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Totschlag-Prozess am Landgericht Regensburg

Vom notorischen Stalker zum Totschläger?

Totschlag-Prozess vor dem Landgericht Regensburg. Besonders am vierten Verhandlungstag diesen Mittwoch offenbart sich ein schwieriges und kriminelles Leben des angeklagten Nittendorfer Heizungsbauers Dieter E. Die verhandelte Frage ist: hat der notorische Stalker seine letzte Ex-Partnerin genötigt und getötet? Bei einer möglichen Verurteilung steht mittlerweile auch Sicherungsverwahrung im Raum.

Der Angeklagte neben seinen Verteidigern Dr. Ronny Raith (li.) und Jürgen Lubojanski. Foto: om

Ganz am Schluss der Verhandlungstages – es ist schon nach 18:30 Uhr, seit knapp zehn Uhr morgens wird verhandelt – wird es noch etwas hektisch und juristisch brisant. Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher bringt den Gedanken nach § 66 Strafgesetzbuch ins Spiel: Sicherungsverwahrung. Irgendwann müsse man darüber diskutieren, es bringe nichts „drum herumzureden“. Der Vorsitzende der Zweiten Strafkammer, Michael Hammer, lässt die Beteiligten wissen, dass auch das Gericht daran bereits gedacht habe.

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Sicherungsverwahrung ist Thema

Das wiederum ruft die Verteidigung auf den Plan. „Unter diesem Blickwinkel“ habe er den Fall bisher gar nicht betrachtet, interveniert Rechtsanwalt Ronny Raith. Wenn die Kammer tatsächlich über dieses Thema nachdenke, so wolle er einen entsprechenden richterlichen Hinweis, ansonsten müsse die Verteidigung den Antrag stellen, die Verhandlung auszusetzen. Bei erfolgreichem Aussetzungsantrag müsste die Hauptverhandlung neu begonnen werden.

Grund für die strafprozessuale Auseinandersetzung, die Frage nach Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine mögliche Freiheitsstrafe und das „Damoklesschwert Aussetzung“ (Hammer), sind insbesondere zwei ausführliche Aussagen von Zeuginnen am Mittwochvormittag. Beide sind ehemalige Partnerinnen und Stalking-Opfer des Angeklagten Dieter E. Dieser steht nun vor Gericht, weil er seine letzte Ex-Partnerin, Nataliya L. Ende November 2019 genötigt und am 3. Dezember 2019 getötet haben soll. Bereits zuvor betont Hammer, dass ein Gefährdungspotential des Täters für die Allgemeinheit eine wesentliche Frage für die Kammer ist, die seiner „Schutzfunktion“ bestmöglich gerecht werden wolle.

Der Angeklagte – „ein Charmeur“ und „Traummann“

Monika H. (46, Name geändert) habe Dieter E. 2015 beim Weggehen kennengelernt und eine außereheliche Affäre mit ihm begonnen. Von der Ehe und ihrem Kind habe er von Anfang an gewusst. Er sei „ein Charmeur“ gewesen, einer „der es mit den Frauen“ könne, „ein Traummann“, der sie mit teuren Geschenken überhäuft habe.

Nach einiger Zeit der Seitensprungbeziehung sei der heute 54-jährige Heizungsbauer zunehmend eifersüchtiger geworden. Er habe Monika H. unterstellt, dass es neben ihm und dem Ehemann noch einen Dritten gebe. Es sei zu verstärkten Kontrollen gekommen. So habe er ihr beispielsweise aufgetragen, die Uhr ihres Backofens zu fotografieren, um überprüfen zu können, ob sie zuhause sei.

Aus Affäre wird „die Hölle“

Im Wohnort der Zeugin, einem kleinen Dorf im Landkreis Straubing-Bogen, sei es im weiteren Verlauf der Affäre zu Gerüchten gekommen, es geistere immer wieder jemand in der Gegend herum, parke sein Auto und verschwinde wieder. Es hätten sich „im Dorf richtige Gemeinschaften“ gebildet, die herausfinden wollten, wer das sei. Vermutungen, es handle sich um E., habe sie nicht glauben wollen. „Ich war so blauäugig,“ bereut die Zeugin ihre Naivität. Er hätte eine Macht über sie gehabt, aus der sie nicht herausgekommen sei.

