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Mahnwache ein Jahr nach Hanau

„Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst.“

Am 19. Februar 2020 ermordete Tobias R. in Hanau neun Menschen aus rassistischen und rechtsextremen Motiven. Auf dem Regensburger Neupfarrplatz versammelten sich am Freitag etwa 150 Leute, um ein Jahr nach der Tat der Opfer zu gedenken. Aus Sicht der Hinterbliebenen sind noch immer viele Fragen ungeklärt.

Immer wieder werden die Namen der neun Getöteten verlesen. Unter ihnen war auch ein ehemaliger Regensburger.

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov. Diese neun Namen werden am Freitag auf dem Neupfarrpatz immer wieder verlesen. Es sind jene neun Menschen, die am 19. Februar 2020 bei einem rechtsextremen Attentat ums Leben kamen.

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„Rassismus ist ein Gift. Der Hass ist ein Gift“, so die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 13. Februar in ihrem wöchentlichen Podcast. „Der Anschlag von Hanau war ein Einschnitt für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft und für den Zusammenhalt der Menschen in Deutschland.“ Alle, die in Deutschland friedlich miteinander leben wollen, stünden geeint gegen den Hass der Rassisten, so Merkel in ihrer Botschaft im Vorfeld des Gedenktages zu Hanau. Doch nicht nur die Angehörigen der Opfer sehen gerade bei Politik und Polizei massives Versagen „vor, während und nach der Tat“ und fordern „Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“.

„Aufklärung und Konsequenzen, das müsste eigentlich selbstverständlich sein“, sagt auch Necati Güler, Sprecher des Internationalen Kultur- und Solidaritätsvereins in Regensburg. Der IKS hat zusammen mit der Liste Mosaik des Integrationsbeirats die Mahnwache auf dem Neupfarrplatz organisiert. Leider gäbe es immer wieder einen Anlass, die Forderungen zu wiederholen, so Güler vor dem Karavan-Denkmal stehend. Ob nach den Taten des NSU-Komplexes, dem antisemitischen Anschlag von Halle oder der Ermordung von Walter Lübcke. Der wieder und wieder versprochenen „lückenlosen Aufklärung“ hätten die „politisch Verantwortlichen“ zu wenig Taten folgen lassen.

„Say their Names“

Während er von der tiefen Trauer der Angehörigen und deren Schmerz spricht, werden auf eine Leinwand hinter ihm die Gesichter der Opfer von Hanau projiziert. Auf Schildern, die einige der rund 150 Teilnehmenden dabei haben, sind ihre Namen zu lesen. Eine junge Frau hält ein Schild hoch mit dem Aufruf „Say their Names“ („Sagt ihre Namen“). Es ist der Leitspruch der bundesweiten Gedenkveranstaltungen. „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“, zitiert Güler dann auch aus einem Facebook-Post von Ferhat Unvar, eines der Opfer, aus dem Jahr 2015.

Das Mindeste wäre eine lückenlose Auflkärung, so Güler.

Neben der Trauer existiert bei den Hinterbliebenen aber auch große Wut. Da eine zentrale Gedenkfeier in Hanau pandemie-bedingt nicht stattfinden konnte, veröffentlichten sie vor wenigen Tagen ein umfangreiches Video auf Youtube, in dem sie Politik und Polizei Versagen, Respektlosigkeit und „institutionellen Rassismus“ vorwerfen. In den Beiträgen, die zum Teil auch auf dem Neupfarrplatz abgespielt werden, wiederholen sie ihre Fragen, die sie bereits seit einem Jahr immer wieder stellen.

Warum kamen zahlreiche Notrufe bei der Polizei nicht an?

Bereits kurz nach dem Anschlag musste Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) zugeben, dass der Hanauer Polizeinotruf in der Tatnacht überlastet gewesen sei. Deshalb seien die zahlreichen Anrufe im Kontext der Tat zunächst gar nicht durchgekommen. Ein Vorfall, der den 22-jährigen Vili Viorel Păun wohl das Leben gekostet hat. Er hatte Tobias R. damals, nachdem dieser vor einer Bar bereits drei Menschen getötet hatte, mit seinem Auto verfolgt und versucht, ihn zu stoppen. Dabei soll er auch mehrfach vergeblich den Notruf gewählt haben. Kurz darauf traf ihn der Attentäter durch die Frontscheibe.

Aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass die Notrufe am 19. Februar 2020 nur an zwei Stellen der Hanauer Polizei bearbeitet, weitere Notrufe nicht umgeleitet worden waren und der Mitschnitt nicht funktioniert hatte.

Warum war der Notausgang der Shisha-Bar verriegelt?

Eine weitere Frage dreht sich um den Notausgang der „Arena Bar“, dem zweiten Tatort. Dort hatte Tobias R. zunächst Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz und Ferhat Unvar in einem angrenzenden Kiosk erschossen. Schließlich betrat er die „Arena Bar“ und tötete Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. Ihre Leichname fand die Polizei vor dem verriegelten Notausgang der Bar. Warum die Tür versperrt war, das fragen die Hinterbliebenen auch ein Jahr nach der Tat.

Wie es in einem Artikel des Focus heißt, sei es laut Stammgästen ein „offenes Geheimnis“ gewesen, dass dies eine Anordnung der Polizei gewesen sei, „damit die es bei ihren regelmäßigen Razzien gegen Shisha-Bars leichter hat“. Nachdem sich Polizei, Gewerbeamt und das zuständige Regierungspräsidium in Darmstadt zunächst gegenseitig die Verantwortung zuschoben, hat Anfang dieses Jahres – nach einer Anzeige der Angehörigen wegen fahrlässiger Tötung – die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen.

