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"Inlandsgeheimdienst ist ein Fremdkörper in der Demokratie"

Ohne Verfassungsschutz hätte es keine Nazi-Morde gegeben

Pleiten, Pech und Pannen: So wird die Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz hinsichtlich der Aufklärung der NSU-Morde oft dargestellt. Wer am Dienstag dem Rechtsanwalt Yavuz Narin zuhörte, wird sich damit nicht mehr abspeisen lassen. Was der Inlandsgeheimdienst getan hat, sieht eher nach aktiver Unterstützung eines Nazi-Netzwerks aus.
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Vertritt die Familie des 2005 ermordeten Theodorus Boulgarides: der Rechtsanwalt Yavuz Narin. Foto: Liese

Jahrhundertprozess oder juristisches Alltagsgeschäft? Der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe, der am 17. April in München beginnt, sorgt schon im Vorfeld für viel Diskussion – und Irritation. Verschiedene Entscheidungen der Verantwortlichen, etwa die Wahl eines viel zu kleinen Gerichtssaals, treffen gerade bei den Vertretern der Nebenklage – Angehörige der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ – auf Unverständnis. Auch Anwalt Yavuz Narin, der am Dienstag auf Einladung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) im vollbesetzten L.E.D.E.R.E.R. zu Gast ist, um die Fragen der Journalisten Waltraud Bierwirth und Stefan Aigner zu beantworten, sieht in der Prozesstaktik der Ermittlungsbehörden eine bedenkliche Kontinuität zum bisherigen Verlauf der NSU-Aufarbeitung.

„Sich mit dem Staat zu versöhnen, erscheint unangebracht“

Narin vertritt die Angehörigen von Theodorus Boulgarides, der am 15. Juni 2005 in seinem Geschäft im Münchner Westend von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen wurde. Als die Ermittlungen aufgenommen wurden, vermuteten die Behörden einen Milieumord der „Türkenmafia“. Mit Boulgarides’ Frau und seinen beiden Töchter wurde nicht eben zimperlich umgegangen. „Meine Mandanten wurden massiv drangsaliert und kriminalisiert“, sagt Narin. Bei Hinterbliebenen der NSU-Opfer kein Einzelfall. Die Verstorbenen wurden als Drogenhändler, Pädophile oder Menschenschmuggler verdächtigt. Im Falle Boulgarides entgegnete die Witwe den Ermittlern, die ihr wiederholt vorwarfen, sie habe den Mord an ihrem Mann persönlich in Auftrag gegeben, sarkastisch: „Ja, und davor habe ich fünf Türken ermordet, damit es nicht auffällt.“ Auch heute noch würden die Opfer-Familien von öffentlicher Seite in den Schmutz gezogen, konstatiert der Anwalt. Dies sei mit ein Grund gewesen, warum seine Mandanten im Februar bewusst nicht beim Empfang von Bundespräsident Joachim Gauck teilgenommen hätten. „Das Signal, dass man sich mit dem Staat versöhnt, erscheint im Augenblick höchst unangebracht.“

„Hervorragende Arbeit der Untersuchungsausschüsse“

Trotz aller Kritik lobt Yavuz Narin im L.E.D.E.R.E.R. die „hervorragende Arbeit“ der eingesetzten Untersuchungsausschüsse. Hier werde über Parteigrenzen hinweg kooperiert, um umfangreiche Aufklärung leisten zu können. Das ändere aber nichts daran, dass Teile der Exekutive wiederholt versuchten, diese Arbeit massiv zu behindern. Für die größten Affronts bei den Befragungen sorgten insbesondere Vertreter der Verfassungsschutzbehörden. Deren Präsidenten, aber auch hochrangige Staatsanwälte, benähmen sich teilweise „wie Angehörige der organisierten Kriminalität“, verwiesen auf Gedächtnislücken oder reagierten regelrecht „dreist und unverschämt“, weiß der Anwalt zu berichten. So behauptete Dr. Wolfgang Weber, ehemals Präsident des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, vor dem Ausschuss, man habe Ermittlungsakten aus Datenschutzgründen nicht freigeben wollen. Zahlreiche Akten seien vernichtet oder erst gar nicht angelegt worden, um „keine unnötige Bürokratie zu verursachen“.

