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Hält das Escher-Urteil?

Regensburger Korruptionsaffäre vor dem BGH

Diesen Donnerstag verhandelt der sechste Strafsenat in Leipzig über das Urteil im ersten Wolbergs-Prozess. Verteidigung und Staatsanwaltschaft hatten Revision gegen die Entscheidung der sechsten Strafkammer eingelegt.

Verbotsirrtum bei illegalen Spenden, das generelle Absehen von Strafe und Straffreiheit für Spenden vor seinem Amtsantritt – all diese Ansichten der sechsten Strafkammer ließen Joachim Wolbergs nach seiner Verurteilung am 3. Juni 2019 von einem „faktischen Freispruch“ reden. Den überprüft jetzt der Bundesgerichtshof. Foto: Archiv/om

Am kommenden Donnerstag ist es nun endlich so weit: Der sechste Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig beschäftigt sich in einer öffentlichen Verhandlung mit dem „Fall Wolbergs“, genauer gesagt mit den Urteilen im ersten Korruptionsprozess. Die Revisionsentscheidung hat Bedeutung über Regensburg hinaus. Geht es doch auch um grundsätzliche Fragen in Sachen Parteispenden.

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Urteil im ersten Prozess: Zwischen krimineller Energie und Verbotsirrtum

Zur Erinnerung (hier gibt es alle Berichte zum ersten Wolbergs-Prozess): Fast eine halbe Million Euro war aus dem Umfeld des Bauträgers und langjährigen Jahn-Mäzens Volker Tretzel zwischen 2011 und 2016 auf das Konto von Wolbergs’ SPD-Ortsverein geflossen. Überwiesen wurde das Geld in Tranchen knapp unterhalb der Veröffentlichungsgrenze von 10.000 Euro – vornehmlich von Beschäftigten der BTT Bauteam Tretzel GmbH. Die sechste Strafkammer am Landgericht Regensburg zeigte sich in ihrer Entscheidung am 3. Juni 2019 überzeugt, dass die über ein „mit professionellem Aufwand organisiertes“ Strohmannsystem geschah, das der Unternehmer zusammen mit seinem Geschäftsführer organisiert hatte. Beiden bescheinigte die Kammer unter Vorsitz von Elke Escher ein „erhebliches Maß an krimineller Energie“.

Tretzel wurde wegen mehrerer Fälle der Vorteilsgewährung – ein Fall pro Spendenjahr – und Verstößen gegen das Parteiengesetz zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt, zuzüglich einer Geldauflage von 500.000 Euro. Sein Geschäftsführer, langjährige rechte Hand Tretzels, erhielt wegen Verstößen gegen das Parteiengesetz und Vorteilsgewährung eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Den früheren SPD-Fraktionschef Norbert Hartl, zuletzt noch wegen Beihilfe-Handlungen angeklagt, sprach das Gericht seinerzeit frei (hier geht es zur Urteilsbegründung).

Joachim Wolbergs wurde lediglich wegen zweier Fälle der Vorteilsannahme – in den Jahren 2015 und 2016 – schuldig gesprochen. Von zahlreichen anderen Vorwürfen sprach die Kammer den früheren Oberbürgermeister frei. Von einer Strafe sah das Gericht gemäß §60 StGB („Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.“) ab. Der Kammer sei bewusst, dass diese Regelung nur auf Ausnahmefälle beschränkt sei, so Escher in ihrer damaligen mündlichen Urteilsbegründung. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen aber lägen im Fall von Wolbergs vor und damit sei ein Absehen von Strafe „zwingend“, so Escher.

Ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorlagen, dürfte eine Frage sein, mit der sich das Oberste Strafgericht am Donnerstag beschäftigt. Ebenfalls wird es darum gehen, ob Wolbergs bei der illegalen Annahme der Spenden 2015 und 2016 – rund 150.000 Euro – tatsächlich einem strafmilderndem „Verbotsirrtum“ unterlegen war.

Spenden: BGH teilt Sicht der Escher-Kammer nicht

Von weitreichenderer Bedeutung wird es aber sein, wie sich der BGH zur Frage der Spendenzahlungen vor Wolbergs’ Amtsantritt als Oberbürgermeister stellt. Rund 325.000 Euro flossen während dieser Zeit aus der „Sphäre Tretzel“.

