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Selbstorganisiertes Kulturzentrum in der Maxstraße

Vom Gifthaus zur „Keimzelle“

Das Erdgeschoss des städtischen Sanierungsfalls Maxstraße 26 soll für mindestens ein Jahr ein selbstorganisiertes sozio-kulturelles Zentrum werden. Das beschloss der Kulturausschuss des Regensburger Stadtrats vergangene Woche einstimmig. Auch eine Weiterführung über den derzeit geplanten Zeitraum hinaus ist nicht völlig ausgeschlossen.

Wurde als möglicher Hotelstandort für ein Kultur-und Kongresszentrum am Ernst-Reuter-Platz deutlich überteuert angekauft Das frühere HVB-Gebäde in der Maxstraße. Foto: Archiv

Eigene Akzente setzen und „immer kräftig neben die Fußstapfen treten“. Diese Devise hatte der Regensburger Kulturreferent Wolfgang Dersch zu seinem Amtsantritt im April 2019 ausgegeben. Mit der Vorlage, die Dersch vergangene Woche den Stadträtinnen und Stadträten im Kulturausschuss vorgelegt hat, bleibt er dieser Linie weiter treu. Es geht um eine kulturelle Zwischennutzung des früheren HVB-Gebäudes in der Maximilianstraße 26, die im Herbst dieses Jahres starten soll.

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Ende 2014/Anfang 2015 hatte die Stadt das Gebäude zu einem kolportierten Preis zwischen 13 und 14 Millionen Euro erworben – ein Preis, der um einiges über dem Marktwert liegt, den Branchenkenner damals mit „deutlich unter elf Millionen“ taxierten. Mindestens weitere vier Millionen flossen in Schadstoff- und sonstige Sanierungsarbeiten (mehr darüber). Ende 2019 kündigte mit der Medicon Apotheke der größte gewerbliche Mieter. Ein Billigladen, den die Stadt zuletzt dort unterbringen wollte, sprang ab.

„Raum für Experimente und Unvorhergesehenes“

Setzt eigene Akzente: Kulturreferent Wolfgang Dersch. Foto: Ferstl/ Stadt Regensburg

Nun soll nach der einstimmig und unter allseitigem Lob verabschiedeten Vorlage des Kulturreferats auf den 400 Quadratmetern ein „selbstorganisierter Kulturort“, ein „Raum für Experimente und Unvorhergesehenes“ entstehen (die Beschlussvorlage als PDF). Daneben wird ein Büro des Kulturamts eingerichtet, um einen niederschwelligen Zugang bei Fragen zu Fördermöglichkeiten und dergleichen zu ermöglichen. Dersch selbst spricht von einem „neuen Blickwinkel“, mit dem sein Referat an die Kulturszene herantreten wolle. „Mit viel Mut und ohne Gedankenbremsen.“ Und tatsächlich hat eine Beschlussvorlage im Stadtrat selten so deutlich benannt, woran es in Regensburg fehlt und was man nun – zumindest bis Ende 2022 – anbieten will.

„Akteur*innen und Initiativen suchen vor allem nach Orten, wo sie unabhängig und kostengünstig agieren, proben und experimentieren können“, heißt es darin. Spätestens 2015, als der Stadtrat den Regensburger Kulturentwicklungsplan verabschiedet hat, sei der „Bedarf an öffentlichen Räumlichkeiten für die Entfaltung von Kunst und Kultur“, insbesondere im Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit gemeinnütziger Vereine und Einrichtungen“ nachdrücklich formuliert worden. Und diese fehlende Infrastruktur sei nicht nur durch zahlreiche Anfragen bei der Stadt dokumentiert. Auch die „Kultur-Inventur“, eine Initiative von Eva Karl-Faltermeier, Florian Hammerich und Florian Topernpong, die hunderte von Kulturschaffenden befragt und im Stadtbild sichtbar gemacht hatte (hier geht es zur Homepage), habe dieses Problem „nochmals deutlich offenbart“.

