Entdecke Veranstaltungen in Regensburg Alle Kultur Oekologie Soziales Kino
Mordprozess Maria Baumer

Eine Vermisstenanzeige mit „vielen Ungereimtheiten“

„Extrem seltsam“ kam Christian F. jenem Polizeibeamte vor, bei dem er 2012 das Verschwinden seiner Verlobten Maria Baumer angezeigt hatte. An ein Tötungsdelikt dachten die Ermittler aber zunächst nicht. Die Todesursache lässt sich bis heute nicht mit Sicherheit feststellen. Ebenso wenig, wie lange die Leiche der 26jährigen in einer Grube in einem Waldstück lag. Zu den Medikamenten, mit dem F. sie vergiftet haben soll, hatte er weitgehend unkontrollierten Zugriff.

Christian F. (35) hatte jederzeit Zugriff auf Lorazepam und Tramadol. Foto: om

„Irgendwie Zweifel“ habe er am Ende gehabt, sagt der erste Polizeibeamte, mit dem Christian F. am 30. Mai 2012 über das Verschwinden seiner Verlobten Maria Baumer gesprochen hat. Damals kam der heute 35jährige in die Polizeistation am Regensburger Minoritenweg, um dort seine Vermisstenanzeige zu konkretisieren. Vier Tage vorher, am 26. Mai, sei er frühmorgens aufgestanden, habe seiner Verlobten noch einen Kakao ans Bett gestellt und sei dann zum Joggen gegangen. Als er zurückkam, sei sie weg gewesen.

WERBUNG

„Extrem seltsam“

„Da waren so viele Ungereimtheiten dazwischen“, erzählt der heute pensionierte Hauptkommissar am Donnerstag vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts Regensburg über dieses Gespräch. Christian F. habe nicht mehr gewusst, wann er aufgestanden sei – mal sei es sechs, mal sieben, mal acht Uhr morgens gewesen. Er habe nicht mehr sagen können, ob er zwei oder drei Stunden beim Joggen war. Und ohnehin sei er verwundert gewesen, dass jemand, der nach eigener Aussage gerade wieder mit dem Laufen angefangen habe, so lange unterwegs sei. „Da hab ich mir schon so meine Gedanken gemacht.“

Das Verhalten von Christian F. beschreibt der Polizeibeamte als „extrem seltsam“. Dieser habe während der Vernehmung immer stärker geschwitzt und gezittert. So etwas habe er in seiner gesamten Laufbahn nicht erlebt. Irgendwann habe er F. direkt gefragt, ob er etwas mit dem Verschwinden seiner Verlobten zu tun habe. „Nein“ habe dieser geantwortet. „In einem ganz normalem Tonfall.“ Auch das sei ihm komisch vorgekommen. Doch eines Verbrechens verdächtigt habe er Christian F. nicht, sagt der Hauptkommissar auf Nachfrage von Verteidiger Michael Haizmann. „Ich dachte erst, er hat sie vielleicht beim Verschwinden unterstützt.“

Erfundene Anrufe und selbst geschriebene Nachricht

Heute ist die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass Maria Baumer am 26. Mai bereits tot und in einem Waldstück bei Bernhardswald vergraben war, vergiftet von ihrem Verlobten mit einem Medikamentencocktail aus Lorazepam und Tramadol. Erst 2019 konnten diese beiden Wirkstoffe in Haaren und Kleidungsstücken der Toten nachgewiesen werden.

Zwei Anrufe, die Christian F. am Tag ihres Verschwindens von Maria Baumer entgegengenommen haben will, hat es den Ermittlern zufolge nie gegeben. Eine rätselhafte Facebook-Nachricht von ihr soll er sich selbst geschrieben haben: „Mein Schatz, es tut mir weh, aber ich kann nicht anders. Verzeih mir. Du weißt, was ich dir gesagt habe. Ich liebe dich.“

