Ein manipulatives Machwerk
Der Holocaust-Überlebende Ernst Grube ist über die aktuelle Stellungnahme zu NS-Bürgermeister Hans Herrmann entsetzt. Tatsächlich gehen dessen Verfasser Werner Chrobak und Bernhard Löffler mit den Fakten sehr selektiv um. Allzu Belastendes wird einfach weggelassen oder beschönigt.

„Aus dieser Stellungnahme erfährt man nichts.“ Ernst Grube ist nach Lektüre des von Chrobak und Löffler verfassten Pamphlets entsetzt. Foto: as
„Wie kann man als ernstzunehmender Historiker so einen Larifari zusammenschreiben?“, fragt der Holocaust-Überlebende Ernst Grube. Der 82jährige ist Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung bayerische Gedenkstätten. Über die kürzlich veröffentlichte Stellungnahme zu dem Regensburger NS-Bürgermeister Hans Herrmann, die Stadtheimatpfleger Werner Chrobak und Professor Bernhard Löffler verfasst haben, ist Grube entsetzt.
Der Arisierer Herrmann kommt in der Stellungnahme nicht vor
Als Kind hat Grube die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der Juden im NS-Staat am eigenen Leib erfahren. Das Haus, in dem er mit seiner Familie in München lebte, wurde 1938 arisiert, enteignet. Seine Eltern fanden nicht sofort eine neue Bleibe. Über vier Monate musste sie in einer Wohnung leben, bei der die Behörden Wasser, Strom und Heizung abgestellt hatten. „Das hat nicht die NSDAP gemacht. Das waren die Verantwortlichen in den kommunalen Ämtern und Behörden. Und das sind meine persönlichen Erinnerungen, die hochkommen, wenn jetzt über einen Menschen diskutiert wird, der damals in verantwortlicher Stellung gearbeitet und entschieden hat“, sagt Grube. „Ob er dabei aus innerer Überzeugung gehandelt hat oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Er hatte die Verantwortung.“
In Regensburg war Hans Herrmann als zweiter Bürgermeister unter anderem verantwortlich für die Arisierungen, für die Enteignung jüdischer Unternehmer und von über 20 Wohnhäusern. In der Stellungnahme wird dieser Umstand mit keiner Silbe erwähnt. Das Wort Arisierung kommt darin nicht einmal vor.
Groß forschen hätten Chrobak und Löffler nicht müssen, um diesen Umstand herauszufinden. Im Standardwerk zur Regensburger NS-Geschichte, „Stadt unterm Hakenkreuz“ von Helmut Halter, wird die Rolle Hans Herrmanns akribisch aufgearbeitet. Tatsächlich geben Chrobak und Löffler dieses Buch zwar als eine der Quellen an, die sie für ihre Stellungnahme herangezogen haben. Allerdings wird Halter in der Stellungnahme nicht ein einziges Mal zitiert – im Gegensatz etwa zu Erzbischof Michael Buchberger, der für Löffler und Chrobak eine Art Oberhistoriker und über jeden Zweifel erhaben zu sein scheint. Entscheidende und von Halter akribisch aufgearbeitete Fakten, insbesondere solche, die das Bild Hans Herrmanns negativ beeinflussen könnten, fallen immer wieder unter den Tisch, während positiven Eigenschaften oder (scheinbar) Entlastendem weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Kirchenbesuche als Entlastung
Auffällig ist etwa die mehrfache Betonung von Herrmanns katholischem Glaubens. Selbst seine Kirchenbesuche werden zur Entlastung herangezogen, so als ob gläubige Katholiken gar keine Nazis oder NS-Unterstützer gewesen sei könnten. So, als ob es keine Katholiken in führenden Positionen gegeben hätte. Und eine solche führende Position hatte auch Herrmann inne.
„Es wird mit keinem Wort erwähnt, dass jede Enteignung jüdischen Eigentums über Herrmanns Schreibtisch gegangen ist“, sagt Grube, der sich als Wahl-Regensburger schon früher mit dem wandelbaren Politiker (BVP – NSDAP – CSU) beschäftigt hat. „Dabei hatte diese Arisierung eine brutale Bedeutung: Sie hat die Existenz der Menschen zerstört. Sie hat den Lebensraum genommen. Sie war Bestandteil der systematischen Ausgrenzung, ohne die es keine Deportationen und keinen Holocaust geben hätte können“, sagt Grube.

