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Konradsiedlung

Bürgerinitiative gegen zentrale Notwohnanlage

In der Konradsiedlung regt sich Widerstand gegen den geplanten Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße. In einem Brief an Bürgermeisterin Astrid Freudenstein und die Fraktionen im Stadtrat fordern Anwohnerinnen und Anwohner eine bessere Durchmischung der Bewohnerstruktur und eine dezentrale Verteilung über das Stadtgebiet. Damit stärkt die BI auch Freudenstein den Rücken.

Eines der vier Gebäude in der Aussiger Straße, die bald abgerissen werden sollen. Foto: om

„Wir sind einfach nicht mehr bereit, alles sang- und klanglos hinzunehmen“, sagt Dagmar Brauner. Sie ist Vorsitzende der „Bürgerinitiative Regensburg-Nord – Konradsiedlung“. Im Mai hat man sich gegründet, um den Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner der Konradsiedlung mehr Gehör zu verschaffen. „Natürlich haben wir uns schon vorher bei der Stadt gemeldet, aber – so traurig es ist – auf einzelne Briefe bekommst du fast nie eine Antwort“, sagt Brauner, die seit 26 Jahren in der Konradsiedlung wohnt. Deshalb hat man sich zusammengetan, gemeinsam einen Brief formuliert und Unterschriften gesammelt, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen.

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Zwei Punkte sind es, die der BI besonders Sorgen bereiten: Die Baustellenzufahrt für das neue Schulzentrum am Sallerner Berg, die durch die Siedlung führen soll (mehr dazu hier) und der geplante Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße. Beides lehnt die Bürgerinitiative in der bislang vorgesehenen Form ab.

Koalition ist sich uneins

Zumindest in Sachen Notwohnanlage scheint man mit Bürgermeisterin Astrid Freudenstein eine prominente Fürsprecherin auf seiner Seite zu haben. Wie mehrfach berichtet, hat der Stadtrat 2020 einen Neubau der Notwohnanlage beschlossen – einstimmig. Aktuell sind 131 Bewohnerinnen und Bewohner in den rund 74 Wohnungen untergebracht – Alleinerziehende mit Kindern, Menschen mit Drogen- und Alkoholproblemen, anerkannte Geflüchtete, die bislang keine Wohnung finden. Sie gelten formal als wohnungslos – die Unterbringung in der Aussiger Straße ist eigentlich nur als Übergangslösung gedacht. Doch tatsächlich beträgt die durchschnittliche Verweildauer derzeit etwa sieben Jahre. Knapp die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner sind minderjährig.

Der Entwurf für den Neubau der Notwohnanlage in der Aussiger Straße. Planzeichnung: Stadt Regensburg

Dass es angesichts des maroden Zustands der aus den 50er Jahren stammenden Gebäude – mit Duschen im Keller, ohne vernünftige Heizung und damit einhergehenden Schimmelproblemen – eine andere Lösung braucht, ist unstrittig. Gestritten wird aber über das Wie. Während Freudenstein 2020 als Stadträtin noch für den Neubau der Notwohnanlage gestimmt hat und während auch der Vertrag der regierenden Koalition dieses Projekt ausdrücklich vorsieht, favorisiert sie zwischenzeitlich als fachlich zuständige Sozialbürgermeisterin eine andere Lösung. Sie möchte Wohnungslose in kleineren, dezentralen Einheiten unterbringen.

Innerhalb der Koalition erntet Freudenstein dafür bislang keine Unterstützung – die SPD-Fraktion hatte in der Vergangenheit das mediale Vorpreschen der Bürgermeisterin kritisiert und davon gesprochen, dass „möglicherweise Hoffnungen bei Betroffenen hervorgerufen“ würden, „von denen heute niemand weiß, ob sie sich erfüllen lassen“. Unterstützung erhielt sie allerdings vom Vorsitzenden der Sozialen Initiativen, Reinhard Kellner. Vor allem „im Interesse der 51 dort lebenden Kinder“ erscheine ihm ein solches Konzept besser geeignet, „um diese aus dem Teufelskreis von Armut und Vernachlässigung herauszubringen“ als ein 23 Millionen Euro teurer Neubau. „Aktuell können sie nur Alkoholismus und Streitereien erleben, wenn sie aus dem Fenster schauen“, so Kellner in einer Stellungnahme Mitte Juni (unser Bericht). „Familien mit Kindern müssen möglichst dezentral und getrennt von problembehafteten Alleinstehenden untergebracht werden.“

