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Die Aufklärung erreicht das “Flick-Land”

Es kommt nicht alle Tage vor, dass Journalisten so konsequent aus der Rolle fallen wie Chris Humbs (40), langjähriger Reporter des politischen ARD-Magazins Kontraste. Mit einem Batzen eigenem Geld und dem Rückenwind der Berliner Redaktion trat er in Vorleistung, um „mit Herz und Verstand die Fahne der Aufklärung“ in die bayerische Provinz zu tragen. Schon lange vor dem Krieg war die Oberpfalz mit dem Städtedreieck Burglengen­feld, Maxhütte-Haidhof und Teublitz „Flick-Land“. Bis zu 6.000 Menschen in der Ober­pfalz arbeiteten in guten Zeiten in der Maxhütte von Friedrich Flick. Während des Krieges schufteten und starben hier Zwangsarbeiter wie in allen Betrieben des Flick-­Imperiums. Bis zu 60.000 Arbeitssklaven beutete der Großindustrielle Friedrich Flick in seinen verschiedenen Unternehmen aus. Nach dem Krieg wurde er als NS­-Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, kam vorzeitig frei und starb 1972 als „politischer Landschaftspfleger“ und Milliardär. Die Maxhütte im Städtedreieck gibt es schon lange nicht mehr. Auch nicht das integrierte Hüttenwerk in Sulzbach-Rosenberg oder die Zulieferbetriebe in Schwandorf. Dafür gibt es aber jede Menge Friedrich-Flick-Straßen, ein Flick-Stadion, die Flick-Villa und den Flick-Park, letzteres in Sulzbach-Rosenberg. Es sind die letzten Erinnerungsorte deutschlandweit, die dem Kriegsverbrecher Flick gewidmet sind. Noch im vorigen Jahr verteidigten die Stadträte und die beiden CSU-Bürgermeisterinnen von Maxhütte-Haidhof und Teublitz die Namensgebung zu hundert Prozent. Eisern halten sie am Mythos vom guten Patrons Flick fest, der Siedlungen und Sportplätze bauen ließ. Die Antwort von Chris Humbs auf diesen langlebigen Mythos heißt: „Aufklären und sensibilisieren, denn das hat 65 Jahre nach dem Krieg im ländlichen Raum nicht stattgefunden.“ Ausstellung „Städtedreieck unterm Hakenkreuz“ In der seit Jahren eingemotteten „Hüttenschänke“ in Maxhütte-Haidhof wurde am letzten Februarsonntag die Ausstellung „Städtedreieck unterm Hakenkreuz – NS-­Zwangsarbeit im ländlichen Raum“ eröffnet. Binnen eines halben Jahres war eine beachtliche Ausstellung mit zwanzig regionalen Tafeln erarbeitet worden. Chris Humbs hatte trotz viel Gegenwind aus den Rathäusern Historiker, Politologen und kompetente freiwillige Helfer in und außerhalb der Region um Regensburg gewon­nen. Die gemeinsame Stiftung von Bund und Wirtschaft „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ hatte sich auf ein Pilotprojekt für den ländlichen Raum eingelassen, eine Anschubfinanzierung von elftausend Euro in Aussicht gestellt und Chris Humbs den Verein „Projektgruppe Zwangsarbeit“ gegründet, der auch vom DGB, Verdi und der IG Metall unterstützt wird. In diesem Verein sammelten sich die Fachleute aus nah und fern, um nachhaltig Aufklärung in die Köpfe zu tragen. Die vierwöchige Ausstellung in der „Hüttenschän­ke“ wird von einem Rahmenprogramm begleitet, das auf Information und Kompetenz setzt. Renommierte Wissenschaftler geben weiter, was die Forschung um Flick und Zwangsarbeit herausgefunden hat. Davon profitiert auch die Abiturklasse des Johann-Michael-Fischer Gymnasiums in Burglengenfeld. Zeitgleich mit der großen Ausstellung in der „Hüttenschenke“ präsentieren die Jugendlichen die Ergebnisse ihres Forschungsprojektes im Foyer der Schule. Mit gerade einmal 300 Euro pro Stadt unterstützen die drei Kommunen das Projekt, das die Jugendlichen in die Archive führte und fündig werden ließ. Bei ihrer Umfrage zur Friedrich-Flick-Straße erlebten sie, dass die NS-Vergangenheit bis heute wirkt und der verurteilte Kriegsverbrecher Flick für etwa die Hälfte der befragten Bürger ein Patron war, der „Arbeit gab und Gutes tat.“ Die Perspektive der Opfer erfuhren sie von dem 88-jahrigen Leopold Dudek (Foto unten) aus Tschechien, der als junger Mann zwei Jahre in der Maxhütte als Zwangsarbeiter hungern und schuften musste. Zur Ausstellungseröffnung in der „Hüttenschänke“ in Maxhütte-Haidhof, die über 300 Besucher anzog, strahlte Dariusz Pawlos von der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“, der aus Warschau angereist war: „Zum ersten Mal kommen unsere Informationstafeln zur Zwangsarbeit in Bayern zum Einsatz.“ Diese runden perfekt die regionale Aufarbeitung zur Zwangsarbeit im ländlichen Raum ab. „Es ist traurig, dass viele Kriegsverbrecher noch nicht bestraft wurden und Straßen die Namen von Kriegsverbrechern tragen”, wiederholte Leopold Dudek, was er bereits den Schülern sagte. Souverän ging er über den unsäglichen Auftritt von Bürgermeisterin Sabine Plank hinweg, die in Treue fest zur Flick-Straße steht und dem alten Mann mit einer weißen Rose und der Bitte um Verzeihung kam. Äußerer Druck führt zu innerer Einsicht Die vom Berliner Kontraste-Leiter Reinhard Borgmann moderierte Podiumsdiskussion am nächsten Tag in Burglengenfeld führte mehr Gegner als Freunde der Flick-Gedächtnisorte in der Oberpfalz zusammen. Franz Schindler, SPD-Landtagsabgeordneter und Stadtrat von Schwandorf bekräftigte, dass er der Schwandorfer Flick-Straße den Garaus machen will. Und Dietmar Cramer, Archivar der Heidelberger Cement AG befand: „Manchmal bedarf es des äußeren Drucks, um zur inneren Einsicht zu kommen.“ In diesem Fall war es der Druck der internationalen Kunden, der den Baustoffkonzern bewegte, frühzeitig dem Entschädigungsfonds beizutreten. Am Sonntag, 7. März, 20 Uhr, wird im Rahmen des Begleitprogramms im Kinocenter Maxhütte, Kurt-Schumacher-Straße 2, der Film „Das Heimweh des Waleria Wróbel“ gezeigt. Erzählt wird die reale Geschichte eines 16-jährigen Zwangsarbeiters, der wegen eines Bagatelldelikts von der NS-Justiz zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Prof. Christoph Schminck-Gustavus ist Autor des gleichnamigen Buches. Er berichtet von seinen Recherchen und diskutiert mit den Kinobesuchern.
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Kommentare (2)

  • Incognito

    |

    Es gibt in Sulzbach-Rosenberg weder eine “Flick-Villa” noch einen “Flick-Park”!
    Bitte demnächst saubere Recherche betreiben !

  • quarky

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    Es gab einmal einen Flickpark, wurde aber umgenannt.
    Es gibt auch noch immer eine sogenannte Flickvilla. Aber eher so wie man einen Hof als Huberbauer bezeichnet.

    Weiterhin gibt es aber ein Freridrich Flick Stadion

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