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Erinnern an Auschwitz

Im Gedenken an das Unaussprechliche

Neun Buchstaben, die Menschen weltweit an unvorstellbares Leid und grausamste Taten erinnern lassen. Ein Wort, das, wie kaum ein anderes, für die Vernichtungsindustrie Nazi-Deutschlands steht. Am 27. Januar 1945 betraten Soldaten der Roten Armee zum ersten Mal das Konzentrationslager Auschwitz. Diese Woche jährt sich dieser Tag zum 75. Mal. Auch in Regensburg beging die Stadt mit Vertretern der jüdischen und mehrerer christlichen Gemeinden sowie vielen weiteren Gästen den internationalen Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz und für die Überlebenden des Holocaust.

“Nie wieder” dürfe etwas so Abscheuliches geschehen, fordert Ilse Danziger. Foto: Bothner

“Auschwitz ist die Wirklichkeit der deutschen Täterschaft und somit Erbe jeder späteren Generation in Deutschland.“ So formuliert es die Historikerin Dr. Susanne Willems am Montagabend. Die Wiederholung dessen, „wogegen sich der menschliche Verstand sperren möchte“, erscheint 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz unvorstellbar. Doch schon 1966 schrieb Theodor W. Adorno in seinem Text Erziehung nach Auschwitz, dass die Gefahr der „erneuten Barbarei“ weiterhin gegeben sei. Auch Ilse Danziger, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Regensburg, und Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer finden an diesem Abend mahnende Worte und plädieren für eine lebendige Erinnerungskultur sowie eine engagierte Zivilgesellschaft.

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Es ist ein durchaus düsteres Bild der deutschen Gesellschaft, das die Bürgermeisterin in ihrer Rede skizziert. Derzeit etabliere sich wieder eine Mentalität, „in der Hass und Gewalt immer größer werden“. Die Mordserie des NSU habe nicht zur notwendigen Zäsur im Kampf gegen rechten Terror geführt. Ein Regierungspräsident, Walter Lübcke, wurde vor seinem Haus erschossen. Und in Halle verübte ein Rechtsextremist einen Anschlag auf eine Synagoge. „Es ist ein Deutschland, in dem das Unsagbare wieder sagbar geworden ist“, kritisiert Maltz-Schwarzfischer die gesellschaftlichen Entwicklungen. Im Saal des alten Rathauses herrscht eine andächtige Stille. Nur gelegentlich dringen Straßengeräusche durch die Fenster. Ernste Blicke sind auf das Rednerpult gerichtet.

„Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“

Frust und Angst müsse mit neuem Mut begegnet werden, fordert die Politikerin alle Anwesenden auf. „Wir müssen heute wieder näher zusammen stehen und auch derer Erinnern, die, wie der ehemalige Regensburger SPD-Bürgermeister Hans Weber, Widerstand geleistet haben.“ Dies könne Motivation bieten, auch selbst öfter zu widersprechen. Die Erinnerung der Millionen Opfer stelle dabei ein zentrales Moment „und der Besuch von Gedenkstätten eine wichtige Grundlage für das Verstehen dar“. Die Stadt wolle hier künftig mit positivem Beispiel vorangehen und „unseren Mitarbeitern entsprechende Angebote ermöglichen“. Schließlich müsse der „Kampf gegen den Faschismus und gegen das Vergessen Konsens unserer demokratischen Gesellschaft sein“.

“Der Kampf gegen Faschismus ist Konsens demokratischer Gesellschaften.”

Gerade die Errungenschaften der Demokratie gilt es auch aus Sicht von Danziger zu verteidigen. „Das wird in Zukunft für uns alle die größte Herausforderung bleiben.“ Besonders erschreckend sei dabei der wachsende Anteil der Antisemiten in der Mitte der Gesellschaft. „Antisemitismus ist auch heute ein gesamtgesellschaftliches Problem“, erklärt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. “Den immer lauter werdenden Stimmen nach einem Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel der Geschichte darf hier kein Gehör verschafft werden.” Stattdessen gelte es solchen „ehrbaren Antisemiten“, wie Danziger den Holocaust-Überlebenden Jean Améry zitiert, mit einem deutlichen „nie wieder“ entgegenzutreten.

Ein Synonym für das, was nie wieder sein soll

Eine wichtige Rolle sieht Danziger im Bereich der Bildung. Es sei erschreckend, „dass 40 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler nichts mehr mit dem Begriff Auschwitz anfangen können“, sei doch das „Erinnern unerlässlich für das Verstehen“. Denn nur wer die Geschichte verstehe, könne die Werte der Demokratie auch leben. Mehrfach betonen Danziger und Maltz-Schwarzfischer in ihren Reden die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur. “Auschwitz”, so Maltz-Schwarzfischer, “ist ein Ort, der stellvertretend für das Unbeschreibliche und Undenkbare steht.” Ein Synonym für das, was nie wieder sein soll. Die Erinnerung daran bleibe somit auch für künftige Generationen eine notwendige Aufgabe. Ein Auftrag, den auch Holocaust-Überlebende wie Esther Bejarano stets betonen.

„Ihr tragt keine Schuld für das was passiert ist, aber ihr macht euch schuldig, wenn es euch nicht interessiert.“ (Esther Bejarano)

Doch Auschwitz, das sei noch  mehr, wie Susanne Willems erklärt. „Für diejenigen, die bis heute in Ungewissheit leben, wo und wie ihre Familienangehörigen zu Tode gekommen sind, kann Auschwitz als Ort der persönlichen Trauer dienen.“

“Warum gedenken wir Auschwitz”, fragt Dr. Susanne Willems.

