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Archiv für 10. Dezember 2013

"Rechtsmissbräuchlichkeit drängt sich auf"

Wie die Porno-Abmahner rechnen

Ein Unternehmen mit dem bescheidenen Stammkapital von 80.000 Euro verursacht Rechtsanwaltskosten von 8,5 Millionen Euro und Ermittlungskosten von 3,5 Millionen Euro, um einen Schaden von 770.000 Euro geltend zu machen. Klingt das seltsam? Geht da alles mit rechten Dingen zu? Ist das nicht ein wenig merkwürdig? Mag sein, aber genau das steckt hinter der neusten Abmahnwelle der „Porno-Pranger“-Kanzlei Urmann + Collegen (U+C).

Abmahnpost von U+C? Nichts unterschreiben, raten Regensburger Fachanwälte.

Abmahnpost von U+C? Nichts unterschreiben, raten Regensburger Fachanwälte.

Vorneweg eine Warnung: Derzeit kursieren auch Abmahn-Emails, die vermeintlich von U+C stammen sollen. Tatsächlich handelt es sich um (in diesem Fall offensichtlichen) Betrug. Die Mails stammen auch nicht von U+C. Auf keinen Fall den Anhang öffnen. Es handelt sich mutmaßlich um einen Trojaner oder sonstige Schadsoftware. Die echten Abmahnungen kommen per Post.

Doch nun zurück zu Urmann und Collegen (U+C) und ihrer neusten Geschäftsidee.

Wie berichtet, werden die vermeintlichen Betrachter vermeintlich raubkopierter Pornofilme auf der Streaming-Plattform Redtube.com derzeit im großen Stil durch die berühmt-berüchtigte Regensburger Kanzlei abgemahnt.

Woher kommen die Nutzerdaten?

Auftraggeber ist die „Archive AG“ mit Sitz in der Schweiz. Nach wie vor ist unklar, wie die Kanzlei an die IP-Adressen der Abgemahnten gekommen ist. Diese wurden möglicherweise illegal beschafft. Wie genau, ist bislang nicht geklärt.

Tauschbörse mit Streaming verwechselt?

Bemerkenswert auch: Das Kölner Landgericht, das dem Auskunftsersuchen der Kanzlei stattgegeben und die Adressen der vermeintlich illegalen Porno-Gucker herausgegeben hat, ging möglicherweise von falschen Voraussetzungen aus. Sie scheinen die Streaming-Plattform Redtube – dort sieht man sich Filme an – mit einer illegalen Tauschbörse – dort lädt man Filme herunter – verwechselt zu haben.

"Rechtsmissbräuchlichkeit drängt sich geradezu auf", sagt IT-Rechtler Markus Baron von Hohenau.

“Rechtsmissbräuchlichkeit drängt sich geradezu auf”, sagt IT-Rechtler Markus Baron von Hohenau.

Schuld daran scheint insbesondere die Formulierung des Antrags gewesen zu sein, mit dem um Auskunft ersucht wurde. „Das muss ein Richter schon sehr genau lesen, um zu merken, dass es sich bei Redtube nicht um eine Tauschbörse handelt“, sagt der Regensburger IT-Rechtler Markus Baron von Hohenau.

50.000 Abmahnungen geplant?

Durch eine Anfrage des Regensburger Wochenblatts wurde zudem heute bekannt: Beim Landgericht Köln wurden von den Abmahnprofis insgesamt 100 Anträge auf Auskunftsersuchen gestellt. Pro Antrag seien die Adressen von 400 bis 1.000 Betroffenen abgefragt worden.

Von Hohenau rechnet vor, was das bedeutet: „Wenn man niedrig geschätzt von 500 Adressen pro Antrag ausgeht, dann käme man auf 50.000 Abmahnungen, die beabsichtigt waren.“ Rechnet man auf dieser Basis Anwaltsgebühren, Ermittlungskosten und schließlich den abgemahnten vermeintlichen Schaden hoch, kommt man auf folgende Zahlen:

Ein Unternehmen wendet 8,5 Millionen Anwaltsgebühren plus 3,5 Millionen Euro Ermittlungsgebühren auf, um einen Schaden von 770.000 Euro geltend zu machen. Dieses Unternehmen, die „Archive AG“, in deren Auftrag U+C arbeitet, verfügt aber gerade einmal über ein Stammkapital von 100.000 Schweizer Franken, umgerechnet rund 80.000 Euro.

