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Besuch in der Begegnungsstätte für Obdachlose

Corona-Weihnachten im Strohhalm

Die traditionelle Weihnachtsfeier in der Begegnungsstätte für Obdachlose fällt heuer coronabedingt aus. Essen und kleines Geschenk an Heiligabend gibt es trotzdem.


UPDATE am 29.12.20

Allein am Heiligabend wurden vom Strohhalm rund 260 Essen ausgegeben. Auf der Straße essen musste am Ende dann doch niemand. Zwar durften die Räume im Strohhalm coronabdingt nicht geöffnet werden, aber die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer haben die Essenspakte in die Obdachlosenunterkünfte in der Taunus- und Landshuter Straße geliefert – zusammen mit einem Weihnachtsgeschenk und einem kleinen Geldumschlag.

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UPDATE Ende


Vor 20 Jahren gegründet: der Strohhalm in der Keplerstraße. Foto: Strohhalm

„Was gibt’s denn heute?“, fragt die kleine Frau am Ende der Schlange vor dem gelben Gebäude in der Keplerstraße. „Kassler mit Knödel und Kraut“, erwidert der ältere Herr mit der Plastiktüte in der Hand. Dann geht er über die Straße, setzt sich dort auf eine Treppe und beginnt, sein Mittagessen auszupacken. Dass man die Leute wegen Corona nicht reinlassen könne, damit sie sich zum Essen wenigstens vernünftig hinsetzen können, sei etwas, das ihm schon weh tue, erzählt Josef Troidl, der den „Strohalm“ vor 20 Jahren gegründet hat. Für viele sei neben dem Essen nämlich auch das Reden wichtig, ein wenig Miteinander. „Aber das geht zur Zeit leider nicht.“

„Es kostet schon Überwindung, hierher zu kommen…“

Es ist ein Donnerstag, kurz nach elf Uhr Vormittag. In den kommenden eineinhalb Stunden sind es etwa 50, 60 Menschen, die vorbei kommen und sich ihr Essenspakt an dem Biertisch abholen, mit dem die Eingangstür der Begegnungsstätte für Obdachlose und Hilfsbedürftige coronabedingt zur Durchreiche umfunktioniert wurde. Viele Seniorinnen und Senioren sind dabei. Als Troidl vorbei geht und sich unter dem Tisch hindurch ins Haus hineindrückt, grüßt er fast jeden der Wartenden namentlich. „Es kostet schon Überwindung, hierher zu kommen und sich etwas zum Essen zu holen“, sagt er drinnen. Er wolle den Leuten irgendwie das Gefühl geben, dass das hier auch ihnen gehöre, dass der Strohhalm auch ein bisschen Heimat sei.

Einen Euro muss man fürs Essen bezahlen. „Wenn man was hat“, sagt Troidl. Sonst gebe man das auch so nach draußen. Aber man müsse etwas verlangen, damit das den Leuten nicht von den Sozialleistungen abgezogen werde.

Drinnen steht Koch Patrick Rasp in der professionell eingerichteten Küche, zusammen mit einem früheren Kollegen, den er als Beikoch organisiert hat, und reicht die fertigen Essenspakte an die beiden ehrenamtlichen Helferinnen weiter, die das Essen ausgeben. Wer kein Kassler mag, für den sind heute auch ein paar Kartons mit Pizza da – eine Spende einer IT-Firma im Gewerbepark, die ihre Gutscheine für die Mitarbeiter wegen Homeoffice derzeit nicht braucht. Die Stühle und Tische, an denen es um diese Zeit normalerweise richtig zugeht, sind zur Seite geräumt. Die Duschen und Waschgelegenheiten, die man für die Besucher eingerichtet hat, sind abgesperrt. Auch keine der beiden Waschmaschinen läuft heute.

Patrick Rasp arbeitet als Koch im Strohhalm. Foto: as

Rasp ist der einzige Hauptamtliche, den sich der Strohhalm seit kurzem leistet. „Sagenhaft“ sei es, wie der sich reinhänge, erzählt Troidl, während er nach hinten zur Speisekammer geht. „Der ist wirklich mit Leidenschaft dabei.“ Abgesehen von Rasp und zwei 450-Euro-Kräften arbeiten hier nur Ehrenamtliche – ungefähr fünfzig, schätzt Josef Troidl. Bis vor kurzem saß er für die CSU im Stadtrat. Seine 81 Jahre sieht man dem stämmigen Mann – graues Haar, schwarze Lederjacke, laute Stimme – nicht an. Er arbeitet immer noch halbtags als Physiotherapeut.

