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Mordprozess

„Eindeutig identifiziert“: Ein gefährlicher Mix in Maria Baumers Blut

Sitzt seit Dezember in Untersuchungshaft: der Angeklagte Christian F.

In Kombination können sie tödlich wirken: Zwei Medikamente, die in den sterblichen Überresten von Maria Baumer „eindeutig identifiziert“ wurden. Unklar bleibt die Dosis. Fragen wirft auch ein Blackout auf, den die 26jährige keine zwei Wochen vor ihrem Verschwinden hatte. Die Verteidigung von Baumers früheren Verlobten stellt die These in den Raum, dass sie eines der Medikamente freiwillig zur Schmerzbehandlung eingenommen haben könnte.

Lorazepam und Tramadol – dass Maria Baumer diese beiden Medikamente bei ihrem Tod im Blut hatte, möglicherweise in hoher Dosierung, scheint nach dem vierten Verhandlungstag im Mordprozess gegen ihren früheren Verlobten festzustehen. Das eine ein starkes Beruhigungsmittel, das andere ein Opiat – in Kombination können beide tödlich wirken. Man erleidet einen Atemstillstand. Die Staatsanwaltschaft wirft Christian F. vor, die 26jährige mit diesen beiden Wirkstoffen betäubt und getötet zu haben. Im September 2013 hatten Pilzsammler die sterblichen Überreste der 2012 als vermisst gemeldeten jungen Frau in einem Waldstück bei Bernhardswald entdeckt. Erst 2019 konnten durch verbesserte Untersuchungsmethoden die beiden Wirkstoffe in Haaren und zwei Kleidungsstücken von Maria Baumer nachgewiesen werden.

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In der dabei angewendeten Massenspektromie ergäben sich alle fünf Jahre „Meilensteine“, erklärt dazu die am Mittwoch vernommene Münchner Professorin für Toxikologie und Chemie. Bei der Untersuchung habe man einen „ganz hohen Level“ an Sicherheitskriterien angelegt, so die Sachverständige. Schließlich gehe es bei dem Verfahren ja um sehr viel. Sowohl Lorazepam als auch Tramadol seien dabei „eindeutig identifiziert“ worden.Verwechslungen schließt die Münchner Professorin aus.

Erstes Urteil und verdächtige Google-Suche

Bereits in Zusammenhang mit einer ersten Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs war festgestellt worden, dass Christian F. Lorazepam verwendet hatte, um seine Opfer zu sedieren. Wenige Tage vor der mutmaßlichen Tat hat der 35jährige der Anklage zufolge unter anderem nach diesem Medikament gegoogelt, in Verbindung mit „letale Dosis“ und „der perfekte Mord“.

Die Frage, wann, wie oft und in welcher Dosis Maria Baumer die Medikamente eingenommen hat, lassen sich durch diese Befunde allerdings nicht klären. Zwar seien die Funde am Slip ein gewisser Hinweis, dass es sich um eine hohe Dosis gehandelt haben könne, sagt ein weiterer Sachverständiger. Mehr aber auch nicht. Seriös könne man eine Dosis nicht beziffern.

Keine Hinweise auf freiwillige Einnahme

Wirkliche Hinweise, dass Maria Baumer diese beiden Medikamente möglicherweise freiwillig und bereits länger eingenommen haben könnte, etwa um ihre starken Menstruationsbeschwerden zu lindern, ergeben sich am Mittwoch nicht. Die junge Frau litt laut den Aussagen ihrer Frauenärztin und eines weiteren Facharztes zwar an Endometriose, einer schmerzhaften Wucherung der Gebärmutterschleimhaut. Doch trotz bohrender Nachfragen der Verteidigung verneinen beide mehrfach, dass Lorazepam ein taugliches Medikament sei, um die daraus resultierenden Schmerzen zu lindern. „Da gibt es wesentlich bessere Medikamente, auch rezeptfrei“, so ein Münchner Spezialist für Endometriose, der Maria Baumer im Mai 2012 untersucht und einen Operationstermin mit ihr vereinbart hatte. Lorazepam wirke eher sedierend als schmerzlindernd, sagt die Gynäkologin. Sie käme nicht auf die Idee, so etwas zu verschreiben.

Laut eigener Aussage habe die 26jährige gegen die Schmerzen hochdosiertes Ibuprofen genommen, jeweils 2.000 Milligramm an einem Tag im Monat, schildern die beiden Zeugen übereinstimmend. Hormone oder stärkere Medikamente habe Baumer abgelehnt, sagt ihre Gynäkologin.

