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Tapferkeit vor dem Freund

Johano Strasser hat eine Vision. Eine radikale Umkehr, weg vom blinden Wachstums- und Fortschrittsglauben, hin zu einer sozialeren, ökologischen und demokratischen Gesellschaft mit ebenbürtigen Beteiligungsmöglichkeiten für alle schwebt dem Präsidenten des PEN-Clubs und sozialdemokratischen Vordenker in der SPD-Grundwertekommission vor – eine „Kultur der Freiheit”. „Wer sich nicht mehr materielle Ebenbürtigkeit aller zum Ziel setzt, verlässt den Pfad der Demokratie.” In den letzten Jahren habe man bereits große Schritte in Richtung Postdemokratie gemacht, in der einige wenige mit Macht und Geld die Entscheidungen treffen, in der demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten für alle nur noch theoretisch existieren. Entsprechend fordert Strasser eine Umverteilung „von Macht, Besitz und Einkommen” von oben nach unten. Güter wie Gesundheit, Kultur, Sicherheit oder Energiegewinnung müssten zurück in die öffentliche Hand. Die „utopischen Möglichkeiten” von Automatisierung und Rationalisierung müsste zu mehr freier Zeit für alle statt immer neuen und schneller produzierten Konsumgütern führen. Das Vehikel, auf das Strasser setzt, um diese Vision in die Realität umzusetzen ist die Sozialdemokratie, mithin also die SPD. In Regensburg verweigerte sich das Gros der hiesigen Entscheidungsträger am Dienstag einer Diskussion mit dem sozialdemokratischen Querdenker. Der Dollingersaal, wo Strasser auf Einladung der Altstadt-SPD spricht, ist vielleicht zur Hälfte gefüllt. Aus dem Stadtrat sind lediglich MdL Margit Wild und Gertrud Maltz-Schwarzfischer vor Ort. Das verwundert nicht unbedingt. Denn sobald es konkret wird, tut sich durchaus ein gewisser Graben auf, zwischen dem, was Strasser als alternativlos ansieht und dem, was sozialdemokratische Praxis in Regensburg ist. Die selbst verordnete Kontaktsperre zur Linken müsse die SPD überwinden, sagt Strasser etwa. „Gnadenlose Populisten” werden sie in schöner Regelmäßigkeit von SPD-Bürgermeister Joachim Wolbergs genannt. Ernsthafte Diskussionen über Fraktionsgrenzen hinweg sind – nicht nur was die Linke angeht – ohnehin Mangelware im Regensburger Stadtrat. „Aber gerade weil in der SPD so wenig diskutiert wurde, sind viele aufrechte Sozialdemokraten zu den Linken abgewandert”, erklärt Strasser. Da helfe jetzt auch keine Dämonisierung. Ein Sozialticket – für Strasser eine Selbstverständlichkeit. „Öffentlicher Nahverkehr muss selbstbewusst subventioniert werden. Wer hier mit zu hohen Kosten argumentiert, der denkt zu kurz.” Die Regensburger SPD hat ein solches Ticket just mit dem Kostenargument abgelehnt. Auch Strasser Forderung nach einer Rekommunalisierung der Energieversorgung dürfte nicht unbedingt auf offene Ohren stoßen. Das wären nicht die einzigen Punkte, die Stoff für Diskussion geboten hätten – allein: es waren nur einige „einfache” SPD-Mitglieder, die sich am Dienstag an der Diskussion beteiligten, unterstützt von einer kleinen Gruppe Jusos. Tenor der Beiträge zu Strassers Ausführungen ist stets ein „Ja, aber”. Die Theorie ist gut, dass eine Umsetzung in die Praxis möglich ist, wird meist bezweifelt. Strasser ficht das nicht an. Er sieht darin eine in der SPD „nach wie vor vorhandene Scheu, grundsätzliche wertbestimmte Klärungen” vorzunehmen. Nach dem Desaster bei der Bundestagswahl ist Schriftsteller Strasser aber guter Hoffnung, dass sich die Sozialdemokraten nun zu einem Umdenken gezwungen sehen. „Es tut sich etwas an der Basis”, glaubt er. „Wenn die Mitglieder ihr Recht wahrnehmen.” Ihr Recht, sich einzumischen, in Entscheidungsprozesse, ihr Recht, gewählte Vertreter, die nicht im Sinne der Basis handeln, sondern unter Druck andere Entscheidungen treffen als zunächst versprochen, abzustrafen. „Leute wie Brandt und Bahr hatten eine Vision und haben sich – entgegen aller Widerstände – nicht irre machen lassen. Wäre hätte damals geglaubt, dass wir heute ein solches Verhältnis zu Polen haben?” Um solche Visionen Realität werden zu lassen, brauche es „Rückgrat”, „Lust an der Durchsetzung” – die Fähigkeit, auch der herrschenden Meinung innerhalb der Partei zu widersprechen. „Tapferkeit vor dem Freund”, nennt Strasser diese Eigenschaft. „Wenn man mit seinen eigenen Vorstellungen scheitert, ist das kein Weltuntergang. Das schlimmste Scheitern ist es, sich anzupassen und trotzdem nichts zustande zu bringen.”
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Kommentare (2)

  • Roland Hornung

    |

    Oh, schade, dass ich nicht dabei sein konnte: Herr Strasser spricht mir in vielen Dingen aus der Seele !!!

  • Mathilde Vietze

    |

    Lieber Roland, da hast Du echt etwas versäumt: Ich war von Johano Straßer bereits im Jahr 2009,
    als er vom Presseclub eingeladen war, sehr beeindruckt. Damals ging es um die 68er Jahre und ich
    habe es gut gefunden, daß Straßer hier sehr selbstkritisch war. Auch bei seinem Auftritt im Dollinger-
    saal, wo ihn die Regensburger SPD eingeladen hatte, war ich sehr angetan von seinen klaren und
    authentischen Aussagen, ohne Polemik und mit realistischer Sicht der Dinge.

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