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Kolumne

Heimkommen #4: Dein Freund der Baum ist ein Arschloch.

Heimatstolz. Heimatsound. Sogar Heimatministerium. Kaum ein Begriff wurde in den vergangenen Jahren so sehr missbraucht wie das Dahoam. Flo Neumaier ist Nachwuchsautor, Humorazubi beim Fernsehen und Regensburger a.D. – Für regensburg-digital schreibt er ab sofort regelmäßig über seine Besuche, sein Heimweh, sein Regensburg.

Der Tag ging richtig gut los. Ich habe mich einmal mehr von Bildern „inspirieren“ lassen. So nenne ich das, wenn ich stundenlang auf Instagram versacke – und auf ein ganz besonderes Foto starre. Nicht, was Sie jetzt denken. Seit Monaten begegnet mir dieses Bild unter dem Hashtag Regensburg. Wenn Influencer, Blogger und solche, die es werden wollen, die Stadt besuchen, dann wird dieses eine Foto gemacht. Immer dasselbe. Tausendfach. Weil individuell.

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Dazu zwei Fragen:

Erstens: Warum?

Zweitens: Wo zur Hölle?

Ich kenne Regensburg gut. Trotzdem: Keine Ahnung. Zeit für ein bisserl Detektivarbeit. Ein Freund hat mir einen Tipp gegeben. Also rolle ich am späten Vormittag auf dem verlassenen Dultplatz ein, bekämpfe kurz den wehmütigen Gedankenstrudel ob der Maidult, fahre am Testzentrum vorbei und stelle den Motor ab.

Ich bin euphorisch, richtig gespannt auf ein Stück Regensburg, das ich noch nicht kenne. Mitten in der Altstadt. Ich ziehe die Handbremse an, mache das Abblendlicht aus – bei mir geht das nicht automatisch – schnalle mich ab und öffne die Tür.

Ein kräftiger Windstoß bläst einen saftigen Kubikmeter Frühlingsluft ins Auto und: Feuer frei. Meine Tabletten liegen in München, neben der Spüle. Shit.

Von Söder und anderen unsittlich gegen seinen Willen berührt, ist der Baum vielleicht DAS Symbol des ökologischen Wandels, der Klimakrise. Zu Unrecht. Seit Jahrzehnten lesen wir vom Waldsterben. Aber der Patient Baum weigert sich hartnäckig den Löffel abzugeben. Noch immer piepst der Vitaldatenmonitor in der Klinik unseres Ökosystems fröhlich vor sich hin. Patientenverfügung? Fehlanzeige! Ich finde, es wird Zeit, die Maschinen abzustellen.

Denn:

Dein Freund der Baum ist ein Arschloch. Meine Augen brennen. Die Nasenschleimhäute führen mehr Flüssigkeit als der kapitalste Schlauch der FFW Wörth an der Donau. Mein Atem erinnert an einen greisen Darth Vader. Mit oder ohne Maske, spielt keine Rolle.

Das ist mein Leben. Jedes Jahr zwischen Anfang März und Mitte April, werde ich aufs unwürdigste von Hasel, Birke und Apfelbaum terrorisiert. Der Apfelbaum! Mein erklärter Todfeind, meine Nemesis, mein Schicksal. Ich neige eigentlich nicht zum Dramatischen. Hier und nur hier ist das angemessen. Alles, was ich schreibe ist die Wahrheit. Und bittere Realität.

Aber vor allem ist es peinlich. Die Apfelblüte: Bedrohlich wie ein Zwergpudel auf Ritalin und trotzdem mir überlegen. Meine einzige Waffe? Das Cetirizin. Nebenwirkung: Meine Konzentrationsfähigkeit schrumpft auf das Niveau eines gewöhnlichen Twitter-Trolls.

Wenn der Frühling sich mit ersten Knospen seine Bahn bricht und schrecklich unverschleimte Vitamin-D-Junkies fröhlich aus ihren Zwei-Zimmer-Altbauwohnungen paarweise in die Parks und Grünanlagen hoppeln, gehe ich traditionell in meinen ganz persönlichen Lockdown.

Toll, dass ich gerade heute auf der Suche nach Bäumen bin, genauer nach einer Allee, einem verschlungenen Pfad, märchenhaft und angeblich mitten in Regensburg.

