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"Massenunterkünfte" und Corona

Regensburger Zahlen: Zigfach erhöhtes Ansteckungsrisiko in Flüchtlingsunterkünften

Für Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften und im Ankerzentrum in Regensburg ist das Infektionsrisiko mit Covid 19 rund 60 Mal höher als für die „Normalbevölkerung“. Vom Robert-Koch-Institut gibt es seit geraumer Zeit Handlungsleitlinien für diese Unterkünfte. Ein zentraler Punkt: die Unterbringung in Einzelzimmern.

Die Flüchtlingsunterkunft in der Dieselstraße während der Quarantänemaßnahmen. Foto: Archiv/om

Nahezu alle Menschen, die in „Massenunterkünften“ in Bayern mit/an Covid 19 verstorben sind, stammen aus Alten- und Pflegeheimen. Das haben kürzlich veröffentlichte Recherchen von regensburg-digital ergeben. Todes- und Infektionsfälle in solchen Massenunterkünften sind gemäß §36 Infektionsschutzgesetz gesondert meldepflichtig. Und bei 998 gemeldeten Toten (Stand: 1. Juni) in bayerischen Massenunterkünften gab es demnach keinen Todesfall in einer Justizvollzugsanstalt, vier in Flüchtlingsunterkünften. Alle weiteren Toten dürften demnach zum übergroßen Teil aus Alten- und Pflegeheimen stammen (Zahlen zu Obdachlosenunterkünften liegen unserer Redaktion nicht vor.).

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Im Gegensatz zu Alten- und Pflegeheimen sind bei Ausbrüchen in Flüchtlingsunterkünften die Todeszahlen glücklicherweise relativ niedrig. Bayernweit gab es (Stand: 5. Juni) laut Auskunft der jeweiligen Bezirksregierungen rund 1.500 Infizierte in Flüchtlingsunterkünften. Die vier verstorbenen Menschen, darunter ein 66jähriger Mann, der in einer Unterkunft in Schwandorf lebte, litten alle an teils schweren Vorerkrankungen. Die Oberpfalz liegt mit 217 Infektionen (Stand: 5. Juni) nach Oberbayern (897) an zweiter Stelle aller sieben Regierungsbezirke bei den Infektionszahlen.

Was ist eine Massenunterkunft?

Auf Anfragen unserer Redaktion zu Infektionsfällen in „Massenunterkünften“ bei den Bezirksregierungen reagiert man – abgesehen von Niederbayern – etwas empfindlich. Man betreibe keine „Massenunterkünfte“ heißt es an einer Stelle (Mittelfranken), man weise den Begriff als „unpassend“ (Unterfranken) oder gar „entschieden“ (Oberpfalz) zurück. Die Regierung von Oberbayern spricht gar davon, dass der Begriff „versucht, ein völlig falsches Bild der von uns betriebenen Unterkünfte zu vermitteln“.

Doch tatsächlich verwenden den Begriff „Massenunterkunft“ sowohl das Robert Koch Institut, eine Bundesbehörde, wie auch das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Das Landesamt schreibt dazu:

„Unter Massenunterkunft versteht man ein Wohn- oder zumindest Übernachtungszwecken dienender Aufenthaltsort für eine Vielzahl von Personen, deren Möglichkeiten zu individueller Abgrenzung durch äußere Umstände oder durch vom Obdach Gewährenden aufgestellte Regeln eingeschränkt sind und die dadurch zwangsläufig in einen gesteigerten gegenseitigen Kontakt treten.“

Und:

„Bei ‚Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern‘ nach dem Infektionsschutzgesetz handelt es sich um Massenunterkünfte, in denen eine erhöhte Gefahr zur Übertragung von Krankheiten besteht.“

Seit Ende April veröffentlicht das RKI regelmäßig Zahlen über Infizierte und Tote aus Altenheimen, Flüchtlings- und anderen Massenunterkünften – also aus Einrichtungen, die laut RKI eine „besondere Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten“ haben. Sprich, das Risiko sich dort anzustecken und das sich daraufhin möglicherweise ausbreitende Infektionsgeschehen sind überaus groß. Daher rührt auch die gesonderte Meldepflicht nach §36 IfSG für solche „Massenunterkünfte”.

Was ist keine Massenunterkunft?

Tatsächlich ist nicht jede Unterkunft für Geflüchtete auch gleichzeitig eine „Einrichtung zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern“ (EgU) gemäß §36 IfSG, also eine Massenunterkunft mit erhöhtem Ansteckungsrisiko. Das hat zunächst einmal einen nachvollziehbaren Hintergrund.

Viele Asylbewerber sind dezentral untergebracht, in eigenen oder kleineren, WG-ähnlichen Wohnungen. Auch Unterkünfte, „die ausreichende Abgrenzungsmöglichkeit für einzelne Bewohner oder Familien bieten, z. B. durch Einzelzimmerunterbringung mit eigenem Sanitärbereich ähnlich wie bei Hotel- oder Pensionszimmern“ fallen laut dem Landesamt für Gesundheit nicht unter das Infektionsschutzgesetz. „Im Zweifelsfall sind die Träger der Unterkünfte gehalten, sich an das Gesundheitsamt vor Ort zu wenden, um klären zu lassen, ob eine EgU für Asylbewerber, Flüchtlinge oder vollziehbar Ausreisepflichtige nach dem IfSG vorliegt“, so das LGL.

Regensburger Zahlen belegen das hohe Risiko

Dass aber in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete, wie vom RKI festgestellt, ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko vorhanden ist, belegen allein die Zahlen aus Regensburg eindrücklich.