„Frei von Verwertungsinteressen und Konsumzwang“

Das „innovative Pilotprojekt“ in der Maxstraße soll hier nun gegensteuern, „frei von Verwertungsinteressen und Konsumzwang“. Die Pläne des Kulturreferats sehen Gruppen- und Funktionsräume, Ateliers sowie ein Veranstaltungsareal vor. Eine Bühne mit grundlegender Technikausstattung soll es geben, Ausstellungsmöglichkeiten, Proberäume. „Zudem birgt die Immobilie das Potential, ein Do-it-yourself-Lab als offene Werkstatt mit kollektiven Gerätschaften zu etablieren, um in der Gemeinschaft der Künstler*innen neue Impulse für das kreative Schaffen zu setzen.“ Da sich in der Nachbarschaft durchweg gewerbliche und öffentliche Nutzungen befinden, befürchtet die Stadt auch kaum Konflikte mit Anwohnern. „Ziel ist es, diese Flächen mit einer grundlegenden Ausstattung zu günstigen Konditionen zu vermieten oder im Rahmen der Kulturförderung als strategische Unterstützung zu vergeben.“

Für das Projekt Kultur-Inventur befragten und fotografierten Eva Karl-Faltermeier, Florian Topernpong und Florian Hammerich rund 600 Kulturschaffende aus Regensburg. Foto: kultur-inventur.de

Im Haushalt sind vorerst 133.000 Euro für das Projekt vorgesehen, 52.000 davon sind rein kalkulatorische Mietkosten inklusive Nebenkosten. In der Sitzungsvorlage ist angesichts der geringen Umbauarbeiten die notwendig sind die Rede von einer „überaus wirtschaftlichen Grundlage für eine sofortige kulturelle Verwendung (…), die in vergleichbarer Form andernorts nicht zu finden ist“.

Weiterführung „nur mit zusätzlichen personellen Ressourcen leistbar“

Von der Opposition gab es im Kulturausschuss einhelliges Lob für die Vorlage, wenngleich Stadtrat Daniel Gaittet darauf verwies, dass die Oberbürgermeisterin anlässlich eines Antrags der Grünen im vergangenen Jahr noch erklärt habe, dass eine solche Nutzung in dem Gebäude nicht möglich sei. Dass sich diese Haltung mittlerweile geändert hat und das Kulturreferat mit dem Vorschlag nun durchgedrungen ist, mag aber an einem Umstand liegen, der in der Vorlage ebenfalls klar benannt wird: „Die Lage in der Maximilianstraße 26 am Eingang der Stadt in nächster Nähe des Hauptbahnhofs steht unter Entwicklungsdruck; die Liegenschaft zählt seit längerem zu den Leerständen und aktuell gibt es keine Interessenten für eine gewerbliche Nutzung dieser Fläche.“

Mit der bis Ende 2022 befristeten Zwischennutzung als „Keimzelle des Wandels und der Erneuerung“ muss es übrigens nicht unbedingt getan sein. Das Kulturreferat weist allerdings darauf hin, dass eine Weiterführung „nur mit zusätzlichen personellen Ressourcen leistbar“ wäre. So etwas müsse im Zweifel dann der Stadtrat beschließen, so Gertrud Maltz-Schwarzfischer.

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Kommentare (12)

  • Piedro

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    Interessant. Man darf gespannt sein, wie unabhängig sich diese “Keimzelle” entfalten darf.

  • Ulla

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    Ein Sitz in der „Keimzelle des Wandels und der Erneuerung“ wäre sicherlich auch für ‚regensburg digital’ wünschenswert. Schließlich wurde Dank rd manches in Regensburg bekannt und daraufhin auch häufig verbessert.

  • R.G.

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    Die Hardware wird für ein Jahr garantiert.
    Wer weiß, welches “Betriebssystem” bereits vorgesehen ist?

    Beteiligte Entscheider, melden Sie sich hier zu Wort, wie das organisatorisch weitergehen soll.

  • Mr. T.

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    Selbstorganisiert hört sich gut an. Wenn es auch noch niederschwellig ist, könnte das was werden. Hoffentlich ist Dersch der Anti-Lunger.

