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Christian Schnurer im Art Lab

Was es mit dem „Platz der Leitkultur“ auf sich hat

Mit der bis zum 15. November laufenden Ausstellung „Salva Vida – HOTSPOT“ des Münchener Künstlers Christian Schnurer greift der Kunstverein Donumenta e.V. in seinem Art Lab erneut das Thema Flucht und Migration auf. Seit 2016 setzt sich Schnurer in seiner Werkssammlung auf bewusst widersprüchliche Weise mit dem Schicksal Geflüchteter auseinander und behandelt die Lebensbedrohungen an den Rändern Europas.

In der Kinderschwimmweste ist noch immer die Luft enthalten die während der Flucht hineingeblasen wurde. Foto: bm

Mit der im Juni vom Stadtrat beschlossenen Untersuchung historisch bedenklicher Regensburger Straßennamen hat die Umbenennung vor dem Bahnhof nichts zu tun. Der „Platz der Leitkultur“ vor der Grünfläche Richtung Schwammerl ist vielmehr Teil des Kunstprojektes „Salva Vida“ von Christian Schnurer. Um einen Mast, an dem hochmoderne Überwachungskameras angebracht sind, hängen aktuell einige Dutzend Schwimmwesten. Darüber das erwähnte Straßenschild „Platz der Leitkultur“.

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Schnurer macht hier künstlerisch auf einen seiner Ansicht nach bestehenden gesellschaftlichen Widerspruch aufmerksam der spätestens seit 2015 bestehen würde. „Überwachungskameras sind zum Symbol für die Debatte über die innere Sicherheit geworden, die von den Schwimmwesten als Symbol für Flucht und Migration angeblich in Frage gestellt werden würde.“ 4.000 solcher Westen hat Schnurer 2016 selbst von der Insel Lesbos aus der Nähe des Flüchtlingslagers Moria geholt und seitdem in mehreren Kunstinstallationen seines Projektes „Salva Vida“ verwendet. Salva Vida ist spanisch für „Leben retten“. Das spanische Wort für Rettungswesten lautet „chaleco salvavidas“.

Es begann auf Lesbos, einem Ort der Hoffnung

Zeigt Widersprüche auf: Christian Schnurer. Foto: Archiv

Tausende dieser „chaleco salvavidas“ habe er damals hinter einer Anhöhe nahe dem Lager Moria gesehen. Weggeworfen von denen, die die Flucht über das Mittelmeer überlebt hatten. Genau das ist auch der Beginn seiner Werkschau im Art Lab. Die führt, auf der Insel Lesbos beginnend, durch Schnurers Kunstprojekte der vergangenen fünf Jahre und endet schließlich, mit einer Zwischenstation im oberpfälzerischen Etsdorf, auf dem Wolfgangsee in Österreich.

Es ist ein idyllisch wirkendes Bild, das einen an der Wand gegenüber des Eingangs zum Art Lab empfängt. Die grüne Landschaft auf einer Anhöhe hielt Schnurer 2016, als er mit einem Hilfskonvoi auf Lesbos war, als Fotografie fest. Hinter der Anhöhe, auf dem Bild nicht zu sehen, befand sich damals Berg aus Schwimmwesten. Jede einzelne stellvertretend für das Schicksal eines Menschen. „Ich habe Moria und Lesbos im Januar 2016 als einen Ort der Hoffnung erlebt. Danach ist dieser Ort Schritt für Schritt zur Hölle geworden.“ Dass man hier oftmals von einem Hotspot spreche, sei nicht erst seitdem das Lager niederbrannte zynisch. Moria sei heute „das Ergebnis einer zutiefst unchristlichen Abschreckungspolitik der EU“ und ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Der maximale Widerspruch

Wendet man den Blick von der Fotografie nach links in den Tunnel, steht man vor einer gelben Kinderschwimmweste mit bunten Tieren darauf, die von der Decke des Art Labs hängt. Von einem Scheinwerfer beschienen wirkt sie zunächst unscheinbar, wenngleich sie sich den Besuchern durch ihre prägnante Position im Raum doch förmlich aufdrängt. Es befände sich noch immer die Luft der Ägäis darin, erklärt Schnurer. „Wir haben die Westen seitdem wir sie mitgenommen haben nicht verändert oder neu aufgeblasen.“ Einst sei das lebensrettende Luft gewesen. „Das muss man sich hierbei immer vergegenwärtigen.“ Doch bis heute würden die lebensrettenden Westen von vielen als Symbol einer „verfehlten Migrationspolitik“ und als Gefahr angesehen werden. Ausgrenzung und Isolation seien die Folge, auch in Deutschland.

