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Kundgebung

Der patriachalen Gewalt entgegentreten

Am 25. November findet jährlich der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen statt. In Regensburg versammelten sich rund 100 Menschen auf dem Domplatz. 

„Nein heißt Nein.“ Dieser Grundsatz ist seit 2016 Bestandteil des neuen Sexualstrafgesetzes. Foto: bm

In fahles gelbliches Licht getaucht stehen sie Donnerstagabend da. Rund 100 Regensburgerinnen und Regensburger haben sich vor dem Westportal des Doms versammelt. Bei den eisigen Temperaturen hier dient der Mundschutz auch als wärmendes Utensil. Dazu Schals und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Anlass der Versammlung ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.

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Dieser weltweite Aktions- und Gedenktag geht auf ein Treffen lateinamerikanischer und karibischer Feministinnen im Jahr 1981 zurück, der anlässlich der Ermordung der Schwestern Mirabal im Jahr 1960 durch die damalige dominikanische Militärdiktatur initiiert wurde. Die Frauen waren erklärte Regimegegnerinnen und gelten heute in der Dominikanischen Republik als Symbol des Widerstands. 1999 nahmen die Vereinten Nationen den 25. November offiziell als Gedenktag in ihren Kalender auf und thematisieren an diesem Datum seitdem die Einhaltung der Menschenrechte für Frauen, sexualisierte und häusliche Gewalt, Verschleppung und Zwangsprostitution.

Feministischer Aktionsmonat

Donnerstagmittag hatte die feministische Organisation Terre de Femmes in Beisein von Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer wie schon in den Vorjahren eine Fahne anlässlich des Gedenktages auf dem Kohlenmarkt gehisst. Am Abend luden die Gruppe Eben.Widerspruch, die Beratungsstelle für Frauen Solwodi sowie der Frauennotruf Regensburg zur Kundgebung vor den Dom.

Schon in den Tagen davor gab es im Rahmen eines Aktionsmonats mehrere Veranstaltungen. Neben einem Infoabend des „Weißen Rings“, gab es an der Universität eine Ausstellung der „Kritischen Mediziner*innen“ zum Thema Abtreibungen (hier ein Interview mit pro familia) sowie einen Vortrag zum Gewaltschutzgesetz und eine Filmvorführung.

Hunderttausende Frauen jedes Jahr betroffen

Jedes Jahr werden mehr als 100.000 Frauen Opfer partnerschaftlicher Gewalt. Mehr als 9.000 Betroffene werden in Deutschland Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigungen oder anderer sexueller Übergriffe. Und auch die Zwangsprostitution spielt in diesen Statistiken weiterhin eine große Rolle. Wie eine Rednerin am Donnerstag betont, dürften die tatsächlichen Zahlen noch einmal deutlich höher liegen, erfasse doch die Kriminalstatistik „das große Dunkelfeld“ nicht.

Vor dem Dom machten die Teilnehmerinnen auch auf das Selbstbestimmungsrecht aufmerksam. „Mein Körper. Meine Entscheidung.“ Foto: bm

Einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge zeigen gerade einmal acht Prozent der Frauen Fälle sexualisierter Gewalt an. Oftmals fehle das Gefühl, wirklich gehört und ernst genommen zu werden, heißt es auf der Kundgebung. Ein Problem, das die ehrenamtliche Vorsitzende des Regensburger Frauennotrufs Michaela Schindler gegenüber unserer Redaktion schon 2016 benannt hat. Oft würden Vorfälle bagatellisiert und Betroffenen kein Gehör geschenkt werden, so Schindler. Am Donnerstag ist sie verhindert. Ihr Redebeitrag wird verlesen.

Auch wenn es unbehaglich ist

„Es ist unbehaglich, zu hören, welche Dimensionen Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft weltweit hat“, heißt es darin. Sich mit den patriarchal geprägten Strukturen auseinanderzusetzen, darauf öffentlich hingewiesen zu werden, sei „lästig“ und „ungemütlich“. „Es ist störend, wenn sich in die vorweihnachtlichen Gedanken Bilder betroffener Frauen und Mädchen drängen.“ Doch es sei eben auch notwendig, nicht nur weil sich 81 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen richten.

Seit Jahren wird darauf hingewiesen, dass jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben die Erfahrung von Gewalt macht. Im schlimmsten Fall kommt es wie im Oktober 2020 zu einem Femizid, der Tötung einer Frau durch ihren Partner. Dass solche Fälle oft noch als Beziehungstaten oder Ehedramen abgetan würden, verharmlose die Taten.

Mit dem „blöden sexistischen Witz“ fange es an

Doch Gewalt gegen Frauen fange schon viel früher an, so Schindler. Der „blöde sexistische Witz, der ja gar nicht so gemeint war“ oder ein „anzügliches Lächeln gepaart mit einer unschönen Einladung“, die „eklige Hand“, die ungefragt an privaten Körperstellen lande. Alltagssituationen für viele Frauen, die aber gesellschaftlich akzeptiert würden. Dagegen gelte es anzugehen – auch wenn es lästig erscheine.

Lästig und gar verstörend seien nämlich auch sogenannte „Dick-Pics“. Seit einiger Zeit ein gewisser Trend unter Männern. Dabei verschickt Mann Bilder seines Penis an Frauen. Doch anstatt vehement dagegen vorzugehen, Stellung zu beziehen und klar zu machen, dass es keine unbedeutenden Einzelfälle oder Ausrutscher seien, werde verharmlost, klein geredet und am Ende den Frauen noch gesagt, man solle sich nicht so haben. In Serien wie How I Met Your Mother verkommt das unaufgeforderte „Dick-Pic“ zum gesellschaftsfähigen Gag.

