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Archiv für 6. Februar 2014

Polizei setzt auf harte Linie

Anzeigenflut gegen Nazi-Blockierer

Nach der Eskalation bei der Auflösung einer NPD-Blockade im September in Regensburg setzt die damals scharf kritisierte Polizeiführung nun auf eine harte Linie. Seit wenigen Tagen laufen gegen bis zu 20 Personen, die an der friedlichen Sitzblockade teilgenommen haben sollen, Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Nötigung. Der Strafrechtler Dr. Jan Bockemühl rät den Betroffenen, sich „zu einer breiten Phalanx zusammenzuschließen und die Sache durchzufechten“.

Kriminalisierung von Nazi-Gegnern: Die Teilnehmer der friedlichen Sitzblockade im September werden jetzt der Nötigung beschuldigt.

Kriminalisierung von Nazi-Gegnern: Die Teilnehmer der friedlichen Sitzblockade im September werden jetzt der Nötigung beschuldigt.

Es war das unschöne Ende eines eigentlich erfolgreichen Tages. Als die NPD am 5. September 2013 mit ihrem Truck nach Regensburg kam, um auf dem Domplatz ihre Hetzreden zu schwingen, gab es breiten gesellschaftlichen Widerstand. Mindestens 2.000 Regensburgerinnen und Regensburger – von der Antifa bis zur CSU – demonstrierten gegen das kleine Häuflein von Neonazis.

Als die NPD schließlich den Domplatz verlassen wollte, versperrten Dutzende Menschen deren Tross den Weg und ließen sich zu einer Sitzblockade nieder. Hunderte weitere Demonstranten blieben auf dem Domplatz stehen.

Gewaltsame Räumung war Thema im Landtag

Nach mehreren erfolglosen Aufforderungen per Lautsprecher, die Straße freizugeben, räumte die Polizei die Blockade schließlich mit Gewalt. Pfefferspray und Schlagstöcke kamen dabei auch gegen unbeteiligte Passanten zum Einsatz. Es gab mehrere brutale Festnahmen. Die durchaus riskante Einsatzstrategie, den NPD-Tross im Zentimeterabstand durch die Menschenmassen zu führen war Thema einer Landtagsanfrage. Sowohl die Polizeiführung wie auch das Innenministerium nahmen Stellung.

Seitdem liefen elf Ermittlungsverfahren: sieben gegen Demonstranten und vier gegen Polizeibeamte. Das war bis vor wenigen Tagen der Stand der Dinge.

Ein Rippenbruch, Gehirnerschütterung, Prellungen: "Kollateralschäden" einer Festnahme, bei der nicht einmal Personalien aufgenommen wurden. Foto: red

Ein Rippenbruch, Gehirnerschütterung, Prellungen: “Kollateralschäden” einer Festnahme, bei der nicht einmal Personalien aufgenommen wurden. Foto: red

Doch nun scheint die Polizei auf eine harte Linie zu setzen: Gegenüber unserer Redaktion bestätigte das Polizeipräsidium, dass „gegen zehn bis 20 Personen“ Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Nötigung laufen. Uns liegen bislang acht Vorladungen zur Beschuldigtenvernehmung vor.

Darin heißt es unter anderem:

„Es wird Ihnen zur Last gelegt, sich am 05.09.2013 in Regensburg an einer Sitzblockade beteiligt zu haben, die letztlich zur Folge hatte, dass Versammlungsteilnehmer der NPD, nach Beendigung ihrer angezeigten Versammlung auf dem Domplatz, mit einiger Verspätung abreisen konnten.“

Ermittelt wird bislang gegen Personen, die im Nachhinein über die Kameraufnahmen identifiziert werden konnten. „Im Verlauf der Ermittlungen können es auch noch mehr werden“, so ein Polizeisprecher.

Mindestens 100 Menschen theoretisch betroffen

An der Sitzblockade hatten sich mindestens 100 Menschen beteiligt. Darunter auch mehrere Lokalpolitiker, mehrere Ortsvorsitzende der Regensburger SPD, der damalige FDP-Kreisvorsitzende Michael Feil. Oder auch mehrere Mitglieder der Piratenpartei. Einer von ihnen ist Thoralf Will, damals Bezirksvorsitzender und Landtagskandidat.

Will hatte unmittelbar nach dem Einsatz die Polizei scharf kritisiert und auch Strafanzeige erstattet. „Ich habe damals mehrere Stunden im Krankenhaus verbracht. Dort wurden diverse Prellungen diagnostiziert, die mir ein Polizeibeamter beigebracht hat, indem er mir von hinten in Waden und Oberschenkel getreten hat, als ich einem liegenden Demonstranten aufhelfen wollte, den sie in die Menge geworfen haben“, erinnert er sich. Am Mittwoch flatterte ihm nun eine Vorladung ins Haus. Für Will ist das Schreiben „blanker Hohn“. „Statt sich um Aufklärung zu kümmern und die erbärmliche Vorstellung der Polizei einigermaßen wieder ins Lot zu bringen, reiten sie sich nun noch weiter rein und blamieren sich bis auf die Knochen.“

Der NPD-Lkw und die beiden Busse fuhren im Zentimeterabstand durch die Menschenmassen. Foto: Herbert Baumgärtner

Der NPD-Lkw und die beiden Busse fuhren im Zentimeterabstand durch die Menschenmassen. Foto: Herbert Baumgärtner

„Anzeigenflut ist ein Ablenkungsmanöver“

Ebenfalls zur Vernehmung eingeladen wurde DGB-Gewerkschaftssekretär Andreas Schmal. Er sagt: „Sich Nazis in den Weg zu stellen ist, auch wenn dies für die Kollegen von der Polizei einen längeren Einsatz bedeutet, legitim und demokratische Pflicht.“ Jetzt, so Schmal weiter, solle „mit einer Anzeigenflut von der tendenziell unsouveränen Vorgehensweise der Einsatzleitung abgelenkt werden“.

Rät, die Sache durchzufechten: Dr. Jan Bockemühl. Foto: archiv

Rät, die Sache durchzufechten: Dr. Jan Bockemühl. Foto: archiv

Eine rechtliche Handhabe hat die Polizei durchaus. Eine Blockade an sich ist zwar keine Nötigung, allerdings gibt es Spitzfindigkeiten. „Den Blockierern wird vermutlich zur Last gelegt werden, dass sie den vorausfahrenden Bus als Tatmittel benutzt haben, um den dahinter fahrenden NPD-Truck aufzuhalten“, sagt der Regensburger Strafrechtler Dr. Jan Bockemühl. Grundlage für diesen Vorwurf ist die sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“. Diese fuße auf einer „unsäglichen Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom März 2011. „Ich halte diese Entscheidung für falsch und sie ist auch nicht unumstößlich.“ Den Betroffenen rät Bockemühl jetzt, sich zusammenzutun und die Sache mit ihren Rechtsanwälten „in einer breiten Phalanx“ durchzufechten.

Betroffene schließen sich bereits zusammen

Die ersten Schritte dafür sind offenbar bereits eingeleitet. Auf Facebook haben sich mehrere Betroffene zu einer Gruppe zusammengeschlossen. Das Bündnis „Kein Platz für Nazis“ rät Empfängern des polizeilichen Schreibens, sich nicht gegenüber der Polizei zu äußern.

„Wir bitten euch, Kontakt mit uns aufzunehmen, wenn ihr auch so einen Brief bekommen habt. Gemeinsam können wir uns weitere Schritte (politisch als auch juristisch) überlegen.“

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