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Verhandlung am Amtsgericht Regensburg

Vier Monate U-Haft für räuberischen Diebstahl, der keiner war

Ein 42-Jähriger wurde gestern vom Amtsgericht Regensburg zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er klaute im Alex-Center und wollte sich unter Beleidigungen seiner Festnahme entziehen. Der Vorwurf des räuberischen Diebstahls, wegen dem er seit vier Monaten in Untersuchungshaft sitzt, konnte sich hingegen nicht bestätigen.

Sechs Monate Haft für Ladendieb. Foto: om

„Der Bagatelldiebstahl hätte Sie nicht viel gekostet,“ resümiert Amtsrichterin Andrea Costa in der gestrigen Hauptverhandlung. „Was Ihnen das Genick bricht, ist das hinterher. Sie haben sich aufgeführt wie die Axt im Walde.“ Soeben ist der 42-jährige Ulf E. wegen Diebstahls, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Es hätte für den Angeklagten aber noch weitaus schlimmer kommen können, hätte sich der Anklagevorwurf des räuberischen Diebstahls bestätigt. Den sah zuletzt aber selbst die Staatsanwaltschaft als nicht erwiesen an.

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Ware im Wert von 15,97 Euro geklaut

Am Nachmittag des 28. Juli 2020 ließ E. einen Käse, ein Hanuta, Tabak und Zigaretten im Kaufland im Regensburger Alex-Center mitgehen – Warenwert: 15,97 Euro. Weil er in dem Geschäft bereits Hausverbot hatte, fiel der Ladendieb einem Mitarbeiter auf, der ihn und seine weibliche Begleitung nach Bezahlung anderer Einkäufe mithilfe weiterer Angestellter ins Detektivbüro bat. Dort angekommen, weigerte sich der Angeklagte den geklauten Inhalt seines Rucksacks preiszugeben. Nach Zeugenaussagen trank er während der Klärung des Angelegenheit immer wieder aus einer Weinflasche.

Er schimpfte laut und drohte den vier Angestellten und weil er dabei auch mit der Flasche, die er am Flaschenhals hielt, fuchtelnd gestikulierte, fühlte sich das Personal von ihm besonders bedroht. „Ich werde euch eine zentrieren,“ rief E. In der Folge gelang es dennoch ihm die Flasche abzunehmen und auch das Diebesgut aus seinem Rucksack zu sichern.

Beleidigungen gegen Polizeibeamte

„Wichser!“ Zwei herbeigerufene Polizisten beleidigten E. und seine Begleiterin ebenfalls. Nachdem dem alkoholisierten und ohne festen Wohnsitz lebenden Mann die vorläufige Festnahme erklärt wurde, weigerte er sich mitzukommen. Einer dann versuchten Fesselung widersetzte er sich ebenfalls und griff dabei in die Handschellen. Seine Begleitung versuchte die Festnahme ebenfalls zu verhindern.

Erst unter Androhung des Einsatzes von Pfefferspray ließ sich der Ladendieb überwältigen. Die Freundin des 42-Jährigen wurde bereits in der vergangenen Woche vom Amtsgericht Regensburg rechtskräftig zu einer Geldstrafe (70 Tagessätze) wegen versuchter Gefangenenbefreiung und Beleidigung verurteilt.

Räuberischer Diebstahl oder „nur“ Diebstahl?

Zentraler Punkt in der hiesigen Anklage ist: Bedrohte Ulf E. die Kaufland-Angestellten mit der Flasche, um die gestohlene Ware für sich zu behalten? Das wäre nicht nur Diebstahl, sondern räuberischer Diebstahl – ein deutlich schwerwiegenderes Delikt. Der Nachweis dieses Vorwurfs lässt sich in der Hauptverhandlung nicht führen.

Die Zeugenaussagen fallen diesbezüglich deutlich abgeschwächter aus als die Anklage. Die Flasche habe man dem aggressiven Ulf E. abnehmen wollen, weil sie in seiner Hand schon eine potentielle Bedrohung dargestellt habe und es „teilweise so ausgesehen hat, als würde er damit schlagen,“ wie eine Mitarbeiterin berichtet. Alle Zeuginnen und Zeugen sagen auf explizite Nachfragen von Richterin Costa aus, dass er das Diebesgut nur zu Beginn bei sich hatte und es in der Zwischenzeit seinem Rucksack entnommen werden konnte und auf einer Liege abgelegt wurde.

