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Archiv für März, 2011

Wie steht es weltweit um die Atomkraft. Eine Analyse von Hans Mirwald. Am 1. März 2011 waren – von Forschungsreaktoren abgesehen – nach Angaben der „World Nuklear Association“ insgesamt 443 Reaktorblöcke in 30 Ländern in Betrieb. Die größte Zahl davon, 104 Blöcke, werden in den USA betrieben. In Frankreich sind aktuell 58 am Netz. Den dritten Platz belegt Japan, dort speisten 55 Reaktorblöcke bis zum Zeitpunkt der jüngsten Katastrophe im März 2011 ihre Energie in das Stromnetz. Die größten Anstrengungen zum Ausbau des eigenen Atomstrom-Programms unternimmt derzeit China. Die größten Ambitionen aber hat nach wie vor Frankreich. Deutschland nimmt mit seinen 17 Anlagen den 9. Platz in diesem Ranking ein.

Die Spitze ist überschritten

Die Top Ten der Atom-Meiler-Betreiber: 359 Reaktoren stehen in diesen zehn Ländern, 76,5 Prozent aller Atomkraftzwerke weltweit, das sind derzeit 443 (inklusive der havarierten japanischen Meiler).
Erstmals nach 1956 ging 2008 kein einziges weiteres Kernkraftwerk ans Netz. Zu Beginn des Jahres 2008 waren 439 Reaktoren im Betrieb, im Dezember des gleichen Jahres waren es nur noch 436. Zwei von den drei damals abgeschalteten Reaktoren standen in Japan. Insgesamt wurden 2008 in 31 Ländern Atom-Reaktoren zur Energiegewinnung betrieben. Der globale Anteil der Stromerzeugung durch Atomkraftwerke lag in diesem Jahr noch bei 16, heute bereits bei nur noch 14 Prozent. Auch der prozentuale Anteil der „Top Ten“ an der weltweiten Stromerzeugung ist zurück gegangen: von 83,18 Prozent im Jahr 2007 auf heute 82,66 Prozent. Die absoluten Zahlen der globalen Produktion sprechen die gleiche Sprache: Weltweit ist die durch alle betriebenen Atommeiler erzeugte Energiemenge seit 2007 von 2.626 Terawattstunden (TWh) auf 2.560 TWh zurückgegangen. Die „Top-Ten“ liefern 2.116 TWh zum globalen Beitrag. 2007 lag der Anteil noch bei 2.184,3 TWh. Diese Zahlen belegen – sowohl weltweit als auch auf die größten Produzenten beschränkt – einen rückläufigen Anteil der Kernenergie in den vergangenen Jahren. Festgehalten werden kann also: Ein Drittel der Atomstromproduzenten liefern über 82 Prozent der globalen Produktion. Die Tendenz ist seit Jahren rückläufig. Der Höchststand bei den betriebenen Atommeilern liegt bereits knappe zehn Jahre zurück: 2002 waren 444 Atomkraftwerke am Netz.

Lohnende Anstrengungen

China unternimmt derzeit die größten Anstrengungen, den Anteil der Kernkraft im Gesamtmix zu erhöhen. Doch diese Zahlen bedürfen eines zweiten Blickes, wenn man sie für den Beleg der These einer Renaissance der Kernkraft heranziehen will. In absoluten Zahlen nämlich liegt das Land (noch) weit hinter den Ländern USA, Frankreich und Japan. Aktuell wird in China 1,9 Prozent der Energie in 13 Reaktoren erzeugt. 27 Reaktoren befinden sich im Bau. Geplant sind weitere 50 Reaktoren. Insgesamt erzeugt das Land aktuell 65,7 TWh mit seinen Meilern. Das entspricht ungefähr der Hälfte jener Energie, die in Deutschland heute in Kernreaktoren produziert wird. Auch nach Fertigstellung der im Bau befindlichen chinesischen Reaktoren liegt das Land noch deutlich hinter den USA, Frankreich oder Japan. In Westeuropa wird aktuell an zwei Anlagen gebaut. In Finnland und Frankreich sollen Europäische Druckwasserreaktoren (EPR) entstehen. Baubeginn im finnischen Olkiluoto war 2005 (Leistung: 1.600 Megawatt). Im Plan liegt man weit zurück, Zeitverzögerungen und Kostenexplosionen überschatten das Projekt. Seit 2007 wird im französischen Flamanville gebaut. Veranschlagt waren ursprünglich 3,3 Milliarden Euro, der Betreiber „Électricité de France“ hat aber bereits eingeräumt, dass es wohl doch „ungefähr fünf Milliarden Euro“ kosten wird. Einen verbindlichen Termin für die Fertigstellung gibt es natürlich weder in Finnland, noch in Frankreich. Das einzige Unternehmen, das in der Lage ist/war, Großkomponenten für Reaktordruckbehälter von der Größe des EPR zu schmieden, befindet sich ausgerechnet im von Krisen geschüttelten Japan: der Rüstungskonzern „Japan Steel Works“. Dampferzeuger der EPR-Bauprojekte sollten ebenfalls in Japan produziert werden. Wie sich eine Versorgungssicherheit bei diesen Produkten entwickelt, lässt sich derzeit wohl kaum abschätzen.