Der Angeklagte steigerte seinen Kontrollwahn weiter. Er sei ihr zu Terminen hinterhergefahren oder stand plötzlich unangemeldet auf der Terrasse des Einfamilienhauses. Auch die irgendwann erfolgte Trennung half nichts. Irgendwann sei er in die Garage eingebrochen, wodurch der Zeugin langsam das Ausmaß des Stalkings dämmerte. Im September 2016 erwirkte sie ein Kontaktverbot vor dem Familiengericht. Doch dieses tangierte E. nicht im Geringsten. „Er hat ein ganzes Dorf angerufen und erzählt, wir hätten eine Affäre,“ so die 46-jährige Krankenschwester. Er wolle sie nicht hergeben, er habe ihr so viel geschenkt. „Im Nachhinein glaube ich, er wollte mich kaufen“.

H. informierte die Schule ihres Sohnes („weil da ist er auch aufgetaucht“), weihte ihre Arbeitsstelle, ein Krankenhaus, ein. E. habe sie trotz Kontaktverbots immer wieder mit dem Auto verfolgt, habe ihr geschrieben, sei ihr aufgelauert. Sie wisse gar nicht, woher er immer wusste, wo sie gerade sei – er hatte ihr „ganzes Privatleben in der Hand“. Zwischendurch schluchzt die Zeugin in ihrer sehr persönlichen und freimütigen Aussage: „Ich bin durch die Hölle gegangen. Ich sag’s Ihnen ganz ehrlich.“

„Polizei, dein Freund und Helfer“

„Ich habe die Polizei so oft angerufen.“ Doch es passierte nichts. „Sie haben ihm geglaubt und nicht mir.“ Immer wieder sei sie dort abgewiesen worden. „Der kann Menschen manipulieren, der kann sich rausreden,“ ist sich die Zeugin sicher. Weil entsprechende Spuren aufgefallen seien, habe sie letztlich Wildkameras vor einer ihrem Haus gegenüberliegenden Scheune aufgebaut. Es brauchte Beweise, damit die Polizei ihr glaubt. Die Kamera zeichnete auf wie sich E. über eine Leiter Zutritt zur Scheune verschaffte. Mit einer Mistgabel bewaffnet konnte er im März 2017 in flagranti von der Polizei in der Scheune gestellt werden. Er hatte sich dort seit einiger Zeit ein Lager eingerichtet, um das Wohnhaus seines Opfers bestmöglich ausspionieren zu können.

Im Hinblick auf Nataliya L.s Tod sagt Monika H., dass sie nicht gewollt habe, dass das noch einer anderen Frau passiere. „Das hätte vielleicht nicht sein müssen, wenn man ein bisschen darauf gehört hätte.“ Sie meint ihre eigenen Erlebnisse und Warnungen, die so lange folgenlos blieben. „Die Polizei, Dein Freund und Helfer,“ sagt die Zeugin sarkastisch. „Was ich mir da habe alles gefallen lassen müssen.“

Sie sei erleichtert, die Aussage hinter sich zu haben, davor, wenn E. wieder freikomme, habe sie allerdings Angst. „Man sieht, dass da nicht zu mit Spaßen ist mit Stalking.“ Die 46-Jährige sei wegen E.s Stalking in psychologischer Behandlung gewesen und habe aufgrund der Vorfälle einige Freunde verloren. Eine Entschuldigung, die der Angeklagte über seinen Verteidiger ankündigt, möchte Monika H. am Ende ihrer einstündigen Aussage nicht hören.

Wieder vom Charmeur zum Stalker

Eine ähnliche Geschichte berichtet auch das zweite Stalking-Opfer Dieter E.s, Gerda F. (53, Name geändert). Die Bankangestellte aus dem Landkreis Deggendorf habe Dieter E. 2017 über dessen Schwester kennengelernt. Beim ersten Besuch bei ihr, vier Wochen nach dem Kennenlernen, habe er einen großen Blumenstrauß mitgebracht. Er sei „charmant und höflich“ gewesen und so habe sie ihn auch gerne zu Bekannten mitgenommen. Sie wurden ein Paar.