Auch aus der Vernehmung ihres Hausarztes und einer Mitarbeiterin der Krankenkasse ergibt sich nichts Auffälliges. Es seien lediglich „banale Erkrankungen“ und die Verschreibung üblicher Medikamente dokumentiert.

„Ganze Latte“ an Medikamenten in der Wohnung

In der gemeinsamen Wohnung von Baumer und Christian F. wurden bei einer Durchsuchung „eine ganze Latte an neurologisch wirksamen Präparaten, Anti-Depressiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel“ sichergestellt. So beschreibt es ein Sachverständiger, der 2013 diese Medikamente eingeordnet hat, darunter auch Tavor (ein Handelsname für Lorazepam) und Tramadol, aber auch Blutdrucksenker, Präparate zur Blutdrucksteigerung, die in hoher Dosierung tödlich sein können.

Toxikologische Untersuchungen an Haaren von einem Teppich aus der Wohnung, die thematisiert werden, scheinen zumindest darauf hinzudeuten, dass der Angeklagte selbst Beruhigungs- und Schlafmittel in hohen Dosen eingenommen haben könnte. Doch für die Öffentlichkeit wird dies nicht verständlich aufgeklärt. Eine Schweigepflichtentbindung für seinen und Maria Baumers Hausarzt erteilt Christian F. nach kurzer Beratung mit seinen Verteidigern in Bezug auf seine Person nicht.

Ein Arztermin, „weil der Verlobte besorgt war“

Fragen wirft eine Untersuchung Baumers bei einem Spezialisten für Innere Medizin auf. Am 16. Mai 2012, neun Tage vor ihrem Verschwinden, sei Maria Baumer bei ihm vorstellig geworden, berichtet der Mediziner im Zeugenstand. Der Termin sei kurzfristig zustande gekommen, auf Vermittlung eines der Brüder des Angeklagten. Dieser sei selbst Arzt und man kenne sich aus Studienzeiten. Christian F.s Bruder gehöre zu seinem erweiterten Freundeskreis, so der Mediziner.

Der Anlass des Termins war ein dreistündiger Gedächtnisverlust, über den Baumer zuvor geklagt hatte. Bei der Untersuchung habe sich aber „nichts Greifbares“ ergeben, so der Zeuge. Auch nicht bei einem zwei Tage später durchgeführten MRT in einer anderen Praxis. Er selbst sei „ein bisserl ratlos“ gewesen.

Die 26jährige habe in ihrem Aufnahmebogen keine Medikamente angegeben, die sie einnehme. Für eine toxikologische Untersuchung ihres Blutes, bei der solche Medikamente hätten festgestellt werden können, habe er deshalb keinen Anlass gesehen. Aufgefallen sei ihm, dass Maria Baumer mit ihrem Blackout „relativ sorglos“ umgegangen sei. Sie komme lediglich, weil ihr Verlobter besorgt sei, habe Baumer ihm gesagt. Die Ursache des Blackouts und weitere Hintergründe bleiben damit vorerst unklar.

Bruder des Angeklagten muss den Saal verlassen

Ehe mit der Vernehmung des Arztes begonnen werden kann, gibt es eine kurze Unterbrechung. Der besagte Bruder von Christian F., der den kurzfristigen Termin vereinbart hatte, sitzt als Zuschauer im Publikum. Er hat bisher noch nicht endgültig erklärt, ob er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen will. Damit kommt er derzeit noch als möglicher Zeuge in Frage, der nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen darf. F.s Wahlverteidiger Michael Euler kündigt explizit an, den Bruder noch vernehmen zu wollen. Und so verlässt dieser nach einem entsprechenden Hinweis des Kammervorsitzenden den Gerichtssaal. Es war, inklusive der Verlesung der Anklage, der zweite Verhandlungstag, an dem er laut eigener Aussage als Zuschauer teilgenommen hat.

Nebenklagevertreterin Ricarda Lang regt zum Ende des Verhandlungstages an, mehrere abgehörte Telefonate in den Prozess einzuführen, die Christian F. mit Verwandten, darunter jener Bruder, geführt hat. Unter anderem soll der Krankenpfleger darin einräumen, des öfteren illegal Lorazepam aus der Arbeit mitgenommen zu haben. Einer Verwandten rät er, für ihr Examen Patienten zu sedieren, um es leichter zu bestehen. Im Zweifel werde er dafür sorgen, dass diese ruhiggestellt seien.