„Wollten keine Hysterie bei türkischen Kleinunternehmern auslösen“

Etliche bemerkenswerte Episoden weiß Narin zu erzählen; etwa die von der Medienstrategie der bayerischen Ermittlungsbehörden. Durch eine Fallanalyse des renommierten Profilers Alexander Horn hätten diese bereits 2006 von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgehen können. Nach Rücksprache mit der Spitze des bayerischen Innenministeriums entschied man sich damals aber dazu, diese Erkenntnisse nicht öffentlich zu machen. Der leitende Ermittler Wolfgang Geier begründete dies vor dem Untersuchungsausschuss damit, dass man „keine Hysterie bei türkischen Kleinunternehmern“ auslösen wollte. Selbst die Namen der Ermittlungskommissionen – von SoKo Halbmond über SoKo Bosporus bis hin zu BAO Trio – erscheinen im heutigen Licht als wenig rühmlich. Verschleiern sie doch bis heute, dass hinter dem NSU keine Einzeltäter, kein Trio, sondern ein Netzwerk von – derzeit bekannt – mindestens 100 Unterstützern steckt.

Oberstaatsanwalt Kimmel: Ein Ignorant wird befördert

Auch der Nürnberger Oberstaatsanwalt Walter Kimmel – er startete seine juristische Karriere übrigens in den 80ern in Regensburg – bekleckerte sich im Rahmen der Ermittlungen nicht eben mit Ruhm. Yavuz Narin berichtet dem Publikum von den Umständen des Kölner Nagelbombenanschlags von 2004, als 23 Menschen lebensgefährlich verletzt wurden. Im Vorfeld des Anschlags war bei den Verfassungsschützern ein Dossier im Umlauf, dass vor kleinen rechtsextremen Splittergruppen nach dem Vorbild der britischen Neonazi-Bewegung „Combat 18“ warnte und sowohl Uwe Mundlos als auch Uwe Böhnhardt gar namentlich erwähnte. Die Ermittler konnten zu dieser Zeit sogar auf Aufnahmen von Überwachungskameras zurückgreifen, auf denen die beiden Neo-Faschisten eindeutig zu erkennen waren.
Die VVN-Vorsitzende Luise Gutmann (li.) hatte Narin ins L.E.D.E.R.E.R. eingeladen.

Die VVn-Vorsitzende Luise Gutmann (li.) hatte Narin ins L.E.D.E.R.E.R. eingeladen.

Mehr noch: Zeugen lieferten im Rahmen der Untersuchungen des ein Jahr später ermordeten Nürnbergers Ismail Yasar Beschreibungen von Mundlos und Böhnhardt, die mit dem Fahrrad unterwegs waren. Dennoch leitete man in diese Richtung keine ermittlerische Tätigkeit ein. Kimmel, zu dieser Zeit der verantwortliche Oberstaatsanwalt für den Bereich Nürnberg-Fürth, tat Verdachtsmomente, die Vorkommnisse in Köln könnten mit dem Mord an Yasar in Zusammenhang stehen, mit dem Kommentar ab, man könne „Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“. 2008 wurde Walter Kimmel von der bayerischen Justizministerin zum ständigen Vertreter des Generalstaatsanwalts befördert.

Die schützende Hand über Tino Brandt

Auch über den Gründer der Keimzelle des NSU – des „Thüringer Heimatschutzes“ – Tino Brandt, der 1993 in Regensburg aktiv war, hielten Behörden ihre schützende Hand. Als V-Mann pflegte er regelmäßige Kontakte zum Thüringer Verfassungsschutz. Gegen ihn gab es mehr als 30 Ermittlungsverfahren, die alle eingestellt wurden. Sein damaliger V-Mann-Führer Reiner Bode sagte vor dem thüringischen Untersuchungsausschuss (hier dessen aktueller Zwischenbericht) aus, man habe Tino Brandt „eingebremst“, habe ihn „immer wieder belehrt, keine Straftaten zu begehen“ und ihm „strafrechtlich relevante Propagandasachen abgenommen“. Zwischen dem Neonazi und dem bayerischen Landesamt habe es „feste Verabredungen“ gegeben.