Zu einem ersten Eifersuchtsvorfall sei es auf dem Gäubodenfest 2017 gekommen als er ihr „eine Szene gemacht“ habe, weil sie ein anderer – der ihr in der lauten Umgebung etwas ins Ohr gesagt habe – angeblich „abgeknutscht“ hätte. In der Folge wollte sich E. immer wieder Gerda F.s Handy zeigen lassen, um zu überprüfen, mit wem sie schreibe. Er habe genau wissen wollen, wann sie von der Arbeit komme, sei immer öfter unangekündigt vor ihrer Haustür gestanden und habe sie zu Einkäufen begleiten wollen. „Ich mochte das nicht“, so die 53-Jährige. Sie habe sich „eingeengt“ gefühlt. Es kam aber noch schlimmer. Während eines Trips nach München, den sie mit Freundinnen im Dezember 2017 unternommen habe, gab es „x Nachrichten und x Anrufe“ von ihm. Bei ihrer Heimkehr stand er vor der Tür.

Anrufe, Kontrollbesuche, Verfolgungsfahrten

Sie habe die Beziehung beenden wollen, dachte sich aber, dass sie ihn wohl nicht so einfach loswerde. Sein misstrauisches Verhalten habe der Stalker damit begründet, dass ihn seine vorherige Partnerin „belogen und betrogen“ hätte. Er entschuldigte sich und gestand krankhaft eifersüchtig zu sein, woraufhin ihm Gerda F. sogar einen Therapieplatz organisiert habe. Sie hätte sich schon auf einen stationären Aufenthalt gefreut, um ein paar Wochen ihre Ruhe zu haben, doch E. wollte nur ambulant. „Weil sonst hätte er mich nicht kontrollieren können.“

„Die Eifersucht und die Kontrollsucht“ steigerten sich weiter. Verfolgungen mit einem Leihwagen, Anrufe in der Arbeit und anderen Dienstorten, ob bestimmte Termine stattfänden. Ob F. überhaupt da sei. Auf Nachfrage hätten Kollegen berichtet, dass Dieter E. auch schon oft vor der Bankfiliale gestanden habe. Es reichte ihr. Sie beendete die Beziehung im Mai 2018.

Einer ersten Aufforderung seine Sachen zu packen, sei der Nittendorfer zunächst nachgekommen. Weil sie nicht sicher sein konnte, dass er nicht den Haustürschlüssel habe nachmachen lassen, hätte sie – sogar auf Anraten von E. – mit Hilfe ihres Nachbarn die Schlösser gewechselt. Der Nachbar habe ihr auch berichtet, wie oft sich der Stalker immer wieder in der Nähe ihres Hauses aufgehalten hätte. „Keine halbe Stunde nachdem die Schlösser gewechselt waren“, habe er schon wieder vor der Tür gestanden.

„Das ist der reinste Psychothriller“

Auch Gerda F. informierte die Nachbarschaft und bat um Warnungen, wenn E. in der Gegend gesichtet werde. „Es war schrecklich.“ Als ihr Leute dazu rieten, einen Gewaltschutzantrag zu stellen und sie schließlich zur Polizei ging, habe es ihr „den Boden unter den Füßen weggezogen“. Für die Polizei war er schließlich kein Unbekannter. Sie bekam das polizeiliche Kontaktverbot.

Weil sich wie Monika H. auch Gerda F. wunderte, woher E. immer wusste, wo sie sei, habe sie sich ein neues Handy und einen neuen Router besorgt und sogar ihren Arbeitsrechner verschrotten lassen. Sie hatte Angst, er könne sich „eingeloggt“ haben. Doch all das und das Kontaktverbot halfen nichts. E. sei „täglich“ da gewesen, sogar zur Christmette an Weihnachten 2018 sei er in die gleiche Kirche, Dutzende Kilometer von seinem Wohnort entfernt, gekommen. Nachbarn hätten ihn einige Male angezeigt. „Wahnsinn, wie er das Dorf auf Trab gehalten hat,“ staunt Gerda F. noch heute.

Die Niederbayerin schildert, dass sie sich nachts nicht mehr aus dem Haus traute, eine Nachbarin ihr Pfefferspray besorgt habe und sie am Haus habe Wildkameras anbringen lassen. Irgendwann seien die Kameras gestohlen worden. Sie könne es E. nicht nachweisen, aber natürlich gehe sie davon aus, dass er es gewesen sei. Mittlerweile habe sie richtige Videoüberwachung. „Das ist der reinste Psychothriller,“ sagt sie in der Rückschau auch im Hinblick darauf, dass er das, was er ihr angetan habe, auch anderen antun werde.