Die Nachbarn

Atomkraft-Befürworter in Deutschland scheuen nicht den Vergleich mit dem benachbarten Ausland. Ihr Argument: Das Abschalten hier zu Lande bringe gar nichts, so lange in den Nachbarländern die Reaktoren fleißig weiter arbeiteten. Wenn es also dort nicht zum Umdenken kommt, dann bleibt ein „Alleingang“ in der Bundesrepublik sinnlos. Ist Österreich in dieser Diktion also ein Nestbeschmutzer? Die Gegner der Kernkraft schütteln den Kopf über die Haltung der Nachbarn im französischen Westen. Warum nur ist dort der Glaube an diese Technik so unerschütterlich? Frankreichs Atomstrom-Anteil liegt mit 75,2 Prozent nach Belgien (51,7 Prozent) an der Spitze der Produzenten. Doch auch hier lohnt ein zweiter Blick. Für den Betrieb von Atomkraftwerken wird angereichertes Uran benötigt. Drei Prozent müssen es beim Uran für stromproduzierende Kernkraftwerke sein, sollen Atombomben gebaut werden, muss das Uran wesentlich stärker (97 Prozent) angereichert werden. Zehn Prozent der Uranproduzenten liefern derzeit knapp 90 Prozent der globalen Produktion. Die wichtigsten Uranvorkommen finden sich in Australien, Kasachstan, Russland, Südafrika, Kanada, den USA, Brasilien, Namibia und in Niger. Der französische Konzern AREVA ist auf dem Feld der Nukleartechnik Weltmarktführer. Im afrikanischen Niger verfügen die Franzosen über zwei der zehn größten Uranlagerstätten weltweit. Da die Urananreicherung „förderstättenfern“ erfolgt, kommt Frankreich eine besondere Rolle bei der Nutzung der Kernkraft zu: Beinahe 100 Reaktoren weltweit – das entspricht knapp einem Viertel aller Kraftwerke – werden von Südfrankreich aus beliefert. Dort nämlich, auf dem Gelände des Kernkraftwerks Tricastin produziert die AREVA-Tochter EURODIF 23 Prozent des weltweit angereicherten Urans für Kraftwerke. Am Rande: EURODIF war im Juli 2008 für einen Störfall verantwortlich, bei dem eine Lösung mit angereichertem Uran in die Umgebung von Tricastin freigesetzt wurde. AREVA möchte nach eigenem Bekunden der größte Atomkonzern der Welt werden. Neben Frankreich wird bei der halbstaatlichen URENCO-Gruppe auch in den Niederlanden, England, und Deutschland angereichert. Der staatliche Konzern ROSATOM reichert in Russland an und in den USA ist es die Firma USEC. Da also Uran an relativ wenigen Standorten angereichert wird, ist der starke Einfluss dieser Industrie in Frankreich leicht erklärbar.

Die Zukunft der Atomkraft

Atomanlagen brauchen Personal. Das Problem dieser Industrie ist aktuell mehrschichtig: Zum einen schaffen die Betreiber es derzeit kaum, die altersbedingten Abgänger in den laufenden Reaktoren durch hochqualifiziertes Personal zu ersetzen, zum anderen fehlt es an einer ganzen Generation von Atomphysikern, Ingenieuren und Strahlenschutzexperten, die in entstehenden neuen Anlagen beschäftigt werden müssten. Auf mögliche Perspektiven zur beruflichen Qualifikation verweist die „World Nuclear University“. Ungelöst nach wie vor sind die Probleme der stillgelegten Anlagen (Abriss etc.). Eine Lösung für den anfallenden Atommüll ist bislang nicht erarbeitet und auch nicht in Sicht. Derzeit werden die anfallenden Abfälle in Bitumen oder Glas eingegossen. Zwischengelagert wird erdoberflächennah. Im französischen La Hague entstand das Zwischenlager COGEMA für die gefährlichsten Abfälle. Eine Studie von 1997 zeigte, dass die Blutkrebsrate dort bei Kindern und Jugendlichen im Umkreis von zehn Kilometern drei Mal so hoch ist wie im Landesdurchschnitt. In der Theorie sollten radioaktive Abfälle in geologischen Formationen unter der Erdoberfläche in Tiefen bis zu 1.000 Metern gelagert werden. Diese Konzepte existieren bislang aber nur theoretisch in den Köpfen der Experten. Die Anzahl der weltweit betriebenen dauerhaften Endlager liegt derzeit bei Null. Nicht berücksichtigt wird bislang, wie man der Tatsache Rechnung tragen sollte, das künftige Technologien naturgemäß nicht bekannt sind. Daraus resultieren Fragen, die sich – auch im Falle des Ausstiegs – für nachfolgenden Generationen ergeben: Wird man Atommüll unwiederbringlich endlagern oder soll man auf eine rückholbare Endlagerung setzen?

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