Hinweise von Weiden bis Tibet

Doch damals im Jahr 2012 habe man keine Verdacht gegen F. gehegt, sagt am Freitag ein Kriminalbeamter, der den Fall vier Wochen nach der Vermisstenanzeige turnusgemäß auf den Tisch bekam. Den Aktenvermerk des Kollegen vom Minoritenweg zu den Ungereimtheiten bei Christian F.s Aussage habe er zwar gelesen. „Aber bei mir war nichts auffällig.“ Im Oktober 2012 trat der Beamte noch gemeinsam mit dem heute Angeklagten und Maria Baumers Zwillingsschwester in der Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ auf und bat stellvertretend für die „Ermittlungsgruppe Maria“ um Hinweise aus der Bevölkerung. „Bis Anfang 2013 war das für mich ein Vermisstenfall.“

Mehrfach hakt Verteidiger Haizmann nach, ob die Beamten seinen Mandanten nicht schon damals als Beschuldigten hätten belehren müssen. Doch am Ende verzichtet er auf einen Antrag. Das komme später noch.

Die Kripo ging bei der Suche nach Maria Baumer vielfältigsten Spuren nach, wie die leitende Ermittlerin am Donnerstag berichtet. Sämtliche Anrufe aus Telefonzellen rund um den Hauptbahnhof Nürnberg wurden gecheckt, von wo Maria Baumer sich laut der Aussage ihres Verlobten bei ihm gemeldet haben soll. Dutzende Autovermietungen und Kontobewegungen wurden überprüft. Zeugen wurden vernommen, die Maria Baumer nach ihrem Verschwinden noch gesehen haben wollten – die Sichtungen reichten von Weiden bis nach Russland, Senegal und Tibet.

Chefermittlerin: Kein Beleg, dass Baumer nach dem 25. Mai noch lebte

Mehrfache Meldungen gab es von verschiedenen Stationen am Jakobsweg, wo sogar Mantrailing Hunde zum Einsatz kamen, die an einer Stelle auch anschlugen. Bei einer Sichtung konnte man die Frau, mit der Zeugen Maria Baumer verwechselt hatten, ermitteln. In einem anderen Fall lag das Datum der Sichtung vor Baumers Verschwinden. Zeuginnen, die bis heute darauf beharren, sie im Juni 2012 gesehen zu haben, sollen im Lauf der Verhandlung noch vernommen werden.

„Wir haben bis zum Leichenfund wegen Vermissung ermittelt“, berichtet die Kriminalbeamtin. Am 8. September 2013 fanden Pilzsammler dann Baumers sterbliche Überreste, im Wald verscharrt, teils durch Tiere verstreut und angefressen. Heute ist die Ermittlerin der Überzeugung, dass es keinen ernstzunehmenden Beleg dafür gibt, dass Maria Baumer nach dem 25. Mai 2012 noch einmal lebend gesehen wurde.

Todesursache nicht festzustellen

Doch abgesehen von Indizien gibt es keine handfesten Beweise dafür, wann und woran Maria Baumer tatsächlich gestorben ist. „Wir konnten keine Todesursache feststellen“, sagt der Erlanger Rechtsmediziner, der Baumers Leichnam obduziert hat. Es gebe keine Hinweise auf äußere Gewalteinwirkung. Auch die Frage, wie lange der Körper der 26jährigen in dem Wald vergraben lag, kann der Sachverständige nicht befriedigend beantworten. Es könnten nur drei bis sechs Monate sein, aber eben auch jene knapp eineinhalb Jahre, wie die Staatsanwaltschaft annimmt.

Unkontrollierter Zugriff auf Medikamente

Dass Christian F. als Pfleger am Bezirksklinikum in Regensburg Zugriff auf jene Medikamente hatte, mit denen Maria Baumer laut Anklage vergiftet wurde, bestätigen sowohl der Leiter der dortigen Apotheke wie auch eine Stationsleiterin, Christian F.s frühere Chefin. Die Lieferungen der Apotheke würden jeweils von den Pflegern in entsprechenden Fächern verstaut, erzählt die 54jährige. Im Grunde habe jeder, der auf der Station arbeite darauf Zugriff. Der tatsächliche Verbrauch sei dann nur nachvollziehbar, wenn man die Bestellungen mit sämtlichen Patientenakten abgleichen würde. „Anders geht das nicht.“ Strengere Dokumentationspflichten gebe es lediglich bei Medikamenten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fielen.