Ein Bürgermeister für jedes System: Hans Herrmann um 1949. Foto: Staatliche Bibliotheken/ Stadt Regensburg
Doch eine entsprechende Einordnung dieser Funktion Herrmanns nehmen Chrobak und Löffler lediglich am Ende und eher summarisch vor. An einer Stelle versteigen sie sich sogar zu der Formulierung, dass es „nur schwer vorstellbar“ sei, „dass Herrmann in dieser Funktion nicht Einsicht in Verlaufs- und Entscheidungsprozesse besaß, die zumindest mittelbar auch den Unrechtsmaßnahmen des Regimes administrativ zugearbeitet haben“. Das liest sich so, als ob Herrmann nicht selbst Herr seines Handelns gewesen wäre, als ob er nicht in leitender Funktion diese Unrechtsmaßnahmen aktiv durchgeführt und gestaltet hätte. „Da wird ein Außenstehender konstruiert“, sagt Grube. „Dabei war Herrmann zweiter Bürgermeister. Er war unter anderem zuständig für Verwaltung, Verkehr, Grundstücksangelegenheiten. Er war in verschiedenen Aufsichtsräten. Er war über alle relevanten Sachen informiert. Wie kann man also auch nur andeuten, dass er irgendetwas nicht mitbekommen haben könnte?“
„…um Schlimmeres zu verhindern.“
Das kann man durchaus. Und noch Manches mehr. Weitgehend unkritisch wird etwa in der Stellungnahme die bei Entnazifizierungsverfahren gängige Schutzbehauptung Herrmanns übernommen, er habe sein Amt als Bürgermeister nur übernommen, „um Schlimmeres zu verhindern“.
„Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, ärgert sich Grube. „Wenn man das Schlimme kennt, also die Entrechtung, die Isolierung und die Ausgrenzung der Juden. Was wäre denn schlimmer gewesen? Was hat er den verhindert? Er hat noch die Voraussetzungen für Messerschmitt geschaffen, um Waffen zu produzieren und den Krieg zu verlängern. Schlimmeres verhindern – wie kann man so eine Formulierung da hinein bringen?“
Wieder an anderer Stelle sind sich Chrobak und Löffler quasi sicher, dass Herrmann ein Mensch „mit gesamtgesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein und auch mit direktem Einsatz für Mitbürger“ gewesen sei. „Für seine jüdischen Mitbürger hat er sich nicht eingesetzt“, sagt Grube dazu. „Was hätte Herrmann denn verloren, wenn er diesen Posten nicht übernommen hätte? Er hätte als Rechtsanwalt arbeiten müssen. Er hätte an Leib und Leben nichts verloren. Es wäre ihm nichts passiert. Aber einer, der bei jedem System buckelt, dem geht es um was anderes. Der hätte überall und an jeder Stelle für das System gearbeitet. Wie kann man einen Menschen, der sich wie der Untertan aus Heinrich Manns Roman verhält so beschönigend darstellen?“
Insgesamt fallen Chrobak und Löffler hinter die Anforderungen des Kultusministeriums zurück. Dessen Stellungnahme vom Juli 2013 hatte die neuerliche Debatte um Hans Herrmann als Regensburger Schulpaten überhaupt erst ausgelöst. Kultusminister Ludwig Spaenle hatte dabei insbesondere angeregt, zu prüfen, ob und inwiefern sich Herrmann in der Nachkriegszeit zu seiner Rolle im NS-Regime geäußert oder diese kritisch reflektiert habe. Diese Fragestellung wird in der Stellungnahme nicht einmal aufgeworfen.
Herrmanns Einsatz für den NSDAP-Gruppenleiter wird verschwiegen
Tatsächlich ist keinerlei Äußerung Herrmanns dazu dokumentiert, schon gar keine Distanzierung. Im Gegenteil: Im Nachhinein gab er mehrfach den Entlastungszeugen für Kumpels aus früheren NS-Tagen. Dem Nazi-Oberbürgermeister Otto Schottenheim verschaffte Hans Herrmann gegen den Widerstand des Regensburger Stadtrats seine Pension. Und für NSDAP-Kreisgruppenleiter Wolfgang Weigert organisierte Herrmann schließlich Gelder aus seinem Verfügungsfonds als CSU-Oberbürgermeister. Bezeichnenderweise wird auch dieser Umstand in der Stellungnahme verschwiegen. Herrmanns Verhalten wird mit Blick auf Weigert beschönigend dargestellt.
„Aus dieser Stellungnahme erfährt man so gut wie nichts.“
Es gehe nicht darum, Herrmann jetzt im Nachhinein strafrechtlich zu belangen oder zu verurteilen, sagt Grube. Als Holocaust-Überlebenden, der oft an Schulen zu Gast ist – unter anderem ist Grube Pate des Regensburger Albrecht-Altdorfer-Gymnasiums – geht es ihm um die pädagogische Sicht.
„Wenn ich an Schulen bin, dann versuche ich Jugendlichen immer die Zeit vor 1941 nahezubringen – den Prozess der Ausgrenzung, Diffamierung und Entrechtung. Sie sollen in die Lage kommen, selber entscheiden zu können, wie sie sich etwa beim Umgang mit Flüchtlingen, bei der Einhaltung von Menschenrechten verhalten. Auch mal gegen Widerstände. Und auch mal nicht in Einklang mit der Obrigkeit.“ Vor diesem Hintergrund, so Grube, könne ein Mensch der bei den Nazis in führender Funktion gewesen sei, der mitgemacht und aktiv gehandelt habe, kein Vorbild sein. „Leider erfährt das mit dieser Stellungnahme niemand. Da erfährt man so gut wie nichts.“
Vielleicht sollte die Stadt Regensburg Interessierten und insbesondere der Schulfamilie an der Hans-Herrmann-Schule eher das Buch von Helmut Halter ans Herz legen, als das aktuell vorliegende Machwerk. Vielleicht sollte die Schule aber einfach mal Ernst Grube zu sich einladen. „Ich würde gerne kommen“, sagt er.