialausschusssitzung erklärte Maltz-Schwarzfischer, dass Optionen, die Notwohnanlage zu verlegen, geprüft worden seien. Doch die Realisierung eines solchen Vorhabens in einer neuen Nachbarschaft gestalte sich schwierig.

Aus den Plänen für den Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße. Foto: Stadt Regensburg

Damit sprach die SPD-Politikerin etwas an, was auch Freudenstein in der Diskussion wichtig ist: das schlechte Image, das eine Notwohnanlage mit sich bringt. Für die Sozialbürgermeisterin ist das ein wesentliches Argument gegen eine große zentrale Einrichtung. Die Aussiger Straße sei stadtbekannt als schwieriges Wohnumfeld und schlechte Adresse. Die Bewohnerinnen und Bewohner seien allein dadurch oft schon stigmatisiert, so Freudenstein im Gespräch mit unserer Redaktion. Durchschnittlich leben sie etwa sieben Jahre in der Notwohnanlage, die eigentlich nur als Übergangslösung gedacht wäre.

Stadt und Bürgermeisterin haben unterschiedliche Pläne

Als ersten Vorschlag brachte Freudenstein die heutige Asylunterkunft am Weinweg als Ersatzmöglichkeit für die Notwohnanlage in der Aussiger Straße ins Spiel. Der entsprechende Mietvertrag mit der Regierung der Oberpfalz, die die Gemeinschaftsunterkunft betreibt, soll nicht mehr verlängert werden (unser Bericht). Es sei auch denkbar, einen der beiden Containerriegel für Geflüchtete zu verwenden und den anderen für Wohnungslose, so Freudenstein. Die Stadt Regensburg ist (noch) gegen die Pläne der Bürgermeisterin.

Ein Problem, sollte die Flüchtlingsunterkunft aufgelöst werden: Geflüchtete finden auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Regensburg oft keine neue Bleibe. Wenn es nach Freudenstein geht, soll aber niemand sein Obdach verlieren. Es sei „eine Kraftanstrengung“ anerkannte und geduldete Flüchtlinge, also solche, die in der Gemeinschaftsunterkunft grundsätzlich auszugsberechtigt oder sogenannte „Fehlbeleger“ sind, in den regulären Wohnungsmarkt zu integrieren, so die Bürgermeisterin. Das sind knapp die Hälfte der derzeit 76 dort lebenden Menschen.

Wohin geht die Reise in der Aussiger Straße? Astrid Freudenstein hier mit ihrer Vorgängerin als Sozialbürgermeisterin, die heutige Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer. Foto: Staudinger/Archiv

Scoring-System der Stadtbau anpassen?

Es liege an der Stadt, der Stadtbau oder auch Genossenschaften hierbei Lösungen zu finden. Denkbar sei etwa eine entsprechende Anpassung des Scoring-Systems der Stadtbau. Dieses Punktesystem der städtischen Tochter prüft die Dringlichkeit und soziale Bedürftigkeit von Wohnungsbewerbern. Freudenstein möchte Stadtbau-Wohnungen zugänglicher für Flüchtlinge machen.

Laut Reinhard Kellner hat die Bürgermeisterin für 50 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner „eine diesbezügliche Unterstützung“ zugesagt. „Massive Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden haben auch weitere Personengruppen wie psychisch oder drogenkranke Menschen, Haftentlassene oder Frauen aus den Frauenhäusern“, so Kellner. Hierzu „soll übrigens demnächst ein Runder Tisch eingerichtet werden“.

Humboldtstraße als Vorbild

Kellner verweist darauf, dass es früher auch in der Humboldtstraße drei große Notwohnanlagen gegeben habe, die im Zuge der dortigen Stadtbaufördermaßnahmen erfolgreich aufgelöst werden konnten. Zuvor sei die Humboldtstraße ähnlich „etikettiert“ gewesen wie die Aussiger Straße. Die Erfahrung dort habe gezeigt, dass es entsprechenden, gezielten Personaleinsatz brauche, um solche Probleme zu bewältigen – Sozialarbeiterinnen und Erzieher.

Und das sei auch über mehrere Jahre notwendig. „Denn lange vernachlässigte und von der sozialen Infrastruktur her unterversorgte Menschen brauchen in neue Lebenssituationen hinein Begleitung. Damit sich vor allem ihre Kinder an neuen Orten besser orientieren und zum Beispiel in Kindertagesstätten oder Jugendzentren integriert werden können.“ So oder so dürfe man eines auf keinen Fall aus den Augen verlieren: „Familien mit Kindern müssen möglichst dezentral und getrennt von problembehafteten Alleinstehenden untergebracht werden.“

SPD-Fraktion kritisiert „mediales Vorpreschen“

Freudensteins Koalitionspartner SPD zeigt sich bislang skeptisch. „Die SPD-Fraktion wolle eine „konzeptionelle sozialpolitische Weiterentwicklung“ bei diesem Thema, „das einer grundlegenden und ausführlichen Behandlung unter Beteiligung verschiedener Fachbereiche und Akteure bedarf“, heißt es in einer Pressemitteilung Ende Mai. „Insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung und der Sensibilität der Thematik ist ein mediales Vorpreschen mit Schlagworten und der aktuellen Beschlusslage widersprechenden Ideen dabei nicht hilfreich und einer verantwortlichen Diskussion nicht zuträglich“, kritisiert SPD-Sozialpolitikerin Evelyn Kolbe-Stockert die Bürgermeisterin, ohne sie namentlich zu nennen.