Sowohl Lorazepam als auch Tramadol wurden bei Durchsuchungen bei Christian F. gefunden. In einem Telefonat mit einem seiner Brüder soll er eingeräumt haben, sich dafür bei seiner Arbeitsstelle zu bedienen.

Dort fiel der 35jährige laut der Aussage seiner früheren Chefin nicht weiter auf. Sie beschreibt Christian F. als „eher introvertiert und ruhig.“. Er sei fleißig, flexibel und kollegial gewesen und „außergewöhnlich geduldig“ mit Patienten. Bis zum „Tag X“, dem Verschwinden seiner Verlobten, habe es keine Beanstandungen gegeben.

Fragwürdige Beziehung zu Patientin

Doch spätestens dann sei ihr aufgefallen, dass Christian F. einen sehr engen Kontakt zu einer Patientin, Valerie S., gehabt habe. Neben einer intensiven Betreuung während seiner Arbeitszeit habe er irgendwann begonnen, diese auch privat zu besuchen. Sie habe deshalb zwei Gespräche mit ihm geführt. Arbeitsrechtlich sei das nämlich nicht drin. „Diesbezüglich hast Du Dich nicht wirklich klug verhalten“, sagt die Stationsleiterin in einem abgehörten Telefonat mit F., das am Donnerstag vorgespielt wird. Ihm gehe „Freundschaft vor Arbeit“ erwidert der heute Angeklagte.

Als Motiv für den Mord an seiner Verlobten vermutet die Staatsanwaltschaft, dass Christian F. sich eine Beziehung mit Valerie S. gewünscht habe.

„Enthemmen“ mit Lorazepam

Wenige Monate nach dem Telefonat zeigte Valerie S. ihren mutmaßlichen Verehrer an. Nach ihrer Entlassung aus dem Bezirksklinikum hatte F. sie demzufolge im April 2014 zuhause besucht. Dort mischte er ihr heimlich das Medikament „Tavor expidet“ (eine Handelsname für Lorazepam) in ein Getränk, um sie zu „enthemmen“, wie er in einem späteren Prozess 2016 gestand. Der Vorwurf der sexuellen Nötigung wurde seinerzeit fallen gelassen, obwohl sich DNA-Spuren von F. im Slip des Opfers fanden.

Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung an Valerie S. und sexuellen Missbrauchs an mehreren minderjährigen Domspatzen-Schülern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Missbrauchstaten, die F. auf Video festgehalten hat, fanden zum Teil statt, als er bereits mit Maria Baumer zusammen war.

Print Friendly, PDF & Email

SUPPORT

Ist dir unabhängiger Journalismus etwas wert?

Dann unterstütze unsere Arbeit!
Einmalig oder mit einer regelmäßigen Spende!

Per PayPal:
Per Überweisung oder Dauerauftrag:

 

Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.
IBAN: DE14 7509 0000 0000 0633 63
BIC: GENODEF1R01

Kommentare (13)

  • dorith

    |

    Hat die Polizei nicht überprüft welche Schue´, Kleidung usw sie für den angeblichen Jacobsweg mitgenommen hat.? Mobiltelefon, Geld, Ausweis und eine gewisse Ausstattung hätte man wohl dafür gebraucht.

  • liltroll

    |

    @Stefan Aigner
    “Dort mischte er ihr heimlich das Medikament „Tavor expedit“ (eine Handelsname für Lorazepam) in ein Getränk” – vermutlich ein Tippfehler. Muss heißen “Tavor expidet”.

  • XYZ

    |

    So ist es also: Schweigen und Wegsehen, seien es Domspatzen oder BKH-Apotheke, die Muster gleichen sich . . .

  • XYZ

    |

    Habe letzten Endes – unter allen Vorbehalten – mehr den psychoanalytischen und weniger juristischen Eindruck, dass da – wie ja nicht ganz so fern – mal wieder psychisch fremde Personen sich verstrickt haben, und es ging wie oft um die Machtfrage. Das wurde dann durch ‘Psychopharmika’ versucht zu entscheiden, so ein Irrsinn.