„Mach’s halt selber“, sprach der OB.

Dass in der städtischen Wärmestube für Obdachlose Ende der 90er immer so viel Alkohol unterwegs war, das habe ihn gestört, sagt der Nichtraucher und Nichttrinker. „Dann mach es halt selber“, habe ihm der damalige Oberbürgermeister Hans Schaidinger beschieden. Und deshalb gibt es seit 2010 den Strohhalm. Anfangs habe man das Gebäude noch von der Stadt gemietet, 2005 habe es der Verein dann gekauft. „205.000 Euro hat es uns gekostet, 120.000 haben wir dann noch reingehängt“, erzählt Troidl und zeigt auf einen Bilderrahmen an der Wand oberhalb der engen Treppe, wo hinter Glas ein vermodertes Stück Holz hängt. „So hat damals der ganze Dachstuhl ausgesehen. Das war total kaputt.“

Neben Mitgliedsbeiträgen finanziert sich der Strohhalm vor allem aus Geld- und sachspenden von Unternehgmen, Privatpersonen und Vereinen. Hier nimmt Roswitha Lehner eine Lebensmittelspende der Freimaurerloge Walhalla zu den fünf Rosen entgegen. Foto: pm

Rechts neben der Treppe sitzt in einem kleine Büro Roswitha Lehner. Sie ist gerade am Telefon, als Troidl zur Tür reinschaut. Lehner teilt die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern ein, sammelt Rechnungen und Belege für die Buchhaltung und kümmert sich um alles, was so anfällt. „Du hast heute noch einen Termin, gell“, ruft sie Troidl noch nach, als der gerade aus dem Büro geht. „Ah ja. Weiß schon“, gibt er zurück. Der Strohhalm braucht nämlich in nächster Zeit dringend eine neue Heizung. Da muss noch verhandelt werden.

Rechts neben dem Büro ist der Dachboden voll – Geschirr und Möbel, ein PC, Fahrräder, Schirme, Rollstühle. „Das bekommen wir alles geschenkt. Und wenn jemand was davon braucht, weil er zum Beispiel eine neue Wohnung gefunden hat, geben wir ihm, was er braucht.“ Hinten in der Ecke ist eine kleine Werkstatt eingerichtet, wenn mal schnell was zu machen oder zu reparieren ist.

„Wenn die Leute wissen, dass es ehrlich zugeht, dann kriegst auch Geld.“

Mittlerweile hat der Verein laut Troidl über 800 Mitglieder, die im Jahr 15 Euro Beitrag zahlen. Man bekomme aber auch immer wieder größere Spenden von Firmen, Vereinen und Privatpersonen. „Wenn die Leute wissen, dass es ehrlich zugeht, dann kriegst auch Geld.“

Bezahlt werden damit das nicht in erster Linie das tägliche Mittagessen oder Kaffee und Gebäck am Nachmittag. Abgesehen vom Fleisch, das frisch gekauft werde, seien ein Großteil der Lebensmittel Spenden von Geschäften und Bäckereien. Vor ein paar Jahren aber hat der Verein sich ein kleines Haus in der Metgebergasse gekauft. „Da bringen wir Leute unter, wenn sie krank sind und wieder auf die Füße kommen müssen.“ Die Wohnung hat man zweckmäßig und sauber hergerichtet. Über dem Bett im Schlafzimmer hängt ein kleines Holzkreuz.

Der Strohhalm soll auch “ein bisschen Heimat” sein, so Vorstand Troidl.

Auch das Nachbargebäude vom Strohhalm, wo früher die Kleiderkammer untergebracht war, habe man kaufen wollen, erzählt Troidl. Aber der Eigentümer habe drei Millionen gewollt. „Und dann kannst nochmal zwei Millionen reinstecken.“ Das sei „Wahnsinn“, sagt Troidl. Und so sei er derzeit an einem anderen Gebäude dran. „Das wäre doch eine Riesensache, wenn wir noch ein paar mehr solche Wohnungen einrichten könnten, oder?“ Mit der Kleiderkammer hingegen ist der Strohhalm umgezogen – an den Römling.

In den Strohhalm selbst darf man nur nüchtern rein.

