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Verhandlung am Amtsgericht Regensburg

Aggressiver Bordellbesucher entgeht Knast

Wegen versuchter Körperverletzung, Nötigung und Diebstahl wurde am gestrigen Dienstag ein 42-jähriger Berliner zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Im Oktober 2019 verlangte er im Regensburger Bordell No Limit von einer damals 19-jährigen Prostituierten ungeschützten Oralverkehr und tickte nach ihrer Weigerung aus.

Nach einem Deal kommt der Angeklagte mit Bewährung davon. Foto: bm

„Sie haben ein Problem im Umgang mit Frauen,“ stellt Richterin Andrea Costa in der Urteilsbegründung fest. Das habe man auch schon in der ersten Verhandlung gesehen, als er sich „wie ein kleiner Gockel um die Dolmetscherin bewegt“ habe. Jetzt, wo ein männlicher Dolmetscher neben ihm sitze, mache er einen lockereren Eindruck.

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Soeben hat das Schöffengericht des Amtsgerichts Regensburg den 42-jährigen Berliner Andre R. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Weil zwischen den beiden Sitzungsterminen am 20. August und dem gestrigen 22. September eine mehr als dreiwöchige Unterbrechung liegt, musste mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden.

Anklage sieht versuchte Vergewaltigung

R. hat, so nun das Urteil, im Oktober 2019 die Prosituierte Tabea. H (Name geändert) zu verletzten versucht, genötigt und bestohlen. Dem Urteilsspruch sind ein Täter-Opfer-Ausgleich und ein Deal vorangegangen, die dem bereits einschlägig Vorbestraften gerade noch eine (weitere) Bewährung gerettet haben. Zur Tatzeit stand er auch schon unter Bewährung.

Die ursprünglichen Vorwürfe waren schlimmer. Laut Anklage soll der neunfache Vater versucht haben, die Prostituierte zu vergewaltigen, sie vorsätzlich zu verletzen und zu beklauen. So soll Andre R. – im Wissen um seine HIV-Infektion – ungeschützten Oralverkehr verlangt und nach Weigerung gegenüber der damals 19-jährigen Prostituierten erfolglos handgreiflich geworden sein. Außerdem habe er ihr 100 Euro aus der Handtasche geklaut. Zu Hilfe gerufenes Wachpersonal konnte „seinen Tatplan“ vereiteln.

Was sich in der Nacht des 19. Oktober 2019 im Regensburger Bordell No Limit genau abgespielt hat, wird in beiden Verhandlungen vor dem Amtsgericht Regensburg nicht abschließend geklärt.

Verteidigerin: HI-Viruslast „ist gering“

Verteidigerin Stephanie Bauer erklärt für ihren Mandanten bei der ersten Verhandlung zunächst, dass er sich in der Nacht im Bordell aufgehalten, Alkohol getrunken und bereits „einen sitzen gehabt“ habe. Von der Geschädigten Tabea H. sei er dann angesprochen worden und habe im Voraus „für 20 Minuten Arbeit 50 Euro bezahlt“. Er habe angeboten, bei einem Verzicht auf ein Kondom mehr zu bezahlen. Dass er HIV positiv sei, wusste er, allerdings sei er in Behandlung und die „Viruslast ist gering“, so Bauer.

Einen Streit habe es aufgrund seines Wunsches nach ungeschütztem Sex nicht gegeben, er sei auch nicht aggressiv geworden. Er habe sie weder angefasst noch versucht sie zu schlagen. Lediglich ihre Tasche habe er ausgeleert, nachdem sie ihr Handy gezückt und er Angst hatte, dass sie ihn fotografiert habe. Geld geklaut habe er nicht.

Ungeschützten Oralverkehr verlangt

Die Geschädigte Tabea H. schildert in der ersten Verhandlung den Tatablauf weitgehend wie er auch in der Anklageschrift dargelegt ist, kann sich aber an manche Details nicht mehr oder nicht genau erinnern. Richterin Costa muss ihr den Tatablauf vielfach aus der Nase ziehen. Die sichtlich schwangere Zeugin wirkt sehr schüchtern. Erst auf mehrfache Nachfragen erzählt sie den Verlauf zusammenhängender. Es bleiben aber Lücken.

Andre R. habe an der Bar für Sex bezahlt und sei dann mit ihr auf ein Zimmer ins Obergeschoss gegangen. Danach habe er von ihr gefordert, vor ihm hinzuknien und ihn ohne Präservativ oral zu befriedigen. Seine Hose sei dabei offen gewesen, ob der Penis bereits erigiert war, könne sie nicht mehr sagen. Als sie daraufhin den Oralverkehr abgelehnt habe und zu einem Kondom griff, sei der Freier aggressiv geworden, habe geschrien und versucht nach ihr zu schlagen. Zu (sexuellen) Berührungen sei es nicht gekommen, mit Schlägen getroffen habe er sie auch nicht.

Versuchte Vergewaltigung wird eingestellt

Tabea H. bleibt die einzige Zeugin, auch weil Andre R. dann doch gestehen möchte. Zeugenaussagen von Polizeibeamten werden ebenso nicht mehr benötigt, wie die Aussage des Bordellchefs. Dieser erschien trotz Ladung nicht vor Gericht. Ob das für ihn entsprechende Konsequenzen hat, bleibt ungeklärt.

