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Düstere Aussichten für die Gastronomie

Aiwangers 15 Meter lange Bierbank statt Sozialpartnerschaft

Wie ist die Lage der Beschäftigten in der Gastronomie? Dieser Frage widmete sich am Dienstagabend eine Videokonferenz der Friedrich Ebert-Stiftung. Neben dem Gewerkschafter Mustafa Öz und dem SPD-Bundestagsabgeordneten Uli Grötsch meldeten sich auch Gastronomen zu Wort. Die Branche sitzt auf vielen Altlasten, so die einhellige Meinung.

“Wir müssen Gäste wegschicken, weil wir die Tische einfach nicht voll besetzen dürfen”, sagt Frank Gebhard, Wirt im Kneitinger Keller.

Es ist Mitte März. Die Corona-Pandemie hat auch Deutschland und Europa immer stärker erfasst, das öffentliche Leben wird weitestgehend heruntergefahren und zehn Millionen Menschen werden schließlich in den kommenden Wochen in Kurzarbeit geschickt werden. In der Polit-Talkshow Hart, aber fair verspricht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) damals, „alles dafür zu tun, damit kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren gehe und kein gesundes Unternehmen“ schließen müsse. Einige Tage zuvor hatte schon der Finanzminister Olaf Scholz (SPD) mit den ersten Maßnahmen gegen die Corona-bedingte Wirtschaftskrise die „Bazooka des Sozialstaates“ (Scholz) in Stellung gebracht. Mehrere Soforthilfen und Fördertöpfe wurden seitdem zusammen gerührt und aufgetischt. Nicht nur in der Gastronomie sind die Sorgenfalten dennoch weiterhin omnipräsent.

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Zwar haben seit dem 18. Mai Biergärten und Außenbereiche und seit dem 25. Mai generell Gaststätten nun auch wieder geöffnet. Die finanzielle Lage sei aber weiterhin angespannt, wie einige Regensburger Wirte betonen. Frank Gebhard vom Kneitinger Keller sagt: „Wir müssen hier einen enormen Aufwand betreiben, um einen Bruchteil der Gäste bedienen zu können.“ Waren es sonst bis zu 800 Plätze, bleibe nun noch ein Viertel übrig. „Und wenn dann an den Tischen wiederum nur ein oder zwei Personen sitzen, verlieren wir noch einmal Einnahmen.“

“An der eigenen Nase packen”

Dass die Lage derzeit für alle schwierig ist, das sieht auch Mustafa Öz von der Gewerkschaft NGG so. Öz spricht am Dienstagabend zusammen mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Uli Grötsch im Rahmen einer Videokonferenz der Friedrich Ebert-Stiftung über die Lage der Beschäftigten in der Gastronomie.

„Es ist vor allem eine zusätzliche Belastung für die Beschäftigten“, erklärt Öz. Diese müssten nun zahlreiche Verordnungen beachten und dabei „mit Maske weite Strecken im Außenbereich zurücklegen“. An die potentiellen Gäste gerichtet ergänzt er: „Die müssen sich an der eigenen Nase Packen und genau überlegen wie sie mit Beschäftigten umgehen. Pöbeln hilft halt nicht, wenn es etwa keinen Platz mehr gibt oder bereits um 20 Uhr geschlossen wird, obwohl das Wetter noch so schön ist.“ Das löse nur unnötigen Stress aus, für den die Beschäftigten nichts könnten.

“Jeder dritte Wirt akut von Schließung bedroht”

Wie es in den kommenden Monaten in der Branche weitergehen werde, das wisse derzeit niemand. Einig ist man sich darin, dass es schon seit mehreren Jahren abwärts gehe. “Und jetzt stehen wir vor der Situation, dass jeder dritte Wirt akut von der Schließung bedroht ist”, merkt Grötsch an.

An der eigenen Nase müssten sich dabei vor allem die Arbeitgeberverbände wie DEHOGA und der bayerische Gaststättenverband packen. “Ich muss auch feststellen, dass gerade in der Gastronomie und Hotellerie eine gewisse Scheinheiligkeit vorherrscht”, kritisiert Öz. “Zahlreiche Gaststättenbetreiber sind gar nicht Mitglied in den Arbeitgeberverbänden. Für andere gelten die Tarifverpflichtungen einfach nicht.“ Das habe direkte Auswirkungen auf die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. „Meist wird dann den Festangestellten nicht einmal der Mindestlohn von 2.250 Euro brutto bezahlt.“

“Da platzt mir die Hutschnur”

Da habe er dann auch nur wenig Verständnis, wenn „dieselben Personen, die Jahre zuvor gefordert haben, der Staat soll sich raus halten“ jetzt die Senkung der Mehrwertsteuer oder eine stärkere Unterstützung vom Staat wollen. „Da platzt mir die Hutschnur“, so die deutlichen Worte des Vorsitzenden der NGG Bayern.