  • Piedro

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    Leider kann man in einem Jahr nicht viel organisieren, wenn Strukturen und Mittel fehlen. Gut, Kreative haben eigene Strukturen, aber sie stehen von jetzt auf gleich vor der Aufgabe, die Vergabe und Nutzung zu organisieren. Wenn alle können sollen wird das erst eine Chaosphase brauchen, bis sich alles eingependelt hat. Dann ist das Jahr vorbei.

    Die Idee ist gut, da könnte Überraschendes geschehen. Aber warum nur ein sicheres Jahr für so ein Projekt? Welche Interessen stehen einer längerfristigen oder gar gänzlichen Nutzung des Objektes entgegen? In zwei oder drei Jahren könnte da eine offene Theaterbühne sein, könnten Kleinkunst-, Konzerte und Ausstellungen stattfinden, regelmäßig, für ein breites und für eher spezielles Publikum, das andernorts kaum vergleichbare Angebote findet. Kreative Bürger – keine “Künstler”, sondern künstlernde Menschen, die erstaunliches in ihren Schubladen haben, könnten mit der Zeit einen Platz finden diese zu öffnen. Es könnte regelmäßig Lesungen geben, nicht für “Dichter”, sondern für dichtende, Schüler, Eltern, Rentner, und alle dazwischen.
    Mit der Zeit könnte man ein Budget erwirtschaften, das für Einladungen genutzt wird, zu Vorträgen, Workshops… Wie bei diesen Autos: nichts ist unmöglich. Sogar politische Diskussionen, an denen gerne auch Stadträte und Bürgermeisternde teilnehmen dürften.

    Seitens der Stadt wäre lediglich das Gebäude “verloren”, und die Betriebskosten sollten netterweise gewährleistet werden. Alles andere selbstverwaltet.

    Ich halte fünf Jahre für einen geeigneten Zeitraum, um dann zu sehen was diese “Keimzelle” der Stadt weiterhin wert ist.

  • Hthik

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    @Piedro 27. Mai 2021 um 09:46

    “Leider kann man in einem Jahr nicht viel organisieren, wenn Strukturen und Mittel fehlen.”

    Das ist ein Indiz dafür, dass der Erfolg hier möglicherweise nicht der primäre Zweck ist.

    Neulich im Internet bei rd. Da gab es diesen Artikel über Geschenke zum Mitnehmen, die manche auf die Straße stellen und ob das nicht oft der Versuch getarnter illegaler Müllbeseitigung wäre. Fama est, dass auch die Stadtverwaltunmg hier mitlesen kann und wer wollte ihr verwehren, sich Anregungen zu holen.

    Ich fasse mal so zusammen: die Stadt kauft überteuert ein, muss dann noch teuer sanieren und selbst der letzte Mieter, auf den man noch hoffte, springt ab.

    Was machen wir jetzt mit der mittleren Katastrophe? Kultur!

    Die haben wir schön kurz gehalten, die sind für alles dankbar. Wird’s was, ist man Initiator. Wird’s nix liegt das eben an der mangelnden Resonanz bei den Kulturschaffenden.

    Im Gegensatz zum ursprünglichen Kauf, ist das also praktisch ein risikofreies Geschäft. Das ist auch eine Art von Lernkurve. Man wollte mit den großen Jungs beim Immobilienpoker mitspielen, aber die haben einen über den Tisch gezogen. Also geht man wieder zurück in seinen kleinen Teich, in dem man der größte Fisch ist.

  • Joachim Datko

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    Das kann übel ausgehen!

    Zu Mr. T. 22:42 “Selbstorganisiert hört sich gut an. Wenn es auch noch niederschwellig ist, könnte das was werden. Hoffentlich ist Dersch der Anti-Lunger.”

    So etwas kann sich leicht verselbstständigen und zu einem “autonomen” Projekt entwickeln. “Selbstorganisiert” ist dann nur ein Begriff, der den Zugriff der linken Szene auf solche Projekte verdeckt. Nicht, dass sich in einem schleichenden Prozess etwas Ähnliches entwickelt wie die Rote Flora.