Vor wenigen Monaten versuchte Schnurer diesen Widerspruch in der Symbolik der Schwimmwesten mit einer weiteren Kunstinstallation aufzugreifen. Auf dem bekannten Künstler-Kreuzweg in Etsdorf (Lkr. Amberg-Sulzbach) hat der gebürtige Schwandorfer nun seinen Beitrag in Form einer Schwimmweste aus Blei geleistet. „Es ist der maximale Widerspruch“, so Schnurer. „Die Weste soll eigentlich Leben retten. Doch Blei als extrem schweres Material verhindert genau das.“ Die Entstehung der Skulptur ist als Kurzfilm ebenfalls Teil der aktuellen Ausstellung in Regensburg.

Künstler setzt Tunnel unter Wasser

Ebenso wie die Aufnahmen vom Wolfgangsee in Österreich. Im September 2016, also nur wenige Monate nach seinem Aufenthalt auf Lesbos, hatte Schnurer aus mehreren hundert Rettungswesten eine schwimmende Insel gebaut. Als spontane Kunstaktion ließ er diese Insel auf dem Wolfgangsee treiben. Auch hier ging es ihm erneut um die Symbolkraft der „Moria-Westen“ vor dem Panorama des Alpenidylls. „Ich war selbst sehr verwundert, als die Menschen vor Ort die Aktion doch sehr positiv aufnahmen und manche auch begeistert reagierten.“

Für seine Werkschau setzte Schnurer einen Teil des Tunnels unter Wasser.

Im Art Lab setzte der Künstler hierzu einen Teil des Tunnels unter Wasser und platzierte darauf einige der Schwimmwesten. An der dahinter gelegen Wand läuft die Aufnahme vom Wolfgangsee als Dauerschleife. In der Dunkelheit des Gewölbes spiegelt sich das Bild in der Wasseroberfläche und ebenso an den Wänden, was einen interessanten Effekt erzeugt und das Urlaubsidyll in einen starken Kontrast setzt.

Zwischen Revolution und Status Quo

Zwischen innerer Sicherheit und dem Retten von Menschenleben: Was genau bedeutet Leitkultur?

Das Widersprüchliche ist seit Jahren ein wichtiges Leitthema für Christian Schnurer, der an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte. Für sein Werk erhielt er 2010 den Staatspreis für Bildende Kunst der Bayerischen Staatsregierung. 2018 folgte die Auszeichnung mit dem Kulturpreis Bayern. Im gleichen Jahr wählte ihn der Berufsverband Bildender Künstler Landesverband Bayern e.V. zu seinem Vorsitzenden. Mit Schnurer haben die Verantwortlichen des Donumenta e.V. erneut einen Künstler nach Regensbrug geholt, der gerade für seine gesellschaftskritischen Werke immer wieder Anerkennung findet.

Infragestellen des Status Quo

So auch mit „SMELL OF REVOLUTION”. Ein während der Unruhen in Tunesien ausgebranntes Polizeiauto, das Schnurer 2011 entdeckte, versetzte er damals unvermittelt in den Stadtraum Münchens, später, anlässlich der Kurzfilmwoche 2015, auch auf den Haidplatz in Regensburg. „Das Wrack erfährt durch den Transport von Tunesien nach München eine Wandlung. Als Souvenir der Revolution wirkt es in den Flaniermeilen Münchens deplatziert und konfrontiert die Öffentlichkeit mit einer Realität jenseits der Schlagzeilen“, so Schnurer. Mit „SMELL OF REVOLUTION“ wollte er die Frage nach dem Sinn von Revolutionen, Heldentum und der Zerstörung des Status Quo stellen.

Revolution in einer satten Stadt: das ausgebrannte Polizeiauto 2015 auf dem Haidplatz. Foto: Archiv

Dieses Infragestellen des Status Quo beschäftigte 2015 noch weiter. Im Oktober startete Schnurer damals von München nach Kiew, über Wien, Bratislava und Budapest zu einer Expedition mit einer rosa Rakete auf dem Dach eines Trabis. Die Grenzen Osteuropas überqueren und mit dem Mittel der Kunst den brennenden Fragen von Nationalismus und Imperialismus, Militär und Kapital, Freiheitsliebe und Heimatschutz zu begegnen – ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer. So lautete damals die Erklärung für seine Reise.

Kurz darauf begann er mit „Salva Vida“ erneut über Europa und seine Grenzen nachzudenken. „Ich möchte, dass die Zustände, die auf Lesbos herrschten, zuhause sichtbar werden.“ Eine Aufgabe, die das Art Lab nun bis zum 15. November als Werkschau beherbergt. Mittwoch bis Sonntag zwischen 14 und 19 Uhr ist die Ausstellung kostenlos zugänglich.

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