So würden nach Auffassung der SPD-Fraktion „möglicherweise Hoffnungen bei Betroffenen hervorgerufen, von denen heute niemand weiß, ob sie sich erfüllen lassen“. Die Thematik eigne sich nicht für „eine politische Profilierung auf dem Rücken der betroffenen Menschen, die sich bereits in sehr schwierigen Lebenssituationen befinden.“

Die Koalition wird sich hierzu zeitnah positionieren und Stadtrat und Verwaltung über ihre Pläne in Aussiger Straße und Weinweg informieren müssen.

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Kommentare (8)

  • Madame

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    Soll ein ghetto entstehen? Unter den geflüchteten sind viele verschiedene Nationalitäten, die in ihren heimatländern schon hass, barbareien und anderes erlebt haben. Soll der gleiche zustand in deutschland wieder importiert.werden. Seit jahren ist es das gleiche bild. Semiten schreien den judenhass wie kürzlich in gelsenkirchen. Türken gegen kurden usw. Anstatt dass sie froh wären hier in ruhe leben zu dürfen, gehts immer weiter. Auch wenn verschiedene leute aufeinander treffen sind sie doch verpflichtet ihre Ressentiments zuhause zu lassen und den Gepflogenheiten des neuen landes anzupassen. So ist mit wohnen. Keine ghettos schaffen.!!!

  • Mr. T.

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    Es ist ja zu begrüßen, wenn man Menschen, die auf Notwohnungen angewiesen sind, in Zukunft dezentral unterbringen möchte, aber in der Gemeinschaftsunterkunft am Weinweg wird dies auch nicht passieren.
    Und wenn die Notwohnungen dort nicht wieder entstehen, sollten dort unbedingt sehr günstige Wohnungen mit niedrigen Zugangsschwellen entstehen. Das ist es, was weiter benötigt wird.

  • Gscheidhaferl

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    Fakt ist, dass es zu wenig günstigen Wohnraum in Regensburg gibt. Und das wird auch bis auf Weiteres so bleiben.

    Es ist daher zu befürchten, dass die Konkurrenz um günstigen Wohnraum nur noch größer und verbissener wird, wenn Frau Freudensteins Überlegungen realisiert werden. Weil das heißt ja dann, dass auch die bislang in Not- und Gemeinschaftsunterkünften lebenden Personen, sich zusätzlich um diese wenigen Wohnungen bewerben müssen.

    An sich ist die Idee einer dezentralen Unterbringung ja nicht verkehrt. Aber dafür müssen erstmal die Voraussetzungen geschaffen werden, bevor ich vorhandene Strukturen abbreche. Oder stellt sich da jemand vor, die Menschen würden sich samt ihrer grundlegenden Bedürfnisse in Luft auflösen, wenn man ihnen ihre jetzige Bleibe wegnimmt?

  • Gscheidhaferl

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    Hat sich Frau Freudenstein eigentlich schon mal überlegt, wie es jemandem geht, dem die Wohnung ohne Aussicht auf eine bezahlbare Alternative öffentlich in Frage gestellt wird? Ob ihr das am Ende vielleicht sogar egal ist? Wäre iegendwie doof, wo sie doch ‘Sozialbürgermeisterin’ ist. Aber vielleicht ist das ja auch eine Frucht der ‘Söder-Schule’, die sie durchlaufen hat…

  • Madame

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    Sozialbürgermeisterin ist Dr.freudenstein nicht. Sie wohnt selbst privilegiert. Aber keinen Neid von mir. Sie hat wahrscheinlich keine Ahnung. Regensburg hat wenig Platz für den sozialen Wohnungsbau. Die besser mit Geld ausgestatteten Leute kommen eher in den Genuss von Wohnungen. Obdachlose sozialrentner geflüchtete Harz 4 Bezieher und andere Minderheiten haben Pech in diesen d. Seit regensburg weltkulturerbe ist, sind die Preise am Immobilienmarkt gestiegen. Kann es sein dass rbg münchen sich als Vorbild nimmt. ? ES HEISST EIN STAAT WIRD AN SEINEN MINDERHEITEN GEMESSEN.

  • peter sturm

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    dem vorsitzenden der sozialen initiativen sollte man hier glauben schenken.
    für regensburg ist eine dezentrale lösung genau richtig und möglich.
    ein wohnungsamt (amt!) wäre hier sehr hilfreich.
    die stadt hat in den letzten jahren häuser geerbt die als einfache aber angemessene wohnungen geeignet wären. leider werden diese verkauft, da sich niemand bei der stadt um die vermietung kümmern will.
    einfach furchtbar!

  • Nesrin

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    Hierzulande und vor allem in dieser rückständigen Stadt wird Obdach- und Wohnungslosen regelmäßig die so genannte “Wohnfähigkeit” abgesprochen. Es wird dieser Personengruppe pauschal unterstellt nicht alleine leben zu können. Daher wird das Klientel in Notwohnanlagen abgeschoben und kann dort erst Mal jahrelang versauern. In moderneren Kommunen schaut vielleicht ab und zu ein Sozpäd nach dem Rechten.

    Anderswo wird schon seit Längerem sehr erfolgreich der Housing First Ansatz verfolgt. ( https://de.m.wikipedia.org/wiki/Housing_First )
    Dort gibt es keine zentralen Unterkünfte mehr. Die Erfolge dieses Ansatzes sprechen für sich. Insofern wäre eine dezentrale Unterbringung wünschenswert – aber bedingungslos für alle Betroffenen und nicht nur für Familien. Was eine Unterbringung im Weinweg genau an Verbesserung bringen soll erschließt sich mir nicht. Die Container sind aber zumindest menschenwürdiger ausgestattet als die Notwohnanlage in der Aussiger Straße.

    Ach ja apropos Menschenwürde: Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. Das muss man sich nicht “verdienen”, das steht einem einfach so zu.

Kommentare sind deaktiviert

drin