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Kommentare (13)

  • XYZ

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    Der reinste toxikologische Wahnsinn: ging ja mit allerlei Biochemie zu, die aber letzten Endes Nerven und Gehirn schädigt, wenn sie ncht genauestens kontrolliert wird, namentlich gegenindizierte Wirkungen bei höheren Dosierungen. Das BTMG Anlage III zu ändern.

  • highayfloh

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    Bezüglich so mancher Prozeßberichterstattung und Lancierungen an die Presse (von den involvierten Behörden und / oder Anwälten) komme ich persönlich zu dem Schluss, dass es eigentlich diesbezüglich einen neuen Kodex braucht. Natürlich ist ein gewisses öffentliches Interesse gegeben, andererseits wird mit der bisherigen Praxis nur das Spekulantentum in der Öffentlichkeit gefördert (mitsamt ziviler Brandmarkung / Vorverurteilung) – ohne dass rechtssicher eine Schuld festgestellt wurde, was widerum durchaus rekursive Wirkungen auf den aktiven Strafprozeß haben kann – auch wenn dies offiziell niemals zugegeben werden wird. Von daher wäre es meiner Meinung sogar besser, wenn sich die Medien eine eigene Zurückhaltung auferlegen würden, das sammeln würden was sich über die Zeit ergiebt und dann _abschliessend_ einen entsprechenden Artikel verfassen würden.

  • XYZ

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    Nachtrag : Betäubungsmittel wirken in höheren Dosen ähnlich wie Alkohol, langfristig geht die Bewusstseinskontrolle verloren, das Vorderhirn wird lahmgelegt – haben das die Ärzte Baumers oder der Angeklagte irgendwie erkannt?

  • Spaziergänger

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    Was ich mich frage: wie geht sich ein LIVE-Ticker zusammen mit dem Verlassen müssen des Gerichtssaals seitens des Bruders des Angeklagten ? Ich mein: is die Praxis insofern noch zeitgemäß ?

  • Sabine

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    ‚das sammeln würden was sich über die Zeit ergiebt und dann _abschliessend_ einen entsprechenden Artikel verfassen würden.‘
    Nennt man das nicht in einschlägigen Kreisen: Pravda

  • Roche-Dirac

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    @highayfloh 8. Juli 2020 um 19:46

    Ich muss ihnen da leider widersprechen. Klar kann die öffentliche Prozessberichterstattung möglicherweise ein Gericht beeinflussen. Aber diesen Tod müssen wir wohl sterben. Was wäre denn die Alternative? Eine Art Geheimprozess bei dem am Ende ein Urteil verkündet wird, welches dann in den Medien publiziert wird ohne zu Wissens wie es dazu kam, wie die einzelnen Rechtsorgane (Verteidiger, Staatsanwaltschaft etc.) agiert haben?
    Nein. Öffentliche Prozesse sind ein wichtiges Rechtsgut, ein Grundprinzip aller Demokratien.

    Ausserdem, wie wollen wir denn abseits der Medienvertreter mit den normalen Prozessbeobachtern, dem Mann/Frau von der Strasse dazu umgehen? Sollen die eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass sie nichts weitererzählen was sie bei einem Prozesstag an Infos mitgekommen haben?
    Wer schon einmal live bei einem Prozess dabei war, weiss dass man da wesentlich mehr erfährt, als das was dann üblicherweise in der Medien, auch hier bei Regensburg Digital, berichtet wird. Da werden z.B. Namen, Geburtsdaten, Adressen, Arbeitsverhältnisse und weitere persönliche Verhältnisse erwähnt.
    Jeder der an diesem Prozess interessiert ist, weiss bspw. wie der Nachname von Christian F. lautet. Ich erwähne ihn hier nicht und Regensburg Digital achtet auch peinlich genau darauf, dass er hier nicht erwähnt wird. Und das ist okay so. Die meisten Leute gehen meines Erachtens sehr sorgfältig mich solchen Details um.

  • Untertan Giesinger

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    Ach Highwayfloh, lassen Sie doch bitte die Journalisten berichten. Wir alle warten darauf.

    Was soll das immer mit Äußerungen, wie “abschliessend_ einen entsprechenden Artikel verfassen würden.”

    Kommen Sie aus der DDR?

  • R.G.

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    Als ein mir vom Sehen bekannter Mensch vemisst war, zogen viele im Internet Parallelen zu Maria Baumers Verschwinden. So kam ich dazu, über sie in den mir bis dahin unvorstellbarsten Foren zu lesen.