Ganz konkret spricht der Gewerkschafter das Problem beim Kurzarbeitergeld an. „Das ist ein gutes Mittel. Aber von den dann noch 600 bis 900 Euro im Monat kann halt niemand leben.“ Die von der Politik beschlossene schrittweise Anhebung in den kommenden Monaten bringe den meisten nichts. Zudem werde auch die freiwillige Fortzahlung der Sozialversicherungsbeiträge von den Betrieben kaum umgesetzt.

Auf dem Rücken der Beschäftigten

„Ich habe schon zu Beginn angeboten: Lasst uns gemeinsam aktiv werden und habe einen runden Tisch mit der Politik vorgeschlagen. Da gab es aber kein Interesse.“ Lieber setze man sich mit Aiwanger auf eine 15 Meter lange Bierbank, kritisiert Öz die Verbände und Betreiber. „Das verstehe ich nicht unter Sozialpartnerschaft.“ Und so werde am Ende die Last der Krise wieder auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen verteilt.

Direkt Uli Grötsch ansprechend sagt Öz dann: „Die Politik in den Ländern ist zu uneinheitlich und mittlerweile zu unklar.“ Eine Kritik, die der SPD-Politiker zustimmend entgegen nimmt. „In der Zeit des wirklichen Shutdowns hat die Regierung die Politik sehr gut erklärt. Das hat, denke ich, gut ins Land hinein gewirkt.“ Mittlerweile sei es aber immer mehr zu einem „Überbietungswettbewerb“ gekommen. Und am Ende kenne sich niemand mehr aus. „Unfassbar“ sei es für Grötsch, dass „nun wieder fasst alles öffnet, aber für die kleinen Kneipen noch immer kein Fahrplan besteht“.

Schwierige Mehrheitsverhältnisse

Die Anhebung des Kurzarbeitergeldes habe man in der SPD-Fraktion schon sehr früh besprochen. „Wir haben derzeit jedoch gewisse Mehrheitsverhältnisse und sind immer auf die Zustimmung unseres Koalitionspartners angewiesen.“ Ein Aspekt, den Grötsch an diesem Abend mehrfach vorbringt.

Bei den derzeit viel thematisierten Schlachthöfen und Saisonarbeitskräften habe man ebenfalls andere Ansichten als die Unionsparteien. „Es ist halt schwierig, wenn niedersächsische Agrarunternehmer gegen politische Vorhaben sind“, so Grötsch mit Verweis auf einige CDU-Politiker. „Mit anderen Mehrheitsverhältnissen hätten wir vieles schon beschlossen“, ist sich der Weidener Abgeordnete sicher.

“Wer nichts wird wird Wirt”

Tatsächlich bestehe das Problem der Gastronomie aber nicht erst seit Corona, stellt Florian Knobling schließlich klar. „Bereits 1994 wurde die Meisterpflicht abgeschafft.“ Seitdem gehe es abwärts, meint der Chefkoch des Restaurants „einfach wir“ in der Rhönregion. „Heute nimmt man an einer zweistündigen Fortbildung teil. Dann wird eine Kneipe eröffnet von jemanden, der keine Ahnung von Hygiene, dem Umgang mit Angestellten oder Betriebsführung hat.“ Da stimme dann leider auch das Sprichwort: „Wer nichts wird wird Wirt.“

Zumindest einen Ausbildungszwang müsse es laut Knobling wieder geben. „Für mich als Unternehmer ist es unvorstellbar, nicht einmal zwei Monate ohne Einkommen über die Runden zu kommen. Man muss doch ein bisschen vorausplanen und kalkulieren.“ Dazu brauche es aber das Know How.