H.s Aussage reicht den Verfahrensbeteiligten aber nicht aus, um am Tatvorwurf der versuchten Vergewaltigung festzuhalten. Bereits am 20. August wird somit der schwerwiegendste Anklagepunkt eingestellt. Für Staatsanwalt Gerald Siegl ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte freiwillig den Tatplan aufgegeben hat (strafbefreiender Rücktritt). Die vorsätzliche Körperverletzung wird zur versuchten Körperverletzung abgeändert.

Ein Rechtsgespräch im Rahmen der ersten Verhandlung legt die Weichen für eine Bewährungsstrafe für Andre R. Das Ergebnis des Deals: Wenn der Angeklagte die verbleibenden Taten gesteht und der Prostituierten bis Mitte September 2.000 Euro Schadenswiedergutmachung bezahlt, bekomme er maximal eine einjährige Bewährungsstrafe mit der Auflage eine Sexualtherapie zu absolvieren. R. gesteht vollumfänglich die verbliebenen Anklagepunkte und widerruft seine zunächst präsentierte Geschichte.

Problempunkt Geldübergabe

Tabea H., die mittlerweile wieder in Rumänien lebt, wird von Rechtsanwältin Bauer in der ersten Verhandlung gefragt, wie man ihr das Geld am besten zukommen lassen könnte. Man solle es einfach ihrem Chef geben, meint die Geschädigte. Das lehnt Bauer strikt ab. „Das Bordell kriegt kein Geld von uns,“ so R.s Verteidigerin. So wird zunächst ein Geldtransfer über Western Union in Betracht gezogen.

Schließlich aber übergibt die Strafverteidigerin Tabea H. persönlich das Geld im No Limit. „Es war toll im Bordell, das muss man mal gesehen haben,“ schwärmt Bauer am Mittwoch vor der Verhandlung. In der Beweisaufnahme präsentiert sie Richterin Costa eine Quittung der Übergabe. „Es gibt sogar ein Beweisfoto von mir im Laufhaus,“ scherzt Bauer. Beide lachen. Überhaupt finden die Verhandlungen in gelöster, ja beinahe vergnügter Atmosphäre statt. Man kennt und duzt sich, man scherzt und lacht.

2.000 Euro für Neuanfang in Rumänien?

Andre R. kam 1999 aus Kasachstan nach Deutschland (Costa: „21 Jahre und dann brauchen Sie einen Dolmetscher?“) und arbeitet als Elektriker in Berlin. Er ist verheiratet, aber getrennt lebend und hat neun Kinder („wie viel?,“ fragt Costa baff), von denen er die ersten vier nicht mehr sehen darf. Letzteres deshalb, weil er laut eines Berliner Urteils aus dem Jahr 2017 versucht hat, seine Tochter zu vergewaltigen. R. scheint das anders zu sehen. In Regensburg war er vergangenen Oktober auf Montage unterwegs. Sein Ziel nachts in dem Bordell – das Verlangen nach ungeschütztem Oralverkehr – sei „einfach ein No-Go“, so die Richterin. Besonders aufgrund seiner Infizierung. „Als ich das erste Mal in diese Hauptverhandlung gegangen bin, dachte ich nicht, dass wir mit einer Bewährung rauskommen.“

Die 2.000 Euro im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, da sind sich Verteidigung und Gericht einig, könnten für Tabea H. eine große Hilfe sein. Das bringe mehr als wenn R. eingesperrt werde. Möglicherweise schaffe die 20-Jährige in Rumänien „einen Neuanfang,“ so Bauers Hoffnung. Costa ergänzt in der Urteilsbegründung: „Vielleicht auch in einem anderen Gewerbe“.

Vergessen scheint da die Aussage der Geschädigten, man solle das Geld lieber gleich ihrem Chef geben. Über die finanzielle Autonomie der schwangeren 20-jährigen Tabea H. wird im Laufe des Prozesses nichts bekannt. Wo die 2.000 Euro nach Bauers Übergabe im Laufhaus letztlich landen, wird auch das Amtsgericht nicht mehr klären können. Andre R. bewahrt die Zahlung jedenfalls vor dem Knast. Egal, wer sie letztlich bekommt.

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Kommentare (2)

  • tommy

    |

    Kommentar gelöscht. Bitte sachlich bleiben.

  • Hthik

    |

    “Über die finanzielle Autonomie der schwangeren 20-jährigen Tabea H. wird im Laufe des Prozesses nichts bekannt.”

    Oskar Maria Graf hat die Unfähigkeit der Gerichte, die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in den sie arbeiten, zu sehen, sehr plastisch beschrieben und in seiner Geschichte “Das Aderlassen” mit den abschließenden Worten bedacht “So saudumm sind die Richter.” https://www.muenchner-stadtmuseum.de/fileadmin/redaktion/filmreihen/2014-PH26/PH26_PDFs/PH26-72_Oskar_Maria_Graf.pdf

    Im vorliegenden Fall möchte ich mich ausnahmsweise derartiger Justizkritik nicht ganz anschließen, da ich hier die Hauptverantwortung beim Bundesgesetzgeber sehe, gesetzliche Regelungen zu treffen, die die Menschenwürde effektiv schützen, etwa das Schwedische Modell einzuführen. Ob das allerdings Dummheit ist, bezweifle ich. Es könnte durchaus Absicht sein.

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drin