Die sechste Strafkammer am Landgericht vertrat in ihrer Entscheidung vom Juni 2019, dass sämtliche Spendenzahlungen vor Wolbergs’ Amtsübernahme per se straffrei seien (Ähnliches galt auch für unbestrittene geldwerte Vorteile bei Renovierungsarbeiten und von der Kammer nicht vollständig aufgeklärte Rabatte bei Wohnungskäufen von Wolbergs’ Mutter und Schwiegermutter.). Begründung: Wolbergs sei zum Zeitpunkt der Geldflüsse lediglich dritter Bürgermeister gewesen. Weil er in dieser Eigenschaft nicht zuständig für Bauangelegenheiten gewesen sei, so die Logik, könne kein strafbares Korruptionsdelikt – Bestechlichkeit oder Vorteilsannahme – vorliegen.

Diese grundsätzliche Ansicht, die einem Persilschein für das „Anfüttern“ im Hinblick auf ein zukünftiges Amt darstellt, hat der Leipziger Strafsenat bei einer Leitsatzentscheidung Mitte Juli zumindest nicht geteilt. Auch hier ging es um die Regensburger Korruptionsaffäre, eine Geldzahlung von 5.000 Euro durch den Immobilienentwickler S&P, die der Bauträger Ferdinand Schmack veranlasst hatte. Auch diese Spende floss (von der Wolbergs nichts wusste und in diesem Fall auch nicht belangt wurde) noch vor Wolbergs’ Amtsübernahme als Oberbürgermeister, aber, so der sechste Strafsenat:

„Das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für künftige Diensthandlungen an einen Amtsträger, der sich für ein anderes Amt bei demselben Dienstherrn bewirbt, kann dem Anwendungsbereich der Bestechungsdelikte unterfallen, wenn dem Vorteilsnehmer im Zeitpunkt der Tathandlung bereits allgemein aufgrund seiner Stellung ein weitreichender Aufgabenkreis zugewiesen ist.“

Anders ausgedrückt: Auch ein Bürgermeister, der sich um das Amt als Oberbürgermeister bewirbt, kann im Hinblick auf spätere Diensthandlungen bestochen werden bzw. illegale Vorteile erhalten. „Für einen objektiven Betrachter stellt sich (…) die Gewährung von Spenden an einen solchen Amtsträger unabhängig von der dienstlichen Aufgabenverteilung als Gefahr für die Lauterkeit der Amtsführung dar“, so der BGH.

Wird auch das zweite Urteil am Donnerstag Thema?

Eine Vorentscheidung ist damit zwar noch nicht getroffen, der BGH könnte die in Rede stehenden Tretzel-Spenden auch aus anderen Gründen als straflos einordnen, es dürfte aber weitgehend ausgeschlossen sein, dass sich der Bundesgerichtshof der Sichtweise der Escher-Kammer anschließt und damit seine eben erst gefällten Leitsatzentscheidung widerspricht.

Sollte der Senat die Entscheidung ganz oder in Teilen aufheben, müsste der Fall erneut verhandelt werden, dann allerdings von einer anderen Kammer am Landgericht Regensburg oder – auch das hat es schon gegeben, beispielsweise im Fall Kremendahl, an einem anderen Landgericht. Von einer Entscheidung am Donnerstag ist allerdings nicht auszugehen.

Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung wird sich der BGH an diesem Tag möglicherweise auch mit den Revisionen gegen das Urteil im zweiten Wolbergs-Prozess beschäftigen. Hier wurden Wolbergs von der fünften Strafkammer wegen Bestechlichkeit zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt (unser Bericht). Es ging um Geldzahlungen, die 2015 und 2016 von Töchtern der „Immobilien Zentrum Regensburg“-Gruppe flossen – insgesamt rund 75.000 Euro.

Rieger-Prozess startet nächste Woche

Wir werden die Verhandlung in Leipzig vor Ort verfolgen und – sofern alles klappt – im Anschluss live auf unserem Facebook-Kanal eine kurze Einordnung per Video vornehmen. Später folgt ein ausführlicher Bericht. Bereits nächste Woche steht der nächste Prozess in der Regensburger Korruptionsaffäre an. Ab dem 8. November werden am Landgericht Regensburg die Anklagen gegen den Landtagsabgeordneten Franz Rieger und dessen damaligen Wahlkampfmanager Peter Kittel verhandelt (unser Bericht).

 

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Kommentare (10)

  • Mr. T.

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    Wird wohl ein spannender Judtizherbst 🍕

    Ich vin sehr gespannt, ob einem Jurastudenten und Berufspolitiker wirklich glaubwürdig ein Verbotsirrtum zugestanden werden kann. Dann kann sich ein Fahrschullehrer bei einer Geschwindigkeitsübertretung auch rausreden, dass er nicht gewusst hat, dass man nicht so schnell fahren darf.