    Hinter angeblichem Hobby- Interesse an Verbrechen stand allzu häufig das Schicksal eines Opfers, dass sich nirgends hinwenden konnte und keine Chance hatte, Recht gesprochen zu sehen in der eigenen Sache. Es gab noch eine weitere ausmachbare Gruppe in den Threads zum Fall, sie unterhielt sich in auffallend profimäßigem Ton über Medikationen, Vergrabungsorte, Perfektionierungsmöglichkeiten. Bald führten sie im öffentlich einsehbaren Dialog ihre eigenen Diskussionen.
    Die Regensburger Polizei las mit größter Wahrscheinlichkeit mit.

    Aus Tätersicht bietet das Netz neue Möglichkeiten, man kann die vorgeblich krimimäßig interessierte Schwarmintelligenz nützen, um sich Mut zu machen, das erst nur Gedachte in die Tat umzusetzen, und sich danach, unterstützt von den Ideen der anderen, ein Überlegenheitsspiel mit den Ermittlern zu liefern.

    In Zeiten wie diesen sind Artikel zu Prozessgeschehen von außerordentlicher Wichtigkeit, zeigen sie doch auf, dass es in der Echtwelt doch noch die Idee vom Rechtsstaat gibt, der Verbrechen Einhalt gebieten will.
    Es war wohl in den Neunzigern, als eine (später preisgekrönte) Bayerische Kritikerin einer Sondergruppe in der Kirche, nachdem sie ihre Tochter an sie verloren hatte, auf die Verwendung von Medikamenten in jenem Umkreis aufmerksam machte.
    Eine andere besondere Gesellschhaft innerhalb der großen Glaubensgruppe der Katholiken könnte, wenn man den Ausgetretenen glauben mag, Medikamente als Disziplinierungsmittel einsetzen. Da sie Priester mit ärztlicher Ausbildung hat, wäre der Zugang zu Medikamenten gegeben.
    Aktuell beschuldigt ein Geistlicher seinen Vorgesetzten, den Bischof, ihn gegen seinen Willen unter Medikamente gesetzt zu haben.
    Das ist der Zeitgeist, vor dem der Regensburger Fall verhandelt wird.

    Ich bin klar der Meinung, eine frühere, sachliche Begleitung vergleichbarer Gerichtsfälle in den Medien, wie sie hier gegeben ist, hätte Präventivcharakter gehabt, mancher Fall wäre nicht ausgeführt worden, und wer weiß, vielleicht wäre Maria Baumer dann noch am Leben.

  • Dieter

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    @Spaziergänger:

    Für den Fall, dass die Familie des Angeklagten auch durch die Verteidiger beraten wird oder der Angeklagte mit seinem Bruder in Kontakt steht, können die Aussagen der Zeugen auch so weitergegeben werden. Live-Ticker hin oder her.

  • XYZ

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    Bin allmählich mehr als erschüttert: in der Wohnung befand sich also ein ganzes Arsenal von toxikologischen Medikamenten, das m.E. nicht näher vom BKH R kontrolliert wurde, waren ja nur geringere Dosierungen, die sich dann problemlos summieren lassen.

  • Bertl

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    Der Umgang mit hochwirksamen Medikamenten im BKH R läßt den Rückschluss zu, dass Patienten z.B. von Pflegern ohne ärztliche Anordnung ruhig gestellt werden können, wenn dies Pfleger für richtig halten. Da ist dem internen Mißbrauch Tür und Tor geöffnet, von weiteren Verwendungsmöglichkeiten wie im Prozess aufgezeigt, ganz zu schweigen.

  • XYZ

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    Zu Bertl 12.11:
    Empfehle dazu den Artikel der Arzneimittelkommission der dt. Ärzteschaft von 2017, zu finden unter ‘akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/201701/039h/index.php’, dort Dokumentation von Bedarfsmedikation für Pflegekräfte: “schriftliche Festhaltung von Bedarfsgrund, Dosierung, Datum, Uhrzeit, verabreichende Pflegekraft”. Das gilt in allen Krankenhäusern, dazu zählen auch psychiatrische Anstalten – im BKH R bekannt?

  • XYZ

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    Unvermeidlicher Nachtrag:
    Die Problematik von ruhigstellenden Medikamenten ist längstens bekannt, und bei psychiatrischen Krankenhäusern von ganz besonderer Bedeutung – irgendeine Kontrolle?

Kommentare sind deaktiviert

drin