Hier gab es bislang mindestens 110 Covid 19-Fälle im Ankerzentrum mit seiner Dependance in der Pionierkaserne und in Gemeinschaftsunterkünften, vor allem in der Dieselstraße. Das sind rund 17 Prozent aller Infektionen im Stadtgebiet. Damit sind/waren über zehn Prozent aller Bewohnerinnen und Bewohner von Sammelunterkünften in Regensburg infiziert. Damit liegt die Infektionsrate im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ etwa 60 Mal höher.

RKI-Empfehlungen ohne Konsequenzen?

Bereits vor geraumer Zeit hat das RKI deshalb Handlungsleitlinien für Flüchtlingsunterkünfte während der Coronapandemie erarbeitet. So wird unter anderem empfohlen, Geflüchtete präventiv nur noch in Einzelzimmern unterzubringen und dafür gegebenenfalls auch Wohnungen und Hotels anzumieten, Risikogruppen so schnell als möglich aus den Unterkünften herauszuholen, die Geflüchteten umfassend zu informieren und bei einer aufgetretenen Infektion sorgsam mit den Quarantänemaßnahmen umzugehen.

Eine Quarantäne für die gesamte Unterkunft lehnt das RKI ab:

„Eine Quarantäne der gesamten GU sowie das Errichten von physischen Barrieren (Zäunen) sind zu vermeiden. Durch eine Massenquarantäne wird eine vermeidbar hohe Exposition mit daraus resultierenden Risiken für alle BewohnerInnen in Kauf genommen, die den RKI-Empfehlungen zu Infektionsschutzmaßnahmen widerspricht.“

In Regensburg wurde zuletzt die gesamte Gemeinschaftsunterkunft Dieselstraße unter Quarantäne gestellt und mit Sichtschutzzäunen abgeschirmt. Laut dem Bayerischen Flüchtlingsrat kein Einzelfall. „Nahezu überall“ in Bayern sei „eine Kollektivquarantäne eingesetzt worden“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. „Die Geflüchteten im ANKER-Zentrum Geldersheim bei Schweinfurt beispielsweise durften zwei Monate lang das Lager nicht verlassen.“ Sprecher Alexander Thal bezeichnet es vor diesem Hintergrund „als wichtigste Lehre aus der Coronapandemie (…) die großen Flüchtlingslager schließen und eine menschenwürdige Unterbringung in dezentralen Unterkünften organisieren.“

Keine Debatte im Stadtrat: „Nicht zuständig“

In Regensburg gab es bereits entsprechende Angebote von Betreibern von Ferienwohnungen. Ebenso, Ende Mai, Anträge von Grünen und Jakob Friedl (Ribisl-Partie) im Stadtrat mit dem Ziel, die Unterbringungssituation für Geflüchtete in den Sammelunterkünften zu entzerren. Unter anderem sollte geprüft werden, ob eine übergangsweise Unterbringung in Gebäuden der weitgehend leerstehenden Prinz-Leopold-Kaserne möglich wäre. Eine Debatte darüber gab es nicht. Auf Empfehlung von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer wurden diese nicht behandelt. „Hier besteht keine Zuständigkeit der Stadt Regensburg“, hieß es damals. Eine Dringlichkeit sei denn auch nicht gegeben.

Am kommenden Donnerstag stehen die Anträge von Grünen und Ribisl nun nach regulärer Frist auf der Tagesordnung des Verwaltungs- und Finanzausschusses.

Zunächst blieben die infizierten Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften in Stadt und Landkreis sowie im Ankerzentrum bei den gesonderten Meldungen des Staatlichen Gesundheitsamtes nach §36 IfSG anscheinend unberücksichtigt. Noch am 10. Juni wurde auf eine entsprechende Anfrage mitgeteilt, dass es in Stadt und Landkreis lediglich zwölf Fälle gebe, in denen Bewohner von Massenunterkünften gemäß §36 IfSG – also auch Altenheimen, der JVA und von Obdachlosenunterkünften – an Covid 19 erkrankt sind, plus 19 Mitarbeiter.

Nach einer Rückfrage wurden die Zahlen am 22. Juni korrigiert. Nun zählt das Gesundheitsamt 180 infizierte Bewohnerinnen und Bewohner von Massenunterkünften gemäß §36 IfSG sowie 30 Beschäftigte in Stadt und Landkreis.

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Kommentare (4)

  • Thik

    |

    Solange man mit Euphemismen durchkommt, sind Verbesserungen ja ganz überflüssig.

  • Gotthold Streitberger

    |

    laufendes recherchieren, nachfragen, hinterfragen und so entstehende Artikel von RD sind Beispiele von gutem Journalismus. Danke.
    Gotthold Streitberger (Mietglied BI Asyl)

  • Hthik

    |

    Tönnieszustände gibt es eben auch ohne Fleischproduktion

    Zuerst haben wir die Erde ausgebeutet,
    denn sie hat keine Stimme.
    Dann haben wird die Tiere ausgebeutet,
    denn sie können nicht reden.
    Dann haben wir die Ausländer ausgebeutet,
    denn Ihr Sprache isoliert sie.
    Jetzt fällt es auf uns zurück und
    durch Ausbeutung anderer den Kopf
    aus der Schlinge unseres Lebenswandels
    zu ziehen scheint nicht mehr zu funktioniert.

    Aber schuld sind ja die Chinesen!!!

Kommentare sind deaktiviert

drin