BI: Zentralisierung verhindert Integration

Freudensteins Vorstellungen decken sich auch in vielem mit den Forderungen der Bürgerinitiative. „Mit einer Zentralisierung der Notwohnanlage von Menschen in prekären Lebenssituationen fördert man weder deren gesellschaftliche Integration, noch zeigt man diesen Menschen eine Lebensperspektive und positive Rollenmodelle (…) auf“, heißt es in einem entsprechenden Schreiben, das die BI diese Woche an die Bürgermeisterin und mehrere Fraktionen im Regensburger Stadtrat verschickt hat. Gut 40 Anwohnerinnen und Anwohner haben es unterzeichnet. „Wir haben mit dem fertigen Schreiben nur im unmittelbaren Umfeld der Wohnanlage gesammelt“, sagt Brauner, die allerdings glaubt, dass sich viele Regensburgerinnen und Regensburger mit den grundsätzlichen Forderungen identifizieren könnten.

Will „alternativen Möglichkeiten der Unterbringung ausloten“: Bürgermeisterin Astrid Freudenstein. Foto: om

So spricht sich die BI nicht grundsätzlich gegen einen Neubau der Wohnblöcke aus. Aber: „Wenn hier schon ein Neubau einer Notwohnanlage geplant wird und ansteht, warum wird dann nicht versucht das ‘Soziale Gefüge’ zu mischen und Sozialwohnungen miteinzubringen und zu realisieren, sodass die Bewohner auch vermischt werden.“ Dies habe zum Beispiel auch in der Humboldtstraße – die früher als sozialer Brennpunkt galt – sehr gut funktioniert. Ein solches Modell, „Misch-Wohnraum“ für Familien, Bedürftige und Migranten, solle man auch in anderen Stadtteilen realisieren. Nur so ließe sich Integration adäquat gewährleisten. Eine Zentralisierung verhindere dies und berge stattdessen die Gefahr der Ghettobildung.

Auch Reinhard Kellner von den Sozialen Initiativen hatte in der Vergangenheit auf das Positivbeispiel Humboldtstraße verwiesen. Dort habe es früher drei große Notwohnanlagen gegeben habe, die im Zuge der dortigen Stadtbaufördermaßnahmen erfolgreich aufgelöst werden konnten. Zuvor sei die Humboldtstraße ähnlich „etikettiert“ gewesen wie die Aussiger Straße. Die Erfahrung dort habe allerdings auch gezeigt, dass es dazu entsprechenden, gezielten Personaleinsatz brauche, um solche Probleme zu bewältigen – Sozialarbeiterinnen und Erzieher. „Denn lange vernachlässigte und von der sozialen Infrastruktur her unterversorgte Menschen brauchen in neue Lebenssituationen hinein Begleitung. Damit sich vor allem ihre Kinder an neuen Orten besser orientieren und zum Beispiel in Kindertagesstätten oder Jugendzentren integriert werden können.“

Auch Reinhard Kellner plädiert für eine dezentrale Lösung und fordert mehr Sozialarbeiterinnen und Erzieher. Foto: Baumgärtner

Freudenstein will Anwohner treffen

Bürgermeisterin Astrid Freudenstein will nun mit BI-Sprecherin Brauner telefonieren, um ein persönliches Treffen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zu vereinbaren. Es sei „nicht überraschend, dass es nach Jahrzehnten in direkter Nachbarschaft einer großen zentralen Notwohnanlage in der Gegend gewisse ‘Abwehrreflexe’ gegenüber einem Neubau an selber Stelle gibt“, erklärt sie in einer ersten Reaktion gegenüber unserer Redaktion. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass Notunterkünfte den Charakter einer „Übergangslösung“ behalten müssten. „Eine Notunterkunft ist eben keine Wohnung.“ Unser Ziel sei immer die Integration in den regulären Wohnungsmarkt. „Gerade Kinder sollen nicht in einer Notunterkunft aufwachsen.“

Derzeit lote man in Koalition und Verwaltung aus, welche „alternativen Möglichkeiten der Unterbringung“ es geben könne. Wie diese konkret aussehen, lässt die Bürgermeisterin dabei ebenso unerwähnt wie die Kontroverse mit der SPD-Fraktion in der Vergangenheit. Man befinde sich „in einem sehr guten Austausch“, schreibt sie.

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Kommentare (7)

  • Mr. T.

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    Das mit dem Misch-Wohnraum dort und an anderen Orten hört sich doch wie ein konstruktiver Kompromiss an. Nicht wie die üblichen NIMBY-Parolen nach dem St.-Florians-Prinzip.