  • XYZ

    |

    Die Aussage der Stationsleiterin ist im übrigen sehr dürftig: jeder habe Zugriff auf den Medikamentenschrank, Abgleich mit ärztlichen Verschreibungen zu aufwendig – wo sind wir denn da? Und haben da der ärztliche Direktor und der Verwaltungsleiter das irgendwie stillschweigend toleriert anstatt zu kontrollieren, immerhin ein psychiatrisches KH?

  • Bertl

    |

    @XYZ:
    Nicht nur die Klinikleitung scheint über das Maß tolerant zu sein, auch die Bemerkung “diesbezüglich hast Du dich nicht gerade klug verhalten” der Stationsleiterin (und Vorgesetzten) zu den privaten Kontakten des Christian F. mit einer Patientin scheint mir nicht angemessen. Es fehlt der klare Verweis auf ein Pflichtverletzung und deren Folgen.
    Die manipulative Gabe des Christian F. scheint auch bei seiner Vorgesetzten gewirkt zu haben.

  • Mr. B.

    |

    Zu XYZ
    11. Juli 2020 um 18:51 | #
    “Die Aussage der Stationsleiterin ist im übrigen sehr dürftig: jeder habe Zugriff auf den Medikamentenschrank, Abgleich mit ärztlichen Verschreibungen zu aufwendig – wo sind wir denn da? Und haben da der ärztliche Direktor und der Verwaltungsleiter das irgendwie stillschweigend toleriert anstatt zu kontrollieren, immerhin ein psychiatrisches KH?”

    Da ist man ja fassungslos!!!!
    Das erweckt ja zumindest den Eindruck, dass sich jeder, wenn er will, nehmen kann, was er will?
    Haben nicht auch wir in Bayern das sog. “Controlling” eingeführt?
    Die Bediensteten müssen doch jetzt quasi jeden Pfurz dokumentieren, wobei die Pflege oftmals wegen der mangelnden Beschäftigten auf der Strecke bleibt, nur damit irgendwann einer im Büro aus Knöpfchen drücken kann, wenn mal wieder irgendwelche Zahlen gefragt sind.
    Medikamentenabgabe müsste doch da an oberster Stelle sehen, oder irre ich mich da?

  • XYZ

    |

    Zu Mr. B. 10.15
    Wenn ich sie recht verstehe geht es eben nicht um einen ‘Pfurz’, sondern um hoch–toxikologische Medikamente: dafür gibt es m.W. sogar eine VO für Krankenhäuser. Im Hintergrund sehe ich den jahrzehntelangen Diskurs: Medikamente oder Therapie? Dr. Michael von Cranach befragen, einst Leiter des BKH Kaufbeuren – vormalig Ir(r)see.

  • Mr. B.

    |

    Zu XYZ:
    “Zu Mr. B. 10.15
    Wenn ich sie recht verstehe geht es eben nicht um einen ‘Pfurz’, sondern um hoch–toxikologische Medikamente: dafür gibt es m.W. sogar eine VO für Krankenhäuser.!

    XYZ das meinte ich ja damit, dass doch eigentlich jeder “Pfurz” für die Verwaltung dokumentiert werden muss. Darum verstehe ich nicht, warum das bei der Medikamentenabgabe nicht erst recht erfolgen muss!!!!! Das wäre ja völliger Unsinn!!
    Ich hoffe, dass Sie mich jetzt verstanden haben.

  • XYZ

    |

    Was mich bei diesem Kriminalfall noch immer zutiefst bewegt: es waren alle Wege geordnet für ein Zusammenleben, und dann sowas – und niemand hat etwas bemerkt.

  • Dieter

    |

    @XYZ:

    Wer was bemerkt hat, weiß man (noch) nicht.

    Ich habe neulich durch Zufall etwas Populärwissenschaftliches zum Thema “Psychopathen” von einer Kriminalpsychologin gesehen. Durchaus interessant welche Mechanismen der Manipulation es gibt und warum diese so erfolgreich sein können.

    Auffällig finde ich die doch sehr vertrauten Gespräche mit der Stationsleiterin, das geht eindeutig über eine berufliche und professionelle Beziehung hinaus.
    Der laxe Umgang mit Medikamenten im BKH ist ein Skandal, der wahrscheinlich absolut üblich ist. Dennoch ein Irrsinn.

Kommentare sind deaktiviert

drin