Auch dort warten am Donnerstag schon einige Leute vor der Tür. Fast jeder scheint Troidl zu kennen, als der mit „Servus“, „Grüß Gott“ und „Habedieehre“ an ihnen vorbei geht, um uns durch die Räume zu führen. Vor allem Privatpersonen bringen hier Kleidung vorbei, ab und zu auch Firmen. In einem Nebenraum liegen Säcke mit Altkleidern. „Die kann man wirklich nicht mehr anziehen“, sagt eine Studentin, die heute mithilft. „Auch als Obdachloser will man nicht wie ein Obdachloser aussehen.“ 26 Cent pro Kilo bekomme man für diese ausgemusterten Klamotten, erzählt Troidl. Ein Beitrag zur monatlichen Pacht der Kleiderkammer von 1.000 Euro. „Wir kalkulieren mit jedem Pfennig.“ Und dass da nicht jemand komme, um Kleider zu hamstern oder sie später am Flohmarkt zu verkaufen, ja, da schaue man schon drauf, so gut es gehe. Zu genau sei man aber auch nicht, wenn jemand etwas mehr brauche. „Schließlich kriegen wir die Sachen ja auch geschenkt.“

Josef Troidl: „Der Strohhalm ist mir einfach wichtiger und macht glücklicher als dieses blödsinnige Reden.“

Geld von der Stadt habe man nie beantragt und auch nie gewollt, sagt Troidl. „Sonst müssten wir auch Alkoholiker und Drogensüchtige reinlassen.“ Und da sei er dagegen. Wenn jemand „freikommen“ wolle, dann helfe man gern. Einmal die Woche sei ein Arzt vor Ort, es gebe auch eine Sprechstunde mit Hilfe zur Wohnungssuche und beim Ausfüllen von Anträgen. „Wir haben schon öfter Leuten einen Therapieplatz vermittelt.“ Aber in den Strohhalm selbst, da dürfe man nur nüchtern rein. Alles andere, das sei ihm und den Leuten, die hier mithelfen, zu viel.

Essen gibt es am 24. und 26. Dezember

Zur Zeit aber darf sowieso niemand rein in den Strohhalm. Auch nicht an Weihnachten. Sonst habe man da jedes Jahr „groß aufdiniert“, erzählt Troidl. Das Kolpinghaus habe das Essen für gut 50 Leute spendiert, vor dem Haus habe man ein kleines Zelt aufgebaut, jeder habe ein Geschenk bekommen und am Abend sei sogar immer der Bischof kurz vorbeigekommen. Heuer müssen es Essenspakte tun. „Wir sind für die Leute da“, betont Troidl. An Heiligabend gebe es von 14 bis 17 Uhr warmes Essen, ein kleines Geschenkpäckchen und eine Tüte, damit man auch am ersten Weihnachtsfeiertag über die Runden komme. Am zweiten Weihnachtsfeiertag werde dann wieder gekocht und ein warmes Gericht ausgegeben. Dass man zumindest das tun könne, sei schon ein schönes Gefühl.

Er sei sicher nicht der fleißigste Stadtrat gewesen, sagt Troidl selbstkritisch. Und wahrscheinlich sei auch die eine oder andere Äußerung von ihm nicht in Ordnung gewesen. Aber manchmal habe ihn dieses ewige Reden, ohne was zu tun, einfach nur noch genervt. Hier, im Strohhalm, da könne man etwas machen – ganz konkret. „Und das ist mir einfach wichtiger und macht glücklicher als dieses blödsinnige Reden.“

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Kommentare (12)

  • R.G.

    |

    Danke an die Leute vom Strohhalm, die EINE Art der nötigen Angebote, hier für nüchterne Menschen, bieten möchte.
    Dass man den Obdachlosen wegen Corona den Verzehr der Armenmahlzeit nicht mal im Freien neben einem Heizpilz gönnen darf, das kann es nicht sein. Der Strohhalm ist kein gastronomisches Angebot, für ihn dürfen nicht die Regeln für das Gastgewerbe gelten. Denken die Politiker da mit? Wer keine Wohnung mehr hat, kann nicht in der Wohnung essen. Diese Hartherzigkeit und soziale Blindheit der Entscheider wird auf ihre Kinder und Kindeskinder zurückfallen!
    (Mich hat das jetzt richtig gepackt, ich habe viel Leid gesehen, aber das ist unfassbare Schikane! Damit werde ich nicht so schnell fertig.)

  • Mr. T.