  • Gscheidhaferl

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    Fachlich gibt es gegen eine dezentrale Unterbringung nicht das Geringste einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Damit wäre sehr wahrscheinlich allen Betroffenen am besten gedient. Mir erschließt sich nur nicht, wo die dafür nötigen dezentralen Unterbringungsmöglichkeiten herkommen sollen? Diese Frage sollte aber möglichst vorher schon geklärt werden. Ich finde es ungut, dass die jetzt in den Notunterkünften untergebrachten Menschen nur wissen, dass die Tage ihrer jetzigen Bleibe gezählt sind, aber noch keine klare Antwort haben, wie es weiter geht. Ob das besonders förderlich ist? Ich würde von sowas wahrschenlich schlaflose Nächte bekommen…

    Außerdem ist es aus meiner Sicht bezeichnend, dass die Stadt auch an dieser Stelle erst ansatzweise sowas wie Gesprächsbereitschaft signalisiert, nachdem ein entsprechender Druck aufgebaut wurde.

  • R.G.

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    Integration, in die Gesellschaft hinein, durch sofortige Tagesaufenthaltsmöglichkeiten – (während man aktiv Wohnungen sucht bzw. schafft) für veränderungswillige Kinder und Erwachsene, nach Art eines Stadtteilzentrums, wo unter Umständen bei Teilnahme an ausgesuchten Angeboten auch Mahlzeiten gekocht und angeboten werden.
    Gleichzeitig für die nicht förderfähigen Bewohner, wenn ein Notwohnen sich bisher als Überforderungssituation darstellte, Integration bewusst aus der Gesellschaft hinaus und in eine diesen Menschen leichter erträgliche Gemeinschaft hinein, siehe das Beispiel der Vinzi-Dörfer, ein Wohnen in je eigenen Kleincontainern, mit Aufenthaltsbereich, und einem großen frewilligen Betreuerstab neben den Hauptamtlichen. Ein sehr gut funktionierendes Konzept, bei dem Alkohol nicht verboten ist, insgesamt aber die Trinkmenge von den Betroffenen meist selbst reduziert wird.
    An Sie persönlich, Frau Freudenstein, Ihr Engagement ist dann glaubhaft, wenn Sie die erste Familie aus der Notwohnung Aussiger Straße in eine andere Dauerwohnung bringen , als Modell, dem viele weitere folgen werden.
    Nicht zuerst groß planen und Baupläne sowie Menschen verwalten, sondern an erster Stelle ein Handeln. Sonst wirken Sie unglaubhaft, für die Betroffenen bedeutet das, sie könnten auf Sie auch nicht hoffen dürfen.

  • Tante Mathilda

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    Endlich reagieren die Bürger vor Ort. Eine Mischung von Sozialwohnungen und Notwohnunterkünften verbessert eher nicht Situation der Menschen. Mann sieht in der Zusammensetzung der Klassen in der GS SallernBerg klar, daß die sozial Schwachen (Sozialwohnungen Ostpreussenstr., Sozialwohnungen Berliner Str. und Sozialwohnungen Aussigerstr.) und Bürger mit Migrationshintergrund oder Ausländische Bürger neben der Notwohnanlage die Überhand haben. Pro Klasse gibt es eine Handvoll “gut bürgerliche” die sich vom Rest abgrenzen. Die Personen, die jetzt in den Notwohnanlagen leben, müßten auf alle Stadtteile (außer dem Osten), vorranging im Westen, aufgeteilt werden. Ich wünsche der Bürgerinitiative viel Glück.

  • was

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    fragt jemand die bewohner selbst?

  • Gscheidhaferl

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    @Tante Mathilda
    Es geht ja um “eine bessere Durchmischung der Bewohnerstruktur und eine dezentrale Verteilung über das Stadtgebiet”.

    Und was die Klassenzusammensetzung der GS am Sallerner Berg anbelangt: Die Probleme dort sind in der Regel recht überschaubar. Ausnahmen – wie sie auch an anderen Schulen vorkommen – bestätigen die Regel bzw. sind häufig eher den allgemeinen strukturellen Defiziten des bayerischen Grundschulwesens geschuldet.

    Und warum sollte ‘Integration’ ausgerechnet dort besser laufen, als im Rest der Gesellschaft? Das Unter-sich-bleiben der verschiedenen Milieus ist ein Phänomen, dem leider nicht nur an der GS am Sallerner Berg zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Kommentare sind deaktiviert

drin