Wieder fahren ist keine Option. Also Autotür zu, absperren und nochmal ein kontrollierender Griff an den Türhebel. Da habe ich einen Tick. Wirklich zu? Basst. Los geht’s in Richtung Oberer Wöhrd und ein bisserl Restsonne und Donauluft schnuppern. Dabei nur nicht zu tief einatmen.

Rechts unter dem Pfaffensteiner Steg durch, über zwei kleine Holzbrücken und: Da ist das Ding. Der kleine gepflasterte Pfad. Die Bäume links und rechts. Zumindest soweit ich etwas erkennen kann. Meine Augen schwellen nicht direkt zu, dafür heule ich seit 20 Minuten permanent in meine Maske. Das und meine Niesanfälle garantieren den Mindestabstand. Praktisch.

Ich knie mich hin, versuche den richtigen Winkel, den richtigen Ausschnitt zu treffen. Alles schwieriger, wenn man nicht atmet. Was auch immer das für Bäume sind, darin war ich schon in der Grundschule schlecht, sie tun weh. Wer ein Foto will, muss leiden. Frei nach Heidi Klum.

Kommen wir zur interessanteren Frage: Warum gerade dieses Bild?

Das Stichwort lautet Zustimmungsfähigkeit. Der Ort ist schön. Und Bäume kennt jeder. Bäume sind beruhigend, stark, verlässlich, wie Pommes. Sie liefern unseren Sauerstoff und funktionieren auf der ganzen Welt. Dazu muss man nichts erklären. Natur ist super. Niemand hat etwas gegen Bäume. Niemand außer mir.

Ich verstehe, warum dieses Bild gut funktioniert, sogar was die Leute hier anzieht. Aber ich kann es nicht nachempfinden. Ich sehe nur Arschloch-Bäume und ein Produkt, das ordentlich Klicks generiert. Und dafür tut meine Generation ja bekanntlich alles oder? Eben! Reißerische Überschrift dazu und fertig.

Solange es meinen Feed mit ein bisserl digitaler Aufmerksamkeit bereichert, ist mir kein Weg zu weit, keine Pollenkonzentration zu hoch. Likes, das sind auch Endorphine. Und die bekomme ich sogar, ohne vor die Tür zu gehen. Pollen- und coronasicher. Ich muss diese Tabletten absetzen.

Habe ich gesagt, der Tag hat gut angefangen? Auf letzter Luft schleppe ich mich zurück ins Auto, schneide eins der Fotos zu und poste es. Nicht schlecht für einen Tag Arbeit. Es waren übrigens noch Tabletten im Handschuhfach.

In diesem Sinne: Herzt, liket und kommentiert. So ein individuelles Bild hat schließlich nicht jeder!

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Kommentare (6)

  • R.G.

    |

    Sie wohnen in meinem Leben.
    Schniefhustrotzeltrief.
    Punkt drunter, klein wie eine Polle.

  • Mane

    |

    Super Text.
    Jetzt weiss ich was es mit den Baumbildern auf sich hat.
    Ich setz mich dafür ein, dass du für deinen Einsatz von Leib und Leben ein paar extra Likes bekommst ;)

    Gruß
    Mane

  • Martin

    |

    hallo flo,

    dies ist hier zwar keine apothekenrundschau und ich bin auch kein quacksalber, aber ich hab dein problem bis vor 25 jahren gekannt, bis mir jemand, eine ärtzin, 3 akkupunkturdruckpunkte zum selber drücken an jedem ohr gezeigt hat. seitdem nie wieder was von heuschnupfen gehört. die allee war übrigens selbst für einen unterdurchschnittlichen spaziergänger wie mich unschwer auf anhieb zu erkennen.
    und bitte lass die äpfelbaume in ruhe, denn sonst müssen wir noch mehr aus neuseeland und südtirol importieren.

    grüsse

    martin

  • Wilfred

    |

    @Martin: Wenn man sich die Ohren zudrückt, kann man natürlich nichts mehr hören. Auch nichts von Heuschnupfen. Dafür hättest du keine Arztin konsultieren müssen!

  • Martin

    |

    hallo wilfred,

    ziemlich unsachlicher beitrag und anscheinend den meinigen nicht gänzlich gelesen.

    macht nix

    lassen wir das thema

    grüsse

    martin

  • Wilfred

    |

    @Martin: Tut mir leid, aber einer solchen sprachlichen Steilvorlage kann man nicht aus dem Weg gehen. Auch nicht als unterdurchschnittlicher Spaziergänger …

Kommentare sind deaktiviert

drin