Dieter E. wurde bereits einschlägig zu Haftstrafen verurteilt

Wegen seines Stalkings ist Dieter E. für die Justiz kein Unbekannter. Die beiden Frauen stellten Gewaltschutzanträge. Familiengerichte erließen daraufhin entsprechende Beschlüsse. Der Angeklagte durfte die Zeuginnen nicht mehr kontaktieren und sich ihnen und ihren Anwesen nicht mehr nähern. Es war ihm aber – wie gesagt – egal. Er rief an, schrieb Nachrichten, lauerte auf, klingelte Sturm, folgte bei Autofahrten, fuhr an der Arbeitsstelle vorbei, setzte sich in einem Café sogar an den Nebentisch und buchte ein gegenüberliegendes Zimmer in einem Hotel während eines Wellnessaufenthalts eines seiner Stalking-Opfer. Bei Monika H. verstieß er mindestens zwölf Mal, bei Gerda F. mindestens zwei Mal gegen die richterlichen Beschlüsse. Es liegt auf der Hand, dass es deutlich öfter war.

Weil die Gewaltschutzanträge nicht die erhoffte Wirkung entfalteten, wurde E. im April 2019 vom Amtsgericht Straubing zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe und im November 2019 vom Amtsgericht Deggendorf zu sieben Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Laut Zeugin Gerda F. habe die Deggendorfer Richterin gefragt, ob seine neue Freundin von der Verhandlung wisse und ob er mit ihr „das gleiche Spielchen jetzt nochmal spielen werde.“ Nein, soll E. damals gesagt haben, sie wisse nichts davon, aber mit ihr werde alles ganz anders. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie ihn wegen seiner Eifersucht bereits verlassen. Knapp einen Monat später war Nataliya L. tot.

Sexueller Missbrauch durch Pfarrer

Nahezu alle Zeuginnen und Zeugen, die den Angeklagten kennen, sprechen davon, dass seine Eifersucht „krankhaft“ sei. Auch mehrere Therapieversuche von Dieter E. legen ein klinisches Bild nahe, dessen er sich auch bewusst ist. Zwei Sachverständigengutachten, die ebenfalls am Mittwoch vorgestellt werden, sollen hierbei für das Gericht die nötige Klarheit schaffen. Ein Psychologe und ein Psychiater haben den 54-Jährigen in mehreren Sitzungen exploriert.

Dabei berichtete der Angeklagte den Sachverständigen von einer schwierigen und unsteten Kindheit. Zum Vater hätte er ein gutes Verhältnis gehabt, die Mutter, eine Prostituierte, habe er jedoch nie geliebt. E. soll sie als „Gebärmaschine“ bezeichnet haben, die viele Kinder geboren habe und dem Vater laufend fremdgegangen sei.

Aufgewachsen sei er teilweise in einem Heim in Parsberg, später habe sein Vater das alleinige Sorgerecht bekommen. Im Heim sei es im frühen Teenageralter auch zu mehrfachem sexuellen Missbrauch durch mindestens einen Pfarrer gekommen. Die Schilderungen dieser Erlebnisse, so berichten es die Gutachter, hätten E. emotional sehr aufgewühlt. Auch im Gerichtssaal weint er, als diese Passagen vorgetragen werden.

„Narzisstische Kränkung“, keine Selbstkritik und Selbstreflektion

Den Gutachten zufolge zeige der Angeklagte diese Form der Emotionalität nur, wenn es um ihn selbst gehe. Wenn es um andere, wie etwa seine Stalking-Opfer ging, „kam nichts an tiefer Betroffenheit“, so der Psychologe. Er bescheinigt Dieter E. eine „affektive Verflachung“. Selbstkritik und Selbstreflektion seien bei starker Ich-Zentrierung nicht vorhanden. Fachpsychologisch gesehen leide der 54-Jährige an einer großen Trennungsangst unter erhöhtem Neurotizismus. Er habe keine impulsive Persönlichkeit, besitze allerdings „deutlich eingeschränkte Konfliktlösungsmechanismen“ und bilde jeweils eine „starke emotionale Bindung zum Liebesobjekt“. Wenn sich das Vertrauen darin löse, lege er klammerndes Verhalten an den Tag, das ihm in seiner „narzisstischen Kränkung“ seine Defizite aufzeige. Eine Persönlichkeitsstörung, so der Psychologe, liege jedoch nicht vor.