Willems selbst gibt sachlich nüchtern und doch eindrücklich einen historischen Überblick zur Gründung und Entwicklung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Auch das sei Teil der Erinnerung – über jenen Ort jegliche Details zu wissen, an dem mehr als eine Million Menschen den Tod fanden.

Zeugen der industriellen Vernichtungsmaschinerie

Als am 27. Januar 1945 die Soldaten der Roten Armee die Tore von Auschwitz durchschritten, sei ihnen zunächst nicht bewusst gewesen, welchen Ort sie so eben betreten hatten. Es ist jener Tag an dem die Welt zum ersten Mal Gewissheit über die begangenen Taten der Nationalsozialisten erhalten sollte. Den Soldaten bot sich dabei ein „Bild des Grauens“. Menschliche Leichentürme und verbrannte Überreste waren Zeugnisse der industriellen Vernichtungsmaschinerie. Hunderttausende Juden aus ganz Europa wurden nach Auschwitz deportiert  und zunächst als Zwangsarbeiter entweder direkt im Lager oder für Industriebetriebe wie die IG Farben eingesetzt. 

“Jeder neue Transport wurde bereits bei Ankunft in brauchbare und nicht mehr nützliche Gefangene unterteilt.” Wer als Arbeitskraft nicht verwertbar war fand ab 1942 in den Gaskammern den Tod. Am Ende waren es allein in Auschwitz mehr als eine Millionen getöteter Menschen. Die industrielle Ermordung der Nazis wurde hier perfektioniert und das “schreckliche Band des Todes bis zum letzten Tag am laufen gehalten”, wie Willems ausführt. „Erst am 26. Januar 1945 sprengte die SS das letzte verbliebene Krematorium und versuchte noch so viele Zeugen und Spuren wie möglich verschwinden zu lassen.“ 

Die Todesmärsche: der letzte Akt des deutschen Vernichtungswahns

Doch der Großteil der Gefangenen hatte das Lager da bereits zu Fuß Richtung Westen verlassen. Laut dem letzten Appell vom 17. Januar 1945 befanden sich im gesamten Stammlager, sowie den vielen Außenlagern rund 67.000 Häftlinge. Auf diese Arbeitskräfte wollte man im Reich, trotz des Vormarsches der sowjetischen Armee im Osten, nicht verzichten. „Auschwitz war während des Krieges zentrale Drehscheibe für die Konzentrierung und Verlegung von Arbeitskräften im gesamten deutschen Reich und wurde stetig ausgebaut.“ Die Rüstungsindustrie hing entscheidend von diesen Arbeitern ab.

Doch auf Grund der Temperaturen und des Gesundheitszustands bedeuteten die, später als Todesmärsche bezeichneten Verlegungen, für tausende Menschen den Tod. Es war der letzte Akt des deutschen Vernichtungswahns, der, neben den mehr als sechs Millionen Jüdinnen und Juden auch polnische und sowjetischen Kriegsgefangene, politisch Verfolgten und Kranke das Leben kostete. “Auschwitz”, so Willems, “war der Ort an dem der Holocaust eine eigene Qualität fand”.

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Kommentare (5)

  • joey

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    “40 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler”

    Es fällt bei schulischen Bildungs- oder Gedenkveranstaltungen Lehrern auf, daß immer genau zu diesem Termin in Moscheen Grippewelle herrscht und alle ein Attest eines bestimmten Arztes haben. Christliche Syrer(Innen) und Iraker(Innen) sind alle da. Eine Nachprüfung der Atteste findet aber nicht statt.

    Folgenlose Sonntagsreden: “Dies könne Motivation bieten, auch selbst öfter zu widersprechen.” Die Rednerin traut sich ja nicht mal hinzusehen.

  • Helwig

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    Man darf in diesem Land gegen rechts nicht den Stinkefinger zeigen, ohne dafür vom Staat bestraft zu werden. Das ist nur ein Beispiel von vielen, die rechtes Gedankengut in Schutz nimmt und zu dessen Vermehrung sorgt. Das ist offensichtlich politisch so gewollt, wäre es nicht so würden die Personen die politische Verantwortung tragen und an Gedenktagen wie diesem, große „nie wieder“ Reden halten, alles unternehmen das dem ein Riegel vorgeschoben wird – tun sie aber nicht.
    Wenn in Bayern ein Mitarbeiter einer Behörde einer Person von hinten das Kappa vom Kopf reißt, dann hat alles seine Ordnung, aber wenn in Berlin auf der Straße von jemandem das Kappa vom Kopf gezogen wird und die Medien greifen es auf, schreit die Politik laut auf … nicht das sie es mit dem Aufschrei ernst meinen, sondern weil die Medien es wohlwollend honorieren.

  • XYZ

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    Hitler soll 1933, wohl im Oktober, bei der Abrüstungskonferenz des Völkerbundes in Genf persönlich anwesend gewesen sein und erklärt haben: “Wir treten aus!” Das war der Anfang vom Ende.

  • XYZ

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    Hitler, eigentlich Hiedler, war offensichtlich an einem Trauma krank. Hatte sich als in Österreich nicht vorankommender Waldviertler freiwillig zur reichsdeutschen Reichswehr gemeldet, auch dort Niederlage. Das war auch das trauma der glorreichen Kriegs-Überlebenden des ersten Krieges, womit er reüssierte. Die Juden und andere waren bei diesen Wahnvorstellungen willkommene Opfer. Man lese Siegmund Freud: nie wieder !!!

  • XYZ

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    Dazu empfehle ich den Film ‘In the presence of mine enemies’ zum Warschauer Aufstand, 1997 auf you tube brot 886. Der Rabbi am Ende: “Das Leben braucht Ausgewogenheit und Liebe und nicht Hass, sonst können wir nicht überleben, und das gibt Sinn.”

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