Für einen neuen „Qualitätsstandard“ spricht sich auch Öz aus. „Ich habe mich auch schon gefragt, wie stark auf Kante die Betreibe genäht sind und wieso die so schnell in Schwierigkeiten kommen. Eigentlich dürften zwei Wochen Betriebsurlaub doch auch kein Problem sein.“

Löhne und Preise rauf

Es ist vor allem eine Problemanalyse, die während der eineinhalbstündigen Videokonferenz ausgebreitet wird. Von dem „Wirtesterben“ gerade in ländlichen Regionen ist die Rede und inwieweit die Formulare beim Besuch einer Gaststätte dem Datenschutz entsprechen. Eine langfristige Lösung entwickelt sich jedoch nur in Ansätzen.

Die Löhne müssten steigen, sind sich alle einig. „Dazu müssen die Gäste aber auch bereit sein, mehr zu zahlen“, so Knobling. Allerdings zeige auch die Problematik in der Fleischindustrie, dass es nicht allein die Preise für den Endverbraucher seien, wie Öz ergänzt. Er sei selbst viele Jahre als Betriebsrat in einem solchen Unternehmen tätig gewesen und wisse, wie die Arbeitsbedingungen sind. „Knebelverträge, billige Massenunterkünfte und auch bei den Lohnabrechnungen wird regelmäßig beschissen.“

Versprechen gibt es keine

Es sei „erbärmlich genug, dass es Corona gebraucht hat, um jetzt über die Situation in Schlachtbetrieben zu reden“, gesteht Grötsch zu. Auch hier sieht er die Konsumenten in der Pflicht. „Die Menschen müssen bereit sein, für das Ei ein wenig mehr zu zahlen“, sagt er mit Verweis auf die vor zwei Jahren breit geführte Debatte um das Schreddern von männlichen Kücken. „Doch darüber spricht heute niemand mehr.“ Natürlich könne man schon alles gesetzlich regulieren. „Aber es bleibt eine Frage von politischen Mehrheiten.“

Dass die politischen Mehrheiten am Ende tatsächlich verhindern können, dass Gasthäuser zumachen müssen und zahlreiche Jobs in der Gastronomie wegfallen werden, das kann an diesem Abend niemand versprechen.

 

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Kommentare (5)

  • Olle Gaffel

    |

    “und seit dem 25. Mai generell Gaststätten nun auch wieder geöffnet.” – das gilt nur für Gaststätten mit Speiseangebot. Für Bars, Clubs, reine Schankwirtschaften etc. gibt es in Bayern noch gar keinen Fahrplan.

  • Renate

    |

    Fleischpflanzerlabitur wird die ‚zweistündigen Fortbildung‘ in den gewöhnlich gut unterrichten Kreisen bezeichnet.

  • Joachim Datko

    |

    Für den Außenbereich von Lokalen kann man weitreichende Erleichterungen erwarten!

    Zitat: “„Wir müssen Gäste wegschicken, weil wir die Tische einfach nicht voll besetzen dürfen“, sagt Frank Gebhard, Wirt im Kneitinger Keller.”

    Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen sinkt in Deutschland rasant!
    14.05. Do – 20.05. Mi durchschnittlich 645 Neuinfektionen pro Tag
    21.05. Do – 27.05. Mi durchschnittlich 424 Neuinfektionen pro Tag, trotz Lockerung der Beschränkungen, bei stark fallender Tendenz.

    Auch scheint die Gefahr sich im Außenbereich zu infizieren wesentlich geringer zu sein, als im Innenbereich.

    Keine weiteren Erleichterungen sind momentan für geschlossene Räume mit schlechter Durchlüftung zu erwarten.

  • highwayfloh

    |

    Was die 15-Meter-Bierbank-Garnitur anbelangt:

    Mann darf halt nicht nur “eckig” denken… Runde Tische mit 15 Metern Durchmesser oder sogar weniger sollten reichen damit auch eine größere Gruppe mit entsprechendem Seitenabstand zum Tischnachbarn an einem Tisch zusammenkommen kann.

    Einen Vorteil hat es auch: Bleibt dann genug Platz für die Maßkrüge und die Brotzeitplatten ;-)

  • highwayfloh

    |

    Sorry, kann ich mir jetzt nicht verkneifen:

    Man kann auch einen 15 Meter – Durchmesser-Maßkrug auf den Tisch stellen, für entsprechende Runden … unten im Boden eine Schutzmaske und alle am Tisch trinken dann per Strohalm und alle sind geschützt und das “Ballermann- / Mallorca”-Feeling ist auch da … und das sogar “dahoam!” Sozusagen boarisch Sangria ;-)

Kommentare sind deaktiviert

drin