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    R.G., das Problem ist, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bzw. die Ausnahmen von disesen Maßnahmen sehr stark Lobby-gesteuert sind. Und die Obdachlosen haben leider keine so starke Lobby wie zum Beispiel die Fleischzerlegeindustrie. Genauso wie die Gastronomie nicht so einen Einfluss hat wie die Automobilindustrie. Oder die Kunstschaffenden weniger Rückhalt haben als die christlichen Kirchen.

  • semmeldieb

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    r.g. : bei allem mitgefühl muss auch hier auf max. kontaktreduktion geachtet werden. allein schon im ureigensten sinn dieser leute.

    unterm heizpilz funktioniert das nicht.

  • R.G.

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    @semmeldieb
    Ein Teil der beim Strohhalm aus Armut Essen Ausfassenden wird Wohnung oder Unterschlupf haben und benötigt nur ein Thermoding, um das Essen warm bis zum Verzehrort zu bringen.
    Wie man im Fim während Corona-Einschränkungen ein Obdachlosenheim zeigen kann, mit prominent Frau Freudenstein am Durchgehen durch ein Zimmer, in dem (tagsüber?) keine Matratzen auf den Betten sind, ist mir völlig schleierhaft.
    Gibt es keine Matratzen? Schläft man am harten Rost? Darf tagsüber niemand ruhen? Bitte sagen Sie nicht, dass das so ist. Wirft man die Menschen morgens raus, müssen sie zum Strohalm pilgern und im Freien ihr Essen verzehren? Bekommen sie eine Strafe, wenn man sie während des Lockdown draußen rumgehen sieht?
    Wo waschen sie ihre Kleidung, wenn jetzt der Zugang zu Waschmaschinen verunmöglicht wurde? Corona trägt nicht Schuld an solchen Unmenschlichkeitskonzepten, aber es freut sich, wenn man Menschen kreuz und quer durch die Stadt schickt, hierhin zum etwas Wärme haben, dorthin zum Essen in der Kälte auf der Straße, und wieder weiter zur Matratzenzeit an anderem Ort.
    Und wo bitte gehen die jetzt alle aufs Klo, seit das Gastgewerbe gesperrt hat?

    Gerade wegen der Seuche müsste man mehr Hilfe anbieten und es vermeiden, Menschen tagsüber raus zu schicken.
    Ich konnte gestern meine Emotionen nicht zurückhalten. Fasse es bis jetzt nicht, dass das in Regensburg niemanden sonst rührt, als bloß die Autoren.

    Kann bitte jemand Obdachloser hier beschreiben, wie der Tag seit Corona aussieht?

  • Horst

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    Tolle Einrichtung! Habe meine Spende gerade überwiesen.

  • Rufus

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    Ich verstehe nicht, warum man auf dem Parkplatz zur Donau hinter dem Strohhalm nicht einfach ein Zelt aufstellt mit Bänken, und dann werden eben die Abstandsregeln eingehalten. Warum sollte das nicht gehen?

  • Ratisboo!ner

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    @R.G.
    Die oberen Stockbetten des im Film gezeigten Zimmers sind offensichtlich nicht belegt (4 von 6). Dass die anderen vier Betten durchaus Matratzen aufweisen ist ihnen wie entgangen? Vielleicht macht es aus mehreren Gründen (Hygiene, Brandgefahr) durchaus Sinn, die Matratzen unbelegter Betten wegzuräumen.

  • gretchen

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    Herr Troidl bittet nicht um Zuschüsse bei der Stadt. Davon könnte sich so mancher andere Verein eine Scheibe davon abschneiden. Schön, daß es im Strohhalm so viele Leute gibt die ehrenamtlich (und damit meine ich ohne jegliche Aufwandsentschädigung) tätig sind. Warum bekommen solche Menschen keine städtische und Bundesehrung, sondern immer nur die, die aufgrund ihres Jobs “Gutes tun”?

  • Endi

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    Mir tun die Minderheiten leid, die ihre Brotzeit draußen verzehren müssen. Auch Herr troidl und seine ehrenamtlichen Helfer gebührt ein grosses Lob. Alle ehrenamtlichen müssten in Deutschland einen orden bekommen, Strohhalm und ähnliche Einrichtungen sollten auch durch Steuergelder mitfinanziert. Stattdessen tragen unsere Repräsentanten die Steuergelder als werbegeschenke in andere Länder.

Kommentare sind deaktiviert

drin