Der „Mythos der rachesuchenden Frau“

Bei Fällen von Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Übergriffen würden Opfer dann viel zu selten ernstgenommen werden oder gar der falschen Verdächtigung bezichtigt. Belege dafür, dass Frauen überproportional Sexualdelikte falsch anzeigen würde, gebe es keine. Dennoch halte sich der „Mythos der stets falsch bezichtigenden, rachesuchenden Frau“, wie die Berliner Fachanwältin für geschlechtsspezifische Gewalt Christina Clemm 2020 in ihrem Buch „AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt“ schrieb.

Clemm war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des Bundesjustizministeriums und mehrfach als Sachverständige in öffentlichen Anhörungen im Bundestag geladen. Zuletzt im März 2021 zum Antrag „Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern“. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex-) Partner getötet. Eine Zahl, die seit Jahren bekannt ist. Dennoch, so Clemm in ihrem Buch, würden die „systematischen Schwächen der Justiz und Strafverfolgungsbehörden eine angemessene rechtsstaatliche Reaktion“ zu oft noch erschweren.

„Nein heißt Nein“: Der neue Grundsatz der Justiz

2016  kam es zu einer Neujustierung des Sexualstrafrechts. Seitdem gilt der Grundsatz: „Nein heißt Nein“. Für die Strafbarkeit eines Übergriffes kommt es nicht mehr darauf an, ob mit Gewalt gedroht oder diese angewendet wurde. Entscheidend ist, ob das Opfer die sexuelle Handlung gewollt hat (hier ein kritischer Beitrag des Deutschlandfunks dazu). Wie notwendig eine solche Klarstellung ist, macht nicht nur der Song von G.G. Anderson „Nein heißt Ja“ deutlich.

Auch in Regensburg werden an Amts- und Landgericht immer wieder Fälle häuslicher Gewalt, sexueller Nötigung oder Vergewaltigung verhandelt. Und oft dreht sich dabei die Frage auch darum, ob das Opfer dem Täter deutlich zu verstehen gegeban hat, dass es nicht möchte. Mit Blick auf die mutmaßlichen Opfer ist man hier oft darum bemüht, den Geschädigten eine Aussage vor Gericht bestenfalls zu ersparen oder sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit anzuhören. Immer öfter kommen auch Videovernehmungen zum Einsatz, die die direkte Konfrontation mit dem Angeklagten verhindern sollen.

Mehr Schutz für Betroffene gefordert

Gleichzeitig steht die Justiz oft aber vor dem Problem fehlender Zeugen und Beweismittel. Nicht selten müssen Gerichte bei Sexualdelikten eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation verhandeln. Für die Betroffenen kann so eine zusätzliche Belastung durch das Verfahren entstehen.

24171 – die Notrufnummer für vergewaltigte und belästigte Frauen und Mädchen. Foto: om

Für die Demonstrierenden auf dem Domplatz geht es deshalb auch darum, generell den öffentlichen Raum zu öffnen und Betroffenen ein Angebot wie etwa beim Frauennotruf bereitstellen. Es brauche das Gefühl, nicht alleine zu sein. Ebenso bei Fällen der Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung oder der Zwangsprostitution. Nur dann könnten auch die psychisch-emotionalen Folgen solcher Erfahrungen wie Scham, Depression oder Angststörungen behandelt werden.

Laut Schindler zeige sich, dass Betroffene, die Hilfe in Anspruch genommen haben, meist eine für sich „sehr gute Strategie“ entwickeln könnten. Damit das bestenfalls aber gar nicht nötig ist, fordern die Menschen auf dem Domplatz ein entschiedeneres Entgegentreten der Gesellschaft gegen Gewalt an Frauen.

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Kommentare (5)

  • Westendler

    |

    Kommentar gelöscht. Kein Getrolle.

  • joey

    |

    Ob Penisbilder zur Gewalt führen? In jedem Fall führt besondere Blödheit zum Penisbild.

    Ahmad Mansour zum Thema:
    “„…wenn wir dabei die kulturellen und religiösen Hintergründe von bestimmten Phänomenen ausblenden, hilft das nicht weiter“. Mansour sieht die Gefahr, dass die Ursachen – häufig archaische, erzkonservative Welt- und Frauenbilder mit religiöser Aufladung – von einem Teil der Gesellschaft verdrängt oder relativiert werden. Genauer hinzusehen würde u.a. auch unbequeme integrationspolitische Fragen aufwerfen.”

    Ja, auch hier in Regensburg sind Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung eher weniger bayrische Tradition.

  • Roland Hornung

    |

    @ Joey

    Ich kann joey (und erst recht natürlich ahmad mansour) nur zustimmen!

  • Alfons

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    Übergriffigkeit und Gewalt gegen Frauen ist ein eigenes Thema und alte Rollenzuschreibungen und Frauenbilder führen nicht automatisch zu Gewalt.

  • xy

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    Warum “patriarchal“? Das Wort stammt von lat. Pater=Vater. Ist also wirklich “väterliche Gewalt“ gemeint, oder doch eher männliche (maskuline) Gewalt?

Kommentare sind deaktiviert

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