„Nähe aus Entfernung, statt gar kein Kontakt“

Auch für Psychiater Gregor Groß, der ein ausführliches psychiatrisches Gutachten im Hinblick auf die Schuldhaftigkeit und Steuerungsfähigkeit des mutmaßlichen Täters vorlegt, sei keine Persönlichkeitsstörung „im Sinne einer krankhaft wahnhaften Störung“ vorhanden. Auch läge keine schwere depressive Störung vor, allenfalls eine depressive Episode – der Angeklagte hat sich nach dem Tod von Nataliya L. in suizidaler Absicht mehrere Schnitte am linken Unterarm zugefügt.

Zu seinen Stalkingaktivitäten habe Dieter E. dem Psychiater berichtet, dass es ihn beruhigte, wenn er die Frauen habe sehen können. Für ihn sei „eine Nähe aus Entfernung“ besser gewesen, als gar kein Kontakt. Entgegen anderer Zeugenaussagen behauptet der Angeklagte gegenüber Groß, dass ihn die getötete Nataliya L. nie verlassen habe. Es sei alles harmonisch und ohne Probleme gewesen. Nach Darstellung E.s seien beide auch unmittelbar vor ihrem Tod noch ein Paar gewesen.

Angeklagter stellt Unfalltod beim Sex in den Raum

Wie Nataliya L. zu Tode gekommen ist, ist Kernpunkt des Prozesses. Die Anklage wirft dem Heizungsbauer vor, sie vorsätzlich durch Erwürgen getötet zu haben. Der Angeklagte schweigt in der Hauptverhandlung bisher, laut Richter Hammer stelle er aber in den Raum, dass L. beim Sex durch einen (Würge-)Unfall gestorben sei. Den Sachverständigen habe E. berichtet, dass L. beim Geschlechtsverkehr auf Rollenspiele, Fesseln und Würgen gestanden habe. Weder ihr Ex-Mann noch ein ehemaliger Lebensgefährte, die ebenfalls am Mittwoch als Zeugen geladen sind, können jedoch solche sexuellen Vorlieben bestätigen.

Auch die 27-jährige Tochter der Getöteten, Diana G., die am vergangenen Freitag vor Gericht erscheint, seien entsprechende Neigungen nicht bekannt, obwohl sie ein nahezu schwesterliches Verhältnis zu Nataliya L. gehabt habe. Sie habe jedoch ausführlich von der Eifersucht Dieter E.s erfahren und auch seine Nachstellungen und Kontaktbemühungen selbst nach der Trennung (die es laut G. sicher gegeben habe) mitbekommen.

„Nicht normal, was der Mensch macht.“

Tochter und Mutter hätten nahezu jeden Tag abends telefoniert und da sei der Angeklagte oft bei Nataliya L. gewesen – selbst, wenn diese das eigentlich nicht wollte. Die beiden unterhielten sich auf ukrainisch, so dass E. das Klagen der Mutter nicht verstehen konnte. Auch von Angst hätte sie bei den Telefonaten gesprochen. „E war immer da, egal ob sie wollte oder nicht,“ berichtet Diana G. „Er war so eifersüchtig, ich habe noch nie so etwas gesehen.“

Wie seine anderen Opfer stalkte Dieter E. laut Zeugenaussagen auch Nataliya L. vor ihrem Tod ausgiebig. Er soll ihr Handy kontrolliert haben, ihr aufgelauert haben, hinterhergefahren und unnagemeldet vor der Wohnung erschienen sein. Von der angeklagten Nötigung am 23.11. habe Diana G. von ihrer Mutter erfahren. Er hätte sie am Hals gepackt, ihr eine Watsche gegeben und die Tür zugemacht. Eine herbeigerufene Freundin kam Nataliya L. letztlich zur Hilfe. G. habe daraufhin ihrer Mutter auch geraten zur Polizei zu gehen, weil das nicht „normal ist, was der Mensch macht.“

Bruder des Stalkers verachtet die Getötete

Auch in der Todesnacht haben Mutter und Tochter miteinander telefoniert. Laut Ermittlungsakte von etwa halb zehn bis zehn. Dabei hätten sich beide unter anderem über anstehende Silvesterfeierlichkeiten unterhalten. Danach hat Nataliya L. Diana G. noch einen Screenshot von einem Film geschickt – das letzte Lebenszeichen.