„Der Ermittlungsrichter ist der Protokollbeamte der Staatsanwaltschaft.“

Niemand im Gerichtssaal hält deshalb noch am Tatbestand des räuberischen Diebstahls fest. Vor allem dieser Vorwurf führte jedoch zur Inhaftierung E.s, der deshalb seit vier Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Sein Verteidiger Helmut Mörtl kritisiert den Haftbefehl und die Abweisung seiner Haftbeschwerde durch das Landgerichts Regensburg scharf. Da tue man nicht groß rum bei jemandem wie seinem Mandanten. E. hat etliche Vorstrafen, ist drogen- und alkoholsüchtig und ohne festen Wohnsitz.

Im Haftbefehl stünde, dass E. „die entwendeten Sachen mitnehmen wollte“. Einen Vermerk der Polizei, wonach dem damals 41-Jährigen das Diebesgut allerdings bereits abgenommen worden sei – er es also gar nicht mehr habe für sich behalten können –, „hat niemand gelesen.“ Ob das für einen dringenden Tatverdacht als Haftgrund ausgereicht hätte?

Mörtl hat daran große Zweifel und geht noch weiter. In Bayern werde dem Ermittlungsrichter seitens der Staatsanwaltschaft auf dessen Briefkopf der fertige Haftbefehl präsentiert, den dieser nur zu unterzeichnen habe. „Der Ermittlungsrichter ist der Protokollbeamte der Staatsanwaltschaft,“ ärgert sich der Anwalt.

Lange Vorstrafenliste

Aber auch Mörtl sieht, dass sein Mandant nicht ohne Haftstrafe und auch nicht mit Bewährung davonkommt. Denn Ulf E. hat ganze 18 Einträge im Bundeszentralregister. Darunter Drogengeschichten, Körperverletzung, Urkundenfälschung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und auch einschlägige Diebstahlsdelikte. Auch einige Haftaufenthalte ohne die erhoffte abschreckende Wirkung sind dabei.

Als Gesamtfreiheitsstrafe schlägt der Verteidiger vier Monate vor. Die weiteren Vorwürfe bestreitet der Verteidiger nicht, auch wenn sich sein Mandant laut eigener Aussage an gar nichts mehr an dem Tag erinnern könne. Den Diebstahl habe E. begangen, ein Schaden sei Kaufland nicht entstanden, da die Ware wieder zurückkam. Beleidigt habe er auch und auch Widerstand gegen seine Festnahme geleistet. Dabei sei letztlich aber nicht viel passiert. „Sie merken, worauf ich hinaus will? Das sind keine zehn Monate Freiheitsstrafe.“

„Fünf Monate für 15 Euro? Ich bitte Sie!“

Zehn Monate fordert zuvor die Staatsanwaltschaft. Allein für den Diebstahl setzt der Staatsanwalt eine Einzelstrafe von fünf Monaten an. Verteidiger Mörtl in seinem Plädoyer: „Fünf Monate für 15 Euro? Ich bitte Sie!“. „Schicken Sie ihn noch zwei Tage in die JVA und wir machen es rechtskräftig,“ schließt Mörtl seinen Schlussvortrag.

Das Schöffengericht verurteilt den Angeklagten Ulf E. schließlich zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung in zwei Fällen. Der bisherige Haftbefehl wird aufgehoben.

Unklarheit über Haftentlassung und Haftantritt

Mit dem Urteil, das durch Rechtsmittelverzicht sofort rechtskräftig wird, stellen sich am Ende der Verhandlung noch ganz praktische und für alle Beteiligten sichtlich irritierende Fragen. Zunächst könne E. noch heute als freier Mann nach Hause gehen – beziehungsweise zu seiner Freundin nach Weiden, wie der Wohnungslose ankündigt. Ihm fehlen aber noch genau zwei Tage, damit nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit eine Aussetzung der Haft möglich werde. Noch zwei Tage in die U-Haft könne er aber nicht mehr, da der Haftbefehl bereits aufgehoben sei, stellt man in der Runde fest.

Letztlich bleibe eine zügige Haftvorladung und ein baldiger regulärer Gefängnisaufenthalt. Denn ab Februar habe E. nach eigener Auskunft einen Entgiftungsplatz sicher. Mit seiner aktuellen Freundin, die nichts mit Drogen und Alkohol am Hut habe, soll es dann (wohl erstmals) bergauf gehen.

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