    Siehe: https://rabe.ch/wp-content/uploads/2017/10/Rote_Flora_April_2017-1024×628.jpg

  • Piedro

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    @Joachim Datko
    “So etwas kann sich leicht verselbstständigen und zu einem “autonomen” Projekt entwickeln.”
    Sie haben es erkannt! Das ist die Idee eines selbstverwaltenden Projektes, dass es sich autonom entwickelt. So lange es darf.

    Schade, dass dies gleich so archaische Ängste in Ihnen auslöst. Die Linken könnten zugreifen! Oh Graus! Sie bemächtigen sich der Kreativen! Und schon leidet Regensburg unter Hamburger Verhältnissen, weil autonome Kreative, denen man befristet ein Haus überlässt, nicht weit von Linksradikalen entfernt sind, die andernorts schon seit Jahrzehnten eine Immobilie besetzen.
    Sollte dieser Alb sie tatsächlich belasten, täten Sie mir leid. Diese Art Befürchtung aufzustellen und derart zu begründen, ist nicht mal mehr albern. Schaut euch die Linksradikalen in Hamburg an, dann wisst ihr, was selbstverwaltete Kreativität in Regensburg anrichten kann! Die besetzen das Haus und malen es bunt an! Nein, das darf nicht sein, das darf nicht mal sein sollen. Bloß keine Keimzelle!

    Irgendwie ist das richtig lustig.

  • R.G.

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    Immobilienbesitzer mit Interesse an einem Innenstadt-Grundstück oder -Straßenzug konnten in der Vergangenheit von vorübergehender Kulturnutzung profitieren,.

    Schlagwort, Kunst in Leerstände.
    Unbelebte, weil ihrer Läden und Shops verlustig gegangene Gegenden erfuhren dadurch eine Aufwertung. Die Kriminalität sank. Junge Akademiker entdeckten die Häuser rundum als begehrtes Wohnziel. Stichwort, Gentrifizierung.

    Eingemietete Künstler renovierten zum größeren Teil die ihnen anvertrauten Räume, der Wert der Immobilie stieg, es konnte danach das Gebäude zu einem höheren Preis verkauft werden.

    Eine Andere Art von Zwischennutzung kann das gewollte Überlassen eines Objektes zur völlig freien Nutzung durch beliebige Menschen sein.
    Hier kommt es sehr bald zu hierarchisch aufgebauten Strukturen innerhalb des Gebäudes, eine Person oder Gruppe tritt dominant auf, im Stockwerk oder ganzen Haus. Die Entwertung bzw. Substanz schädigende Nutzung der Bausubstanz kann unter den Bedingungen schnell erreicht und noch gezielt gefördert werden. Nachbarobjekte leiden mit unter Problemen. Eine Abwertung der Gebäude des engeren Umkreises erfolgt
    Nach Räumung des Gebäudes unter großem Polizeieinsatz besteht eine vielfach größere Chance als vorher, dass Verantwortliche einem Abriss zustimmen, wo an sich Erhaltung angesagt gewesen war oder Denkmalschutz besteht.

  • R.G.

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    @ Joachim Datko, 28. Mai 2021 um 11:55 | #
    “Das kann übel ausgehen!”
    Das kann wahrlich übel ausgehen.
    Wiederholt dominierten nämlich Rechte in selbstverwalteten Objekten. Der Öffentlichkeit wurde erst durch Polizeieinsätze bekannt, was wirklich drinnen los war…

  • Passt doch

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    Keine Angst, Herr Datko!

    Wie obigem Text, und weiteren Pressemitteilungen, Instagram etc. zu entnehmen ist, wurde das Projekt an eine Initiative von privaten Akteuren aus der “Kreativ_Wirtschaft_” vergeben.

    Insofern also eher ein “Kapitalistisch-Marktwirtschaftlicher” Anstrich als ein “Linksradikal-Autonomer”.

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drin