An die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) war der offene Brief gerichtet, der bei der ersten Demonstration zum Fall Tennessee Eisenberg im November 2009 am Justizgebäude übergeben wurde. Er blieb folgenlos. Sie habe keinen Anlass zur Skepsis, was die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft anbelangt, ließ die CSU-Politikerin verlauten. Bei der morgigen Demonstration (Beginn: 17 Uhr am Domplatz) soll nun ein Brief an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eingeworfen werden. Ein unabhängige Beschwerdestelle für Opfer von Polizeigewalt und eine Kontrollinstanz für die Arbeit der Staatsanwaltschaft. Wir dokumentieren das Schreiben in voller Länge.
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger,

Der gewaltsame Tod von Tennessee Eisenberg durch Polizeikugeln am 30. April 2009 hat viele Menschen erschüttert. Die damaligen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden deutlich kritisiert, Vertuschungsvorwürfe standen im Raum. Auch Sie selbst äußerten sich im September gegenüber der SZ besorgt: „Es gibt mir sehr zu denken, dass es eines zweiten, privaten Gutachtens bedurfte, um diesen Vorfall zu klären“.
Von einer Klärung kann allerdings keine Rede sein, denn dieses zweite Gutachten wird äußerst unterschiedlich interpretiert. Appelle der Bevölkerung, den Sachverhalt daher vor ein Gericht – also eine neutrale Instanz – zu bringen, blieben ohne Wirkung: die Staatsanwaltschaft Regensburg hat die Ermittlungen im Dezember eingestellt, eine Beschwerde dagegen wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg am 26. März 2010 abgewiesen.
Die Bayerische Justizministerin Frau Dr. Merk sah trotz zahlreicher Widersprüche und Einwände – insbesondere seitens der Anwälte der Hinterbliebenen – dennoch „keinen Anlass zur Skepsis“ an der Arbeit der Staatsanwaltschaft.
Aber nicht nur Michael Lerchenberg – der vielen Bayern in dieser Sache am Münchner Nockherberg aus dem Herzen sprach – sondern auch unabhängige Fachleute sehen das anders: Der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg, Prof. Dr. Müller, nach dessen Ansicht die Staatsanwaltschaft im Dezember um eine Anklage „kaum noch herum kommen“ konnte, bezeichnete die Verfahrenseinstellung als „einigermaßen überraschend“ und keine „Rechtsfrieden stiftende“ Entscheidung.
Wir haben das Bayerische Justizministerium gebeten, einen Vertreter zu einer öffentlichen Diskussion mit Prof. Dr. Müller zu entsenden. Diese Bitte wurde ohne Angabe von Gründen abgewiesen. Es verstört uns, dass man sich mit unseren Sorgen an verantwortlicher Stelle offenbar nicht auseinandersetzen möchte, während selbst der US-amerikanische Human Rights Watch Bericht den Fall Eisenberg als möglichen Verstoß gegen die Menschenrechte auflistet.
Wir fragen Sie daher: Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um unser beschädigtes Vertrauen in das Funktionieren unserer Strafverfolgungsbehörden wiederherzustellen? Sind Sie bereit, sich nachdrücklich für die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Fälle von Polizeigewalt einzusetzen, wie sie in verschiedenen Varianten in zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern bereits besteht und wie sie Menschenrechtler schon lange auch für Deutschland anmahnen? Wir halten das für notwendig, denn aus unserer Sicht hat die Aufsichtsbehörde über die Staatsanwaltschaft – das Bayerische Justizministerium – im Fall Eisenberg in verstörender Art und Weise versagt und das Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens – wie es die Anwälte der Familie Eisenberg auch anstreben – stellt dabei keine ausreichende Lösung dar. Die Hürden für einen solchen Schritt sind unverhältnismäßig hoch, was sich nicht zuletzt darin zeigt, welch eine Rarität solche Verfahren sind. Wir fordern Sie daher auf, zu handeln! Durch eine Demonstration an Tennessees Todestag in Regensburg wollen wir dieser Bitte Nachdruck verleihen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Bürger