  • joey

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    @Mr.T.
    hier mein Applaus für das Beispiel Fahrlehrer.

    Wolbergs kann sich freisprechen lassen wie er will, das politische Urteil ist davon unabhängig. Das gilt natürlich auch für die CSU Politiker Schaidinger und Rieger: wer sich in dieser Position Geld zahlen läßt, verspielt seine Glaubwürdigkeit.
    Wolbergs indes hat in R nach wie vor devote Fans, die ihm jede Geschichte glauben und ihn weiterhin wählen. Ja, manche sind selber schuld an ihrer Ausbeutung.

  • Hartnäckig

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    bei Wollbergs ist es halt “aufgekommen” was bei anderen hübsch unter der Decke blieb !
    Und wenn es nicht aufgekommen wäre, hätte man sicher nicht nur lustig weitergemacht, sondern noch einen draufgesetzt.

  • Rüdiger

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    Das Urteil der Escher-Kammer war ähnlich absurd wie die Prozessführung, die dem Angeklagten vorrangig eine Bühne für Verschwörungstheorien und Larmoyanz bot:

    Wer vor Gericht so tut, als sei er überzeugt gewesen im Recht zu sein, als er Unrecht tat, der irrt sich unvermeidbar. Sonst hätte er die Tat nicht getan und er wäre ja nicht überzeugt. Juristen nennen das Zirkelschluss.

    Übertragen auf banale Straftaten wie Diebstahl, Betrug, Raub oder Totschlag ergäbe das völlig neue Entschuldigungsgründe. In der Tat: “Ich dachte, ich darf das, weil mir niemand gesagt hat, dass ich das nicht darf. Und weil es alle tun. Zumindest in Regensburg.”

    Ich hoffe sehr, dass sich der BGH nicht so an der Nase herumführen lässt, wie die Öffentlichkeit nach dem ersten Urteil.

  • Ulrich

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    Ich bin neugierig, ob bei der Verhandlung der Rest der Brücke geschlossen als Zuschauer antritt.

  • Mr. T.

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    Man kann hier durchaus auch Parallelen zum allseits bekannten Verfahren gegen Uli Hoeness ziehen. Der hat zwar gewusst, dass man Spekulationsgewinne versteuern muss, aber auch gemeint, dass alles passt, solange er die Gewinne auf seinem “Spielgeldkonto” in der Schweiz lässt und sie nicht realisiert. Quasi so wie jeder, der online pokert oder wettet. Das hat ihm aber nichts genutzt und er ist für dreieinhalb Jahre verknackt worden.

  • Burgweintinger

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    @Mr. T.: Dummheit schützt vor Strafe nicht!

    Mal davon abgesehen, Herr Hoeness wusste genau, was er tat…

  • Rieger-Kittel-Prozess beginnt » Regensburg Digital

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    […] Die (zur Bewährung) ausgesprochenen Freiheitsstrafen summieren sich auf zwei Jahre und zehn Monate. Es wurden Geldstrafen in Höhe von mindestens 1,5 Millionen Euro verhängt. Hinzu kommen 13 Einstellungen gegen Geldauflagen, die im Einzelfall bis zu 80.000 Euro reichen. Morgen verhandelt der BGH die Revisionen im Fall Wolbergs. […]

  • Mr. T.

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    Burgweintinger, ich habe befürchtet, dass mein Kommentar zu einer Hoeness-Diskussion führt. Verdammt, ich hätte es wissen müssen. Zum Glück ist der Giesinger wenigstens nicht mehr da …

    Ich wollte nur ausdrücken, dass Hoeness auch argumentiert hat, dass er gemeint hat, er müsse erst versteuern, wenn er das Geld anlangt, quasi somit auch auf ‘Verbotsirrtum’ gemacht hat und eingewandert ist, und Wolbergs damit davon gekommen ist, obwohl es absolut realitätsfremd ist, dass er wirklich einem Verbotsirrtum aufgesessen ist von seiner Vorbildung und Position aus gesehen.

    Hoeness ist dem oft richtigen Satz “Dummheit schützt vor Strafe nicht!” zum Opfer gefallen, Wolbergs hat wohl fehlende Dummehit vor der Strafe geschützt – auch wenns unlogisch ist.

  • Mr. T.

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    Die Aufhebung der Freisprüche ist interessant. Bin gespannt auf die Begründung.

Kommentare sind deaktiviert

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