Am vierten Verhandlungstag wird von Richter Hammer am Rande auch ein abfälliger Instagram-Kommentar in die Verhandlung eingeführt. Darin beschimpft ein dem Gericht bisher Unbekannter unter einem Foto-Beitrag Diana G.s deren getötete Mutter. Er unterstellt Nataliya L., Männer finanziell ausgenommen zu haben und bezeichnet sie unter andem als Prostituierte. Nach Recherchen von regensburg-digital handelt es sich bei dem Kommentator um den Bruder des Stalkers und angeklagten Totschlägers Dieter E.

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Kommentare (4)

  • Mr. T.

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    Schlimme Sache! Da bleibt auch nach dem Urteil noch einiges aufzuarbeiten – von einem möglichen Versagen von Polizei und Justiz bis hin zum Mißbrauch durch einen Priester, der womöglich Auslöser für die Abartigkeit des mutmaßlichen Täters war, die am Ende einem Menschen das Leben gekostet und vielen anderen Menschen Leid gebracht hat.

    Andere mögen vielleicht noch bedauern, dass der mutmaßliche Täter hier Dieter und nicht Ivan oder Abdullah mit Vornamen heißt. Hätte wohl nur zu gut in ein ewig gestriges Weltbild gepasst…

  • highwayfloh

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    Hmh, allgemein gesagt:

    Soweit ich RD bislang verfolge, ist dies einer der seltenen Fälle, wo RD so detailliert berichtet. Mir persönlich ist es – und ich gebe es offen zu – in diesem Falle schon wieder “zu viel”. Ich persönlich interessiere mich schon für gewisse Dinge, aber ich muss nicht so tief einsteigen, dass ich dann nach durchlesen eines Artikels zum “Experten” des thematisierten Artikels werde.

    Unanbhängig davon hoffe ich, für die Angehörigen, dass das Gericht ein Urteil findet und spricht, welches zumindest bezüglich des Gerechtigkeitsempfindens und der persönlichen Gefühle , eine entsprechende Genugtuung verschafft.

    Menschliche Strafprozeße können nur in diesem Sinne Funktionieren, denn selbst eine “Todes-Strafe” oder (wie in den US-Staaten oftmals verkündetete x-fache) Todesstrafe, kann das reale Geschehen und damit verbundene Unrecht ungeschehen und rückgängig machen. Selbst wenn man den Täter in der nächsten Minute nach einer Festnahme einer Hinrichtung zuführen würde… das / die verstorbenen Verbrechensopfer bringt es dennoch nicht zurück… .

    Somit kann eine solche Strafe nur Symbolhaften Charakter haben und Bedarf enormer emotionialer Stärke aller Beteiligten, dies zu akzeptieren.

  • Stefan Egeli

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    Highwayfloh
    Die ausführliche Beschreibung der Geschehnisse legt offen, wie solche Menschen ticken, zu was sie fähig sind und wie gefährlich Stalking ist. Man kann aus diesen Fällen für die Zukunft lernen und lässt evtl. in ähnlich gelagerten Fällen bereits im Vorfeld die Alarmglocken läuten.

  • Nocheinüberlebender

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    “Im Heim sei es im frühen Teenageralter auch zu mehrfachem sexuellen Missbrauch durch mindestens einen Pfarrer gekommen.” Wie gesagt, ich finde, wir müssen unterstützt und uns muss geholfen werden, weil nur so die Täterstrategien gebrochen werden. Ob es nun Täter sind, die aus Langeweile handeln – von den Pädophilen sind es die Wenigsten, wie man ja festgestellt hat – oder, ob es Täter sind, die wieder zu Tätern werden, wie im Fall eines ehemaligen Domspatzen oder in vielen anderen Fällen, das spielt für mich keine Rolle, denn für mich zählt nur der Schutz der Opfer und da tut Regensburg Digital genau das Richtige und berichtet ausführlich darüber. Aufklärung und Aufarbeitung verhindern Straftaten wie diese.

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