Hartnäckige Ermittler wurden abgezogen, Faschisten vorgewarnt

Opfer-Anwalt Yavuz Narin hielt im L.E.D.E.R.E.R fest, dass Brandt zweifelsohne nur durch das Geld und die Unterstützung der Verfassungsschützer den „Thüringer Heimatschutz“ aufbauen konnte. Brandt selbst spricht von 200.000 D-Mark an staatlicher Alimentierung. Sogar die Honorare von Brandts szenebekannten Rechtsanwalt, der selbst Mitglied der NPD war, seien so bezahlt worden. Richter und Staatsanwälte hätten Brandt und seinem Umfeld einen regelrechten „Persilschein“ ausgestellt. Immer wieder seien in diesem und ähnlich gelagerten Fällen Beamte, die genauer ermitteln wollten, unter Druck gesetzt, Sonderkommissionen, die „zu gute Arbeit“ verrichteten, aufgelöst worden. Staatsschützer von der Polizei sprachen „Gefährder“ aus der Szene an und warnten sie vor Ermittlungen durch die Behörden.

Der Verfassungsschutz: „Ein Fremdkörper in der Demokratie“

Auch im Rahmen der heutigen Ermittlungen befürchtet Narin, dass die Identitäten der meisten V-Leute weiter geschützt werden sollen. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die ihrem Gewissen nachkommen und Details preisgeben wollen, würden regelmäßig durch Geheimnisverratsprozesse und andere Repressalien drangsaliert. Nicht nur deshalb hält der Anwalt eine Reformierung des Verfassungsschutzes für grundlegend falsch. Vielmehr sei ein solcher Inlandsgeheimdienst grundsätzlich ein „Fremdkörper in der Demokratie“ und müsse abgeschafft werden. Auf die Frage hin, ob die Neonazi-Mordserie überhaupt ohne den Verfassungsschutz möglich gewesen wäre, antwortete Narin: „Überspitzt formuliert stellt sich mir die Frage, ob am NSU überhaupt Nicht-V-Leute teilgenommen haben.“

NSU-Prozess: Aufklärung vom „Katzentisch“ aus

Um die Klärung all dieser Hintergründe und Verflechtungen der NSU-Morde wird sich beim Prozess in München, der sich laut Narin bis zu zweieinhalb Jahre hinziehen könnte, vor allem die Nebenklage bemühen müssen. Doch schon organisatorisch wird den Anwälten der Hinterbliebenen die Arbeit nicht einfach gemacht. So wurde man auf den sogenannten „Katzentisch“ verwiesen, mit dem die Nebenkläger unter einer Empore sitzend ohne Sichtkontakt zur Öffentlichkeit und zu den vernommenen Zeugen vorlieb nehmen müssen. „Wir werden an den Nackenhaaren der Zeugen ablesen müssen, ob sie die Wahrheit sagen“, so Narin sarkastisch.

Arbeiten gegen den „geplanten Ermüdungsbruch“

Letztendlich sei vor allem eine kritische Öffentlichkeit der Schlüssel zu einer erfolgreichen Aufklärung. Nicht nur Demonstrationen – wie jene, die am 13. April in München geplant ist – sondern fortgesetzte antifaschistische Arbeit und investigatives Recherchieren von Medien seien notwendig, um den von behördlicher Seite „geplanten Ermüdungsbruch“ des öffentlichen Interesses entgegenzuwirken. Außerdem plane man, auch Rechtsverstöße der Behörden im Laufe des Prozesses offenzulegen. Von Strafvereitelung bis zur Beihilfe zum Mord reiche hier das Spektrum der Tatbestände, die man den Verantwortlichen nachzuweisen hofft.
Zum Auftakt des NSU-Prozesses ist am 13. April in München eine Großdemonstration geplant.

Zum Auftakt des NSU-Prozesses ist am 13. April in München eine Großdemonstration geplant.

Nicht wirklich ein Straftatbestand, aber nichtsdestoweniger bezeichnend für die Ermittlungsarbeit sind die Anekdoten, die Narin den Zuhörern im L.E.D.E.R.E.R am Ende der Veranstaltung mit auf den Weg gibt. So wisse man von zwei dokumentierten Fällen, in denen Hamburger und Kölner Ermittler zu äußerst ungewöhnlichen Methoden griffen, um den Tätern auf die Schliche zu kommen: Ein Wahrsager wurde extra aus dem Iran eingeflogen, um neue Hinweise zu geben. Sogar die Stimmen der Opfer aus dem Jenseits, die man mithilfe einer leeren Tonbandkassette zum erklingen bringen wollte, wurden um Rat gefragt.
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