Wie konnte es überhaupt zu der Tat kommen?

Die grundlegendste Frage zur Tat von Hanau dreht sich jedoch darum, ob der Anschlag im Vorfeld hätte verhindert werden können. Schon im November 2019 hatte Tobias R. einen Brief an Generalbundesanwalt Peter Frank geschickt. Darin stellte der 43-Jährige Strafanzeige gegen eine unbekannte Geheimdienstorganisation. Diese sei eine übergreifende große Organisation, die vieles beherrsche, „sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern“.

Auch die Angehörigen kamen per Video zu Wort. Sie sehen sich weiterhin alleingelassen.

Ähnliche Verschwörungsphantasien äußerte R. wenig später auch in den sozialen Medien und in einem Pamphlet, das er zeitgleich zur Tat online stellte. Da in dem Brief vom November 2019 aber keine „rechtsextremistischen oder rassistischen Ausführungen“ enthalten gewesen seien, habe man von einem Ermittlungsverfahren abgesehen, gab Generalbundesanwalt Frank wenige Tage nach der Tat an. Laut früheren Arbeitskollegen soll R. mit seinen politischen Ansichten nicht hinter dem Berg gehalten haben. So habe er die deutsche Nationalmannschaft wegen der „Ausländer“ darin abgelehnt und die AfD für nicht radikal genug gefunden.

Waffenbehörde sah keinen „konkreten Anlass“

In den Schützenvereinen, in denen er seit 2012, beziehungsweise 2014 aktiv war, sei er hingegen nie als gefährlich oder rassistisch aufgefallen. Probleme sah man auch bei der Waffenbehörde nicht und genehmigte 2013 zwei Waffenbesitzkarten. Eine genauere Überprüfung blieb auch aufgrund einer bundesweiten Verwaltungsvorschrift aus, laut derer nur noch „bei konkretem Anlass“ genauer hingesehen werden soll. Die Waffenbesitzkarte erhielt Tobias R. dann irrtümlicher Weise für „Jäger“.

Während die zuständigen Behörden in Mainz und München – dort lebte R. arbeitsbedingt von 2013 bis 2018 – offenbar nie Bedenken an dessen Waffentauglichkeit hatten, absolvierte R. im Juli und September 2019 mindestens zwei Gefechtstrainings in der Slowakei. Knapp zwei Wochen vor der Tat lieh er sich mit seinem Sportwaffenschein bei einem Waffenhändler dann die Tatwaffe, eine Czeska 75 Shadow.

140 Quadratmeter für die Erinnerung

Dass Tobias R., der laut den Ermittlern eine „schwere psychotische Krankheit“ gehabt haben soll, im Besitz von Waffenscheinen war, stellt laut der „Initiative 19. Februar Hanau“ ein klares Versagen der Behörden dar. Die Initiative ist ein Zusammenschluss von Angehörigen der Opfer und prangert das „Versagen vor, während und nach der Tat“, die „Schwerfälligkeit der Ämter bei der Unterstützung und Hilfe der Angehörigen“ und das „unverzeihliche Fehlverhalten der Sicherheitskräfte in der Tatnacht“ an.

Auch Pedro Paquay Rovira von MOSAIK, Luise Gutmann von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und ein Vertreter des Vereins Seebrücke sprachen vor Ort über die Kontinuitäten rassistischer Taten.

Um auch künftig der Verstorbenen zu gedenken und die eigene Arbeit fortsetzen zu können, möchte die Initiative in Hanau einen festen Anlaufpunkt schaffen. Unter dem Titel „140 qm in Hanau gegen das Vergessen“ sammeln sie dazu derzeit über ein Crowdfunding Gelder.

„Wider die rassistischen Zustände“

Wie Güler auf dem Neupfarrplatz betont, reiche es nicht, nach jedem Mord auf die Straße zu gehen. Man müsse sich jeden Tag einbringen und im eigenen Umfeld aktiv einmischen. „Jeder noch so kleinen Relativierung von rassistischem Handeln muss konsequent begegnet werden.“ Gemeinsam mit dem „aaa – Arbeitskreis ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ wird der IKS auch im Rahmen der „Internationalen Woche gegen Rassismus“ vom 15. bis 29. März den Anschlag von Hanau thematisieren.

„Wir werden euch nie vergessen.“ Deutschlandweit erinnerten Menschen am Freitag an die Opfer von Hanau. Foto: bm

Auch dann soll unter dem Motto „Say their names” mit einer Plakataktion an Fatih Saraçoğlu erinnert werden. Der 34-Jährige lebte früher mit seinem Vater und seinem Bruder in Regensburg, ehe er vor einigen Jahren nach Hanau zog und sich dort selbstständig machte. Er und die anderen Opfer des rassistischen Anschlags sollen „nie vergessen werden“, wie Necati Güler mit Bezug auf Ferhat Unvars erwähnten Facebook-Post am Freitag verspricht.

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Kommentare (2)

  • Verwundert

    |

    Hat er nicht 10 Menschen ermordert?
    Warum wird nicht an alle Opfer gedacht?

  • Mr. T.

    |

    9 Menschen wurden Opfer eines rechtsextremen Attentats. 1 Mensch wurde Opfer eines “Familiendramas” – wie so was in den einfacheren Medien oft genannt wird. 1 Person wurde Opfer eines Suizids – und die ist in dem Fall höchstens als Warnung ein Gedenken wert.

Kommentare sind deaktiviert

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