„Rechtsmissbräuchlichkeit drängt sich geradezu auf“

„Das macht doch keine vernünftige Firma. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahnung drängt sich daher geradezu auf“, sagt von Hohenau. „Ich denke nicht, dass das noch lange gutgehen wird. Urmann und Collegen bewegen sich auf immer dünnerem Eis.“

Das Landgericht Köln hat, laut Wochenblatt, zwar lediglich 20 Prozent der Auskunftsersuchen stattgegeben (UPDATE: Entgegen der Berichterstattung des Wochenblatts wurden 89 Anträge beim Landgericht Köln eingereicht, 62 davon gaben verschiedene Kammern des Gerichts statt, 27 Anträge wurden abgelehnt; es geht also um weit mehr als 10.000 Abmahnungen), doch das sind immer noch mindestens 10.000 Abmahnungen, die verschickt wurden. Dutzende davon sind auch bei von Hohenau auf dem Schreibtisch gelandet. Bei Nils Pütz, Regensburger Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Urheberrecht, sieht es ähnlich aus.

Von Hohenau wie auch Pütz warnen die Betroffenen eindringlich davor, zu zahlen. Vor allem solle man auf keinen Fall die geforderte Unterlassungserklärung unterzeichnen. „Damit geht man das unkalkulierbare Risiko einer hohen Vertragsstrafe ein.“

Anwälte raten zu modifizierter Unterlassungserklärung

Pütz und Von Hohenau gehen – wie das Gros ihrer Kollegen – davon aus, dass sich die Betroffenen nichts zuschulden haben kommen lassen. „Ich kann keinen Rechtsverstoß im Ansehen von Pornofilmen im Internet auf einer Plattform erkennen, welche mit dem freien Zugang, Einhaltung der Urheberrechte und kostenlosen Filmen wirbt“, so Pütz. Reagieren solle man indes dennoch. „U+C wird möglicherweise versuchen, Einstweilige Verfügungen bei verschieden Gerichten zu erwirken. Und möglicherweise gibt es Richter, die diesem Ansinnen recht geben“, sagt von Hohenau. Dann müsse man das vor Gericht durchstreiten und auch wenn für ihn der Fall klar sei, bestehe immer das Risiko, zu verlieren.

Rechtsanwalt Nils Pütz: „Ich kann keinen Rechtsverstoß im Ansehen von Pornofilmen im Internet auf einer Plattform erkennen, welche mit dem freien Zugang, Einhaltung der Urheberrechte und kostenlosen Filmen wirbt.“

Rechtsanwalt Nils Pütz: „Ich kann keinen Rechtsverstoß im Ansehen von Pornofilmen im Internet auf einer Plattform erkennen, welche mit dem freien Zugang, Einhaltung der Urheberrechte und kostenlosen Filmen wirbt.“

Pütz rät zu „einer modifizierten Unterlassungserklärung, die von einem Anwalt abgefasst wird.“ In jedem Fall solle man aber bereits im Vorfeld die Kosten abklären, die Pütz und Hohenau in diesem Fall auf „unter 100 Euro“ beziffern. „Das kann allerdings von Anwalt zu Anwalt stark variieren.“

„Sittenwidrig“ und aus „verwerflicher Gesinnung“

Mehrere Rechtsanwälte, die wir darüber hinaus befragt haben, sehen durch das Vorgehen von U+C ihren Berufsstand als Ganzes beschädigt.

Beispielhaft dafür: Das Amtsgericht Regensburg hatte die Kanzlei U+C und namentlich den Rechtsanwalt Thomas Urmann in einem Zivilverfahren wegen wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen im Juli zu Schadenersatzzahlungen an ein Abmahnopfer verurteilt (Mehr darüber).

In der Begründung bescheinigt das Gericht der Kanzlei, „sittenwidrig“ und aus „verwerflicher Gesinnung“ heraus gemeinsame Sache mit einem bekannten Internetabzocker gemacht zu haben. Das Verfahren gilt als Musterprozess, dem eine Welle von solchen Schadenersatzforderungen an U+C folgen könnten. Das Urteil ist bislang allerdings nicht rechtskräftig. Am 18. März 2014 findet die Berufung am Landgericht Regensburg statt.

Erstaunlich: Ein damit zusammenhängendes strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdacht gegen U+C hat die Staatsanwaltschaft Regensburg, wie bereits gestern berichtet, eingestellt.

Übersetzungsfehler an der Tagesordnung

Asylprozesse und die Makellosigkeit des Rechtsstaats

Der Bruder der Frau? Der Mann der Schwester? Die Schwester der Frau? Auf Basis halber und falscher Übersetzungen und Grundlage verfälschter Protokolle entscheiden Gerichte über Menschenleben. Am Montag wurden erneut mehrere Asylanträge vor dem Regensburger Verwaltungsgericht abgehandelt. Daneben ging es um die Frage, was denn der Würde eines Rechtsstaats entspricht…

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